Lagebild Afghanistan: „Die afghanischen Sicherheitskräfte sind nicht vorbereitet“
Das Institute for the Study of War hat am (heutigen) Dienstag ein Lagebild für Afghanistan veröffentlicht, und es sieht nicht gut aus. Die Regionen, die nach Einschätzung des Think Tanks in Washington unter Taliban-Kontrolle stehen, gibt es überwiegend im Süden des Landes, aber auch im Norden (der angesichts des deutschen Engagements hier besonders im Mittelpunkt des Interesses steht). Neben den Taliban spielen aber auch die örtlichen Machthaber eine Rolle – und das nicht unbedingt im Sinne der Regierung in Kabul.
In Ergänzung zur Karte oben (Klick führt auf größere Darstellung) aus dem Threat Assessment:
The ANSF is unprepared to counter the Taliban militants’ summer campaign. Northern warlords will take advantage of Taliban militants’ gains to establish themselves as security providers and gain leverage against the fragile National Unity Government.(…)
Northern warlords and political opposition groups are increasing pressure on the fragile National Unity Government in the face of these security challenges, hindering the administration’s ability to respond to insurgent offensives.Northern warlords are taking advantage of this pressure to extract concessions. General Atta Noor and General Abdul Rashid Dostum preemptively activated their competing personal militias in Balkh, Faryab, and Jowzjan Provinces in late February and early March in order to counter the Taliban militants’ summer campaign. Atta and Dostum seek to establish themselves as leading security providers, challenging national institutions and one another. Political opposition groups like the Afghanistan Protection and Stability Council (APSC) and the newly formed National Solidarity parliamentary bloc continue to criticize the National Unity Government for its inability to provide security or enact electoral reforms, pressuring the Ghani-Abdullah administration. President Ashraf Ghani has responded to this criticism by dismissing several significant government officials in late March in a struggle over cabinet composition and electoral reform with CEO and rival Abdullah Abdullah. Atta is Abdullah Abdullah’s primary backer, and his saber rattling is aimed at President Ghani. Dostum, the sitting First Vice President, recently reconciled with Ashraf Ghani and returned to participating actively in government. He has mobilized to counter Atta, as well as the Taliban.
Die Namen Atta Noor, Gouverneur der Provinz Balkh, und Rashid Dostum in dem genannten Zusammenhang sollten vielleicht auch in Berlin die Aufmerksamkeit für diese Lageeinschätzung sichern. Schließlich sind in Masar-i-Scharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, fast 800 deutsche Soldaten stationiert.
Und passend dazu die Meldung zum Beginn der Frühjahrsoffensive der Taliban, hier vom Wall Street Journal:
The Taliban in Afghanistan declared the start of their fighting season on Tuesday, vowing to take control of more territory and launch large-scale attacks against the Kabul government and its foreign allies, including the U.S. (…)
The proclamation has become an annual rite for the Islamist movement and usually heralds an increase in violence. The declaration coincides with the onset of spring, when snow melts and mountain passes open, enabling the group’s fighters to move more freely in many parts of the country.
It will be the first offensive since last summer’s disclosure that Taliban founder and spiritual leader Mullah Mohammad Omar had died two years earlier. In their statement on Tuesday, the Islamist movement said it had named the current fighting season “Operation Omari” in their late leader’s honor.
Nachtrag 14. April – eine aktuelle Meldung aus der Provinz Takhar, nebenan von Kundus:
The highway police chief for northern Kunduz was killed in an ambush by insurgents on Wednesday morning, local officials confirmed.
Qahar Khorbabi, the highway police chief, died along with seven of his bodyguards when insurgents opened fire on them while they were driving through northern Takhar province.
The incident took place in Farkhar district and after Khorbabi left home, in Takhar, for his office in Kunduz, said Khalil Asil, a spokesman for the provincial governor.
(Karte mit freundlicher Genehmigung des Institute for the Study of War)
Gääähn – nix wirklich Neues (und T.W.: Bitte keine Haue – geht nicht gegen Ihre Berichterstattung und den Faden!)
Hans Schommer
Na, wenn das alle wissen, ist ja gut.
@T.W.:
Vielen Dank für den Hinweis.
Mal sehen wie sich das TAAC-N in dieser „Saison“ verhält.
In der letzten war ja angeblich das Mandat das Problem, was ich bis heute sehr bezweifle. Es gab schon im Herbst 2015 kein Problem MedEvac von MeS zum Feldlager in Kunduz zu fliegen.
@Hans Schommer
Naja, die Informationen kommen halt tröpfchenweise, es ist dann doch immer ein klein wenig neues dabei oder wird von anderer Seite erneut aufgegriffen, bestätigt usw.
Die Karte könnte man unserem Innenminister mal unter die Nase halten.
In der Vergangenheit hat er ja wiederholt behauptet man hätte Sicherheit geschaffen.
Man könnte meinen er empfand es als unverschämt, gar eine persönliche Kränkung wenn ‚auf einmal‘ Flüchtlinge aus Afghanistan zu uns kommen.
Die Lage in Afghanistan kippt, nicht darüber zu berichten ist auch keine Lösung.
Es gehört zum Bundeswehreinsatz vor Ort, für den sich eigentlich niemand interessiert.
Nur de Flüchtlinge will keiner haben.
Einen Missstand, über den einmal berichtet wurde, für alle Zeiten abzuhaken fände ich auch sehr denkwürdig.
