Afghanische Armee erobert Kundus zurück, Taliban erfolgreich im Umland (Update)
Afghan forces with national flag, after retaken Kunduz city pic.twitter.com/oNwRq0VliD
— Pajhwok Afghan News (@pajhwok) October 1, 2015
Am vierten Tagen nach dem erfolgreichen Angriff der Taliban auf die nordafghanische Provinzhauptstadt Kundus haben die afghanischen Sicherheitskräfte offensichtlich die Kontrolle über die Stadt zurückgewonnen. In der Nacht zum (heutigen) Donnerstag gelang es der afghanischen Armee laut Medienberichten, Schlüsselpositionen in Kundus wieder einzunehmen. Allerdings sind die Aufständischen nach wie vor in Teilen der Stadt präsent – vor allem aber: während einzelne Distrikte der Provinz Kundus wieder unter Regierungskontrolle sind, sollen andere Distrikte in Nachbarprovinzen von den Taliban erobert worden sein.
Gen. Murad Ali Murad, the deputy chief of staff of the Afghan National Army (ANA), told TOLOnews reporter early Thursday morning in Kunduz that security forces – particularly the special forces, with the help of coalition air support – have retaken control of the embattled city. He said the operation started in Kunduz city at about 11:00 pm Wednesday night. (…) Meanwhile Gen. Mohammad Qasim Janghalbagh, the Kunduz police chief, in charge of the Afghan forces‘ clearance operation, said that the city had been cleared of insurgents by 4 am local time on Thursday.
berichtet der afghanische Sender TOLO News. Von dem kommt aber auch die Meldung:
Taliban insurgents carried out a large scale attack on Khwaja Ghar district of Takhar province, which borders Kunduz, in the early hours of Thursday morning, officials said. The Taliban conducted the attack after fleeing Dasht-e-Archi district in Kunduz. Mawolavi Hassin Hanif, a Takhar provincial council member, told TOLOnews that Taliban insurgents launched the attack at about 3 am local time and captured the district.
Die entscheidende Frage wird nun sein, ob der Erfolg der afghanischen Sicherheitskräfte nachhaltig ist. Die Rückeroberung mit Hilfe von Spezialkräften und US-Luftunterstützung ist ja nur der erste Schritt; erst eine dauerhafte Aktivität von Armee und Polizei kann verhindern, dass die Stadt und/oder einzelne Distrikte erneut an die Aufständischen fallen. Wieder gilt: Weiter nach Entwicklung. Update: So sieht es wohl am Donnerstag nachmittag aus, nach einem Bericht der Stars&Stripes:
Afghan security forces pushed deep into Kunduz in an overnight offensive to retake the city but the effort stalled because of fierce resistance, witnesses and officials said Thursday. Officials claimed early in the day that the government had driven the militants out of the city which the Taliban captured Monday. Later, however, residents reported gunbattles continuing as security forces fought to clear the city. (…) By Thursday afternoon, residents in the city center said fighting had resumed, with Afghan and Taliban forces playing a deadly game of capture the flag in the main square.
Von der afghanischen Agentur Pajhwok:
#Afghanistan: 40 dead, 340 injured as Kunduz violence continues http://t.co/PGv5KGcYrz pic.twitter.com/IpjV8fmoO5
— Pajhwok Afghan News (@pajhwok) October 1, 2015
Mmmmhhhh…. hoffen wir mal, dass das keine Falle ist…..unsere Aufklärung wird das wohl ausschliessen können, oder?
Das sind doch mal erfreuliche Nachrichten. Vor allem: Die Afghanen machen das (fast ;-) ) allein. Für den Aufbau von Reputation ist das wichtig, das „Kind“ soll schließlich selbst laufen können. Haben die afghanischen Soldaten etwa geglaubt, sie müssten nicht kämpfen, das wird schon die Nato für sie tun?
Dummerweise scheinen die Taliban bisher weitgehend ausgewichen zu sein, geschlagen sind sie noch nicht. Bin mal gespannt, wie die Weltöffentlichkeit auf den nun möglicherweise folgenden unappetitlichen Teil reagiert, also die Vernichtung der Angreifer und die Strafexpeditionen in die Herkunftsdörfer.
Wie eine Aussöhnung zwischen Stadt- (Einfluss Zentralregierung) und Landbevölkerung (Taliban) aussehen könnte, wird auch interessant.
„Die entscheidende Frage wird nun sein, ob der Erfolg der afghanischen Sicherheitskräfte nachhaltig ist. Die Rückeroberung mit Hilfe von Spezialkräften und US-Luftunterstützung ist ja nur der erste Schritt; erst eine dauerhafte Aktivität von Armee und Polizei kann verhindern, dass die Stadt und/oder einzelne Distrikte erneut an die Aufständischen fallen.“
Genau. Und exakt in diesem Kernbereich unserer jahrelangen Aktivitäten – Aufbau von Sicherheitsstrukturen – sind wir fulminant gescheitert. Die Rückeroberung von Kunduz wird daran nix ändern, denn wie soll diese „SSR gone wrong“ dort nun unter deutlich schlechteren Bedingungen wieder aufgefangen werden?
http://warisboring.com/articles/how-we-lost-kunduz/
@ ADLAS-Doe
Na ja, die Quelle erscheint mir analytisch eher schwach.
Wir „Westler“ sollten mal langsam unsere Perspektive ändern. Wir sind nicht verantwortlich für Afghanistan. Es ist nicht unser Land. Die Organisation innerer Sicherheit ist Sache der afghanischen Regierung. Wenn diese nett zu uns ist und uns freundlich darum bittet, sind wir vielleicht bereit, diese Regierung bei legitimen Handlungen zu unterstützen, da wir global ein Interesse an Stabilität haben.
