Bundesregierung darf Anträge auf Rüstungsexport nicht liegen lassen (Neufassung)
Die Bundesregierung darf die Entscheidung über einen Rüstungsexport nicht dauerhaft aufschieben und dem Unternehmen, das einen Antrag gestellt hat, einfach nicht antworten. Das ist der Kern einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom (heutigen) Donnerstag: Der Gewehrhersteller Heckler&Koch hatte geklagt, weil das Bundeswirtschaftsministerium und sein Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) über einen Antrag des Unternehmens vom Dezember 2013 schlicht nicht entschieden. Der Oberndorfer Waffenhersteller wollte die Genehmigung für den Export von Bauteilen für das Sturmgewehr G36 für eine Montagefabrik in Saudi-Arabien.
Das Pikante an diesem Antrag: Der Export der Gewehrfabrik war 2008 von der Bundesregierung genehmigt worden – in einer großen Koalition, deren Kabinett unter anderem der damalige wie heutige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) angehörte. Bereits damals war klar, dass die Fertigung in dem arabischen Land nur mit zugelieferten Bauteilen aus Deutschland funktionieren würde.Lieferungen nach Saudi-Arabien werden jedoch vom zuständigen Bundeswirtschaftsministerium unter dem SPD-Politiker Sigmar Gabriel kritischer gesehen als damals.
Die Bundesregierung argumentierte deshalb auch vor dem Verwaltungsgericht, die politischen Umwälzungen in der Region, zuletzt die Entwicklung im Jemen, bedürfe der Beobachtung und einer sorgfältigen Abwägung der Gründe für und gegen eine Genehmigungsentscheidung, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte. Eine gesicherte Prognose, wie sich die außen- und sicherheitspolitische Entwicklung in der Region fortsetzen werde und welchen Einfluss die hier in Rede stehenden Ausfuhren auf diese Entwicklung haben könnten, könne derzeit nicht getroffen werden, sodass die Möglichkeit einer Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne.
Das Gericht hielt dem entgegen, dass zwar die Bundesregierung in ihrer politischen Einschätzung eines solchen Rüstungsexports frei sei, deswegen aber keineswegs eine beantragte Entscheidung zeitlich unbegrenzt aufschieben dürfe. Es entspreche nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, ein eingeleitetes Verwaltungsverfahren ohne sachlichen Grund fortzusetzen und nicht durch eine Sachentscheidung abzuschließen.
Heckler&Koch hat damit Anspruch auf eine baldige Entscheidung – scheiterte aber mit dem Versuch, vor Gericht eine Genehmigung für die Ausfuhr der Waffenteile durchzusetzen. Da die Bundesregierung bei der politischen Einschätzung eines solchen Export eine weitreichende Entscheidungsbefugnis habe, scheidet eine Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der beantragten Ausfuhrgenehmigung aus, erklärte das Gericht.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, da das Verwaltungsgericht eine Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuließ.
(Aktenzeichen Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, 5 K 3718/15.F)
Farbe bekennen!
Danke, Herr Wiegold für die erstklassige Aufarbeitung.
In einem möchte ich ergänzen: Das Pikante für mich ist, dass mit dem BAFA sich ein Bereich der politischen Steuerung zu entziehen scheint. Siehe auch Genehmigungsverfahren Mitnahme von Kriegswaffen in den Einsatz durch Angehörige von Exekutivorganen des Bundes.
Entweder man vertritt gegenteilige Auffassung ggü der Bundesregierung, schlägt aber nicht damit durch. Oder man sitzt die Angelegenheiten tatsächlich bewusst aus.
Beides, so das Verwaltungsgericht: mehr als nur pikant.
Im Prinzip ist es doch nur eine Klage zur Herbeiführung einer Entscheidung, ohne diese vorwegzunehmen.
Der Anspruch des Unternehmens – wie auch jeden Bürgers – auf zeitnahes Handeln der Behörden ist legitim („Untätigkeitsbeschwerde“).
SPD-Minister Gabriel hat sich nach dem Urteil schnell und sehr klar festgelegt: Aus seinem Ministerium hieß es, der Minister begrüße das Urteil.
Demnach sei Gabriel seit langem für die Ablehnung der Anträge für G36-Bauteile nach Saudi-Arabien gewesen.
Nun müsse eine schnelle Entscheidung des Bundessicherheitsrats (BSR) her – aus Gabriels Sicht kommt nur eine Ablehnung in Frage.
Eine interessante kleine Spitze vergaß man nicht. Laut dem Ministerium habe Gabriel die Anträge von Heckler und Koch sofort (also schon 2013) ablehnen wollen – allerdings hätten sich die Unions-Ministerien im BSR stets dagegen gesperrt.
Wir lernen: Die Frage der RÜ-Exporte spaltet mehr denn je die Große Koalition.
@gebauerspon
….und es spaltet die SPD, denn Steinmeier und Gabriel stehen da auf unterschiedlichen Positionen.
klabautermann | 23. Juni 2016 – 17:35:
„….und es spaltet die SPD, denn Steinmeier und Gabriel stehen da auf unterschiedlichen Positionen.“
Never ever!
