Afghanische Armee erobert Kundus zurück, Taliban erfolgreich im Umland (Update)
Afghan forces with national flag, after retaken Kunduz city pic.twitter.com/oNwRq0VliD
— Pajhwok Afghan News (@pajhwok) October 1, 2015
Am vierten Tagen nach dem erfolgreichen Angriff der Taliban auf die nordafghanische Provinzhauptstadt Kundus haben die afghanischen Sicherheitskräfte offensichtlich die Kontrolle über die Stadt zurückgewonnen. In der Nacht zum (heutigen) Donnerstag gelang es der afghanischen Armee laut Medienberichten, Schlüsselpositionen in Kundus wieder einzunehmen. Allerdings sind die Aufständischen nach wie vor in Teilen der Stadt präsent – vor allem aber: während einzelne Distrikte der Provinz Kundus wieder unter Regierungskontrolle sind, sollen andere Distrikte in Nachbarprovinzen von den Taliban erobert worden sein.
Gen. Murad Ali Murad, the deputy chief of staff of the Afghan National Army (ANA), told TOLOnews reporter early Thursday morning in Kunduz that security forces – particularly the special forces, with the help of coalition air support – have retaken control of the embattled city. He said the operation started in Kunduz city at about 11:00 pm Wednesday night. (…) Meanwhile Gen. Mohammad Qasim Janghalbagh, the Kunduz police chief, in charge of the Afghan forces‘ clearance operation, said that the city had been cleared of insurgents by 4 am local time on Thursday.
berichtet der afghanische Sender TOLO News. Von dem kommt aber auch die Meldung:
Taliban insurgents carried out a large scale attack on Khwaja Ghar district of Takhar province, which borders Kunduz, in the early hours of Thursday morning, officials said. The Taliban conducted the attack after fleeing Dasht-e-Archi district in Kunduz. Mawolavi Hassin Hanif, a Takhar provincial council member, told TOLOnews that Taliban insurgents launched the attack at about 3 am local time and captured the district.
Die entscheidende Frage wird nun sein, ob der Erfolg der afghanischen Sicherheitskräfte nachhaltig ist. Die Rückeroberung mit Hilfe von Spezialkräften und US-Luftunterstützung ist ja nur der erste Schritt; erst eine dauerhafte Aktivität von Armee und Polizei kann verhindern, dass die Stadt und/oder einzelne Distrikte erneut an die Aufständischen fallen. Wieder gilt: Weiter nach Entwicklung. Update: So sieht es wohl am Donnerstag nachmittag aus, nach einem Bericht der Stars&Stripes:
Afghan security forces pushed deep into Kunduz in an overnight offensive to retake the city but the effort stalled because of fierce resistance, witnesses and officials said Thursday. Officials claimed early in the day that the government had driven the militants out of the city which the Taliban captured Monday. Later, however, residents reported gunbattles continuing as security forces fought to clear the city. (…) By Thursday afternoon, residents in the city center said fighting had resumed, with Afghan and Taliban forces playing a deadly game of capture the flag in the main square.
Von der afghanischen Agentur Pajhwok:
#Afghanistan: 40 dead, 340 injured as Kunduz violence continues http://t.co/PGv5KGcYrz pic.twitter.com/IpjV8fmoO5
— Pajhwok Afghan News (@pajhwok) October 1, 2015
@ diba
Was könnten die Ursachen für all die Erscheinungen sein? Betrachten wir mal nur uns selbst.
Könnte es sein, dass unser Interesse an Afghanistan einfach zu gering ist? Dieser Mangel an Involviertheit führt dann dazu, dass man sich nicht die Mühe gibt, die man sich geben müsste und eben auch nicht bereit ist, Dinge zu tun, die für den Erfolg notwendig wären, also wirksam auf den Feind einwirken (Stichwort: CAS).
Dieser Mangel an Motivation und konkretem Interesse stellt meiner Meinung viele dieser „Wars of Choice“ in Frage und verurteilt sie von vornherein zum Scheitern.
Ich würde den wenigsten, die im Einsatz sind/waren und dabei unmittelbar mit ANSF gearbeitet haben (sei es im Rahmen der Ausbildung oder auch im Gefecht) mangelndes Engagement vorhalten. Es sind einfach verschiedene Welten und trotz aller Unterrichte – interkulturelle Kompetenz ist mehr, als mal von einer anderen Einstellung gehört zu haben.