Hier wird es jetzt aber schon kompliziert. Will die Zentralregierung den Raum Kundus unter Kontrolle bringen, wird sie dabei eine Brutalität an den Tag legen müssen, die wir als inhuman betrachten. Da dieser Raum anders funktioniert, als unsere Kultur das präferiert, wir zudem mit unserem Ansatz erfolglos waren, gibt es möglicherweise Argumente, die Afghanen nach ihren Gebräuchen und Sitten gewähren zu lassen und das für uns kleinste Übel, aktuell die Zentralregierung, zu unterstützen.
Alles nichts zum jubilieren. Aber gibt es einen humaneren Ansatz, der funktioniert?
„Wir sind nicht verantwortlich für Afghanistan.“
Waren wir aber. You invade it, you own it.
Denn die afghanische Regierung (und nebenbei bemerkt das gesamte, in Kabul zentrierte politische System) sind nach 2001 von uns installiert worden, die kapital gescheiterte SSR (man erinnere sich: DEU sogar mal als „lead nation“ beim Polizeiaufbau…) wurde von uns konzipiert, finanziert und vorangetrieben, wobei afghanische Eigenheiten erst spät, zu unreflektiert oder gar nicht berücksichtigt wurden. So gesehen ist die gesamte afghanische Sicherheitsarchitektur (falls man das so nennen möchte) in erheblichen Teilen „unser“ Baby – und unser Anteil am derzeitigen fail daher nicht gerade klein.
Sich da jetzt hinzustellen und „ist ja nicht unser Land, macht das mal selber“ zu rufen, ist, nun ja, etwas billig. Man kann halt nicht das Kind, in dem Wissen, dass es nicht schwimmen kann, in den Brunnen werfen und dann zugucken, wie es absäuft.
Der IS wartet nur darauf, dass Kabul a la „Phantom Fury“ gegen die Taliban in Kundus und Umgebung vorgeht……..die Spezialeinheiten, die mit Unterstützung der USA jetzt in Kundus vorgerückt sind können dort nicht endlos verbleiben, dazu brennt es an zu vielen Ecken und Enden in Afghanistan. Die „Motivation“ der regulären Kräfte (insbesondere ALP) ist mehr als fraglich…….
@ ADLAS-Doe
Ein zu verwöhntes Kind versucht gern, allen Dreck von den Eltern wegmanchen zu lassen. Das „abwarten“ der letzten Tage war meiner Ansicht der Versuch, eine internationale Intervention in Kundus herbeizuführen, um es selbst nicht machen zu müssen. Anschließend hätte man dann bequem aus Kabul auf die bösen Westler geschimpft, die doch ach so viele Tote verursacht hätten und jetzt bitte ganz viel Geld für den Wiederaufbau zahlen (von dem dann ein erheblicher Teil in Kabuler Taschen versickern soll …).
Um Bild zu bleiben: Das Kind ist nun im Wasser, dann soll es auch schwimmen. Ersaufen lassen sollten wir es nicht, aber es soll gefälligst selbst schwimmen, haben wir dieser faulen verwöhnten Göre ja lange genug beigebracht.
Mit Erfolgsmeldungen sollte man da sehr sehr vorsichtig sein. Die taliban haben viel viel zeit und viel viel raum. Wieso sollten sie sich auf kunduz versteifen und sich dort auf teufel komm raus aufreiben?
@ CRM … naja zum fallen stellen benötigt man auch erhebliche kräfte, wenn die kolportierte Zahl von 500 Talibs stimmt, hat man die nicht.
da dürften die bärte vermutlich direkt wieder abgezogen sein bzw jetzt langsam über den zivilen fracht und personenverkehr raussickern.
der ein oder andere selbstmordattentäter bleibt vermutlich, um auch im nachgang noch einmal „leben in die Bude zu bringen“. that’s it
viel wichtiger ist doch das signal, das hier gesendet wurde. 500 mäßig bewaffnete Nasen haben ein lokales wirtschafts- und verwaltungszentrum quasi handstreichartig genommen und vermutlich ohne größere verluste auch wieder verlassen.
kann man den locals und der ZR die eigene taktische Überlegenheit noch besser vor Augen führen?
Zusammengefasst: Die afghanischen Truppen haben binnen zwei Tagen die Lage halbwegs unter Kontrolle bekommen. Es gab ca. viermal Luftunterstützung durch westliche Streitkräfte, der Rest wurde von den afghanischen Streitkräften erledigt.
Die Operation der Taliban war offensichtlich nie auf eine Eroberung ausgelegt sondern (sinngemäss Sprecher von Al Jazira) „temporary entrenchment to support other objectives like freeing prisioners, looting and pllaging“. Der Rest war Propaganda die gierig von einigen Medien aufgesaugt wurde (zur Erinnerung, während der Schiesserei im Rohbau eines Krankenhauses in Kabul zwischen 12 Taliban und der Polizei behaupteten die Taliban die Kontrolle über Kabul übernommen zu haben)
Eine „Eroberung“ beinhaltet etwas mehr als einmal mit der Kalaschnikov auf dem Marktplatz in die Luft zu schiessen und ein Foto auf Facebook zu posten.
Also in etwa das was von Anfang an klar war.
Der ganze Vorfall hat eigentlich nur zwei Haken:
1. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Der Geheimdienst hat geschlafen, die Sicherheitskräfte in Kunduz haben geschlafen und dann in Fluchtpanik kopflos überreagiert.
