Frankreich kündigt Luftschläge gegen ISIS in Syrien an
Trotz Kritik auch im eigenen Land scheint Frankreich entschlossen, wie geplant mit Luftangriffen auf Ziele der islamistischen ISIS-Milizen in Syrien zu beginnen. Das kündigte der Verteidigungsminister am (heutigen) Mittwoch an, wie AP berichtet:
France’s defense minister says French fighter jets will start bombing Islamic State group targets in Syria in the coming weeks, despite growing doubts over whether the U.S.-led air campaign against extremists in the region is working.
Opposition conservative lawmakers argued in Parliament this week against joining the airstrikes, saying it wouldn’t change much on the ground.
But Defense Minister Jean-Yves Le Drian said on France-Inter radio Wednesday that the French strikes would go forward „as soon as we have well-identified targets.“
Bislang hatte sich Frankreich im Rahmen der internationalen Koalition gegen ISIS auf Angriffe im Irak beschränkt.
Zur Ergänzung: Das in den Kommentaren bereits angesprochene Interview mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im ZDF-Morgenmagazin. Das Video hier; Zitate daraus (laut SpOn):
Ursula von der Leyen hat Forderungen nach einem militärischen Engagement Deutschlands in Syrien zurückgewiesen. „Ich warne vor diesen sehr einfachen Lösungen“, sagte sie im ZDF. Die Bundeswehr sei in „hohem Maße bereits engagiert im Kampf gegen den Islamischen Staat“. (…)
Von der Leyen verwies nun auf den Beitrag Deutschlands bei der Ausbildung und Ausrüstung kurdischer Peschmerga-Kämpfer und anderer Gruppen im Nordirak. Auch dadurch sei die Dschihadistenmiliz bereits „zurückgedrängt worden“ und „tatsächlich einmal geschlagen worden“ von den Peschmerga. Die Ausbildung der Kräfte vor Ort sei „das richtige Vorgehen“.
Auf internationaler politischer Ebene brauche es zudem „einen großen diplomatischen Rahmen“ angesichts der Vielzahl der Konfliktparteien in Syrien, sagte die Ministerin. „Wenn man, was wir nicht wollen, theoretisch mit Bodentruppen reingehen würde, man würde immer die Falschen treffen, man würde zwischen die Mühlsteine dieser Hunderte von verschiedenen Gruppen, die miteinander kämpfen, geraten und mehr Schaden anrichten als eine Lösung“ erreichen.
Nachtrag: Syriens Präsident Bashar al-Assad hat russischen Medien ein Interview gegeben – der komplette Text auf Englisch hier bei der syrischen Nachrichtenagentur SANA.
(Das mal als einen neuen Sammler zum Thema ISIS/Syrien/Irak, um die Debatte hier etwas zu bündeln. Aufgelaufene Kommentare aus dem Bällebad verschiebe ich hierher.)
(Archivbild: Rafale der französischen Luftwaffe über Afrika – Armee de l’Air)
DLF:
Leyen weist Forderungen nach einem militärischen Engagement Deutschlands in Syrien zurück und fordert diplomatische Lösung.
Bundeswehr mache bereits genug.
…. leaves me frustrated!
@ mwk
Solange niemand ein glaubwürdiges politisches Konzept für Syrien hat und die Kosten und nötigen Ressourcen genau benennen kann ist Zurückhaltung durchaus legitim. Bloß keine weitere „Symbolpolitik mit anderen Mitteln“!
@mwk
Sicherlich, wir machen viel, sogar sehr viel unter Einschluss der Flüchtlingsaufnahme. Allerdings, in und für Syrien machen wir gar nichts. UvdL und damit die Bundesregierung folgen in diesem Verhalten bisheriger deutscher Tradition: Macht mal, wir-können-uns-nicht-trauen-wollen-dürfen; was soll die Bevölkerung sagen …?
Dabei wird ausgeblendet, führen heißt vorn stehen, vorn stehen heißt einstehen für das was nötig ist. Die politische europäisch-nahöstliche Großwetterlage hat sich rasant verändert. Wir müssen aufpassen, dass Deutschland nicht zu den Getriebenen gehört. Wer führen will, die Geschicke des Staates, der Krisenregion in seinem Sinn voranbringen nicht „will“, sondern MUSS, hat in den Modus des Akteurs umzuschalten.
Diplomatische Lösungen einzufordern klingt zunächst wahnsinnig humanitär. Gleichzeitig ist jeder(m) Beteiligten klar, dass dies nicht stattfinden wird. Denn dazu müsste Assad mit an den Verhandlungstisch, was außer Putin niemand befürwortet.
Im Ergebnis ziehen wir uns wieder aus der Affäre, auch Tradition – oder allein Akzeptanz der Fähigkeitsdefizite in den Streitkräften?
Warum sich DEU vehement weigert aktiv gegen den IS-bedingten Teil der Flüchtlingskrise vorzugehen, ist dennoch nicht zu verstehen. Es sollte doch erstes Ziel sein, Bedrohungen zu bekämpfen und nicht den Folgen ein freundliches Gesicht zu zeigen. Oder fliegen unsere Jabos doch nicht mehr?
@ Klaus-Peter Kaikowsky | 16. September 2015 – 9:54
Sicherlich, wir machen viel, sogar sehr viel unter Einschluss der Flüchtlingsaufnahme. Allerdings, in und für Syrien machen wir gar nichts.
Ich komme zu einer anderen Bewertung.
1. Die Ausbildungshilfe in der Region wird nur in Deutschland schlecht bzw. klein geredet. Vor Ort und international hingegen nicht.
2. Ich bin kein Geheimdienst Experte, aber in Auswertung der öffentlich gewordenen Einsatzhistorie des BND in diesem Raum, die einige nennenswerte Erfolge kennt, kann ich mir kaum vorstellen, dass man die politische Haltung Deutschlands nicht auch auf jenen Strang ggü Israel vorbereitete.
3. Man wirkte diplomatisch mit (der französischen Presse nach gemeinsam mit FRA), dass a) sich Russland adäquat zu engagieren beginnt und b) das in den USA/UK und lokal auf kaum merkliche Kritik stößt.
Mit Punkt 3 hat das denn aber auch unsere Ebene verlassen. Alleinig die UNSR-Vetomächte sind nun am Zug, mal ganz realistisch deutsche Engagementräume auf den Boden zurück geholt.
Punkt 1-3 zeigt, dass sich Deutschland im Rahmen seiner Möglichkeit und Kompetenz engagiert. Den großen Plan vorzulegen, wie jetzt was weitergeht wird sich keine Vetomacht nehmen lassen, zumindest mMn.
