Untersuchung bestätigt: MH 17 von Rakete abgeschossen, Luftraum (fahrlässig?) nicht gesperrt

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Mehr als ein Jahr nach dem Abschuss einer Zivilmaschine über dem umkämpften Osten der Ukraine, bei dem 298 Menschen starben, haben niederländische Experten jetzt offiziell bestätigt, dass das Flugzeug von einer Flugabwehrrakete getroffen wurde. Der niederländische Onderzoeksrat, ein Verkehrssicherheitsgremium, legte am (heutigen) Dienstag seinen Abschlussbericht zum tödlichen Ende des Malaysia Airlines-Flugs MH17 von Amsterdam nach Kuala Lumpur vor. Die Experten vermeiden darin jede Schuldzuweisung oder Aussagen über die Verantwortung für den Abschuss der Maschine. Allerdings verweisen sie darauf, dass die Ukraine den Luftraum über dem Kampfgebiet nicht gesperrt habe, obwohl bereits in den Tagen vor dem MH17-Abschuss die Treffer an ukrainischen Militärmaschinen belegt hätten, dass in dieser Gegend Flugabwehrsysteme installiert waren.

Mit der Aussage, dass der Gefechtskopf einer Rakete die Ursache des Absturzes war, wiedersprachen die Niederländer endgültig den zeitweise – vor allem von Russland – geäußerten Angaben, ein Kampfflugzeug, möglicherweise eine Su-25 der Ukraine, habe die Boeing 777-200 abgeschossen. Aus dem in englischer Fassung veröffentlichten Bericht:

The in-flight disintegration of the aeroplane near the Ukrainian/Russian border was the result of the detonation of a warhead.

The detonation occurred above the left hand side of the cockpit. The weapon used was a 9N314M-model warhead carried on the 9M38-series of missiles, as installed on the Buk surface-to-air missile system. Other scenarios that could have led to the disintegration of the aeroplane were considered, analysed and excluded based on the evidence available.

Der Bericht bestätigt damit Vermutungen, die bereits unmittelbar nach dem Abschuss kursierten: Ein Buk-Flugabwehrsystem aus sowjetischer Entwicklung und Produktion habe den Absturz verursacht. Allerdings bleibt damit offiziell weiterhin offen, unter wessen Kontrolle das Raketensystem stand und wer die tödliche Rakete auf das Flugzeug abfeuerte. Aus offenen Quellen waren nach Juli 2014 Fotos eines solchen Systems im Separatistengebiet in der Ostukraine aufgetaucht. Auch hatten sich die Separatisten bereits vor dem Abschuss von MH17 gerühmt, von Russland ein Buk-Flugabwehrsystem erhalten zu haben.

Der niederländische Bericht verweist auf Fehler im System des Luftraummanagements über Kriegs- und Konfliktgebieten. So sei Malaysia Airlines – wie auch andere zivile Fluglinien – davon ausgegangen, dass der Luftraum über der Ostukraine oberhalb einer von den ukrainischen Behörden gesperrten Flughöhe sicher sei. Nach Ansicht der Experten hätte aber die Ukraine den kompletten Luftraum sperren müssen. Aber auch andere Länder, die sich politisch um eine Beilegung des Konflikts bemühten, und ihre mit Aufklärung befassten Behörden hätten nur militärische Aktivitäten sowie die geopolitischen Auswirkungen der Kämpfe im Auge gehabt und nicht auf die Flugsicherheit geachtet:

