Nach den Trump-Äußerungen: Berlin setzt (vorerst) auf Abwarten (m. Nachtrag)

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Die Aussagen des designierten US-Präsidenten Donald Trump im Interview mit zwei europäischen Zeitungen, der Londoner Times und der Bild-Zeitung, haben hinreichend Aufmerksamkeit erregt. Unter anderem auf Fragen zur Sicherheitspolitik; da äußerte sich der President-elect recht kritisch zur NATO, die er als überflüssig (obsolete) bezeichnet und einzelnen Nationen vorwirft, zu wenig zur gemeinsamen Verteidigung beizutragen:

It’s obsolete because it wasn’t taking care of terror. (…)
And the other thing is the countries aren’t paying their fair share so we’re supposed to protect countries but a lot of these countries aren’t paying what they’re supposed to be paying, which I think is very unfair to the United States. With that being said, Nato is very important to me.

(Die komplette Interview-Abschrift gibt es kostenfrei – nach Anmeldung – bei der Times.)

Da ist natürlich die deutsche Reaktion, vor allem die der Bundesregierung, interessant – allerdings bislang nur beschränkt hilfreich. Den vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten am kommenden Freitag, vor tatsächlichen politischen Handlungen sollte doch nicht aufgrund von Interviewaussagen oder Tweets eine Beurteilung erfolgen, so die offensichtliche Grundhaltung der Bundesregierung.

In der Bundespressekonferenz am (heutigen) Montag gab es dann dennoch darüber hinaus ein paar Äußerungen von Verteidigungsministerium und Auswärtigem Amt zum Stellenwert der NATO und dem Verbündeten USA. Zum Nachhören der komplette Teil der Pressekonferenz, vor allem mit Regierungssprecher Steffen Seibert, Jens Flosdorff vom Verteidigungsministerium und Martin Schäfer vom Auswärtigen Amt. Die für das Thema NATO relevante Passage beginnt etwa bei Minute 05:30:

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Nachtrag: Die Passage zur NATO aus dem Transkript:

Frage: Ich habe eine Frage an das Verteidigungsministerium. Donald Trump hat die Nato in dem Interview ja als obsolet bezeichnet, weil sie sich nicht um den Terrorismus gekümmert habe und viele Mitgliedstaaten auch nicht entsprechende Beiträge zahlten. Kann die Verteidigungsministerin diese Einschätzung nachvollziehen?

Herr Schäfer, Trump hat die Europäische Union ja auch als Mittel zum Zweck für Deutschland bezeichnet und prognostiziert, dass weitere Staaten austreten würden. Teilt der Außenminister diese Einschätzung?

Flosdorff: Um einmal den Anfang zu machen: Die Nato ist ein Bündnis, dessen Bedeutung in den vergangenen Jahren eher noch einmal gewachsen ist. Es hat ja auch in Warschau Beschlüsse gefasst, die in die Richtung zeigen, dass sich die Nato gegen den IS engagiert. Deutsche Soldaten sind daran ja auch im Rahmen von AWACS-Flügen beteiligt.

Um es noch einmal grundsätzlich zu sagen: Die Nato ist ein Bündnis aus 28 Staaten. Für Deutschland stand bereits vor der Wahl fest, dass wir uns im Bündnis stärker engagieren müssen. Deutschland hat wie 27 andere Staaten auch auf dem Gipfel von Warschau das Zwei-Prozent-Ziel bestätigt und bekräftigt, und damit ist auch klar, dass wir dieses Ziel schrittweise erreichen möchten. Das ist allerdings nicht nur eine Verpflichtung gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern das ist eine Verpflichtung, die wir auch gegenüber allen anderen Nato-Bündnispartnern haben. Deswegen unternimmt Deutschland auch Anstrengungen in diese Richtung. Deutschland steht zu seinen Verpflichtungen und zu seiner Verantwortung innerhalb der Nato.

In den letzten Jahren gab es da verstärkte Maßnahmen. Ich erinnere nur einmal daran, dass Deutschland zweimal die VJTF mit Norwegen und mit den Niederlanden übernommen hat, dass wir eine Führungsrolle in Litauen im Rahmen von „Enhanced Forward Presence“ innehaben, dass Deutschland „Air Policing“ im Baltikum durchführt, dass Deutschland das Multinationales Korps Nordost maßgeblich mitbestimmt oder halt im Mittelmeer mit den AWACS-Flugzeugen im Einsatz ist.

Deutschland ist auch zu seinen Nato-Verpflichtungen gestanden, als das bisher erste und einzige Mal der Bündnisfall ausgerufen wurde. Das geschah auf Bitten der Vereinigten Staaten nach 9/11. Auch da hat sich Deutschland im Bündnis verhalten und wird es auch weiterhin tun. Die Nato hat ihre hohe Bedeutung für Europa, für Deutschland und für unser aller Sicherheit.

Schäfer: Ich kann das vielleicht ergänzen, wenn Sie mir einen Satz zum Thema der Nato erlauben, weil Herr Steinmeier heute bei seinem voraussichtlich letzten Außenministerrat in Brüssel ist, gerade jetzt mit seinen noch 27 Amtskollegen zusammensitzt und dann auch sicherlich im Lichte der Äußerungen von Donald Trump über Europa mit seinen Kollegen sprechen wird. Aber zuvor hat er heute Morgen ein langes Gespräch mit dem Generalsekretär der Nato geführt. Er hat danach ja auch die Öffentlichkeit bei seinem Doorstep vor dem Außenrat wissen lassen, dass die Äußerungen von Herrn Trump in Brüssel für „Verwunderung und Aufregung“ gesorgt haben. Für den Außenminister gilt genau das, was Herr Flosdorff gerade für die Verteidigungsministerin gesagt hat: Jedenfalls aus seiner Sicht ist die Nato nicht obsolet.