Ich persönlich meine, dass die Türken zurück zur Aussöhnungspolitik mit den Kurden gezwungen gehören und die Kurden ihren Staat bekommen sollen und müssen -allein schon als stabiles Regulativ in der Region -> beides Aufgabe der USA, das konzeptionell vorzubereiten und auszuverhandeln.
Im übrigen schließe ich mich hier csThor | 16. September 2015 – 9:39 an.
@mwk
Doch und zwar sogar sehr. Weil all das Getue um die Luftangriffe nichts anderes als „Symbolpolitik mit anderen Mitteln“ und keine durchgeplante und auf ein Ziel hin ausgerichtete Militäraktion ist. Obendrein läßt sich die „Effektivität“ dieser Luftangriffe nur schwer bis gar nicht wirklich evaluieren. Und noch viel unheilvoller in dem Zusammenhang ist das Fehlen eines politischen Rahmenkonzeptes, zu dessen Herbeiführung die Militäraktionen einen Beitrag leisten würden.
Die syrische Zivilgesellschaft ist zerstört, sie existiert nicht mehr. Ähnlich wie in Afghanistan Anfang 2002 gibt es dort schlichtweg keine Basis, auf der nation building fußen könnte. Es gibt keine politischen Strömungen die von einer Mehrheit der Syrer getragen werden könnte und die eine wie auch immer aussehende Nachkriegsordnung gestalterisch angehen könnte. Das bischen moderate Opposition das es in Syrien mal gab, ist inzwischen zwischen Assads Truppen und den radikalen Islamisten zerrieben worden – jetzt prügelt sich der Teufel mit dem Beelzebub um die kärglichen Reste.
In Syrien sieht (augenscheinlich) niemand eine Perspektive für den syrischen Nachkriegsstaat, welche Funktion sollte also eine deutsche Beteiligung an den „Luftangriffchen“ haben außer „Symbolpolitik mit anderen Mitteln“?
@Sachlicher
An allen Argumenten ist was dran, außer Türkei-Kurden-eigener Staat.
Die Türkei eines Erdogan kann niemand zwingen, höchstens beeinflussen, und dies nur die USA.
Es wird – meine feste Überzeugung – niemals einen kurdischen Staat geben, Teilautonomie á la Irak, ja
Denn eigener Staat, auf wessen Territorium? Gebietsverzicht müssten leisten: die Türkei, der Iran, der Irak und Syrien glauben Sie ( und irgendeine realpolitisch denkende Regierung) ernsthaft daran?
Widmen wir uns dem halbwegs Machbaren, auch bei AG. Machtpolitische Phantasien kosten noch mehr kurdische und türkische Leben, schon seit 1917. Wer, gerade in deutscher Politik, diesen kurdischen Staat herbei redet, lenkt von eigenem Unwillen/Unfähigkeit/Nicht-wissen-wollen ab.
Bitte verschieben.
schlechtes Timing
@Sachlicher
Wir tun gar nichts für die Menschen in Syrien und wie viel wir für die Syrier in Deutschland tun können, werden wir noch sehen.
Wir haben Material an Kräfte der kurdischen autonomen Region im Norden des Irak geliefert und leisten dort Ausbildungsunterstützung.
Das Materialpaket war dabei wieder typisch BW Führung.
Die Kurden vor Ort könnten sicher gut den ein oder anderen Marder gebrauchen, der in Rockensußra auf seine Verschrottung wartet.
Die Feuerkraft einer 20 mm Kanone aus einem geschützten Fahrzeug heraus wird dann durch Milan und Panzerfaust 3 ersetzt.
Effektiv ist das nicht.
Auch leisten wir keine Hilfe für die Flüchtlingslager rund um das Krisengebiet.
Keine Hilfslieferung, kein Geld, nix.
Statt da anzusetzen, lädt Frau Merkel Millionen von Menschen ein, zu uns zu kommen.
Herr Schäuble fordert schon Einsparungen von allen Ministerien in einer Gesamthöhe von 500 Mio. Euro.
Wir wären gut beraten vor Ort aktiv zu werden, nicht nur weil es billiger ist.
Über Russland als Friedensbringer möchte ich mich jetzt nicht auslassen.
Zitat csThor :
„In Syrien sieht (augenscheinlich) niemand eine Perspektive für den syrischen Nachkriegsstaat, welche Funktion sollte also eine deutsche Beteiligung an den „Luftangriffchen“ haben außer „Symbolpolitik mit anderen Mitteln“?“
Und so sehe ich es auch !!! Bleibt noch die Frage zu beantworten welche Interessen Deutschland eigentlich genau dort haben sollte außer einem vorgeschobenen Gutmenschentum und Palaver von nachhaltiger Flüchtlingseindämmung !?!?
Dann kommt der nächste Strom eben von Boko Haram ;-)
@ SvD
Ihnen ist schon klar, daß die irakische Zentralregierung die Bewaffnung der Peshmerga nur toleriert und alles absegnen muß, was denen übergeben werden soll? Glauben Sie ernsthaft Baghdad knirscht ob der potentiellen Probleme in der Zukunft nicht schon bei den Milans mit den Zähnen? Schwere Waffen für die Kurden würde Baghdad ablehnen, allein schon um den Kurden nicht eine bessere Bewaffnung und taktische Mobilität für eventuell aufkommende Separationsbestrebungen zu verschaffen. Bitte etwas mehr Realismus …
@Klaus-Peter Kaikowsky „Sicherlich, wir machen viel, sogar sehr viel unter Einschluss der Flüchtlingsaufnahme. Allerdings, in und für Syrien machen wir gar nichts. “
Jeder junge Mann, den wir aufnehmen, ist einer weniger, der von einer der Bürgerkriegsparteien rekrutiert werden kann. Das wurde mir letztens bewußt, als ich in einer Frage-und-Antwort-Session eines jungen Flüchtlings die Begründung gelesen habe, warum er geflohen ist (seine Familie ist geblieben): Er wollte nicht im Bürgerkrig kämpfen.
BTW: Lesenswerter Dialog zu ISIS
Die deutsche Zurückhaltung ist hier so wohlbegründet wie das französische Vorgehen einem kurzatmigen Aktionismus gleicht. Die entscheidenden Argumente sind bereits genannt. Zwei davon haben besonderes Gewicht:
1. Jedes militärische Eingreifen erfordert einen schlüssigen Gesamtplan. Was ist das Ziel, was folgt nach der Zielerreichung, und was passiert, falls die Ziele nicht oder nur teilweise erreicht werden? Alle diese Fragen sind nicht oder nur mariginal beantwortet. Und das ist zu wenig, um ein militärisches Eingreifen in höchst brisanter und ungewisser Lage zu rechtfertigen. Also: Vorher müssen noch politische Hausaufgaben erledigt werden. Und zwar mit Hochdruck.
