Vormerken für Mittwoch: Operation Pegasus – Einsatz oder bewaffnete Dienstreise?
Mit zwölf schwer bewaffneten Fallschirmjägern und acht Militärpolizisten an Bord flogen am 26. Februar 2011 zwei Transall-Maschinen der Luftwaffe in die libysche Wüste. Am Rande des beginnenden Bürgerkriegs in dem nordafrikanischen Land holten die deutschen Soldaten 132 Europäer von einem Ölfeld nahe der libyschen Stadt Nafura ab. Probleme gab es nicht, es fiel kein einziger Schuss.
Die Mission, Operation Pegasus, war kein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr.
So sah es jedenfalls die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung. Zwar hatten die Soldaten ein beachtliches Waffenarsenal dabei: 14 Sturmgewehre G36 mit 2.100 Schuss Munition, zwei Maschinengewehre MG3 mit 960 Patronen, zwei Sturmgewehre G3 mit Zielfernrohr und 200 Schuss Munition, 19 Pistolen P8 mit insgesamt 750 Patronen. Dennoch sei die „klare Erwartung“ gewesen, „dass die Soldaten die mitgeführten Waffen nicht würden einsetzen müssen“, beschieden das damals FDP-geführte Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium auf eine Anfrage der Grünen-Opposition. Die Bundeswehr-Angehörigen, so die Berliner Einschätzung vor Beginn der Operation, würden „nicht in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen“.
Über die damalige Einschätzung der damaligen Bundesregierung wird am kommenden Mittwoch (23. September) das Bundesverfassungsgericht sein Urteil abgeben. Denn die – damalige wie heutige – Opposition will nicht hinnehmen, dass mit der Einstufung der Operation als Nicht-Einsatz auch das Mitspracherecht des Bundestages entfallen soll. Die Grünen hatten deswegen in Karlsruhe geklagt. Und das Gericht scheint sich sehr grundsätzliche Gedanken gemacht zu haben, wie sein Präsident nach der Anhörung im Januar deutlich gemacht hatte, laut Reuters:
Wir wollen Maßstäbe entwickeln, mit denen man auch in Zukunft vernünftig arbeiten kann“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am Mittwoch in Karlsruhe. Es gehe darum, wann die Schwelle von einem – nicht zustimmungsbedürftigen – humanitären Einsatz zu einem „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ überschritten ist.
Nun erwartet niemand im Bundestag, auch nicht die Opposition, dass die Bundesregierung vor einer Evakuierungsoperation das übliche Verfahren für die Mandatierung eines bewaffneten Einsatzes der Streitkräfte im Ausland in Gang setzt: Kabinettsbeschluss, erste Lesung, Ausschüsse, zweite Lesung und Beschlussfassung im Bundestag… Aber die vorgesehene Möglichkeit, auch einen wegen Gefahr im Verzug zunächst mal nur von der Regierung auf den Weg gebrachten Einsatz nachträglich billigen oder ablehnen zu können, wollen sich zumindest einige Parlamentarier nicht nehmen lassen.
Wenn das Verfassungsgericht tatsächlich nicht nur über den Einzelfall Pegasus entscheidet, sondern darüber hinaus gehende Maßstäbe setzt, wird das auch für den weiteren Gang der Gesetzgebung interessant. Denn nach den Überlegungen der Rühe-Kommission zu den Rechten des Parlaments dürfte eine Novellierung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes anstehen – dann mit deutlichen Vorgaben aus Karlsruhe. Ich weiß ja nicht, ob die Bundesregierung so was 2011 schon berücksichtigt hat.
(Diesen Eintrag habe ich mal vorgeschrieben, weil ich am 23. September unterwegs bin und aktuell nicht auf das Thema werde eingehen können.)
(Foto: Bundeswehr)
Was JPW (Darf ich DWH sagen?) hier sagen will, ist vermutlich, das allen bewusst ist, das diese Gesetze und ihre Lücken schon seit vielen vielen Jahren existieren.
„Früher“ war man aber bereit, diese Lücken im Sinne des Grundgesetzes und zu Gunsten der Menschen auszulegen, für die dieses Gesetz ursprünglich geschrieben steht.
Mittlerweile scheint es nur noch Menschen zu geben, die weder Verantwortung übernehmen noch Entscheidungen treffen wollen, dafür aber lieber bei jeder Unsicherheit erst einmal die Gerichte befassen, damit diese detailgetreu darlegen können, warum man so etwas unter diesen Umständen nur so und so entscheiden kann…..