2. Der Gegner hat es offenbar geschafft mehrheitlich – aber nicht geschlossen – ungeschoren davon zu kommen.
Also gehts noch? Ich weiß zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, wie der Kampf um die Stadt und die Provinz Kundus ausgehen wird. Aber einige hier scheinen einen Hang zur Häme zu haben. Wenn ich mir einige Kommentare der letzten Tage anschaue (zum Beispiel in der Tonlage: multiethnische Armee von Analphabeten, die keinem Druck standhält oder nicht in der Lage, Gerät zu warten, das komplizierter als ein Holzhammer ist) schaudert es bei mir.
Oh, wie hat es diese Truppe nur geschafft, dem Angriff der Taliban etwas entgegen zu setzen? Sollte da vielleicht der Einsatz von ISAF doch was gebracht haben?
Keine Ahnung wie das mit Kundus ausgeht, aber Erfolge der ANDSF scheinen nicht in das Weltbild einiger Kommentatoren hier zu passen. Ich will die insgesamt 53 getöteten deutschen Soldaten in keinster Weise klein reden, aber für die ANDSF ist eine Woche mit „nur“ 53 Toten eine verdammt gute Woche.
@ Patrick Horstmann
Darf ich fragen, ob Sie jemals persönlich mit der ANA bzw. afghanischen Sicherheitskräften zusammenarbeiten durften?
Nach den jüngsten Meldungen ist dieses „Gefecht um Kundus“ noch nicht zu Ende. Die Taliban haben sich in die Stadt zurück gezogen, in kleine Kampfgruppen aufgesplittet und beharken nun die ANDSF, die sich auf „Rückeroberung“ öffentlicher Strukturen konzentriert haben, aus der Deckung der Wohmgebiete heraus…….von „Säuberung“ und „Rückeroberung“ kann also im Moment noch keine Rede sein……das wird wohl noch etwas dauern, und der Ausgang ist ungewiss..
http://www.spiegel.de/politik/ausland/kunduz-entwicklungshelferin-beschreibt-taliban-einmarsch-a-1055637.html
Hochaktuell und sehr lesenswert
Dankenswerterweiser hat @Memoria diesen Link eingestellt.
Da es der letzte Kommentar eines der ersten Artikel über den Fall von Kunduz war, ist er vermutlich bei vielen Lesern untergegangen. Er ist ein sehr lesenswerter Hintergrundartikel und nach der Lektüre sieht man, dass die Eroberung von Kunduz keinesfalls ein Zufall war und Teil einer größeren Strategie ist, die zur Übernahme der gesamten Provinz führen wird (soweit nicht schon erfolgt). Außerdem relativiert sich mit diesem Hintergrundwissen der eine oder andere Kommentar hier im Forum.
Sehr lesenswerte Analyse:
https://www.afghanistan-analysts.org/the-fall-of-kunduz-what-does-it-tell-us-about-the-strength-of-the-post-omar-taleban/
@Georg
Ja, die AAN-Analyse ist sehr gut, das kann man nicht oft genug sagen.
Aber Ihr Kommentar bestätigt mich wieder in meiner Vermutung, dass manche gerne kommentieren, aber weit weniger gerne lesen. Weil, diese Analyse hatte ich in der Zusammenfassung gestern abend auch noch verlinkt…
http://augengeradeaus.net/2015/09/im-norden-afghanistans-bedrohung-durch-taliban-weitet-sich-aus/
@Patrick Horstmann: Die geschilderten Probleme entsprechen nur alle der Wahrheit. Die ANSF haben trotz jahrelanger Ausbildung durch ISAF einen marginale Kampfkraft. Trotz ihrer teuren und modernen Ausrüstung haben die ANA Commandos und ANP SOF maximal den Kampfwert ordentlich ausgebildeter westlicher leichter Infanterie, ANA SOF entspricht maximal Tier II, aber vermutlich eher Tier III, d.h. EGB/SOC.
Ich vermute, dass bei der Rückeroberung von Kundus US SOF nicht nur als Berater und Multiplikatoren eingesetzt waren, sondern aktiv als Speerspitze.
Und zur Häme – da zeigt sich der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Und noch eine interessante Studie zum Thema Kampfkraft ANSF: Dr. M. Chris Mason (2015). The Strategic Lessons Unlearned from Vietnam, Iraq, and Afghanistan: Why the ANSF Will Not Hold, and the Implications for the U.S. Army in Afghanistan
http://www.strategicstudiesinstitute.army.mil/pubs/display.cfm?pubID=1269
@ T.W.
Tut mir leid, hatte ich echt übersehen. Vielleicht weil die Informationsfolge in den letzten Tagen so hoch war. Aber immerhin hatte ich die AAN-Analyse gelesen und wollte darauf hinweisen, dass es sich lohnt diese umfangreiche Analyse auf Englisch zu lesen.
Da liegen Sie höchstwahrscheinlich richtig. Und ich möchte hinzufügen:
Warum solten die Taliban denn Kunduz City bitteschön auf Biegen und Brechen halten wollen? Sie haben ihr Hauptziel erreicht, die Message eindrucksvoll übermittelt und sind dann, wie es typisch für Guerilla ist, in der Masse unerkannt ausgewichen – getreu dem Motto: „Wer sich beizeiten dünne macht, der kämpft auch in der nächsten Schlacht!“
Dem aufmerksamen Leser wird zudem bei o.a. Meldung aufgefallen sein, dass nur von der Befreiung von Kunduz City die Rede ist – nicht aber von einer Säuberung der umliegenden Gebiete, im Gegenteil – gerade dort fallen immer mehr Regionen an den Gegner.