2. Auf welcher Rechtsgrundlage soll eigentlich der Einsatz in Syrien erfolgen? Eine Zustimmung der syrischen Regierung (anders als im Irak) liegt nicht vor, und ein Mandat des UNSR ist kaum erreichbar, ohne Russland und China einzubinden. Bleibt also noch, eine Begründung im Sinne von Responsibility to Protect zu zimmern. Das ist denkbar, aber in dieser Lage dennoch eine ziemlich labile Grundlage. Die Legalität des Einsatz von Streitkräften ist ein hohes Gut, dies auch mit Blick auf Folgewirkungen.
3. Jedes unilaterale Eingreifen, gleich von welcher Seite (dieser Hinweis ist auch an Russland gerichtet), torpediert eine gemeinsame Lösung, die letztlich im vitalen Interesse aller (außer dem IS) liegt. Jetzt haben wir vielleicht eine große Chance, auch Russland mit an den Tisch der Vernunft zu bekommen. Sie sollte nicht vergeben werden.
Aber eines ist auch klar: Das Argument, die Bundeswehr sei bereits zu sehr ausgelastet, zieht in keiner Weise. Das wäre ja auch ein Armutszeugnis.
@csThor
Im Gegensatz zu Handfeuerwaffen verschwindet ein Marder aber nicht einfach und taucht vielleicht Jahre später plötzlich bei der PKK wieder auf.
Die Masse von 20.000 Sturmgewehren, über 13 Millionen Schuss Munition, 20.000 Handgranaten usw. hat eine deutlich größere Dimension als ein paar Marder.
Im Übrigen haben die Kräfte der nordirakischen autonomen Region Kampfpanzer…
Der Marder wäre gegenüber vielen anderen gelieferten Dingen auch von Ersatzteilen abhängig und kann nicht beliebig lange ohne Nachschub weiter genutzt werden.
Genug Marder, die man ausschlachten könnte, haben wir ja und eigentlich soll doch nichts mehr verschrottet werden?!
Für gänzlich unrealistisch halte ich das nicht, ich glaube vielmehr das man nicht vor hatte größeres Gerät zu liefern. Militärisch sinnvoll ist das nicht.
@Ein Leser
Wir könnten natürlich auch Flüchtlingslager in der Region unterstützen, tun wir aber nicht.
Ich will mir lieber nicht vorstellen wie die Zustände in diesen Lagern sind.
@SvD
Dazu braucht es Gestaltungswillen, in Berlin. BReg hechelt aber noch auf der Re-Aktionsschiene. Druck muss noch wachsen, was er wird. Trotzdem, Großgerät mit dem bösen Namen …Panzer, nie!
Bei den Waffenlieferungen und der anderweitigen Unterstützung für die Kurden ist die irakische Zustimmung nur ein politischer Aspekt. Der schwerwiegendere Aspekt befindet sich am anderen Ende des Kurdengebietes, ist wie wir Mitglied der NATO und aus Sicht der Führungsnation der NATO strategisch sehr viel wichtiger als Deutschland. Daß die Bundesregierung gegen türkische Interessen und viel mehr noch gegen US-Interessen handelt sehe ich nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht als reale politische Option an.
Also bleibt es wohl weiterhin bei Kleinmaterial, das für unsere Verbündeten akzeptabel erscheint.
@ SvD
Mag logistisch richtig sein, aber trotzdem stellt so ein Marder eine andere Stufe der Bewaffnung dar als ein Haufen Sturmgewehre. Nochmal: Die irakische Zentralregierung toleriert die Waffenlieferungen, aber wer glaubt diese würde schwere Waffen an eine von dieser Zentralregierung unabhängige Gruppierung liefern lassen der irrt sich. Nicht nur als Symbol, sondern v.a. bei der offensichtlichen Labilität der irakischen Armee. Die Peshmerga waren querschnittlich vor Beginn der internationalen Lieferungen relativ schlecht ausgestattet, neben der reinen Notwendigkeit bzw dem Fehlen von Einfluß wohl der Hauptgrund warum Baghdad diese nicht so sehr als Bedrohung für den staatlichen Zusammenhalt des Iraks wahrnimmt. Je moderner die Peshmerga aber ausgestattet sind desto eher dürften diese aber als Gefahr vom irakischen Staat wahrgenommen werden … und wenns nur als Gefahr für die möglichen Revenues aus dem Ölgeschäft ist.
@Klaus-Peter Kaikowsky
Plan B wäre Turm raus und eine Waffenstation drauf, nennt man dann APC ;-)
Halt auf Kette.
So ein Battletaxi für den Häuserkampf wäre auch ganz nützlich.
@csThor
Wir bilden die Kurden aber auch im Kampf aus. Dieses Wissen kann man weiter geben und auch gegen andere „anwenden“.
Die Kleinwaffen gelangen auch zur PKK, was sich kaum vermeiden lässt, wenn man gemeinsam Kämpf.
20, 30 Marder wären keine Größe mit der die Kurden ihre autonome Region verteidigen könnten. Damit könnte man aber sehr wohl dabei helfen die ein oder andere Stadt zurück zu erobern.
Allerdings muss ich eingestehen, es dreht sich bei der Frage mehr um Politik als um rationales Handeln, von daher ist das müßig weiter darüber zu diskutieren.
Interessant, dass hier das Vorgehen unserer Partner überwiegend als unüberlegt, sinnlos oder gar kontraproduktiv betrachtet wird. Der IS ist nicht nur in Syrien aktiv. Btw: die Verhinderung von Flüchtlingsströmen, als nicht im deutschen Interesse zu betrachten, oder gar als Gutmenschentum zu bezeichnen, ist unbegreiflich.
@ Klaus-Peter Kaikowsky | 16. September 2015 – 10:51
Der kurdische Staat ist eine realpolitische Prämisse und keineswegs eine „Machtphantasie“.
1. Sind die autonomen Gebiete im Norden des Iraks de facto eigenständig. Und wenn es den Irakischen und Syrischen Streitkräften nicht gelingt die ISIS zu werfen, dann verliert man eben ein Stück Land, welches man schon seit mindestens ein, zwei Dekaden nicht mehr kontrolliert. Man ist in Bagdad wie Damaskus Realist genug, dass dies eine denk- und machbare Alternative ist. Übrigens haben beide mangels eigenen Möglichkeiten ihre Reinigungsdienstleistungen vergeben: Damaskus an Russland und Bagdad an die USA, war wohl eine freihändige Vergabe, begründet mit besonderer Dringlichkeit, im Weiteren: csThor | 16. September 2015 – 10:47
Und Iranische wie Türkische Gebiete standen und stehen nie zur Debatte in diesem Kontext.