Ich bin schon überrascht, was alles aus dem Urteil herausgelesen wird, was meiner Lesart nach gar nicht drin steht !
@ Memoria
Zitat: „Warum man nun einen neuen Unterfall der nachträglichen Information, aber nicht Beteiligung einführt erscheint mir nicht ganz nachvollziehbar. Aber in der Praxis sicher ein größerer Handlungsspielraum der Exekutive.
Somit kann man eigentlich Rettung und Evakuierung ohne Parlamentsbeteiligung durchführen.
Nun müsste den nur noch nützen wollen – siehe Irak u.a.“
Dies lese ich so nicht aus der Urteilsbegründung, bzw. aus der Presseerklärung.
Erstens sagt das Gericht der Umstand „Gefahr im Verzug“, ist gerichtlich voll überprüfbar und stellt keine politische Entscheidung dar, kann folgedessen auch nicht konstruiert werden.
Zweitens erscheint es für mich logisch, dass ein bereits abgeschlossener Einsatz nicht mehr nachträglich vom Parlament genehmigt werden muss, sondern dass die Entscheidung der Bundesregierung eigenes Recht schafft. Ansonsten wäre bei einer nachträglich negativen Entscheidung durch das Parlament ein unrechtmäßiger Auslandseinsatz der Bw entstanden mit allen rechtlichen Folgen bei der Versorgung von Opfern.
Und drittens ist die Informationspflicht des Parlamentes sehr genau und detailliert vorgegeben worden. Es wird auch als ein konstitutives Recht der Abgeordneten angesehen. Mit solch pauschalen, abwieglerischen Aussagen wie bei der letzten hier verlinkten Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der „Grünen“, müssen sich die Parlamentarierer sicher nicht zufrieden geben.
Ingesamt ein sehr klares Urteil und mögliche Hintertürchen für die Regierung werden von vorn herein schon weitgehend ausgeschlossen.
Zu bedenken ist bei der Anlayse des Urteils, dass das Bundesverfassungsgericht das Handeln der Bundesregierung nur vor dem Hintergrund der Verfassung beurteilen kann, d.h. Maßstab der Beurteilung ist das Grundgesetz, nicht das Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG). Dieses kann nur (zutreffend oder nicht) den „wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt“ (das BVerfG benutzt ausdrüchlich diesen Begriff) in einfaches Recht umsetzt.
§ 5 Abs. 3 Satz 1 ParlBG spricht ausdrücklich von einem „Antrag auf Zustimmung“ nach einer Entscheidung der Bundesregierng bei Gefahr im Verzug. Die Vorschrift unterscheidet an dieser Stelle nicht zwischen noch laufenden und bereits abgeschlossenen Einsätzen. Hier scheint das ParlBG weiter gefasst zu sein, als verfassungsrechtlich notwendig.
Wichtig ist das Urteil für die Klärung der Fragen, was ein „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ ist und inwieweit das Handeln der Bundesregierung verfassungsrechtlich überprüfbar ist.
Hier lag die Bundesregierung mit der Theorie der „bewaffneten Dienstreise“ daneben. Zudem ist nun klargestellt, dass es keinen Regierungsvorbehalt bei der Entsendung bewaffneter Streitkräfte gibt, auch nicht bei Gefahr im Verzug. Jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist verfassungsrechtlich vollständig überprüfbar.
@Georg:
Aus meiner Sicht gibt es nun mehr Handlungssicherheit, da die Regierung nachträglich keine parlamentarische Gehnemigung einholen muss.
Das war ja schon bisher nur ein theoretisches Problem.
Nun ist klar: Bei Gefahr im Verzug – das ist bei MilEvakOp und Geisellagen gegeben – kann die BReg nun noch einfacher handeln.
Es gab schon bisher kein Rechtsproblem, sondern politische Unentschlossenheit.
Die ganze Diskussion ist sehr abstrakt und geht an den echten Problemen im Bereich Rettung und Evakuierung vorbei.
Unterm Strich ist nun mehr Rechtssicherheit gegeben, die Befugnisse von Exekutive und Legislative sind eindeutiger festgelegt.
Es gibt genug weitere Hausaufgaben, die man in der Exekutive zu lösen hat.
Aber über den Parlamentsvorbehalt lamentieren ist ja in gewissen Ebenen seit langem Mode.