@Georg
Solange die angebliche „Taleban fragmentation“ offenbar in der Realität deutlich kleiner ist als die ziemich offensichtliche Fragmentierung der Zentral-Regierung in Kabul ist jede politische und/oder militärische Strategie zum Scheitern verurteilt. Und „länger bleiben, wenn die US länger bleibt“ – wie nach jüngsten Meldungen wohl auch Frau Merkel nun anregt – ist nun gar keine Strategie, sondern nur das blanke Eingeständnis einer unglaublichen Hilf- und Ratlosigkeit: man begibt sich strategisch und operativ in die Erfüllungsgehilfenrolle für die USA. Hoffen wir mal, dass die Taliban nicht fragmentieren, denn dann könnte Frau Merkel’s Befürchtung „2ter Irak“ wahr werden: IS übernimmt die Rolle der Taliban
@Boots on the Ground
LoL, die Studie hab ich schon 2x hier verlinkt – liest aber wohl niemand. es kann nicht sein, was nicht sein darf ;-)
@ klabautermann
In der Erfüllungsgehilfenrolle sind wir seit 2001, als wir die USA im Kampf gegen die Taliban in AFG unterstützt haben. Letztendlich ein Einsatz zum Zusammenhalt der Nato (ISAF ist gemeint, nicht der OEF).
Das IS-Problem in Syrien und Irak ist das direkte Ergebnis der Diskriminierung der sunnitischen Führungsschicht in Armee und Gesellschaft im Irak durch die Amerikaner nach dem Irakkrieg. Wenn man eine ganze Armee auflöst und den führenden Köpfen keine Perspektive mehr gibt, dann suchen sie sich eine Perspektive. Insofern war die deutsche Wiedervereiniging und die Integration von Soldaten der ehemaligen NVA in die Bundeswehr ein Erfolgsmodell.
Also man wird jetzt viel spekulieren können über den weiteren Fortgang der Ereignisse in AFG. Solange dort gekämpft wird, muss man abwarten wer als Sieger aus den Kämpfen hervorgeht und mit den Überlebenden dann verhandeln.
Die Analogie zu dem vierijährigen Bürgerkrieg in Syrien ist nicht nur zufällig. Solange Pakistan seine Hand über die Taliban hält, sind sie nicht besiegbar. Also wird man die Interessengebiete gemäß den Ethnien aufteilen müssen, eine lockere Zentralregierung und starke Regionalstammesführer auf Dauer akzeptieren müssen.
Inwieweit sich Deutschland dann hinterher als Aufbauhelfer einbringen kann oder muss wird sich zeigen.
@Georg
Zustimmung.
@Voodoo | 01. Oktober 2015 – 14:33
@Boots on the Ground | 01. Oktober 2015 – 15:00
Nein, ich habe keine persönliche Erfahrung mit den ANSDF. Ich habe aber mit sehr vielen Leuten gesprochen, die eine solche haben. Und deren Erfahrungen waren durchwachsen, das gebe ich zu. Natürlich gibt es Probleme: Green on Blue, Korruption, Analphabetismus, ethnische Spannungen in den afghanischen Streitkräften. Das ist mir schon bewußt. Aber so wenig, wie wir den Afghanen westliche Werte im Sinne einer Westminster-Demokratie oder eine Genderdiskussion überstülpen dürfen, können wir erwarten, dass innerhalb von zehn Jahren eine Armee in unserer Ausprägung mit ZDv (shit, heißen ja nicht mehr so), Verinnerlichung der Prinzipien der Inneren Führung und der Wartung von Gerät nach Handbuch entsteht. Es geht mir darum, diejenigen, die (aus edlen oder weniger edlen Motiven) sich auf die Versprechen der internationalen Staatengemeinschaft verlassen haben, nicht im Regen stehen zu lassen. Vielleicht steht es uns auch in der ach so fremden arabischen Welt mal gut an, wenn wir versuchen etwas sinnvoll zu Ende zu führen. Nennt man Soft Power glaube ich.
@all
Siehe update oben – gibt mehrere entsprechende Meldungen, Stars&Stripes ist nur eine davon.
@ Patrick Horstmann | 01. Oktober 2015 – 16:01
Herr Horstmann, man kann die ANA oder ANSF nicht mit den Streitkräften der Industriestaaten oder z.B. Indiens vergleichen. Da liegen Welten dazwischen – aber eher unsichtbare. Von besonderer Bedeutung sind dabei meiner Wahrnehmung nach ethnische Zugehörigkeit, Sippenzugehörigkeit, familiäre Verpflichtungen zur Gefolgschaft gegenüber Clan- und Warlords, Korruptionsanfälligkeit (der Begriff trifft es aber nicht genau, es geht halt drum, wer besser bezahlt) und – nicht zu unterschätzen – die Aussicht, nach Ende einer Auseinandersetzung auf der Seite der Sieger (= materielle Gewinner) zu stehen. So tickte jedenfalls noch 2011 die überwiegende Mehrheit dieser Truppe. Andere Unzulänglichkeiten wie Unpünktlichkeit, Unerlaubte Abwesenheit (wegen Onkel kommt zu Besuch) oder „Schnauze voll von Unterricht über Innere Führung“ fallen da noch nicht mal in’s Gewicht.
In Washington on Wednesday, White House spokesman Josh Earnest told reporters that President Barack Obama’s plan to withdraw almost all American troops by the end of 2016 will depend on conditions in Afghanistan, but cautioned against “the inclination to essentially make snap decisions on policy almost literally overnight.”