2. Wie real das gedacht wird auch aus türkischer Sicht, kann man daran bemessen, dass Erdogan niemand geringeres als die PKK ausbuddeln musste, um seine eigenen Hegemonialphantasien doch noch mal befeuern zu können.
Ganz unsachlich: Erdogan hat sich zum Beelzebub ins Bett gelegt und wird dafür wie jeder, der das tat, bezahlen.
Zunächst bekommt er jetzt erstmal eine Quittung in kyrillisch aus Syrien.
3. Ich habe kein persönliches Interesse daran, ob die Kurden in einem autonomen Gebiet oder eigenem Staat leben. Ich meine aber, dass man sie in der Frage, wie alle anderen Anrainer natürlich auch nicht, nicht nochmal übergehen sollte und setze hier auf Verhandlungen auf Augenhöhe aller in dieser Frage Betroffener.
Ich bin Realist genug, um zu verstehen, dass die USA die Sachakte „Kurdenstaat“ eiskalt und verzugslos schließt, wenn es ihr nutzt. Nur soll sie dann bitte wenigstens diesmal eine Antwort darauf finden, wer dann das Fehl an Staatlichkeit in der benannten Region ausfüllt. Die Türkei wird das nicht sein.
Wir werden sehen welche Optionen dem UNSR zur Entscheidung ausgereicht werden.
@ SvD | 16. September 2015 – 11:04
Danke für Ihre Antwort. Ich teile nicht eine einzige Aussage von Ihnen und die Forderung des Wiederinverkehrbringens von zur Verschrottung vorgesehenen bzw bereits demilitarisierten Rüstungsgutes ist, Entschuldigung für die Deutlichkeit, bestenfalls naiv, keinesfalls aber rational.
Das macht aber alles gar nichts, denn Ihre Meinung ist nicht nur genauso berechtigt wie meine, sondern es schadet mir auch nicht Ihre Gegenrede zur Kenntnis zu nehmen.
Der Kurdenstaat ist keine realpolitische Prämisse, solange die Türkei nicht einlenkt – was sie unter Berücksichtigung der bisherigen Haltung der türkischen Regierungen und der aktuellen Politik Erdogans nicht wird.
Die Türkei hat die nötigen militärischen Mittel und keine Skrupel, sie im Interesse ihrer Machtpolitik gegen die Nachbarstaaten einzusetzen. Es ist ein wenig bekannter Fakt, daß die Türkei nach den USA die größte Armee der NATO besitzt. Allein 354 Leopard-2 Panzer, also mehr, als die Bundeswehr hat oder nach Umsetzung der derzeitigen Aufstockungspläne haben wird. Dazu knapp 400 Leo-1, rund 900 M60 und auch noch eine kleine Anzahl M48er.
Türkischerseits gab es bisher keine Bedenken, nach Saddams Fall mehrfach in den Nordirak einzumarschieren, um PKK-Aufstände niederzuschlagen, und auf syrischem Boden war man dieses Jahr auch schon mit Bodentruppen aktiv. Solange die Türkei ihr Veto einlegen will, würde ein kurdischer Staat wenig Bestand haben.
@ mwk
Ohne ein Gesamtkonzept oder auch nur eine Zielvorstellung – und beides existiert nicht – ist das PGM-Geschmeisse in der Tat planlos und ist reinste Beschäftigungstherapie nach dem Motto „Ich tu was, damit man mir nicht Nichtstun vorwerfen kann“. Clausewitz‘ Dictum, nachdem militärische Gewalt eben die Fortsetzung (= Mittel) der Politik „mit anderen Mitteln“ ist, ist auch gleichzeitig eine subtile Forderung dem Einsatz dieser ultimativen Form der Staatsräson auch ein politisches Konzept voranzustellen. Erkennen Sie das irgendwo?
Außerdem was bitte soll die Bundeswehr hier bitte noch leisten, was von den bereits aktiven Nationen nicht selber bereits gestellt wird? Ein deutscher „Beitrag“ wäre genau die Art von „Symbolpolitik mit anderen Mitteln“ die weder zielgerichtet noch förderlich ist. Man könnte sehr viel effizienter und simpler den Flüchtlingsstrom in der Region halten, indem man den dort arbeitenden Hilfsorganisationen ausreichend Mittel und Unterstützung zur Verfügung stellt, so daß die aus Syrien flüchtenden Menschen gar nicht erst gedrängt/angeregt werden nach Europa zu gehen. Dazu muß man sich nicht an dieser Alibiveranstaltung „Bombs on ISIS“ beteiligen …
@csthor
Was die Unterhaltung von Lager/ Camps bettifft, bin ich gleicher Meinung.
Das Problem hierbei wäre die Bereitstellung nötigen Personals, wenn es nicht dort rekrutiert werden kann. Frankreich hat hier ja auch Gesprächsbereitschaft gezeigt. (“ keine Bodentruppen, aber… „)
Dennoch könnte die Bundeswehr hier in eine Planung einbezogen werden …..
BTW: Australien fordert mehr Beteiligung Islamic State: Julie Bishop urges more European nations to bomb
Die NZZ beleuchtet einen bislang wenig beachteten Aspekt der russischen „Unterstützungspolitik“ für Assad:
http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/was-will-moskau-in-syrien-1.18613876
„Indem es die russische Hilfe ins Rampenlicht stellt, versucht das syrische Regime auch ein Gleichgewicht zum starken iranischen Einfluss herzustellen. Glaubt man libanesischen Medienberichten, haben die Abhängigkeit von Teheran und das Gewicht iranischer Militärberater in der Armee und in der Regierungspartei Unwillen und Proteste ausgelöst. Für die regierende Baath- Partei, die einen säkularen Nationalismus vertritt, sind die Russen seit Sowjetzeiten die natürlichen Verbündeten. Die Abhängigkeit von einem religiösen, nichtarabischen Regime wie dem iranischen hingegen erzeugt einigen Widerwillen.“
Es dürfte auch in israelischen Interesse sein, dass der Einfluß des Iran in Damaskus nicht zu übermächtig wird…..ebenso in Kairo.
@ csThor | 16. September 2015 – 14:00
Ich schließe mich an. Es bleibt, siehe klabautermann | 16. September 2015 – 16:36 Artikel, ein Tanz auf dem aufgepflanzten Bajonett.