„sondern dass die Entscheidung der Bundesregierung eigenes Recht schafft“
liest sich natürlich etwas nach the King can do no wrong
“ unrechtmäßiger Auslandseinsatz der Bw entstanden mit allen rechtlichen Folgen bei der Versorgung von Opfern.“
gibt es da nicht etwas wie der King ist verantwortlich wenn er einen ungerechten Krieg führt – die Soldaten wie sie sich in jenem verhalten.
frei nach Shakespeare
natürlich gab es ein rechtliches Problem was in der Frage gipfelte:
War es ein Einsatz oder eine Dienstreise?
Gerade dann wenn eine solche Aktion schief läuft ergeben sich ggf Ansprüche und Verantwortlichkeiten.
@ Memoria
Soweit Zustimmung zu den Aussagen. Die Handlungssicherheit für die Regierung ist sicherlich gegeben, war auch vorher schon gegeben.
Ich denke, dass Entscheidende ist, dass der Umstand „Gefahr im Verzug“ nicht konstruiert werden kann, um das Parlament zu umgehen. Dies ist einerseits durch die Aussage des Gerichts abgedeckt, dass dies ein gerichtlich voll überprüfbarer Umstand ist und eben keine politische Bewertung. Zweitens muss dass Parlament nach einem Einsatz aufgrund von „Gefahr im Verzug“, umfänglich, auch mit den Details, die zu dieser Einschätzung geführt haben, unterrichtet werden.
Also bei der Operation Pegasus, wenn die konkrete Bedrohung für die Arbeiter im Ölfeld sich seit 2 Wochen abzeichnete, die Bedrohungslage sich immer verstärkt hat, die Rebellen immer weiter gegen das Ölfeld vorgerückt sind, die Bundesregierung nichts unternommen hat um die Arbeiter zu evakuieren und kurz von Ultimo dann einen Evakuierungseinsatz ohne Parlamentsbeteiligung wegen „Gefahr im Verzug“ angeordnet hat, dann kann dieser Einsatzgrund gerichtlich überprüft werden. Die Abgordneten sind hinterher über alle Details, die zu dieser Entscheidung geführt haben zu informieren, als Bringschuld der Regierung gegenüber dem Parlament. Aber die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Regierung können die Parlamentarierer nicht mehr verändern.
Nach meiner Meinung eine gute Regelung für die praktische Umsetzung, weil die Regierung eben nicht erklären kann, sie hat zwei Wochen nichts gemacht und auf eine Verbesserung der Lage gehofft und am Schluss war dann „Gefahr im Verzug“.
@ ThoDan
Ich bin nicht so mit Shakespeare vertraut, aber die leidvollen Erfahrungen wie soldatisches Handeln im Einsatz hinterher staatsanwaltlich in Inland aufgearbeitet worden ist, bekräftigt die Notwendigkeit das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Regierung zu erhöhen. Wir reden im Übrigen nicht über gerechte oder ungerechte Kriege, sondern der Soldat darf keinen Befehl ausführen, wenn er eine Straftat beinhaltet (Verbindlichkeit von Befehlen). Wenn aber von der Regierung der Befehl zu eine Kommandoaktion erteilt wird, muss sich der Soldat darauf verlassen können, dass der Befehl rechtmäßig ist. Es gibt leider viel zu viele arbeitslose Anwälte, die hinterher daraus ein Geschäft für sich und die eventl. Opfer machen wollen.
Stellen Sie sich vor die Befreiung der entführten Lufthansa Maschine in Mogadischo hätte nicht 1977 sondern 2014 statt gefunden und die Befreiung wäre teilweise missglückt mit 30 unschuldigen Toten unter den Passagieren. Dann muss zumindestens für die handelnden Personen, egal ob Polizisten oder Soldaten, klar sein, dass der Einsatz rechtmäßig war. Dies bitte ohne die Möglichkeit, dass viele Juristen und Abgeordnete in tagelanger Arbeit und Diskussion darüber zu dem Urteil kommen, dass dem doch nicht so war.
@ georg
ihre ausführungen zum thema „enger ermesssenspielraum“ bezüglich der gefahr im berzug sehe ich so nicht.
sie führen ja selber aus, dass es in der Pegasus Situation eine bereits länger andaurnde latente Gefahrenlage gegben hat, die ggf. eine vorabzustimmung (zumindest durch die fraktionsvorsitzenden gemäß etablierter praxis) möglich gemacht hätte.
