Lagebeobachtung Kundus: Kämpfe, dritter Tag (m. Nachträgen)
#Kunduz: #Afghan National Defense soldiers rally at roundabout in main square of Kunduz where behind black some raise up to sky pic.twitter.com/eAAflwFHCI
— Humayoonbabur (@Humayoonbabur) October 5, 2016
Eigentlich schien es doch am (gestrigen) Dienstag so auszusehen, als hätten die afghanischen Sicherheitskräfte den am Montag begonnenen Angriff der Taliban auf die nordafghanische Provinzhauptstadt Kundus weitgehend zurückgeschlagen und die Stadt unter ihrer Kontrolle. Aber das scheint immer noch nicht so ganz aufzugehen; die AP-Meldung vom Mittwochmorgen:
Afghan officials say heavy battles are ongoing between the Taliban and Afghan forces in the north for the third straight day since the insurgents attacked the city of Kunduz.
Gen. Qasim Jungalbagh, the provincial police chief, says that the Taliban launched fresh attacks on Afghan forces from the south and east early in the morning on Wednesday.He says clearance operations have begun inside the city, while heavy clashes continue on the outskirts.
Unklar bleibt damit, wie die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte über Kundus und Umgebung aussieht. Und unklar bleibt auch, welche Art von Luftschlägen zur Unterstützung von afghanischer Armee und Polizei die NATO-Mission Resolute Support – faktisch: die USA – in und um Kundus ausgeführt haben.
Vielleicht werden im im Laufe des Tages schlauer; weiter nach Entwicklung.
Nachtrag: Von Reuters:
Thousands of residents have fled or face deteriorating conditions as fighting between Afghan forces and Taliban militants entered its third day in the embattled northern city of Kunduz, officials said on Wednesday. (…)
„Most civilians have abandoned Kunduz city and have gone to neighboring districts or provinces,“ said Kunduz provincial governor Asadullah Amarkhel. „There is no electricity, no water and no food. Many shops are closed.“
Government troops, backed by U.S. special forces and air strikes, have made slow but „significant“ progress in clearing the city, said Kunduz police chief Qasim Jangalbagh.
He acknowledged, however, that the situation remained dangerous for many residents.
… und von Xinhua:
„The cleaning operation is going on in Kunduz city and surrounding areas by joint Afghan security forces. Some 17 militants were killed inside the city and 22 others were killed after army’s airpower struck Taliban positions in several strategic locations in outskirts of the city,“ the Defence Ministry said in a statement, adding 27 militants were wounded as a result of the clashes and air raids.
… und AP:
With American helicopters providing air support, Afghan forces battled the Taliban in the northern city of Kunduz for the third straight day Wednesday, following the multipronged attack launched by insurgents earlier this week. (…)
Afghan Gen. Qasim Jungalbagh, the provincial police chief, said Taliban gunmen launched fresh attacks in Kunduz from the south and east early Wednesday.
Also Wednesday, the Taliban began forcing people from their homes in an effort to start an exodus from Kunduz, similar to what happened a year ago when half the population of around 300,000 fled the city.
… von der spanischen Agentur EFE:
Taliban fighters are continuing to resist the counter-attack by Afghan security forces around the center of Kunduz, a city in northern Afghanistan now reeling under a lack of power, water and food supply, official sources told EFE Wednesday. (…)
The fighting is ongoing in the eastern, western and southern parts of the city, where ground forces are backed by airstrikes, and heavy fighting is underway in places such as Khanabad on the city outskirts, said Kunduz regional police spokesman Mahfuzullah Akbari.
„Our troops are on the defensive in eastern and northern parts of the city“ he said, adding that those who can are fleeing towards neighboring provinces. (…)
The main power supply station was also destroyed Tuesday evening and the city is without power, water and food for the third day running, Kunduz Representative Eng. Kamal Safi said in a parliament session Wednesday.
Nachtrag 2: Die Aussagen dazu in der heutigen Bundespressekonferenz von Oberst Boris Nannt vom Verteidigungsministerium und Martin Schäfer vom Auswärtigen Amt:
(Audio mit freundlicher Genehmigung von Tilo Jung aus seinem Mitschnitt der BPK, das Video dazu hier: https://youtu.be/WRx_RlupG_Y?t=30m30s )
Transkript des Audios:
Frage : An Herrn Nannt und Herrn Schäfer: Wie ist die Lage in Kundus, wer hat da die Kontrolle?