Putin bietet laut Kerry Gespräche zu Syrien auf militärischer Ebene an. Obama offensichtlich nicht abgeneigt, da z.B. die USA nach eigenen Angaben max 5(!) Kämpfer gegen Daesh aktivieren konnten. https://www.washingtonpost.com/news/checkpoint/wp/2015/09/16/only-4-to-5-american-trained-syrians-fighting-against-the-islamic-state/
There are only four or five American-trained Syrian rebels currently fighting against the Islamic State, the top general leading the effort to build a force to counter the militant group in Syria said Wednesday. …“
Wird dann ja auch irgendwann schwierig Kämpfer gegen Daesh zu finden wenn sich hunderttausende junge syrische Männer im besten Alter auf den Weg nach Europa machen oder schon gemacht haben.
@ Klabautermann: Waren sie Scharfschütze? 2ter Volltreffer.
Denn die Antwort auf die Frage mit oder ohne Assad beantwortet schlussendlich auch die Frage nach dem Nation Building in Syrien. Wenn es Assad verwischt, kann es gut sein, dass die sozialen Eliten (Traditionsreiche Händlerfamilien, Adel) ins Exil gehen oder gar getötet werden. Um auf ihren Beitrag mit den „in den Untergrund gehenden Eliten“ hinzuweisen – 1ter Volltreffer – Damaskus ist voll damit.
Ich habe bereits auf die „Ehrengarde“ sunnitischer Namen im Forum hingewiesen. Peter Scholl Latour war sehr bewandert darin, derartige Zusammenhänge zu erkennen, wie er auch im Irak im Zuge seines letzten Buches bewiesen hat. Ich erinnere mich, wie Marcel Pot auch auf einen kolonialen Intelligenziakill seitens der Kolonialmächte unter einer britischen Agentin hingewiesen hat.
Er wäre sicherlich eine wertvolle Ressource, sollten wir uns entscheiden, uns an gemeinsamen Planungen mit Frankreich zu beteiligen. In dem einen Punkt muss ich den Russen beipflichten, und die kennen sich in Syrien/Damaskus aus. Wir nicht (mehr).
Daher @ csThor +1 Der Teufelsvergleich steht, dennoch ist Assad „the devil we know“. Was KaLeBe’s Argumentation in den Mittelpunkt rückt unter der Überschrift „politische Hausaufgaben“.
1.) In meinen Augen wird eine praktische „Bedeutung“ von Flüchtlingen hier wenig angesprochen: Rekrutierung und zuverlässiges Personal. Ich erinnere mich auch, dass der Begriff „Fremdenlegion“ bei unserem Foreign Fighter Thread bereits gefallen ist. Frankreich hätte hier auch die nötige Erfahrung und rechtlichen Grundlagen.
2.) Was mir an FvdL gerade sehr gefällt, ist dass dort offensichtlich nach bester Tugend gründlich beraten wird und v.A professionelle Zurückhaltung geübt wird. Die Ruhe vor dem Sturm in NY? Ich will keine schnell enttäuschbaren Erwartungen aufbauen, dennoch, die hat das inhaltlich im Griff, und auch mal Ökonomie studiert. SCNR
3.) In dem Zusammenhang ist also „Aktionismus“ der Vorläufer einer der beiden Imposter, such Triumph and Disaser, we should deal with each the same way. Um es nach Rudyard Kipling zu sagen. I.d.S R2P oder Koalition der Willigen, würde doch letztendlich nur das Schreckenskarusell neu anstoßen, das wir seit GWII haben. Und wenn ich es richtig verstanden habe, so haben sich alte Saddam Eliten mit Al-Qaida verheiratet, was wir im Ergebnis als DAESH bezeichnen.
Daher nochmal csThor +1: Intelligenciakill ist Clausewitz, also schmeißen wir den jetzt auch in die Tonne der flawed conceptual blueprints. Und in vielerlei Hinsicht möchte ich mich @Sachlicher anschließen. Andererseits argumentiert @Klaus-Peter Kaikowsky als Realist und im Sinne des Bündnisses.
Zur Kurdenfrage: Verhandlungstheorie: Ergebnisse, dann wenn beide Seiten „niedergekämpft“ sind… never… Dempsey hat Erdogan den Wink mit dem Zaunpfahl bereits gegeben… alle Parteien sind entweder zivil-politisch oder Stadt-Guerilla. Es gibt keine militärische Lösung, und zu der Erkenntnis kann gezwungen werden.
Ich habe damals schon in meinem „Brand-Beitrag“ geschrieben „1938“ und nicht wie man hätte etwa meinen können „1933“. Erdogan würde, bei einer nachhaltig militärischen Lösung, gegeben der Tatsache, dass die kurdischen Erwartungen wohl die „freudigsten“ auf Frieden sind seit der Abspaltung von Persien zu biblischen Zeiten, entsprechende Mittel in Erwägung ziehen müssen. Die Lösung heist Autonomie ala Irak bei türkischer Schutzmacht/Souveränität/Föderalität bis auf Iran.
Ob wir dabei die Kurden erst noch eine weitere Runde in Assads Hände treiben, oder nicht, …? Und ich meine das Szenario wäre doch ein Deal?
Achso: Assad interview auf Englisch und das arabische … wenn man dann beide zu Deutsch nebeneinander legte: Das ist Putin der da Spricht, an die Adresse EU/USA.
csThor | 16. September 2015 – 10:47
Im gesamten „Greater Middle East“ gibt es ohnehin keine Zivilgesellschaft, die den Namen verdient hat, nicht von westlicher finanzieller Unterstützung abhängig ist (was sie wiederum delegitimiert), nennenswerten Einfluß hat und nicht, wie so oft, im Zuge manipulierte Wahlen kooptiert wird.
Problematischerweise wird das Konzept der Zivilgesellschaft und ihre Rolle im State und Nation Building durch Politik, Medien und Wissenschaft in vollkommener Realitätsferne gehypt.
Russland hat sein Hilfe für Assad merklich erhöht, nachdem der Höchste Militär Irans mit Putin gesprochen hatte. Russlands Hilfe dürfte daher mit den Iran abgesprochen sein. Diese Hilfe dürfte sich mehr auf Material und die Ausbildung am Material begrenzen, während die Iraner Kämpfer und deren Ausbildung Organisieren. Ergo mehr Ergänzung als Konkurrenz.
Assads Armee soll auch in ernsten Schwierigkeiten stecken. Wohl mehr eine Rettung aus höchster Not.
@Samir Awwad
Der Absatz läßt sich auch mit Wirtschaft statt Militär und Deutschland statt Frankreich schreiben.
Wir wären gut beraten, ein großes Wirtschafts- und Bildungsförderprogramm (junge Leute brauchen Bildungsperspektiven) für die Region aufzulegen:
– Um Länder zu stabilisieren (man denke nur mal an Libanon und Jordanien).