Das BverfG hat jetzt aber TROTZ dieser Tatsache die Einschätzung der damaligen BuReg bezüglich der Gefahr im Verzug bestätigt was m.E. eher für einen WEITEN Ermessensspielraum der Exekutive diesbezüglich spricht, der mit jetzigen Entscheidung höchsrichterlich festgestellt wurde.
Abgesehen davon bleiben Entscheidungen dieser Tragweiter IMMER politische Entscheidungen.
Niemand kann im Zweifelsfall zu einer Aktion wie Feuerzauber gewzungen werden , im Umkehrschluss muss es für die exekutive eine sphäre geben die im Sinne der Handlungsfähigkeit staatlicher Organe auch durch die Justiz respektiert wird.
auch das ist gewaltenteilung.
@Georg
Ich bin kein Jurist, so wie ich die Antwort auf meine Frage zu diesem Thema vor einiger Zeit verstanden habe:
Sofern der Soldat davon ausgehen kann/muss, das der Befehl rechtmäßig ist, ist das rechtlich in Ordnung für ihn.
Wobei für mich eher der Punkt der Legitimität zählt, als der Gesetzlichkeit.
Wäre der Einsatz in Mogadischu ungesetzlich gewesen, dann hätte das Parlamentarisch und Juristisch aufgearbeitet werden müssen.
Durch Änderung der Gesetze(bei der Hamburger Flutkatastrophe hat ein Senator nicht ins GG geschaut) oder bei Missbrauch durch Amtsenthebung und Gericht.
Ich sehe einfach ein Problem und eine Gefahr darin, das die Regierung bei sowas dem Parlament keine Rechenschaft schuldet.
@ThoDan
„Wobei für mich eher der Punkt der Legitimität zählt, als der Gesetzlichkeit“
Machen wir nun Grundausbildung?
Genau das ist der Unterschied von Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit!
Befehlsgeber prüft Rechtmäßigkeit, Befehlsempfänger die Verbindlichkeit!
Ein Befehl, der gegen das Recht verstößt, ist nämlich nicht automatisch unverbindlich. Beim Anspruch auf Gehorsam, den das Gesetz verlangt, ist zwischen dem objektiven Anspruch, der nach den Gesetzen besteht, und dem subjektiven Anspruch des Befehlenden zu unterscheiden.
@wacaffe | 25. September 2015 – 3:12
Tut mir leid, was das Vorhandensein eines Ermessensspielraums der Bundesregierung angeht irren sie. Sie hat weder einen engen, noch einen weiten Ermessensspielraum, sie hat gar keinen.
Ermessen heißt, dass ein Regierungs- oder Verwaltungsorgan bei einem bestimmten Sachverhalt mehrere, unterschiedliche rechtmäßige Entscheidungen treffen kann. Dieses Ermessen kann dann auch nicht durch ein Gericht im Rahmen einer gerichtlichen Kontrolle durch eine eigene Beurteilung ersetzt werden. (Das Gericht darf eine Ermessensentscheidung nur auf sog. Ermessensfehler überprüfen.)
Das Pegasus-Urteil des BVerfG hat aber gerade klargestellt, dass eine volle verfassungsgerichtliche Kontrolle einer Eilentscheidung der Bunderegierung nach § 5 ParlBG besteht. Die Bundesregierung hat keinen eigenen Spielraum zu beurteilen, ob ein
„Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ oder eine „Gefahr in Verzug“ besteht. Eine ex ante getroffene Entscheidung ist entweder richtig oder falsch und kann vom BVerfG ex post überprüft werden (BVerfG, Urteil vom 23.09.2015, Rz. 89 ff.).
Nicht ohne Grund hat sich das BVerfG in seinem Urteil intensiv mit der politischen und militärischen Ausgangslage der Op. Pegasus auseinander gesetzt. Im Ergebnis ist das Gericht zur Erkenntnis gelangt, dass die Einschätzung der Bundesregierung, es handele sich um keinen „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ (Stichwort: bewaffnete Dienstreise) falsch, die Einschätzung einer „Gefahr in Verzug“ allerdings richtig war.
(Die Zurückweisung des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen erfolgte aus anderen Gründen.)
Die Bundesregierung hat somit in Notlagen nicht „freie Hand“, ob und wie sie Streitkräfte einsetzt. Sie hat – zunächst in eigener Verantwortung – zu prüfen, ob die (verfassungs-)rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Würde eine Bundesregierung bei einem Einsatz eine „bewaffnete Dienstreise“ oder eine Gefahr-in-Verzug-Lage konstruieren würde sie – verfassungsgerichtlich voll überprüfbar – rechtswidrig handeln.