“That’s why we’re going to continue to monitor the efforts by the Afghan government and Afghan security forces to retake Kunduz, and that will factor into a longer-term assessment of the conditions on the ground, which will influence longer-term policy decisions that the president will have to make,” he said.§
Na, das ist doch mal eine klare Ansage Richtung Kabul: Get Ur f…….. act together, or I’ve had it ! Genau wie im Irak, als Obama die Faxen dick hatte mit diesen SOF-Spielchen der Maliki-Regierung
@Klabautermann
Quelle?
@ Patrick Horstmann
Danke für Ihre offenen Worte. Ich möchte daher an dieser Stelle meine Erfahrungen aus dem Jahre 2010 teilen, die hauptsächlich die ANP und ABP betreffen:
– Die Motivation dieser Kräfte war überwiegend schlecht, allerdings mit Lichtblicken bei der ABP. Die ABP hatte dafür aber den „Fluch“, dass man sie sprichwörtlich kreuz und quer durchs Land versetzt hat, was streckenweise auch mitten in der Ausbildung geschah. Sie können sich sicher vorstellen, was es danach um die Motivation selbst dieser „Lichtblicke“ stand, von alltäglichen Problemen wie Ausbleiben des Soldes etc. mal ganz abgesehen…
– Die Ausbildung der Rekruten gestaltete sich schwierig, da Unterrichstinhalte nicht oder nicht vollständig angenommen wurden – nicht aufgrund von Unwissen o. Ä., sondern einfach aus Desinteresse. Lediglich die SanAusbildung wurde, vermutlich aus Eigeninteresse, eifrig verfolgt. Leider zeigte sich auch, das Eifer bei der Ausbildung nicht auch gleichbedeutend mit Motivation für den Kampf / Tagesdienst war…
– Ausrüstung, wie z.B. Fernmeldemittel oder Schutzwesten, wurden nicht selten von den Afghanen verkauft, um den eigenen Sold aufzubessern. Gleichzeitig wurde man dann aber aufgefordert, neue und/oder mehr/bessere Ausrüstung vorbeizubringen…
– Die „Desertationsrate“, gerade nach dem Winter, war für unsere Begriffe astronomisch, was bei der Verlustquote allerdings nicht wirklich verwunderlich ist. Streckenweise munkelte man, dass ganze Polizeistationen übergelaufen sein sollen. Dies ist durch mich nicht näher zu belegen, aber an stetig wechselnde Ansprechpartner war man schon gewöhnt.
– Die Korruption und Brutalität der ANSF gegenüber der eigenen Bevölkerung brachte selbige schnell weg von der Unterstützung des (Zentral-)Staates und hin zu den Taliban. Gerade im Raum Kunduz war dies ein großes Problem, wie die hier bereits verlinkten Studien auch beschreiben.
Aus dem Bereich OMLT ist mir bekannt, dass der durchschnittliche ANA-Schütze zwar durchaus motiviert sein kann, aber fast durchweg bescheiden geführt wird. Deswegen ist der Einsatzwert einer ANA-Einheit schwer zu beurteilen; Lagemeldungen von ANA-Kdr übrigens noch viel schwieriger…
Insofern sind Ihre Ausführungen hier auf AG zwar löblich, aber gleichzeitig auch realitätsfern: Das Thema ist leider, leider völlig vor die Wand gefahren und viele Chancen vor 2009 vergeben worden.
@T.W.
HiHi, lies doch mal Deinen update-Link zu Ende ;-)
;-)
@ Georg und klabautermann
Ich sehe das teilweise ein bisschen anders. Wir müssen immer wieder die Frage in den Fokus stellen, warum wir uns in der Region (auch militärisch) engagieren: Nicht, weil wir den Afghanen ein modernes Staatswesen nach unserem Vorbild beibringen möchten, sondern weil nur eine einigermaßen gefestigte Stabilität verhindert, dass (erneut) untragbare Risiken für die internationale und letztlich auch unsere eigene Sicherheit entstehen bzw. sich auch langfristig nicht abbauen. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht also vordergründig nicht z.B. um unsere „Akzeptanz einer lockeren Zentralregierung und starker Regionalstammesführer“ (kann uns eigentlich egal sein) und auch nicht primär um Aufbauhilfe, sondern es geht um unser vitales Interesse, dass Afghanistan nicht wieder zum Hort grenzüberschreitenden Terrorismus werden kann und dabei die umliegenden Länder (Pakistan ist dabei wegen seiner Größe, seinen Nuklearwaffen und seiner Feindschaft zu Indien extrem gefährlich!) mitreißt.
Was heißt das aber in der Folgerung? Es bleibt kaum anderes übrig, als den eingeschlagenen Weg der versuchten Stabilitätsförderung fortzusetzen, solange wir noch nicht alle Chancen abgeschrieben haben. Natürlich waren und sind das alles Entscheidungen ins Ungewisse – vor allem, wenn sie weiterhin halbherzig getroffen und exekutiert werden. Und die Lageentwicklung vor Ort verbietet zugegebenermaßen blauäugigen Optimismus (ich habe ihn jedenfalls nicht). Aber jetzt umgekehrt zu resignieren und einfach hinzuschmeißen, das wäre im Frust vielleicht verständlich, aber wohl auch unklug. Auch wenn die Taliban genau darauf (leider viel zu erfolgreich) spekulieren.