– Um Flüchtlingen eine Perspektive zum Bleiben zu geben
– Um diplomatische Bemühungen zu flankieren und um Solidarität zu zeigen.
– Um Gegner und Konkurrenten an einen Tisch zu bringen (wenn’s um Wirtschaft geht, werden Menschen oft sehr pragmatisch und flexibel).
– Um Aufbruchstimmung zu erzeugen
Die natürliche Rolle Deutschlands ist die eines Vermittlers.
– Deutschland hat gute Beziehungen beidermaßen zu USA und Russland; auch zum Iran.
– Deutschland ist in der Region gut vernetzt und hat einen Ruf als ehrlicher Makler mit begrenzten eigenen Interessen (Hauptinteresse: Mit _allen_ Handel treiben können) und begrenzten Machtprojektionsambitionen.
– Deutschland ist dabei, eine größere Zahl syrischer Flüchtlinge aufzunehmen.
Ich gehe mal davon aus, dass man das im Ausland auch sieht und die Bundesregierung auch entsprechende Signale erhält, dass man gut damit leben kann, wenn Deutschland Zurückhaltung wahrt, weil man Deutschland vielleicht noch (oder auch derzeit schon) als Vermittler braucht.
Ein Leser | 17. September 2015 – 11:13
Theoretisch keine schlechte Idee, in der Praxis des Greater Middle East sieht das aber ganz anders aus: Eine große Anzahl (vergleichsweise) gut ausgebildeter junger Leute mit großen Erwartungen, die nicht erfüllt wurden, haben den Arabischen Frühling wesentlich mitverursacht.
Die Privatwirtschaft in der Region ist komplett unterentwickelt, während der öffentliche Sektor bereits komplett überdimensioniert ist und die Privatwirtschaft verdrängt und behindert. Wirtschaftsreformen wären eine Idee, aber der Gegensatz zwischen formellen Gesetzen (Anti-Korruption, Anti-Kartell, Leistungsgedanke usw.) und informellen Werten (breite Akzeptanz von Korruption, informelle Monopole und Kartelle, Patronagenetzwerke usw.) zugunsten des Regimes verhindern das. Auf dem Papier bestehen diese Gesetze meistens schon…
Zudem besteht die „gute Ausbildung“ oft nur auf dem Papier, die Arbeitsethik stellt ein weiteres Problem, die Produktivität gering und die Gehaltsvorstellungen überzogen.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/islamischer-staat-usa-haben-nur-noch-eine-handvoll-syrischer-kaempfer-a-1053355.html
Das Pentagon kommt immer mehr unter politischen Druck in Sachen Strategie gegen IS.
Sowohl der „Erfolg“ des Ausbildungsprogrammes als auch der (geschönte?) „Erfolg“ der Bombenkampagne in Irak/Syrien wird im Senat sehr kritisch gesehen. Und nun kommt auch noch Kerry und schiebt dem Pentagon den „Schwarzen Peter“ einer militärischen Zusammenarbeit mit den Russen beim Kampf gegen den IS zu…….Zwickmühlenpoker in Washington ?
@Ein Leser / BotG
Auch wenn die Gesamtsituation sehr Enttäuschend ist, möchte ich darauf hinweisen, dass es mit Bezug auf Irak/Syrien doch noch den ein oder anderen Lichtblick gibt. Syrien produzierte vor dem Krieg noch Autos. Ein entsprechendes Ausbildungs- und Wirtschaftsförderungsprogramm könnte sicherlich zu einer nachhaltigen Stabilisierung beitragen. Man denke an einen Marshallplan in Verbindung mit Ausbildung der Jugend in Europa, bis die Sicherheitslage entsprechende Maßnahmen zulässt.
Die Behauptung, es gäbe keine Zivilgesellschaft, ist linde gesagt, hart an der Grenze. Literatur die im Umfeld des CFR zur Region und im spezifischen auch der jüngeren Geschichte auch der Muslimbruderschaft veröffentlicht wurde, zeigt deutlich, dass etwaige religiöse Versteifungen auch Ausdruck der Revolte gegen sich säkular schmückende Regime sind. Diese Milieugrenzen hatte das Ägyptische Eliten erkannt und Präsident Mursi abgesetzt, als sie erkannt haben dass er a) zunehmend auf Konservative abzielte und b) damit begann Außenpolitik zur Ablenkung von Innenpolitischem einzusetzen. Gerade die Tahrir Proteste haben gezeigt, dass Zivilgesellschaft existiert. Was fehlt, ist langfristiges Denken und Planung, undazu braucht man Bildung und Hoffnung.
Es geht also wie immer um Macht, und nur Aufbruchsstimmung, bzw. Wirtschaftswachstum wird langfristige Stabilität bringen. Ich denke @Klaus-Peter Kaikowsky hat hier bereits Grundlegendes beigetragen. Wir sollten nicht Afghanistan mit Syrien mit Ägypten vergleichen. Wenn ein derartiger „Marshall Plan“, den übrigens Baroness Ashton vor langem schon gefordert hat, greifen soll.
Dennoch, die Forderungen die Herr BotG an die entwicklungstheoretischen Aspekte der betroffenen Ökonomien stellt sind m.E weit gegriffen. Die bisweilen auf neo-konservativen Modellen beruhenden Ansätze, die er subsumiert, haben selten zu Ergebnissen geführt. Strukturalistische Vorgehensweisen werden hingegen aufgrund mangelnder Begründbarkeit / Modellkonsistenz von der wissenschaftlichen Gemeinschaft abgelehnt. Gerade im Bereich der Kritik an strukturalistischen Argumenten, ist mein Skript für Entwicklungstheorie einst an die Wand geflogen und ich habe es nie wieder angefasst. Auch Ansätze aus der neueren politischen Ökonomie, die Unterstützung finden, sind von Interessen gefärbt und beleidigen bisweilen die menschliche Intelligenz.
Die Ökonomie ist gut um Mechanismen zu verstehen, aber nicht um Politische Ökonomie oder gar Ordnungspolitik zu gestalten. Denn was bleibt: Neo-Konservativ führt zu Umverteilung von Arm nach Reich und dann zur Zersetzung, Keynesianisch zu einem Fass ohne Boden und dann zur Zersetzung und Strukturalismus wird mit fadenscheinigen theoretischen Begründungen ab gewatscht.
Exkurs: Obwohl gerade ISRAEL als einziger Staat im Nahen Osten seine vorzeigbare Gesamt-Infrastruktur strukturalistischer Wirtschaftspolitik verdankt. Volkswagen und Evonik sind auch ein Erbe strukturalistischen Vorgehens. Aber leider würde Strukturalismus auch zeitweise Marktabschottung bedeuten, was unsere westlichen und auch chinesische Wirtschaftsinteressen konterkarierte.