@ wacaffe; @ all
zitat: „sie führen ja selber aus, dass es in der Pegasus Situation eine bereits länger andaurnde latente Gefahrenlage gegben hat, die ggf. eine vorabzustimmung (zumindest durch die fraktionsvorsitzenden gemäß etablierter praxis) möglich gemacht hätte.
Das BverfG hat jetzt aber TROTZ dieser Tatsache die Einschätzung der damaligen BuReg bezüglich der Gefahr im Verzug bestätigt was m.E. eher für einen WEITEN Ermessensspielraum der Exekutive diesbezüglich spricht, der mit jetzigen Entscheidung höchsrichterlich festgestellt wurde.
Abgesehen davon bleiben Entscheidungen dieser Tragweiter IMMER politische Entscheidungen.“
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2015/bvg15-071.html
Presseerklärung BVerfG Punkt 4.
„Die tatsächliche und rechtliche Wertung der Bundesregierung bei der Annahme von Gefahr im Verzug ist jedoch keine politische Entscheidung, sondern eine anhand objektiver Kriterien überprüfbare Subsumtion eines Sachverhalts “
Im Übrigen hat das BVerfG nicht geprüft, ob bei dem vorliegenden Fall (Operation Pegasus) „Gefahr im Verzug“ vorgelegen hat, sondern ob in in so einem Fall das Parlament vorher zu beteiligen ist.
Das die vorherige Zustimmung der Fraktionsvorsitzenden nicht eingeholt wurde, zeigt eben, dass die Bundesregierung nicht zeitgerecht gehandelt hat, wonach sie nach dem Urteil des BVerfG heutzutage verpflichtet gewesen wäre.
siehe Presserklärung BVerfG Punkt 3a:
Zitat: „3. a) Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Bundesregierung und Bundestag müssen daher sicherstellen, dass die Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird.“
Des weiteren weist das BVerfG das Parlament, die Abgeordneten auf seine ureigensten Kontrollbefugnisse hin:
Zitat: „5b) Es ist aber Aufgabe des Deutschen Bundestages und seiner Untergliederungen, im Falle eines von der Exekutive wegen Gefahr im Verzug beschlossenen und vor einer möglichen Parlamentsbefassung beendeten Einsatzes bewaffneter Streitkräfte, seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse wahrzunehmen.“
Diese Kontrollbefugnisse werden vom BVerfG sogar noch präzisiert und zwar für die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages:
Zitat: „Als Ausfluss des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts ist die Bundesregierung verpflichtet, den Bundestag unverzüglich und qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten. Gegenstand der Pflicht zu förmlicher Unterrichtung sind die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einsatzentscheidung der Bundesregierung sowie Verlauf und Ergebnis des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Die Unterrichtung des Bundestages muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein und sich in ihrer Intensität an der militärischen und politischen Bedeutung des Streitkräfteeinsatzes orientieren. In zeitlicher Hinsicht ist der parlamentarische Informationsanspruch unverzüglich zu erfüllen. Die Bundesregierung muss das Parlament darüber hinaus in einer zweckgerechten Weise unterrichten. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer, damit sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten Informationen zugreifen können. Die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen über den Streitkräfteeinsatz den Abgeordneten in klarer, vollständiger und reproduzierbarer Form zur Verfügung stehen.“
Also keine mündlichen Informationen, keine Information nur des Geheimdienstausschusses usw. und nicht nur pauschalen Informationen.
Zu guter Letzt kommt das BVerfG noch zu dem aktuell vorliegenden Fall und entscheidet:
Zitat: „6. Nach diesen Maßstäben war die am 26. Februar 2011 von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah in Libyen ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Die Antragsgegnerin war jedoch nicht verpflichtet, den Bundestag nachträglich um eine rechtlich unverbindliche politische Billigung des abgeschlossenen Einsatzes zu ersuchen. Die Frage einer Verletzung des parlamentarischen Anspruchs auf unverzügliche qualifizierte Unterrichtung über den abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht Gegenstand des hier zu entscheidenden Organstreits.“
Und dann weist das BVerfG noch darauf hin, dass die Antragstellerin den Antrag leider so gestellt hat, dass die Frage ob in dem aktuellen Fall die Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Parlament verletzt wurde, nicht entschieden werden kann, da diese Fragestellung nicht in dem Antrag an das BVerfG enthalten war.