Auch was Ihre Frage zu Europa angeht, gilt für den Außenminister und, wie ich sicher bin, darüber hinaus auch für die Bundesregierung: Europa ist nie nur Mittel zum Zweck für irgendetwas gewesen, sondern Europa ist für uns eine Schicksalsgemeinschaft, die vielleicht in Zeiten wie heute, in denen Ordnungen zerfallen, wichtiger denn je ist. Wir wollen und wir müssen angesichts der Gefahren für unsere Ordnung, für unsere Stabilität, für unsere Freiheit, für unseren Wohlstand zusammenstehen, angesichts von Gefahren, die von innen wie auch von außen auf uns eindringen. Das ist eindeutig das Bekenntnis des deutschen Außenministers.

Frage : Das schließt daran an und hat noch einmal mit der Nato und der Äußerung zu tun, die Nato sei obsolet. Wenn der amerikanische Präsident das behauptet, Herr Flosdorff und Herr Schäfer, dann verändert das ja schlagartig die Sicherheitslage, weil es Zweifel an der Beistandsverpflichtung der USA gibt. Die Sicherheitslage ist ja zum Großteil auch von dem nuklearen Schutzschirm der Amerikaner abhängig. Gibt es, wenn Trump das wirklich infrage stellt, Überlegungen innerhalb der Bundesregierung beziehungsweise in Europa hinsichtlich einer eigenen nuklearen Aufrüstung?

Schäfer: Ich kenne solche Pläne nicht.

Im Übrigen glaube ich, dass es jetzt auch wenig Sinn macht – und ich will mich da ausdrücklich dem anschließen, was Herr Seibert gesagt hat -, jede Bemerkung in diesem Interview oder anderswo – per Twitter oder so – so auf die Goldwaage zu legen, dass wir dem sozusagen immer hinterherlaufen und sofort reagieren. Woran wir uns halten, sind diese, aber eben auch andere Äußerungen. Das Bild, das dabei entsteht, ist – vorsichtig gesprochen – widersprüchlich. Kandidaten für wichtige Ämter in der Außen- und Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika – der designierte Verteidigungsminister und auch der designierte Außenminister – haben über die Nato und auch über Europa völlig andere – ja geradezu konträre – Dinge gesagt als das, was wir heute in einem Interview nachlesen, und die haben das im amerikanischen Senat und unter Eid getan.

Das sind Dinge, an denen wir uns orientieren, aber wir haben an dieser Stelle nicht zum ersten Mal über diese Frage gesprochen und gesagt: Welches Bild von einer kohärenten amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik entstehen wird, ist uns jedenfalls noch nicht so ganz klar. Deshalb werden wir die in sich nicht kohärenten und in sich widersprüchlichen Äußerungen, die wir jenseits des Atlantiks vernehmen, jetzt sauber analysieren, und wir werden schauen, was nach dem Freitag, nach der tatsächlichen Amtsübernahme, dann tatsächlich die amerikanische Politik sein wird. Das jetzt alles schon als Fakt hinzustellen, ist etwas verfrüht.

Frage : Herr Schäfer, Sie sagten, Herr Steinmeier habe über eine Verwunderung und Aufregung in der Nato nach diesem „Bild“-Interview gesprochen. Was folgt denn daraus, welche Schritte will der Außenminister jetzt unternehmen oder welche Folgen sieht er für die Nato?

Schäfer: Daraus folgt zunächst einmal, dass diese Reaktion so ist, wie er sie heute Morgen in Gesprächen mit dem Generalsekretär der Nato wahrgenommen hat. Dann gilt das, was ich gerade eben gesagt habe: Jetzt werden wir uns einmal daran orientieren, was tatsächlich amerikanische Politik – amerikanische Außen- und amerikanische Sicherheitspolitik – ist, auch mit Blick auf die Nato. Am Freitag findet die Übernahme der Amtsgeschäfte durch Donald Trump und seine Administration statt. Ich bin mir sicher, dass die dann neuen Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika uns dann in Brüssel bei der Nato und sicherlich auch gegenüber der Europäischen Union sagen werden, was tatsächlich die Position der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Bislang gibt es auch angesichts von öffentlichen Äußerungen, glaube ich, keinen konkreten Anlass, hier und heute Änderungen vorzunehmen. Wir warten jetzt vielmehr mit Ruhe und auch der notwendigen Geduld ab, was da passieren wird.

Inhaltlicher Hinweis: Bitte hier auf Augen geradeaus! die Diskussion auf das Thema Sicherheitspolitik beschränken und nicht über Trump an und für sich oder die Autoindustrie und ähnliches debattieren… Das wäre ein OT, der hier nicht gerne gesehen ist, und ich werde das entsprechend moderieren.

(Technischer Hinweis: Ich versuche jetzt erstmals, die Datei hier nicht im mp3-Format, sondern im Ogg-Vorbis-Format bereitzustellen. Wenn das zu technischen Problemen führt, bitte ich um Nachricht in den Kommentaren.)

(Archivbild: Trump am 31. August 2016 bei einer Kundgebung in Phoenix, Arizona – Gage Skidmore via Wikimedia Commons unter CC-BY-SA-Lizenz)