On 14 July, the Ukrainian authorities reported that a military aeroplane, an Antonov An-26, had been shot down above the eastern part of Ukraine. On 17 July, the authorities announced that a Sukhoi Su-25 had been shot down over the area on 16 July. According
to the authorities, both aircraft were shot down at an altitude that could only have been reached by powerful weapon systems. The weapon systems cited by the authorities, a medium-range surface-to-air missile or an air-to-air missile, could reach the cruising
altitude of civil aeroplanes. Consequently they pose a threat to civil aviation.
Although (Western) intelligence services, politicians and diplomats established the intensification of fighting in the eastern part of Ukraine, on the ground as well as in the air, it was not recognised that as a result there was an increased risk to civil aeroplanes flying over the conflict zone at cruising altitude. The focus was mainly on military activities, and the geopolitical consequences of the conflict. (…)
The Ukrainian authorities did not consider closing the airspace over the eastern part of Ukraine to civil aviation completely. The statements made by the Ukrainian authorities on 14 and 17 July 2014, related to the military aeroplanes being shot down, mentioned the use of weapon systems that can reach the cruising altitude of civil aeroplanes. In the judgment of the Dutch Safety Board, these statements provided sufficient reason for closing the airspace over the conflict zone as a precaution.

Das ist ein Vorwurf natürlich auch an Deutschland, dass sich zwar politisch um eine Beilegung des Konflikts bemühte, aber offensichtlich keinen Grund sah, deutsche Fluglinien vor dem Überfliegen der Ostukraine zu warnen.

Das niederländische Sicherheitsgremium veröffentlichte mit seinem Bericht eine Reihe von Empfehlungen an die zivile Luftfahrtorganisation ICAO wie auch an Fluglinien und an andere Nationen. So könnten die Fluglinien nicht automatisch vermuten, dass ein nicht gesperrter Luftraum über einem Konfliktgebiet auch sicher sei – eine entsprechende Pflicht zur Risikoabschätzung fehle bislang in den Vorschriften. Darüber hinaus sollten Staaten und Fluglinien mehr als bisher Informationen über solche problematischen Regionen austauschen.

Die entscheidende Frage bleibt damit natürlich weiter offen: Wer schoss MH17 ab und trägt damit die Verantwortung für den Tod von 298 Menschen?

Bereits vor Veröffentlichung des niederländischen Berichts hatte der Hersteller des Raketensystems, die russische Firma Almaz-Antey, ebenfalls am heutigen Dienstag die Ergebnisse eigener Untersuchungen vorgestellt. Darin kommt das Unternehmen zu dem Ergebnis, der Abschuss könne nur Folge des Abschusses mit einer älteren Buk-Version sein, die von der ukrainischen Regierung betrieben wurde. Auch ehemalige russische Militärs stützen diese Version:

The modification and type of the Buk missile, as well as the position of the Buk missile system that brought down the Malaysian Flight MH17 Boeing in 2014, suggest that the Ukrainian Armed Forces might have downed the airliner, Alexander Luzan, a former deputy chief of the Russian army air defense, said on Tuesday.
„The 9M38, 9M38M, 9M38M1 missiles are former modifications of the Buk system missiles, but they all have the same warhead. They are not in service with the Russian Armed Forces, but Ukraine has them. And we have been for the past 15 years using missiles of another type — 9M317,“ Luzan said.

Die Niederländer haben ihre Ergebnisse in einem animierten Video zusammengefasst:


(Direktlink: https://youtu.be/KDiLEyT9spI)

Nachtrag: In dem 280-Seiten-Papier stecken natürlich noch jede Menge Details, die in den nächsten Tagen sicherlich noch genauer betrachtet werden. Wie zum Beispiel der Hinweis auf Seite 42, dass die russische Flugüberwachung keine Radardaten des Fluges herausgab – mit der Aussage, sie sei nach nationalen Vorschriften nicht zur Speicherung verpflichtet, wenn es sich um den Flugweg außerhalb der Russischen Föderation handele. Allerdings, merken die niederländischen Ermittler an, hätte Rusland über diese Abweichung der nationalen Regeln von den internationalen Vorschriften die ICAO informieren müssen. Was offensichtlich nie geschah.

(Foto: Rekonstruktion der abgeschossenen Maschine – Edo Tams/BLNDR via Onderzoeksrat)