Zitat: „Die Antragstellerin hat jedoch weder in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag noch in dessen Begründung einen Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Unterrichtungspflicht ausdrücklich geltend gemacht. Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens gibt keinen Anlass, von einem entsprechenden subsidiären Rechtsschutzziel der Antragstellerin auszugehen.“
Also für mich ist die Entscheidung des BVerfG sehr eindeutig, ohne Interpretationsspielraum und im Wiederholungsfalle wird die jeweils betroffene Partei (Regierung oder Parlament) eine eindeutige Klatsche vom BVerfG erhalten.
Sorry für die vielen Zitate, aber ich sehe den Interpretationsspielraum den viele Kommentatoren in das Urteil rein projezieren (eigener Wunsch oder Realität ?) nicht !
@Zimdarsen
Um Legitim zu sein, muß etwas ethisch richtig sein
@ThoDan
Wo haben sie das denn her?
Gemäß § 11 des Soldatengesetzes muss ein Befehl nicht ausgeführt werden, sofern er keinen dienstlichen Zweck erfüllt, gegen die Menschenwürde verstößt oder seine Befolgung für den Soldaten unzumutbar ist.
Ob das dann der Fall ist, stellt im Nachhinen ein Gericht fest ind keine Ethikkommission fest.
Dagegen darf ein Befehl nicht ausgeführt werden, wenn dessen Ausführung die Begehung einer Straftat (eine Ordnungswidrigkeit reicht nicht aus!) oder einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstellt.
Ethische Legimität ist wohl eher keine Begründung für die Verbindlichkeit, sondern das Recht, die Menschenwürde, oder Zumutbarkeit ist die Grundlage.
@ Georg
„Also für mich ist die Entscheidung des BVerfG sehr eindeutig, ohne Interpretationsspielraum und im Wiederholungsfalle wird die jeweils betroffene Partei (Regierung oder Parlament) eine eindeutige Klatsche vom BVerfG erhalten.“
ich habe mich vermutlich etwas unklar ausgedrückt.
ich bezog mich rein auf den Entscheidungshorizont der politisch verantwortlichen im zeitraum der Entscheidung gefahr im Verzug ja/nein.
In diesem Zeitpunkt wird die entscheidung IMMER auch politisch überwölbt sein was sich schlicht aus der identiät der Handelnden als politische Akteure erklärt.
Mir ist schon klar das das BVerfG eine rechtliche Überprüfbarkeit der „Gefahr im Verzug“ qualifikation postuliert; Wenn überhaupt würde diese Überprüfung ja aber auf dem ex ante Informationsstand der BuReg vor Einsatzbefehl basieren was zur Folge hat das die Entscheidung der Bundesregieung bezüglich der Eilbedürftigkeit bis auf , unwahrscheinliche, Fälle grober fehleinschätzungen/bewusster Sachverhaltsmanipulation im regelfall durch das BVerfG bestätigt werden dürfte.
(so war es ja auch im Pegasus fall)
Ein „ermessensspielraum“ im unjursitisch funktionalen Sinn besteht daher für die BuREg weiterhin weil sie unter hohem Zeitdruck und diversen Imponderabilien die argumente für und wider GEfahr im Verzug abwägen muss.
Wenn Sie hier im Zweifel zwecks Gefahrenabwehr für eine Gefahr entscheidet will ich das BverfG urteil sehen das diese Abwägung nachträglich für unzureichend erklärt sofern grundlegende mindeststandars gewahrt wurden.
Alles in Allem halte ich die rein praktischen Auswirkungend der Überprüfbarkeit der Eilbedürftigkeit daher für gering
Bei all dem Optimismus bezüglich der Funktionsweise unserer rechtsstaatlichen Strukturen will ich doch mal realpolitisch in den Raum stellen, dass rechtswidriges Verhalten einer Bundesregierung faktisch real folgenlos bleibt. Bei Pegasus hat die Politik aus reinem tagespolitischen Opportunismus aus einem Auslandseinsatz der Bundeswehr eine bewaffnete Dienstreise gemacht. Mir kann niemand erzählen, dass die Erfinder dieser Sprachregelung nicht selbst wussten, dass das Bullshit ist, dumm sind die schließlich nicht.
Und was hat das für Folgen? Vier Jahre später stellt ein Gericht in Karlsruhe fest, dass es doch ein Kampfeinsatz war. Folgen für verantwortlichen Politiker und politischen Beamte? Keine.