Hans Schommer
Aus Wiki:
Military Industries Corporation (MIC) in Al-Kharj.[43] Die Lizenz gilt nur für den saudischen Eigenbedarf, jedoch wird seit April 2015 vermutet, dass Waffen für den Kampf gegen die Rebellen in den Jemen geliefert werden.[44] Des Weiteren müssen trotz eigener Produktion immer noch Teile aus Deutschland importiert werden. Seit dem Kabinett Merkel III soll es Probleme geben, weil Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Exportgenehmigungen strenger als seine Vorgänger auslegt. Darüber soll sich die saudische Regierung bereits beschwert haben.[45] Im Oktober 2015 wurde bekannt, dass Heckler & Koch Klage vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt eingereicht habe, weil über die Ausfuhranträge nicht entschieden werde.[
Welche Teile sollten das sein und warum können diese nicht in SAU gefertigt bzw. anderweitig beschafft werden?
Übrigens hat man sich für das Urteil – daß überhaupt ‚mal entschieden wird – auch neun Monate Zeit gelassen.
@Th. Melber
Bei den Teilen, die die Saudis vermutlich nicht selbst herstellen können, handelt es sich vermutlich um die Dorne mit dem Negativprofil für die Herstellung der Läufe.
Die ARD spricht von „… 1000 Druckfedern und 27.000 Ersatzteile im Gesamtwert von 537.000 Euro.“
@kratylos
Mag sein, dass die ARD auch davon spricht. Ansonsten steht es in der verlinkten Pressemitteilung des Gerichts, siehe oben.
(Sorry, aber vielleicht mal erst nachlesen wäre doch auch net…)
Ich meine, jeder Bürger und jede Firma hat ein Recht auf eine zeitnahe Entscheidung und Antwort auf einen Antrag. Hab ich als junger Soldat mal so gelernt.
Hmmmm… Ich meine, mich zu erinnern, dass es lange Zeit wohl gepflegte Praxis war, dass man auf einen solchen Exportantrag entweder einen positiven Bescheid bekam, oder eben gar keinen.
Wenn man keinen positiven Bescheid bekam, wusste man, dass die Antwort „zwischen den (nicht vorhandenen) Zeilen“ nur „Nein!“ lauten würde. Würde man den Bescheid offiziell ablehnen bzw. negativ bescheiden, würde man entsprechende politische Signale aussenden, die in einem evtl. bereits sensiblem Verhältnis zwischen DEU und dem potentiellen Empfängerstaat zu noch stärken Verstimmungen führen könnten.
Also, entweder handelt es sich bei dieser Klage um einen anderen Prozess (dann sorry, dass ich das missverstanden habe), oder H&K leistet der wehrtechnischen Industrie gerade einen Bärendienst…
@Fussgaenger
Im Prinzip haben Sie recht in Sachen geübte Praxis. Nun ist HK/KSA aber 2008 der Export der Waffenfabrik genehmigt worden. Wenn nun auf dem „Verwaltungswege“ die Umsetzung dieser Genehmigung quasi „qualifiziert beerdigt“ würde, dann entsteht u.U. nicht nur sicherheits-/außenwirtschaftspolitischer Schaden, sondern auch – wahrscheinlich in sehr konkreten Zahlen belegbarer – wirtschaftlicher Schaden für H&K.
Die Verschleppung der Umsetzung von BSR-Beschlüssen auf dem Verwaltungswege ist alles ander als eine „best practice“. Es unterhöhlt in mehrfacher Hinsicht die Glaubwürdigkeit Deutschlands als zuverlässiger Vertragspartner in Sachen internationale Wirtschaftskooperation.
Danke für die Aufklärung/Präzisierung!
@Fussgänger
Ob nicht andersrum ein Schuh draus?
Wenn ich einen Urlaubsantrag stelle oder einen für Abgeltung von Mehrarbeit, keinen Bescheid erhalte, dann ist die Genehmigunn automatisch erteilt.
Die anscheinend geübte Praxis war ganz einfach Unrecht. Und das müsste Konsequenzen haben, rückwirkend.
Fussgaenger | 24. Juni 2016 – 12:46
„Also, entweder handelt es sich bei dieser Klage um einen anderen Prozess (dann sorry, dass ich das missverstanden habe), oder H&K leistet der wehrtechnischen Industrie gerade einen Bärendienst…“
Nein, kein Bärendienst. Vielmehr kommt Transparenz in das kultivierte Procedere.
Ende der Unkultur. Es muss künftig entschieden werden! Und das Wirtschaftressort wird auch nicht konstant „Nein!“ sagen können, vielmehr unterliegt es auch dem politischen Reglement.
Hmmm….. Hat Transparenz in der bundesdeutschen Rüstungspolitik je stattgefunden? Ist sie je „goutiert“ worden?
@Fussgänger
In der Vergangenheit war es so, in der Zukunft wird es wohl anders sein, rechtstaatliches Handeln, es ist jedenfalls zu hoffen. Ein Gericht hat es der jetzigen Regierung und künftigen ins Stammbuch geschrieben.
Das scheint ein neues Phänomen in deutschen Verwaltungen zu sein-einfach gar nicht mehr zu reagieren….
Ich schlage daher ein Prinzip vor, das es in anderen Ländern genauso gibt:
Wer einen Antrag stellt, muss innerhalb von 4 Wochen einen Bescheid erhalten-ansonsten gilt dieser Antrag als genehmigt……