FvdL hat das wohl auch gemerkt, Ökonomie abgebrochen und Medizin studiert, was auch ein „strukturalistisches“ Vorgehen birgt. / SCNR
Daher @ Ein Leser, ihr Vorschlag, vor allem im Tandem mit „französischen“ Fähigkeiten ist „sexy“. Im rahmen eines derartigen Konzepts bestünde auch die Möglichkeit, nachhaltige Ursachenbekämpfung der drohenden Völkerwanderung mit der Erschließung neuer Exportmärkte sowie Beachtung bestimmter „völkischer Bestandsängste“ auch in Deutschland zu verbinden. Hierzu wäre es aber notwendig, dass die Kräfte aus der SiPo, die damals eine Schließung der Entwicklungshilfeministeriums verhindert haben, dieses nun gestaltend Begleiten und unsere „Gesellschaft für Tourismus und Zirkus“ in Format bringen. Deren Auftreten in Syrien war auch nicht immer, üh, ich erkenne auch hier ein Delta. /SCNR
Rundum wäre, in der momentanen Lage, um es überspitzt auszudrücken, mit einer potentielle Bewerbung bei der Legion einer Abhilfe bei der Flüchtlingskriese mit levantischen Ursprung mehr gedient, als Entwicklungshilfe verfrüht zu starten. Aber es stimmt, die Konzepte könnte Deutschland beitragen, und so die Erfahrungen aus dem Marshallplan weitervererben, ganz im Sinne unserer außenpolitischen Tradition und der mit Nachdruck übermittelten Forderung seitens der Amerikaner, endlich mehr zu tun:
– Damit hätten wir dann auch Gewicht und Mitspracherecht an den Tischen der Macht. (s. evtl. einen ständigen Sitz in UNSR und unseren Projektionsinteressen) / SCNR
– Mit Verlaub, Kontakte haben wir und das Geld Ruhe zu kaufen auch. Vergessen sie aber bitte nicht die praktischen Folgen der historischen Schuld Deutschlands. In der Region hält man uns meiner Erfahrungswelt entsprechend, eher für „Emissäre“ nicht etwa „gerechte Makler“. Entsprechende Einlassungen s.O. vom Kollegen.
– Ich will jetzt nicht einen indirekten Zusammenhang um einen Berühmten Politiker aus Bayern und die mittelbare Verbindung zur Bewaffnung von christlichen Milizen und Massakern in Flüchtlingslagern im Libanon breitwalzen. Von rumliegenden Giftgaskartuschen „Made in Germany“ ganz zu schweigen. Auch die Hilfe an Barzanis Kurden hat „Geschichte“
Also sind wir bitte realistisch in der Selbswahrnehmung bei der Erstellung des „Business Plans“.
NZZ „meldet:“:
„Russland schliesst eine Beteiligung an den Kämpfen in Syrien mit Bodentruppen nicht aus. Sollte die Bitte auf Entsendung von Truppen aus Syrien kommen, werde dies erwogen, sagte der Sprecher der russischen Regierung, Dmitri Peskow, am Freitag in Moskau. «Gegenwärtig ist es aber schwer, hypothetisch zu sprechen», ergänzte er.“
Hm, das wäre dann aus US-Sicht der GAU. Putin erhöht also den Druck auf Washington.
@Klabautermann: Lassen Sie das bitte, ich lag hier gerade mit Schnapp-Atmung und konnte vor Lachen kaum die virtuellen Tasten treffen. I.d.S Spiele ich mit dem Gedanken, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch meine Familie vor drei Generationen in den Untergrund ging, und ich immer noch diesen Namen trage, mal für 5 Minuten die syrische Staatsbürgerschaft (s. Doppelpass) anzunehmen. Nur um einfach mal auf diese DOSE zu schießen, und zu gucken, was für Ravioli da drin sind.
@all
Gibt einen neuen Thread zu Syrien (ggf. zu erweitern um ISIS und Irak).
@Samir Awwad: Das ägyptische Regime hat sich nicht säkular, sondern ganz im Gegenteil islamisch geschmückt, um seine schwächelnde Legitimität zu stärken. Bereits Sadat stärkte die Muslimbruderschaft, um sie gegen seine kommunistischen Kritiker einzusetzen, änderte die Verfassung, sodass alle Gesetze auf der Scharia (welcher Interpretation auch immer) basieren mussten, und nutzte islamische Symbolik im Alltag. Unter Mubarak nahm das nochmal zu und die gleiche Entwicklung fand auch in Syrien statt. Allerdings wurde in beiden Fällen das Gegenteil erreicht: Während beide Regime ihre Legitimität kurzfristig stärken konnten, verankerten diese Maßnahmen mittelfristig islamistisches Gedankengut in der Gesellschaft und stärkten islamistische Bewegungen, die wiederum die Regime wegen ihres unislamischen Verhaltens (Korruption usw.) angreifen konnten.
Zu den Tahrir-Protesten: An diesen Protesten beteiligte sich eine Vielzahl von Gruppierungen mit unterschiedlichsten Interessen, die nur durch die gemeinsame Ablehnung der Herrschaft Mubaraks geeinigt wurden. Bei diesen Protesten entstand aufgrund der selektiven Auswahl der Interviewten der Eindruck, als würden die liberalen und säkularen Kräfte, inkl. der Zivilgesellschaft, die Mehrheit bilden. Wie die darauffolgenden Wahlen gezeigt haben, ist deren Einfluss jedoch verschwindend, während der Stimmenanteil der religiösen Kräfte (Muslimbrüder und Salafisten) zum einen zeigte, wie dominant islamistische Ideen in der Gesellschaft sind, und zum anderen, wie wenig anderen politischen Kräften eine Lösung der Probleme zugetraut wird.
Zu der Forderung nach Demokratie, die auch immer wieder auf dem Tahrir-Platz laut wurde, ist die Definition von Demokratie der ägyptischen Bevölkerung ganz hilfreich:
Quelle: http://foreignpolicy.com/2011/09/20/what-egyptians-mean-by-democracy/
Meine wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Analysen werden nicht durch neokonservativen (neoliberale?) oder strukturalistischen Gedankenansätze, sondern durch institutionenökonomische Ansätze getragen – Acemoglu, Robinson und North lassen grüßen, was formelle und informelle Institutionen angeht. Und das „Iron Law of Oligarchy“ auch ;)
Was Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsreformen im Nahen Osten angeht, kann ich nur das „Structural reform, economic order and development: patrimonial capitalism“ von Oliver Schlumberger empfehlen, das einen hervorragenden Überblick gibt.