Mit dem nun geschaffenen „Gefahr-im-Verzug-Entsenderecht“ kann man also munter Truppen wohin auch immer schicken. Wenn es falsch war, wird vier Jahre später ein folgenloses Urteil gesprochen.
Will sagen: Das Recht, nachträglich überprüfen zu dürfen, ist ein zahlloser Papiertiger. Solange eine Regierung seine Mehrheit im Bundestag stehen hat, kann sie ohne individuelle Nachteile machen, was sie will.
Im Sinne einer handlungsfähigen Sicherheitspolitik, die tatsächlich dazu in der Lage sein soll, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, könnte das sogar richtig sein. Man soll sich nur nichts vormachen. Und diese faktisch absolute Macht darf nie in die falschen Hände geraten.
@Zimdarsen
Das ist meine Meinung zu dem Thema, würde ich unter Würde des Menschen, Freiheit des Gewissens, Meinungsfreiheit usw. verorten.
Gesetze können Unrecht sein.
@ Wacaffe
Okay, ich habe es verstanden wie es gemeint war.
Ich denke aber, wenn in einer ähnlichen Situation wie bei der Operation „Pegasus“, eine Situation zwei Wochen lang eskaliert, es dann zu einer Einsatzentscheidung wegen „Gefahr im Verzuge“ ohne Parlamentsbeteiligung seitens der Regierung kommt, wird die Regierung es nach diesem Urteil wesentlich schwerer haben zu begründen, warum sie nicht zwei Wochen vor dem Einsatz das Parlament beteiligt hat.
Das BVerfG hat ja ausdrücklich die Kontrollrechte der Abgeordneten und sei es im Nachgang eines Einsatzes hervorgehoben. Damit sind meiner Meinung nach rechtliche Grauzonen und Denken in „bewaffneten Dienstreisen“ vom Tisch. Vor allem weil das BVerfG den Einsatzgedanken ausdrücklich auch bei Einsätzen aus humanitären Gründen hervorgehoben hat, sofern dabei mit feindlichen Auseinandersetzungen zu rechnen ist.
Also alles was nicht quasi im diplomatischen Dienst für das Aussenministerium läuft, dürfte für die Zukunft unter dem Titel „Einsatz“ laufen und ist demnach beteiligungspflichtig. Egal ob vorher oder bei kurzfristigen Einsätzen eben nachher.
Interessanter Gedanke, wie schaut dies eigentlich bei Einsätzen von Spezialkräften wie des KSK aus ?
@ ASDF
Zitat: „Mit dem nun geschaffenen „Gefahr-im-Verzug-Entsenderecht“ kann man also munter Truppen wohin auch immer schicken. Wenn es falsch war, wird vier Jahre später ein folgenloses Urteil gesprochen.“
Das sehe ich nicht so. Wenn die Oppostion auf Zack ist, treibt sie die Regierung unmittelbar nach einem solche Einsatz im Parlament vor sich her.
Außerdem glaube ich, dass die Deutschen in ihrer Mehrheit grundsätzlich auf den Rechtsstaat setzen und eine Regierung nicht öfters gegen die rechtsstaatliche Ordnung arbeiten kann.
Aber zu diesem „Spiel“ gehören immer zwei Parteien. Einer der handelt und einer der kontrolliert und überwacht.
Es ist nur so, einen Hund den man zum Jagen tragen muss, wird nie ein guter Jagdhund werden !
@ georg
„Interessanter Gedanke, wie schaut dies eigentlich bei Einsätzen von Spezialkräften wie des KSK aus ?“
vermutlich sinngemäße anwendung (informationspflichten/zustimmungspflichten) unter berücksichtigung der bisher gängigen Prozedur bei geheimhaltungsbedürftigen SOF einsätzen. (da gibt es ja parlamentarische Usancen)
es wäre natürlichj schön gewesen wenn das BverfG dazu noch mal explizit was gesagt hätte.
Nach jetzigem Stand ist sonst die nächste Klage absehbar.
Das Urteil allerdings auch: „Besondere geheimhaltungsinteressen der BuReg führen zu fogenden ausnahmen vom jetzt oben etableirten Informationsprozess…..“ etc……
@ ASDF
exakt! Die tatsächliche normative Bindungswirkung hängt eben auch von der existenz von sanktionsmitteln bei zuwiderhandlung ab.
Wenn ein Handeln politisch unmittelbar opportun und juristisch in einigen jahren maximal eine freundliche ermahnung der judikative zur Folge hat dürften die praktischen Konsequenzen des Urteils gering bis nicht existent sein.