Nannt: Zur Lage in Kundus: Wie Sie wissen, haben die afghanischen Sicherheitskräfte die Sicherheitsverantwortung insgesamt übernommen, insofern habe ich natürlich nur indirekte Kenntnisse. Der deutsche Kontingentführer hatte sich ja am Sonntag auch einmal kurz dazu eingelassen. Nach unseren Erkenntnissen haben die afghanischen Sicherheitskräfte die Situation zumindest wieder weitgehend unter Kontrolle. Bei dem Angriff ging es wohl vor allen Dingen darum, mediale Aufmerksamkeit zu erregen, also Angst und Unruhe zu stiften; das hat man auch gesehen. Um das vielleicht mit einem Beispiel zu untermauern: Vermeintliche Bilder eines Erfolgs, die jetzt getwittert wurden, waren vom letzten Jahr.
Das ist eigentlich das, was ich Ihnen dazu sagen kann. Hier gilt quasi das, was wir schon in der Vergangenheit immer gesagt haben: Es ist natürlich möglich, dass weiterhin Nadelstiche gesetzt werden und dass auch kurzfristige Erfolge erzielt werden, aber es ist eben nicht möglich, dort langfristig Räume zu besetzen. Das war auch nicht in deren Absicht.
Schäfer: Ich würde gerne Herrn Nannt ausdrücklich beipflichten und vielleicht noch ergänzen. Jedenfalls am Rande der Afghanistan-Konferenz in Brüssel gab es, wie Herr Nannt schon ausgeführt hat, weitgehend einhellige Übereinstimmung bezüglich des Satzes: Das machen die Taliban nicht, weil sie wirklich glauben, Kundus erobern zu können – dazu war diese Aktion weder geeignet noch angelegt -, sondern um öffentliche und Weltaufmerksamkeit zu erzielen. Das gelingt den Taliban ja auch. Sie stellen ja auch diese Frage, was auch Ihr gutes Recht ist.
Immerhin kann man sagen: So instabil die Lage bis heute ist – das ist der Grund, weshalb viele Regierungen heute in Brüssel zur Afghanistan-Konferenz zusammengekommen sind – und so sehr Afghanistan im Bereich Sicherheit und auch überall sonst noch massive Unterstützung aus der internationalen Gemeinschaft braucht, so sehr können wir erkennen – ich glaube auch, vonseiten militärischer Experten erkennen -, dass die afghanischen Sicherheitskräfte durchaus in der Lage sind, sich zur Wehr zu setzen und dass sie es federführend hinbekommen haben, diesen Angriff der Taliban in kurzer Zeit erfolgreich zurückzuschlagen.
Zusatzfrage : Herr Nannt, welche Rolle spielt unsere Koalition, also „Resolute Support“ bei diesen Kämpfen? Werden die afghanischen Regierungstruppen von uns unterstützt? Wenn ja, wie? Zum Beispiel mit Luftangriffen?
Nannt: Ich kann nur für die Bundeswehr und für den Beitrag sprechen, den wir leisten. Für den Beitrag haben wir, wie Sie wissen, ein Ausbildungsberatungsmandat. Das heißt, wir leisten Beratung, auch vor Ort in Kundus, sodass wir im Rahmen der Beratung unterstützend wirken können. Das ist eine enge Kooperation, die schon länger angelegt ist. Wir leisten dort das, was wir können.
Im Westen nichts Neues – auf der BW-Seite der UdÖ oxidiert die letzte Ausgabe vom 28. September 2016 still vor sich hin.
Die Lyriker vom Pressestab kauen vermutlich noch an ihren Bleistiften und warten auf Inspirationen. Lesetipp: die Wehrmachtsberichte, so ab ’43.
Die Luftschläge wurden primär durch afghanische MD-530 Hubschrauber sowie A-29 CAS Flugzeuge durchgeführt. Die Amerikaner sollen mittels show off force unterstützt haben.
@f28 – vermutlich meinen Sie die „Lyriker“ des Pressestabs im HQ RS bzw. die afghanischen Schreiberlinge im Kabuler MOD – genau die stehen in der Verantwortung, die Lage vor Ort zu kommentieren.
Was da in Kunduz passiert, hat mit der Bundeswehr nichts zu tun oder habe ich etwas verpasst hinsichtlich unseres Mandats. Bis auf die handvoll deutscher Adviser haben wir uns doch aus Kunduz verabschiedet. Wie auch immer – es scheint sich wenig getan zu haben am Hindukusch.