Und da Sie mit dem Hinweis auf Volkswagen, Evonik und die israelische Wirtschaftskraft offenbar eine Importsubstituierende Industrialisierungsstrategie (ISI) vorschlagen:
Die ISI-Strategie funktioniert nur, wenn die wirtschaftliche und politische Elite tatsächlich das Ziel hat, eine funktionierende Industrie auf- und die entsprechenden protektionistischen Maßnahmen dann wieder abzubauen – was in nur wenigen Fällen, insb. den ostasiatischen Tigerstaaten, der Fall war. Und in diesen Fällen war es eine stark exportorientierte Industrialisierung.
In der überwiegenden Mehrheit, insb. im Nahen Osten, Afrika und Südamerika, wurde die einheimische industrielle Basis nur marginal erweitert, stattdessen schöpften die Eliten die entstehenden Renten ab und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen schafften Einreize zur ineffizienten Allokation von knappen Ressourcen, verhinderten Wettbewerb und damit Innovation, förderten Korruption und führten schließlich zu Stagnation.
Die Folge waren massive Staatsverschuldung und letztendlich die „Lost Decade“ der 1980er Jahre, als fast alle Entwicklungsländer Strukturanpassungsprogramme durchführen mussten, d.h. Deregulierung der Wirtschaft, Privatisierung von (zumeist extrem ineffizienten) Staatsbetrieben und Liberalisierung des Außenhandels. Israel musste das 1985 übrigens auch machen, deshalb gibt es auch den New Israeli Shekel ;)
@Boots on the Ground: Wir reden die gleiche Sprache, und ja, mir schwebte ISI vor nach den Prinzipien der Neuen Institutionen Ökonomik. Und ich bin immer noch der Überzeugung, dass es dort keine Lost Decade gab. Die Reformen mussten sich setzen und ein neuer Lebensstil implementiert werden, das galt auch für die restlichen post-sowjetischen Staaten. Dann war der Punkt (und der Druck auf den linken Flügel) gekommen, die Ökonomie zu öffnen. Daher warnt Livni auch vor den Auswirkungen der BDS-Kampagnen, des friedlichen palästinensischen Wiederstandes, und der Versuch wird unternommen, Sanktionierung über TTIP zu unterbinden. ;)
„Neo Konservativ“ war ein freudscher Versprecher, da ich eine entsprechende Antwort erwartet hatte. Francis Fukuyma zeigt ein Modell auf, in welchem er ökonomischen Fortschritt mit Demokratisierung in Korrelation setzt (wechselseitige Schübe). Meine Kritik an Erdogan fußte ja eben darauf, also der Befürchtung, dass er eben diese bisher positive (wertend) Entwicklung der türkischen Wirtschaft mit seiner aktuellen Politik verkehrt.
Eben an Fukuymas Modell mache ich auch meine Kritik an ihrer Forderung fest, die nicht inhaltlich sondern eher auf timing abgestellt ist. Um es bei gegebener Kürze zusammenzufassen: Die Institutionen gibt es in Syrien nicht mehr um eine Coassche Betrachtung anzusetzen – wir haben hobbesschen Urzustand. Strukturalismus sehe ich daher auch als Primat aller Bemühungen, so etwas wie eine diversifizierte politische Ökoomie in Gang zu bekommen, also auch in Fragen des primären und ansatzweise sekundären Sektors. (Sie kennen die IMF-Kritiken).
Oder anders gesagt in Ihren Worten, der Versuch in Kairo wird solange scheitern, bis es ein modernes Parteiensystem gibt. Die Tatsache, dass Menschen ihre Systemwahl mit Hoffnungen ökonomischer Natur verbinden, ist normal, und keine Kritik an der Demokratiefähigkeit ( kam so rüber )
Sonst hätte auch Frankreich nie mit den „kindlichen Feldversuchen“ politischer Beteiligung und ökonomischen Fortschritts vor etlichen Jahrhunderten angefangen. Problem und Segen der Revolution heute zugleich … Globalisierung: Wie kriegen wir die Ökonomien geoökonomisch-intellektuell so in den Griff, dass man einen praktikablen (!) Plan überhaupt guten Gewissens vorschlagen kann? Elfenbeinturm lässt grüßen.
Wir wissen, dass das UN-Mandat einen verdammt langen Atem braucht. Wer könnte den haben? Mittelmeerunion, Desertec … Club of Rome. Wer? Die Franzosen wissen es, nur verstehen wir Deutschen es auch? Und bevor wir da Nägel mit Köpfen für den Hammer in der Hand machen können, schlagen wir die noch mit dem Gewehrkolben rein. Jack Hiershleifer – A nobel price unbestowed!
H. Kissinger: World Order
F. Fukuyma: The Rise and Fall of Nations I+II
Und danke für die Literatur, der Namen entsinne ich mich noch…
P.S: Eliten… Bankkonto in der Schweiz, zu Hause Fähnchen in den Wind … Die Islamisten gab es schon immer, auch in Baghdad unter den Reformerkalifen des Mittelalters. Die lernen den Koran auswendig, egal, ob konservativ oder liberal. Das ist das bestehende Schema F und das Grundgerüst auf das die Menschen zurückfallen. Hatte lange genug „Boots on the Ground“ ;)
Gehen wir rüber zum anderen Forum … da wird’s spannend :) Ohne einen levantischen Gesamtstaat on Gaza bis Diyarbakir aufzumalen! SCNR
Warum IS-Kämpfer das „Kalifat“ verlassen,
1. Der IS kämpft stärker gegen sunnitische Muslime aus den eigenen Reihen als gegen das Assad-Regime.
2. Der IS ist an Brutalitäten und Gräueltaten gegen sunnitische Muslime beteiligt.
3. Der IS ist korrupt und verhält sich nicht nach islamischen Grundsätzen.
4. Das Leben unter der IS-Herrschaft ist hart und enttäuschend
Ergebnis einer Studie des „Centre for the Study of Radicalization and Political Violence (ICSR) am Londoner King’s College“, veröffentlicht in Die Welt.
(Befragung von 58 Deserteuren aus 17 Ländern.)
@Klaus-Peter Kaikowsky: Dann muss man die Frage wohl stellen.
Wahabitismus ist es wohl eher weniger. Meine ersten beiden Assoziationen zur Konsultation sind a) Max Weber und b) Paris 1910.
Europa hat die Aufklärung, allgemein initiiert. Durch die erziehungspädagogischen Ansätze, die halfen, auch das eigene Schema F zu überwinden!
@Samir Awwad
Hamed Abdel-Samad zeigt den Weg für Muslime, sich im Westen wohlfühlen könnten.