Und noch einmal: Die Ereignisse in und um Kundus in den letzten Tagen alarmieren, keine Frage. Aber eine unwiderlegbare Richtungsentscheidung haben sie meines Wissens noch nicht gebracht. Man kann es vielleicht auch umgekehrt sehen: Sollte es den ANSF gelingen, dort wieder halbwegs Herr der Lage zu werden, dann gehen auch sie „moralisch“ gestärkt aus den Kämpfen hervor – trotz aller ihrer unbestreitbaren Defizite. Dann steht Signal gegen Signal. Warten wir also noch ein wenig ab, ohne vorschnell aus jedem noch fliegenden Geschoss eine neue Strategie basteln zu wollen.
Ich weiß nicht ob hier schon auf die Doku „This Is What Winning Looks Like“ by Ben Anderson hingewisen wurde.
https://www.vice.com/video/this-is-what-winning-looks-like-full-length
Auf youtube wohl auch schon mit Untertitel.
Dort wird ein US Marine bei seinem Alltag in Afghanistan begleitet, der die örtlichen Polizeikräfte berät.
Es bietet sich ein erschreckendes Bild über die Lage dort, völlig gegenteilig von dem was einem aus Berlin über den Einsatz dort vermittelt wird.
Wirklich sehenswert, aber harter Toback und 2h zum sacken lassen einplanen.
@KeLaBe
Da will ich Ihnen nicht widersprechen. Mir geht es in erster Linie darum, dass wir uns endlich von den US-amerikanischen „Strategien“ emanzipieren sollten und nicht immer hinterherdackeln ohne wirklich Einfluß im Sinne unserer nationalen Interessen auf die strategisch-operativen Entscheidungen der US nehmen zu können. Falls wir diese „Emanzipation“ nicht schaffen, bzw. deren Konsequenzen nicht bereit sind zu tragen, dann ist es einfach besser die Finger davon zu lassen.
@ KaLaBe
Zustimmung, dass man nicht vor schnell urteilen sollte. Mein Urteil über AFG steht aber schon seit spätestens 2010 fest, als allmählich die Hintergrundberichte über die Verhältnisse in AFG sowie der gesamten Region auch auf breiter Front erschienen.
Ich verstehe, dass die Aufbauhelfer nicht einfach das Erreichte in AFG abschreiben wollen. Das Gleiche gilt natürlich für die ehemals und aktuell dort eingesetzten deutschen Soldaten.
Der internationale Terrorismus wird nicht von AFG aus angeschürt, sondern von Saudi Arabien, Quatar und der Türkei, die den IS unterstützen. Dumm nur, dass dies alles Verbündete des Westens sind und deshalb nicht auf breiter Front kritisiert werden dürfen.
Warten wir es ab, die Geschichte wiederholt sich bekanntlich, Saigon lässt grüßen !
@ klabautermann
Ja, das stimmt. Aber ergänzen möchte ich doch ganz gern, dass eine „Emanzipation um der Emanzipation willen“ auch nicht besonders überzeugen würde. Der Schulterschluss des Westens ist durchaus ein Wert an sich. Ich rede damit nicht einer sklavischen Unterwerfung unter den amerikanischen Führungsanspruch das Wort. Aber wenn wir die zahlreichen sicherheitspolitischen Risiken – ob in AFG oder anderswo – einigermaßen erfolgreich angehen wollen, dann wird das nur gemeinsam und nie gegeneinander erfolgen können. Auch wenn wir nicht immer restlos von der „grenzenlosen Weisheit“ der einzelnen US-Strategien überzeugt sind, um es vorsichtig auszudrücken.
Das klingt jetzt alles sehr allgemein, berührt aber einen wichtigen Grundsatz. Aber natürlich haben Sie Recht: Wir müssen (wohl noch mehr als bisher) versuchen, wirksam Einfluss zu nehmen. Das wiederum gelingt nur, wenn wir erkennbar zu Risiko- und Lastenteilung bereit sind.
@ Georg
Okay, warten wir es also ab. Nur, damit ich nicht falsch verstanden werde: Es geht mir nicht nur darum, das Engagement der Entwicklungshelfer und unserer Soldaten im Rückblick zu rechtfertigen. Das ist sicher ein Punkt, aber nicht der entscheidende. Viel wichtiger ist der Blick nach vorn: Eindämmung des internationalen Terrorismus in der Region im und um den Mittleren. Auf Pakistan habe ich hingewiesen.
Natürlich löst unser Bemühen dabei nicht die Probleme überall. Und die mit dem IS verbundenen Risiken sind derzeit wohl als noch sehr viel gravierender einzuschätzen als die der Taliban. Aber eine Resignation in AFG würde unsere Position auch anderswo mit Sicherheit nicht stärken. Ganz im Gegenteil.
@KeLaBe @ klabautermann
„… versuchen, wirksam Einfluss zu nehmen, …“
Exakt, und wie?
Geht nur mit Truppe und/oder mit Finanzen, besser mit beidem. Nur wer etwas (an)bietet bekommt etwas zurück, nämlich Einfluss und Mitsprache.
Dazu braucht’s den Willen der Regierung, die verfügbaren Kräfte, die Finanzmittel. Meine Einschätzung: Wille – nein, Kräfte in nennenswerter Größe – nein, Finanzen – kann.
Änderung allein falls Obama sich umorientieren sollte, was Stehzeit und Stärke seiner Truppe betrifft.
@ KeLaBe
Zitat: „Viel wichtiger ist der Blick nach vorn: Eindämmung des internationalen Terrorismus in der Region im und um den Mittleren. Auf Pakistan habe ich hingewiesen.“
Nachdem Sie mehrmals darauf hingewiesen habe, das der Konflikt in AFG sich auf Pakistan ausweiten könnte, meine Einschätzung dazu.
