Zwei-Prozent-Ziel der NATO: Verbindlich oder anzustreben?

Beim ersten Zusammentreffen des neuen US-Außenministers Rex Tillerson (Foto oben links) mit seinen NATO-Kollegen in Brüssel gab es am (heutigen) Freitag eine Fortsetzung des seit Wochen laufenden Schauspiels: Wie verbindlich ist denn nun das in der Allianz vereinbarte Ziel, bis 2024 die Verteidigungshaushalte der Mitgliedsstaaten auf jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben?

Ganz doll verbindlich, sagte Tillerson, wie AP berichtet:

U.S. Secretary of State Rex Tillerson warned NATO allies Friday to boost defense spending or come up with plans to reach the alliance’s budget guidelines within two months.

Tillerson, in his first talks with NATO counterparts in Brussels, said that Washington is spending a „disproportionate share“ on defense compared with its 27 partners, and that he expects action by the time President Donald Trump meets with other alliance leaders on May 25. (…)
„Our goal should be to agree at the May leaders meeting that by the end of the year all allies will have either met the pledge guidelines or will have developed plans that clearly articulate how, with annual milestone progress commitments, the pledge will be fulfilled,“ Tillerson told the ministers.

Eine Zielrichtung (guideline) und nicht ein verbindlicher Endpunkt (goalpost), sagte dagegen der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel laut dem vom Auswärtigen Amt (auf Englisch) veröffentlichten Text:

Our defense spending has increased by 13.7% under NATO criteria. This year’s budget alone will mark an increase by 7.9%! More than 11% of the federal budget will be spent on defense. The overwhelming part will be made available to NATO directly. It is this “output” for NATO which we need to focus on more– especially with a view to capability shortfalls.
We respect the 2% guideline – but we should not move the goalposts: it was formulated in Wales as a guideline and not as a goalpost. Defense spending and military means are important to provide for more security, but they are by far not the only means.

Gabriel hat – neben den auch von ihm immer erwähnten Kriterien für zivile Krisenvorsorge und -bewältigung – hier sicherlich einen Punkt: Der deutlich größere Anteil des US-Verteidigungshaushalts am Budget und am Bruttoinlandsprodukt kommt anteilmäßig weniger der NATO direkt zugute als der deutsche Anteil.

Dennoch hätte ich gerne von Regierungssprecher Steffen Seibert und BMVg-Sprecher Jens Flosdorff gewusst, ob die Wortwahl des deutschen Außenministers von Kanzleramt und Verteidigungsministerium geteilt wird. Die Antwort (auch die von AA-Sprecher Sebastian Fischer) war, nun, nicht ganz so eindeutig:

BPK_NATO_Zwei_Prozent_31mar2017     

 

Nachtrag: Auch hier das Transkript dazu:

Frage : Ich traue mich fast nicht, in der noch verbleibenden kurzen Zeit das Thema aufzumachen. Herr Fischer, der Außenminister hat heute vor dem Treffen mit US-Außenminister Tillerson in Brüssel den Standpunkt wiederholt, den er auch schon in Deutschland mehrfach geäußert hat, dass es nämlich in der Nato kein bindendes Zwei-Prozent-Ziel gibt. Herr Seibert, Herr Fischer, Herr Flosdorff, mich würde interessieren, ob diese Haltung die einmütige Haltung der Bundesregierung ist.

StS Seibert: Es ist ja offensichtlich, dass man sich gemeinsam auf die Beschlüsse des Nato-Gipfels von Wales bezieht, die im Übrigen auch eine mehrjährige Vorgeschichte haben. Wir haben hierüber sehr oft gesprochen. Die Bundesregierung bekennt sich dazu, die Ausgaben für unsere Bundeswehr zu steigern. Wir haben das von 2016 auf 2017 mit etwa 8 Prozent getan. In diesem Sinne wollen wir, weil wir wissen, dass es notwendig und sinnvoll ist, unsere Bundeswehr weiter zu stärken, auch weiter vorangehen.

Fischer: Der Außenminister hat einfach noch einmal darauf hingewiesen, dass die Allianz in Wales eine Richtungsentscheidung – ich glaube, das Wort hat er in Brüssel verwendet – beschlossen hat, die mehrere Punkte umfasst. Den entscheidenden Satz kann ich gerne noch einmal zitieren, wie ihn uns der Übersetzungsdienst aus dem Englischen übermittelt hat. Dort heißt es: „…darauf abzielen, sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen, um ihre Nato-Planungsziele zu erreichen und Fähigkeitslücken der Nato zu schließen.“

Zusatzfrage : Das kenne ich alles. Das war aber nicht meine Frage. Meine Frage war, ob die Aussage des Außenministers „Es gibt keine bindende Zwei-Prozent-Verpflichtung“ Konsens in der Bundesregierung ist.