Das im täglichen Betrieb versuchen umzusetzen ist zäh, weil nämlich auch noch ROE, nationale Vorschriften, nationale Vorgaben, internationale Vorgaben und was weiss ich dazukommen. Die Interessen der beteiligten Nationen sind auch nicht deckungsgleich, da kann man teilweise froh sein, wenn es wenigstens Teilmengen gibt. Beim der einen Operation will der eine, der andere hat caveats, beim der nächsten ist es umgekehrt. Aus Kabul vom IJC (ich habs immer ISAF Joke Command genannt) kommen wieder Ideen und vorgaben, die vor Ort keiner umsetzen will oder kann und mit den Kontingentwechseln kommt mein oben beschriebener Faktor, das Rad wird regelmässig neu erfunden.
Beispiel, 2013 haben uns die Sprachmittler im Corpsstab 209 mal ein paar Ordner gezeigt, was denn schon alles an Ausbildung mit und für ANSF gemacht wurde. Da klappt man dann die Ohren an und muss tief Luft holen. Ich will da nicht grundsätzlichen Unwillen oder Unfähigkeit bei ANSF unterstellen, aber es wurde zu lange immer wieder versucht, unser System (das im Westen ja auch nicht einheitlich ist) durchzusetzen.
Und kaum ist man raus aus dem Block, werden alte Kladden zum MAT Nachweis rausgezogen oder sonstiges für AFG bewährtes durchgeführt.
Ein Offizierkamerad hat mir Ende 2013 beim Telefongespräch stolz mitgeteilt, dass jetzt MRS Ausbildung für ANSF gemacht wird – das haben wir auch schon gemacht, und Vorgänger von uns auch. Immer wieder von vorn und teilweise weiss das das Nachfolgekontingent schon nicht mehr.
CAS – da wollen wir am besten nicht involviert sein, wenn das rein AFG gemacht wird. „Wo wir angreifen, stehen auf der anderen Seite nur noch Taliban …“ das ist die Einstellung, mehr brauch ich dazu nicht sagen (wobei die Argumentationslinie manchem bei uns auch ganz recht wäre und ist).
Das nur mal als ein paar wenige Punkte der Problematik.
Lösungsideen? Da wird’s auch bei mir dünner. Je kürzer die Stehzeit der Kontingente, desto schwieriger. Das führt in der Folge leider zu dem Schluss, dass 4 oder 6 Monate zu wenig ist. Mir und meiner Familie wars immer lang genug. Das wäre aber ein Ansatzpunkt. Berater müssen länger da sein und es gibt Soldaten, die das auch machen und wollen, wenn auch nicht in ausreichender Anzahl. Das führt zu mehr Verständnis und Verstehen, wie wirklich vernünftig beraten werden kann.
Inhaltlich muss sich das ganze am Beratenen orientieren, die eigene tolle Idee ist zum scheitern verurteilt, wenn diese nicht die Denkweise und Kultur dort passt. Also sich anschauen was wie gemacht wird, feststellen warum das so gemacht wird und dann versuchen das zu verbessern statt mit einer AJP oder ZDV zu kommen.
Und natürlich die notwendigen Mittel bereitstellen, d.h. wenn ich nicht willens und in der Lage bin CAS durch ISAF zu stellen, braucht ANSF eigene Mittel … weder wir noch sonst eine ISAF Truppe hat und würde sich ohne CAS aus dem Lager bewegt/bewegen. Von ANSF wird das selbstverständlich verlangt. Leider haben die nix … MRS für den Kurzbereich D30 Feldgeschütze für etwas weitere Entfernung, das wars (nach meinem Stand).
Alles keine Neuigkeiten, die ich hier anreisse, aber der Drops ist gelutscht, nicht erst seit vorgestern. Ausnahmsweise (;-)) sind da m.E. nicht allein die US mit dem Abzugstermin schuld. Das wäre in 10 Jahren nicht anders gewesen, nur wären da noch mehr ISAF Soldaten gefallen.
@diba
Zustimmun.
Sie beschreiben auf der Mikro-Ebene das deterministische Chaos, dass ich auf der Makro-Ebene beschrieben habe: http://augengeradeaus.net/2015/10/rueckblick-aufs-prt-kundus-die-kommandostruktur-war-chaos/#comment-211619
Und auch Ihre letzten 2 Sätze unterstreiche ich ausdrücklich.