Pakistan betrachte ich nicht als Opfer sondern bis zu einem gewissen Teil als Ursache für den Konflikt in AFG. Pakistan hat vor der Nato-Intervention in AFG einen Stellvertreterkrieg über die Taliban und mit eigenen Grenztruppen in AFG gegen die von Indien unterstützte Nordallianz geführt (so wie jetzt Putin in Syrien). Während der ganzen Konfliktzeit von 2001 bis heute hat Pakistan eine unrühmliche Doppelrolle gespielt. Unter dem Druck der Amerikaner oberflächlich kooperiert und über seinen Geheimdienst ISI die Taliban unterstützt. Lediglich wie die Taliban in den pakistanischen Stammesgebieten zu mächtig geworden sind, hat Pakistan einen Feldzug gegen sie geführt. Mit dem Erfolg, dass sie mehr nach AFG abgedrängt wurden. Trotzdem ist die Taliban-Zentrale m.W.n noch immer in der pakistanischen Stadt Quetta mit direkter Straßenanbindung nach Kandahar angesiedelt. Pakistan betrachtet AFG immer noch als eine pakistanische Provinz, bei der sie den Hegemonieanspruch ausüben wollen.
Also Pakistan mehr Täter als Opfer der Taliban !
@ Georg
Auch hier kein Widerspruch in der Sache. Aber wir sind uns doch einig, dass weitere Erfolge der Taliban in AFG die in oder mit Pakistan verbundenen Risiken nicht gerade mindern? Mehr wollte ich nicht ausdrücken.
@Voodoo | 01. Oktober 2015 – 16:50
Ich denke, dass wir in der Beschreibung des Sachverhaltes nicht weit auseinander liegen. Nur unsere Schlussfolgerungen daraus sind gegensätzlich.
Zumindest ein Teil der von ihnen angeprochen Probleme ließen sich mittelfristig lösen (ich wollte zunächst „abstellen“ schreiben, das trifft es aber nicht), wenn man es denn richtig machen würde.
Man könnte zunächst darauf hinwirken, dass die afghanischen Soldaten regelmäßig ihren Sold bekommen. Den bezahlt ohnehin mittelbar die internationale Staatengemeinschaft. Wenn man Leute nicht bezahlt, muss man sich nicht wundern, dass sie abhauen oder sich ihren Lebensunterhalt anders „organisieren“.
Man könnte mit dem gleichen Argument versuchen zu unterbinden, dass sich so mancher afghanische Dumpfdödel eine Führungsposition in Militär und Polizei kaufen kann. Das nennt sich Good Governance denke ich, die zweite Säule der Counterinsurgency-Doktrin. Muss natürlich die Politik machen. Aber wenn die internationale Staatengemeinschaft oben beim Schmieren in der afghanischen Politik mitmacht, muss man sich nicht wundern, wenn weiter unten kein Unrechtsbewußtsein im Hinblick auf Korruption entsteht.
Es gab und gibt viele Bundeswehrsoldaten, die motiviert in den Einsatz gegangen sind, aber auch solche, die einfach nur ihre vier Monate abgerissen haben und schon vom ersten Tag an an ihr neues Auto gedacht haben, das sie sich von ihrer Zulage kaufen wollten. Andere sahen den Einsatz als notwendigen Baustein für ihre persönliche Karriere. Dann darf natürlich im eigenen Verantwortungsbereich nichts anbrennen, da schaut man auch mal lieber weg, wenn was schief läuft.
Will damit sagen, die heutigen Schwächen der ANDSF sind nicht nur hausgemacht, sondern auch zumindest mittelbar durch ein falsches Handeln der internationalen Staatengemeinschaft verursacht. Die Beispiele ließen sich verlängern. Man kann es aber eben auch besser machen. Wäre in meinen Augen eine Alternative zu „schnell weg hier“.
Dass es da eine Spreizung in den ANDSF gibt, scheint sich im übrigen auch jetzt in Kundus zu zeigen (vgl. zum Beispiel http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-taliban-geben-sich-in-kunduz-noch-nicht-geschlagen-a-1055794.html ): Straff geführte und effiziente Special Forces, eine ummotivierte und schlecht geführte Restarmee und Poizei.
Für einen gute Ausbildung und vor allem einen Mentalitätswechsel bedarf es nun mal einen langen Atem.
@ KeLaBe
Zustimmung !
„Wie lange der Kampf um Kunduz noch gehen wird, ist kaum abzusehen. Am Abend meldeten Anwohner, die Taliban würden in der Stadt wieder ihre Fahnen hissen und sich meist ungestört bewegen. Gleichzeitig kündigte Präsident Ghani in Kabul für alle an der Operation beteiligten Soldaten eine rasche Beförderung an.“
SPON
Kabul „has lost it“……………obwohl die NATO ihr Mandat „bis an die Grenzen“ gedehnt hat:
„Nato-Militärs räumen mittlerweile ein, die Grenzen des Einsatzes bis zum Äußersten zu dehnen“ – http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-taliban-geben-sich-in-kunduz-noch-nicht-geschlagen-a-1055794.html
Ein sehr interessanter Erfahrungsbericht zur militärischen Selbstblockade in Kunduz:
https://globalecco.org/de/the-prt-kunduz-an-unsuccessful-command-structure
Entspricht nicht so ganz der ja immer mehr gepflegten Legende von den Militärs, die eigentlich alles richtig gemacht haben – wenn doch nur die Politiker und vorallem die Entwicklungshelfer und Polizisten auch so gut gewesen wären.