@ADSF: Zustimmung mit einer Ausnahme: „Mit dem nun geschaffenen „Gefahr-im-Verzug-Entsenderecht“ kann man also munter Truppen wohin auch immer schicken. Wenn es falsch war, wird vier Jahre später ein folgenloses Urteil gesprochen.“ Das ist, glaube ich jedenfalls, zu pessimistisch gesehen. Denn wenn die „bewaffnete Dienstreise“ diesmal ohne Folgen blieb ist damit noch lange nicht gesagt, dass es immer folgenlos bleibt. Schließlich sind auch BVG-Richter am Ende Menschen, die sich irgendwann ärgern, wenn ihre Arbeit (Urteile) konstant missachtet werden. Und dann fällt guten Juristen irgendwann eine völlig legale, gewaltfreie Foltermethode ein.
@ThoDan
„Das ist meine Meinung zu dem Thema, würde ich unter Würde des Menschen, Freiheit des Gewissens, Meinungsfreiheit usw. verorten.“
Wenn sie dies unter -ethisch- verstehen sind wir einer Meinung, doch gehe ich dafon aus, dass unser Rechtsrahmen und Gerichte genau dies schützen……..und wir den Rechtsrahmen und die Gerichte ;-)
Doch sollte uns bewußt sein, dass an das Kriterium der Unzumutbarkeit hohe Hürden gelegt sind.
„Irrt der Soldat über die Verbindlichkeit eines Befehls und verweigert seine Ausführung, besteht für ihn stets die Gefahr, ein Dienstvergehen oder eine Wehrstraftat zu begehen, es sei denn, der Irrtum war für ihn unvermeidlich.“ (Wiki)
@Elahan
Zum einen glaube ich nicht an Rechtsrahmen oder Gerichte, sondern an jene Mebschen die sie mit Leben füllen und ich betrachte das nicht nur BRD Jetzt, sondern auch in etwas längerer Perspektive, sie Guantanmo, Abu Ghraib, französische Doktrin, Amritsar..
Fraktionsvorsitzende , die Militär als interne Security einsetzen wollen, Bundesminister und BW die Soldaten wegen der Zustimmung zu rechtsstaatlichen Urteilen diszilinarisch und juristisch belangten
Außerdem kann der Soldat auch in die andere Richtung irren,
Georg | 25. September 2015 – 18:01
Georg | 25. September 2015 – 18:25
Ich stimme ihnen zu.
Ein Verstoß gegen die wehrverfassungsrechtliche Parlamentsbeteiligung im Falle der Gefahr im Verzug mag – zumindest bei einem abgeschlossenen Einsatz – sanktionslos sein. Trotzdem muss die Bundesregierung den Bundestag unterrichten und sich einer parlamentarischen Kontrolle stellen, auch wenn sie formell keine nachträgliche Zustimmung einholen muss. Zudem läuft sie immer Gefahr, dass eine falsche Entscheidung nachträglich vom BVerfG als verfassungswidrig eingestuft wird.
Ich bin überzeugt, dass Kreationen wie „bewaffnete Dienstreisen“ zukünftig nicht mehr vorkommen werden.
Im Amtseid der Mitglieder der Bundesregierung heißt es „Ich schwöre … das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes (zu) wahren und (zu) verteidigen …“.
Es ist davon auszugehen, dass jede Bunderegierung dieses ernst nimmt, auch wenn auf einen möglichen Verfassungsverstoß keine unmittelbaren (rechtlichen) Sanktionen folgen.
Das unterscheidet Deutschland als Rechts- und Verfassungsstaat von einer Bananenrepublik.
@ThoDan
„Außerdem kann der Soldat auch in die andere Richtung irren,“
Ja, irren ist menschlich und Irre sind Menschen.
Was sie beschreiben ist eine andere Ebene und gerade dann nicht mit Gesetzen und Gerichten erfassen.
Natürlich kann man sich auch im Rahmen des Gesetzes moralisch schuldig machen, doch am Ende steht immer die persönliche Entscheidung und Verantwortung.
Gerade für dieses Entscheiden/Handeln ist die Innere Führung und eben nicht das Gesetz (dessen Auslegung) die Grundlage (für Soldaten der BRD).
@Elahan
Ich hätte nur gerne einen etwas weiter gefassten Rechtsschutz für Befehlsverweigerung aus ethischen bzw. Gewissengruenden.
Mir ist klar das so etwas zu Problemen führen kann, aber die andere Seite ist da auch nicht besser.