Auch von mir breite Zustimmung – besonders für das Schlußwort. Lediglich bei CAS bin ich etwas anderer Meinung, zumal ich die HINDs im Zuge von ANA Operationen 2010 außerhalb Kabuls gesehen habe (ok, zugegeben in MeS, aber beeindruckend waren sie trotzdem…) – ich bilde mir zumindest ein, dass sie die damals laufenden Ops unterstützt haben, ggf. kann das ein OMLT´ler bestätigen. Alles in allem aber haben die ANSF in diesem Bereich zu wenig Mittel – die Frage ist nur, ob sie aus o.a. Gründen mit mehr Mitteln nicht vielleicht sogar mehr (innenpolitischen) Schaden als Nutzen erzeugen würden.
@ diba
Im Prinzip scheinen wir nah beieinander zu sein. Ich will dem Einzelnen überhaupt nichts absprechen, da gab es „im System“ viele gute motivierte Leute. Nur das System ist schon falsch, wenn man zu kurze Stehzeiten hat. Da kommen eben die Probleme von Involviertheit und Motivation. Unsere Führung sagte mit guten Argumenten, 4-6 Monate für den einzelnen Soldaten vor Ort sind genug. Leider gehen die Jungs dann eben dann nach Hause, wenn sie gerade anfangen, die örtlichen Sitten zu erlernen und beginnen, angemessene Problemlösungsstrategien zu entwickeln. Daher kam dieses „jedes Kontingent fängt von vorn an!“. Hat schon seinen Grund, dass Engländer und Amerikaner bei der Besatzung Deutschlands (oder Japans) die Offiziere mit Familien ins Zielland schickten, mit jahrelangen Stehzeiten. So konnte das Problem durchdrungen und gelöst werden. Wir haben doch bis heute das Mysterium Afghanistan oder konkret Kundus überhaupt noch nicht verstanden. (Und wer das formulierte, bekam von den Null-Checker Karrieristen gesagt: „Ich hab`s aber verstanden, ich bin der tolle Hecht!“ Ergebnis: Bekannt.)
ZEIT meldet, dass die Taliban behaupten eine US C-130 bei Dschalalabad abgeschossen zu haben. US bestätigen einen Absturz ohne Überlebende………..
@ADSF: 80% sehen, abgesehen vom Putzmann im Unterkunftsblock, keinen echten Afghanen. Strukturbedingt ist das eben so. Damit brauchts auch viele Dinge nicht – wie z.B. interkulturelle Kompetenz ;-)
Das heisst aber auch, nur ein kleiner Teil müsste deutlich mehr als 6 Monate machen, um bestimmte Effekte möglicherweise zu erzielen. Das Personal muss man finden und auch einsetzen, ohne Gefahr zu laufen, dass diese dann irgendwann unterm Stockholm Syndrom leiden und das zu anderen SideEffekts führt, die nicht gewollt sind.
@ diba
Vollkommen richtig, die mit notwendigerweise langen Stehzeiten sind nicht das Funktionspersonal. Wir reden hier von wenigen Prozent, die in der Tat handverlesen und beobachtet werden müssen.
Dostum, 1. Vizepräsident in AFG sucht Unterstützung in Moskau und Grosny. Dostum, als Führer der usbekischen Minderheit in AFG besuchte Ramzan Kadyrov, Putins Statthalter in Tschetschenien, zu dessen Geburtstag am 05.Oktober.
Dostum sucht, in bestem sowjetischen Sinn, „Waffenbrüderschaft“ nicht nur bei Putin und Kadyrov Er wurde auch bei den zentralasiatischen Nachbarstaaten vorstellig mit der Bitte um Waffen, Munition und Hubschrauber.
Sehr aufschlussreich auch, was er zum Gesprächsinhalt mit Kadyrov preisgab: Diskussion zum Kampf gegen Daesh, er benutzte die arabische Bezeichnung für den „IS“!
http://www.rferl.mobi/a/afghanistan-russia-dostum-seeks-military-help/27293696.html
Bleibt abzuwarten, wie Putin reagiert. Zwar holten sich die Sowjets 1979 – 89 eine blutige Nase, jedoch kann ihm daran gelegen sein, Obama nicht nur an der Levante das Feld streitig zu machen. Er könnte auch auf die Idee kommen, es sei noch eine Rechnung offen.