@Memoria
Danke. Das Ding ist ja ein Knaller – und hat eigentlich einen eigenen Eintrag verdient…
@ t. wiegold
zu memorias artikel sollten sie dringend einen beitrag bringen.
solche detailerkenntnisse zu den dysfunktionaliäten des deutschen kontigents tauchen in der berichterstattung leider kaum auf, der reformdruck ist daher entsprechend niedrig.
wichtig umso mehr als die beschriebenen Probleme auch für alle anderen deutschen einsätze relevant sind
@ memoria
chapeau für den fund
Unbedingt abspeichern – dass könnte fix aus dem Netz fliegen, habe ich so im Gefühl…
Habe mal zu Memorias Fundstück einen neuen Eintrag aufgemacht.
(Und ja, natürlich auch abgespeichert und als pdf gesichert.)
Hier noch eine gute Zusammenfassung des Tages: http://www.nytimes.com/2015/10/02/world/asia/kunduz-taliban-afghanistan.html
Die Verstärkungen sind offenbar immernoch unterwegs.
Angeblich ist der Angriff auf Kunduz Teil einer landesweiten Schwerpunktverlagerung aus dem Süden in den Nordosten.
Die uneinheitliche und unentschlossene Führung der ANDSF erzeugt wohl erheblichen Unmut in Washington.
Macht alles einen recht planlosen Eindruck.
Ich kann jeden Satz von Voodoo (1.Okt 16:50) aus eigener Erfahrung nur voll bestätigen. Irgendwann wird man auch müde, zu versuchen immer wieder dieselben Dinge in eine aus unserer Sicht nötige Richtung anzuschieben.
Das liegt aber auch an beiden Seiten. Die mit dem Geld und den tollen Ideen (wir) sind oft genauso wenig in der Lage, den Gegenüber (ANSF) zu verstehen wie umgekehrt.
Wenn mit aller Macht versucht wird, ein US MAT Nachweissystem (das weder ich noch viele US verstehen) einzuführen, wenn ART Geschütze von RUS auf NATO Zieleinrichtungen umgebaut werden (das eine haben die verstanden, weil auch viele Offz daran ausgebildet – das andere muss man mühselig beibringen) und gleichzeitig aber beide Systeme vorhanden und genutzt, und viele andere Dinge, dann braucht man sich nicht zu wundern.
Führung funktioniert dort nur Führerzentriert, nicht anders. Wenn der COM 209 Corps die Truppe innerhalb von 5 Stunden marschbereit haben will, nimmt der sein Mobilephone und ordnet das an, niemand sonst. Und dann steht da auch Truppe und legt los – mit dem was verfügbar ist (das reicht halt oft nicht – weder vom Umfang, noch Zustand noch der verfügbaren Zeit).
Ich hatte es schonmal geschrieben, es ist eine INF Armee, keine schweren Waffen, ein paar ART Feldgeschütze (s.o.) und Mörser, dazu TrspH – und das wars. Kein CAS, keine KpfH – alles auf US Goodwill angewiesen. In Kabul waren, zumindest 2013, eine Handvoll HIND, die wurden aber m.W.n. nie eingesetzt. Zumindest nicht mit AFG Personal, immer einer mit Stars and Stripes am Ärmel als zweiter Mann.
Das nur als Ergänzung zu meinem Post von gestern, der vielleicht den Eindruck hinterließ, nur die AFG sind für die Misere verantwortlich.
Insgesamt bin ich aber nicht scharf drauf, ein viertes Mal dorthin zu gehen. Nicht nochmal ein neues Kontingent, das über die beiden schlechtesten Soldaten meckert – Vorgänger und Nachfolger.
Patrick Horstmann | 01. Oktober 2015 – 20:44
Wenn die internationale Gemeinschaft den Sold zahlt und die Dienstpostenbesetzung bestimmt, dann ist es mit der afghanischen Souveränität nicht mehr weit her.
Funktionieren würde das natürlich.
Sie vergessen dabei aber, dass Bestechung, Patronage und Klientelismus nicht nur den Lebensbedingungen geschuldet, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert sind (und eingefordert werden).
Deshalb haben Vorgesetzte nicht ihre Untergebenen bis hin zur Vergewaltigung misshandelt, Sold unterschlagen, Ausrüstung an den Feind verkauft und Informationen an ihn weitergegeben, Soldaten aller Dienstgradgruppen waren im Dienst weder bekifft noch betrunken – die Liste lässt sich fortsetzen. In den ANSF ist das aber Alltag.
Die internationale Gemeinschaft betreibt seit 15 Jahren und mit Milliarden US-Dollar State Building. Davon haben afghanischen Politiker, Verwaltungsbeamte, Soldaten und Polizisten auf allen Ebenen Milliarden veruntreut, die Unkenntnis der internationalen Gemeinschaft über die Situation vor Ort (Mikro- und Makrobene) wurde gnadenlos zum persönlichen Vorteil ausgenutzt. Hätten die Afghanen auch nur einen Bruchteil des Einsatzes gebracht, von dem sie erzählen, würde Afghanistan heute ganz anders aussehen.
Und zur Kampfkraft der ANSF: Trotz Milliarden an Ausbildung und Ausrüstung entsprechen die ANA SOF maximal Tier III SOF (EGB / SOC), ANP SOF und ANA Commandos ordentlich ausgebildeter leichter Infanterie. Laut dem Long War Journal sind an den Kämpfen um Kunduz mehr als 100 US SOF beteiligt – was einiges über die Kampfkraft der ANSF SOF aussagt.