StS Seibert: Es gibt die gemeinsame Verabredung der Nato-Partner – und zu der stehen wir -, uns auf diese zwei Prozent zuzubewegen. Wir liegen derzeit bei 1,2 Prozent. Die Bundeskanzlerin hat neulich gesagt: Wenn wir schon einmal in Richtung 1,5 Prozent gekommen wären, dann hätte man eine ganze Menge erreicht.

Wir blicken jetzt natürlich auch auf die nächsten Jahre. Wir haben die Trendumkehr geschafft. Wir sehen viele Gründe, warum wir das für unsere Bundeswehr tun sollten: Die Einsätze der Bundeswehr sind vielfältiger, als sie das früher waren; die Anforderungen an die Soldaten, an die Ausrüstung ist vielfach gestiegen; die Notwendigkeit, Cyberattacken abwehren zu können, in dem gesamten Bereich der Cyberabwehr tätig zu sein, bringt ein vollkommen neues und auch wieder kostenintensives Feld. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung entsprechend den Verabredungen in der Nato-Allianz diesen Weg weiter geht.

Flosdorff: Es ist auch aus Sicht der Bundeswehr sehr wichtig, dass wir dieses Ziel bis zur Mitte der nächsten Dekade nicht aus den Augen verlieren. Die Bundeswehr hat einen gewaltigen Nachholbedarf, was die Ausstattung angeht. Das Parlament schickt unsere Soldatinnen und Soldaten in Einsätze. Ich denke, allen ist klar, dass das im Umkehrschluss auch heißt, dass sie angemessen ausgestattet sein müssen, damit sie dem auch Genüge tun können. Es gibt einen unglaublichen Modernisierungsbedarf. Die Fahrzeugflotte, die teilweise aus den 80er-Jahren stammt, muss modernisiert werden. Funkgeräte müssen quer durch die Truppe ersetzt werden. Das sind alles Milliardenprojekte. Ich spreche noch gar nicht von neuen Herausforderungen wie dem Thema Cyber und der notwendigen Digitalisierung. All das hat einen ganz gewaltigen Modernisierungs- und Investitionsbedarf. Wer die Bundeswehr in Einsätze schickt, muss sie auch ausrüsten.

Zusatzfrage : Herr Flosdorff, Sie haben den Munitionsbedarf vergessen. Nur, dass wir den auch noch haben.

Ich will die Frage sehr simpel formulieren: Stimmen Kanzleramt und Verteidigungsministerium der Formulierung des Außenministers „Es gibt kein bindendes Zwei-Prozent-Ziel“ zu? Einfach nur: Ja oder Nein.

StS Seibert: Sie werden mich nicht dazu bringen, hier jetzt Sätze anzunehmen oder nicht. Wir sind uns als Bundesregierung einig – auch das hat der Außenminister ja mehrfach gesagt -, uns entsprechend unserer in der Nato abgegebenen Verpflichtungen zu verhalten. Wir haben dies in dieser Legislaturperiode getan. Wir wissen übrigens auch alle in der Bundesregierung, dass, so notwendig es ist, unsere Bundeswehr zu stärken, weiter auszurüsten und mit mehr Geld auszustatten, so notwendig es auch ist, andere Anstrengungen für die Sicherheit zu machen. Die Entwicklungshilfe ist auch eine Anstrengung für die Sicherheit; die Ertüchtigung von sagen wir einmal afrikanischen Staaten, sich um ihre eigene Sicherheit oder die regionale Sicherheit selbst zu kümmern, ist auch ein Einsatz für die Sicherheit. All das zählt auch. Aber wir – die Bundeskanzlerin, der damalige Außenminister Steinmeier – sind uns über das Ziel, das wir gemeinsam in Wales bekräftigt haben, vollkommen einig.

Fischer: Die Haltung der Bundesregierung können Sie auch der mittelfristigen Finanzplanung entnehmen, in der die entsprechenden Finanzierungsansätze dargelegt werden.

(Foto: US-Außenminister Rex Tillerson, l., mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg – Foto NATO)