Das sich andere Medien eben so orientieren und nur nochmal nachhaken, wenn sie Auflage wittern, ist eine traurige Wahrheit aber sicher kein Leitbild für alle Journalisten.
So mancher Journalist wird das Thema erst wieder aufgreifen wenn wir unsere Soldaten evakuieren müssen, das wäre ein wenig spät.
PS:
man kann auch für sich gähnen, ganz still und leise ;-)
Alles, was man im Leben braucht, sind Ignoranz und Selbstvertrauen. (Mark Twain)
Vielleicht interessant in dem Zusammenhang ist auch ein kürzlich (2ter April) von der New York Times geführtes Interview mit Atta Noor, der ja eigentlich von der Regierung entlassen wurde (hehe).
Weiss nicht ob man die nytimes hier verlinken darf, aber wer nach der Überschrift „They Cannot Remove Me by Force“ sucht, wird fündig.
Die Überschrift allein sagt schon eine Menge über die Macht der Zentralregierung aus.
Wann akzeptieren die Regierenden der NATO Staaten endlich, dass der Nationalstaat in AFG eher dem schweizer Modell als dem französischen folgen sollte.
Man hat sich in Europa für mehrere deutsche Staaten entschieden und selbst die BRD föderal gegliedert und dies ist gut so.
Ein Gouverneur durch Kabul einzusetzen widerspricht der Kultur der Afghanen.
Es wäre wohl auch nicht besonders klug den Ministerpräsident von Bayern in Berlin zu bestimmen.
Die Streitkräfte in AFG machen kleine Fortschritte (siehe auch ANA Airforce) die mili Führung eher nicht und ohne die USA wäre die Regierung in Kabul nicht haltbar,
Atta u.U. schon. Es gibt eben nicht das Afghanistan.
@Zimdarsen
„Es gibt eben nicht das Afghanistan.“
Gibt es schon als Islamisches Emirat Afghanistan wie die Taliban es innerhalb der Grenzen des heutigen AFG einrichten wollen.
Was wären die Folgen?
Flüchtlinge?….gibt es jetzt schon.
Ein konservatives islamisches Land mit rückständigen Gesetzen?….Katar und Saudi-Arabien sind Verbündete des Westens.
Das Eingestehen das die NATO gescheitert ist? Ja ist traurig aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Ich sage nicht das dieser Staat erstrebenswert ist, aber ich wage zu behaupten auch 20 Jahre weiteres Demokratisieren wird in AFG nicht zum Erfolg führen es passt einfach nicht zu der Mentalität der Bevölkerung, das ist ja auch nicht schlimm warum muss denn die ganze Welt in einer Staatsform leben die wir für die Beste halten?
„Frühjahrsoffensive“ ist ein leider von Teilen der Medien immer wieder übernommener Propaganda-Begriff der Taliban, der zentrale Steuerung suggerieren und die Taliban damit in der Wahrnehmung kräftemäßig stärker erscheinen lassen soll. Tatsächlich ist die Aufstandsbewegung sehr dezentral organisiert, und deren militärisches Vorgehen eher ein Produkt lokaler Bedingungen, der Witterung und der Verfügbarkeit von Kämpfern die gerade in der Landwirtschaft nicht gebraucht werden. Von staatsähnlichen Strukturen, die koordinierte landesweite „Frühjahrsoffensiven“ führen könnten, sind die Taliban noch weit entfernt.
@IstEgal
„Gibt es schon als Islamisches Emirat Afghanistan wie die Taliban es innerhalb der Grenzen des heutigen AFG einrichten wollen.“
Wenn sie es wollen, dann gibt es diesen Staat ja wohl noch nicht!
Ich bezog mich auf die Gegenwart und nicht auf den Wunsch einiger Verbrecher.
Natürlich passt die Demokratie zu AFG, aber eben eine andere als wir sie in DEU praktizieren. Die Schweizer uvm haben ja auch Demokratien welche von unserer abweicht.
@ Zimdarsen
Das Stichwort für AFG lautet: „föderaler Staatsaufbau“, wie Sie es mit dem Schweizer Modell beschrieben haben. Die Herrschenden in AFG sind aber nicht bereit ihre Macht und ihre wirtschaftlichen Ressourcen zu teilen. Bei der „Einheitsregierung“ hilft der Westen nach Möglichkeit und fördert damit die Partikularinteressenen der Herrschenden in der Hauptstadt Kabul. Das dieses Modell weltfremd ist, haben wir jetzt in 15 Jahren AFG-Einsatz eigentlich gelernt, nur in unserer Politik hat sich diesbezüglich nichts geändert.
AFG ist eine Blaupause für Irak, Syrien, Libyen, Mali usw. Überall wird der förderale Staatsaufbau verweigert und der Westen soll eine Einheitsregierung unterstützen. Vor spätestens 10 Jahren war klar, dass in einem befriedeten AFG die Taliban mit am Kabinettstisch sitzen werden. Dieser Erkenntnis ist bisher keine Politik gefolgt.
Ich hab die Frage schon einmal in einem anderen Faden gestellt:
„Warum soll der Westen den Preis für eine Intervention bezahlen, wenn die einheimischen Regierungen nicht bereit sind, den politischen und wirtschaftlichen Preis für einen Föderalstaat zu bezahlen ?“
Zur Illustration eine aktuelle Meldung aus Takhar/Taloqan oben im Nachtrag.
@Georg
…und jeden Tag zeigen uns die Ereignisse in AFG wie unsere Politik ins Leere läuft und die falschen füttert.