In der SZ von heute eine kurze Bewertung der Äußerungen von BrigRenk zu Kundus gegenüber der ARD. SZ: “ … Eine Art Nachlassverwalter des deutschen militärischen Engagements in AFG …“.
Nachlassverwalter nehmen ihre Arbeit nach der Beisetzung auf, sofern es etwas zu verteilen gibt.
Gibt’s dort aber nicht.
@KJR | 05. Oktober 2016 – 12:08
„Was da in Kunduz passiert, hat mit der Bundeswehr nichts zu tun oder habe ich etwas verpasst hinsichtlich unseres Mandats. Bis auf die handvoll deutscher Adviser haben wir uns doch aus Kunduz verabschiedet.“
na, ich weiß nicht. Die BW selbst malt auf ihren Karten den afghanischen Norden grün an und schreibt darüber: „Verantwortungsbereich des deutschenTrain-Advise-Assist-Command (TAAC) NORTHTAAC“.
Und die personelle Besetztung sieht nach mehr als „einer Handvoll“ aus:
„Deutsche Beteiligung: 984 Soldatinnen und Soldaten (Stand 26.09.16)“
Ich weiß, um den Norden wirklich unter Kontrolle zu halten würde die zehnfache Menge nicht ausreichen. Aber wenn da oben die Wurst wirklich am dampfen ist und da (fast) eintausend BW-Soldaten stationiert sind, wüsste man schon gerne etwas genauer, was da wirklich los ist.
Die BW bzw. die Bundesregierung schweigen absichtlich, weil diese eigentlich nur das scheitern ihrer AFG-Strategie einräumen könnten/müssten. Sollten deutsche Soldaten in den Kämpfen in Kuduz getötet werden oder der Taliban in die Hände fallen, dann wird aber schnell die Hölle in Berlin los sein…..
@all
Paar aktuelle Meldungen zur Lage oben als Nachtrag. Gut klingt das nicht.
Kann man davon ausgehen, dass die im Rahmen des TAAC in Kunduz eingesetzten deutschen Berater im „Ernstfall“ von MeS aus taktische Unterstützung erhalten bzw. evakuiert werden (können) ? Oder sind die mit G36, P8 und ein paar Handvoll Reservemagazinen auf sich alleine bzw. den Schutz durch ihre ANSF-Kameraden angewiesen ?
@EtienneRheindahlen: Der Transport von Material und Personal von MeS nach Kunduz ist zur Zeit neben Medevac der Hauptauftrag der dort stationierten CH-53. Also ja, Evakuierung jederzeit möglich wenn politisch gewollt.
@ EtienneRheindahlen | 05. Oktober 2016 – 18:20:
Man sollte sich da nix vormachen: ANSF-„Kameraden“ gibt es nicht. Somit auch keine Kameradschaft nach unserem Verständnis.
Wer sich seitens der NATO-Truppensteller auf die Unterstützung durch ANSF verlässt, ist u.U. dann „verlassen“.
Hans Schommer
@knox
Frage mich, welche(r) politische(n) Entscheider nötigenfalls und letztlich den (lokalen) Evac-Befehl erteilen bzw. erteilt: Supreme Commander RS oder IBUK bzw. BReg Berlin ? Was wiegt im Zweifel schwerer und somit entscheidungsrelevanter – strategisch-politische Ratio (im Sinne der RS-Allianz) oder Fürsorgepflicht und Verantwortung für Angehörige einer Parlamentsarmee ?
Es bleibt übrigens widersprüchlich…
In Sachen Kunduz verhandelt der BGH heute über den Kunduz Vorfall von 2009, wo der damalige Oberst Klein den Tanklaster bombardieren lies.
Die Geschädigten waren in den Vorinstanzen gescheitert, welche aber eine grundsätzliche Möglichkeit der Entschädigung bejaht hatten, nur im konkreten Fall nicht. Jetzt muss der BGH entscheiden. Dabei stellt sich die Frage, ob der BGH den Vorinstanzen recht gibt, daß eine Klage gegen einen Staat(widerspricht dem Völkerrecht) überhaupt zulässig ist.
http://www.tagesschau.de/ausland/kundus-209.html
@Closius & all
Verkündungstermin ist um 14.00, sobald ich Entscheidung vorliegen habe (ich bin ja nicht in Karlsruhe), gibt’s dazu einen Eintrag.