Kommission, Beauftragte, Arbeitsgruppen: Ein Blick in den G36-Dschungel
Seit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Ende März ihr Urteil zum Sturmgewehr G36 abgab (Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen, aber auch im heißgeschossenen Zustand) beschäftigt sich nicht nur die Öffentlichkeit, sondern natürlich vor allem das Ministerium selbst auf verschiedenen Ebenen mit dieser Standardwaffe der Bundeswehr und den Folgen, die diese Erkenntnis hat. Diverse Beauftragte, Kommissionen und Arbeitsgruppen untersuchen Geschichte, Auswirkungen und die Forderungen an die künftige Ausrüstung der Bundeswehr mit einem Sturmgewehr.
Da blickt kaum noch einer durch – deshalb der Versuch einer Übersicht, die vermutlich auch nicht so ganz vollständig ist. Wer kümmert sich jetzt um was, und bis wann?
• Die Arbeitsgruppe G36 in Nutzung
ist der Kreis von Experten, der von Mitte 2014 bis zum März dieses Jahres das Treffverhalten des Gewehrs untersuchte und den Bericht erstellte, der zum Urteil der Verteidigungsministerin führte. Beteiligt an dieser Untersuchung waren unter Federführung des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) die Wehrtechnische Dienststelle (WTD) 91 in Meppen im Emsland, das Wehrwissenschaftliche Institut (WIWEB) und das Ernst-Mach-Institut in Freiburg, beteiligt außerdem der Bundesrechnungshof. Mit der Vorlage des Berichts im März endete die Phase 1 des Auftrags der Arbeitsgruppe; in einer zweiten Phase sollen die verarbeiteten Werkstoffe des Sturmgewehrs untersucht sowie weitere Vergleichserprobungen und Klimaversuche durchgeführt werden. Die Tests sollen bis zum Herbst abgeschlossen sein.
• Das Team Infanterie und die Ansprechstelle G36
Unter Leitung des Generals der Infanterie und Kommandeurs der Infanterieschule, Brigadegeneral Johannes Hagemann, untersuchen Soldaten aktuelle Probleme mit dem G36 in der Truppe, auch in den Einsätzen. Das Team Infanterie soll dabei, so heißt es im Ministeriumsdeutsch, die Streitkräfte in allen einsatzbezogenen Fragen zur Nutzung des G36 in der Ausbildung bei Bedarf beraten, die Umsetzung der angewiesenen Maßnahmen in und für die Einsätze kontrollieren, weiteren Handlungsbedarf identifizieren und Mängel vor Ort abstellen. Zusätzlich gibt es eine Ansprechstelle G36 in der Abteilung Strategie und Einsatz des Ministeriums, die aktuelle Meldungen aus der Truppe zum G36 bündeln soll.
• Kommission zur Untersuchung des Einsatzes des G36- Sturmgewehres in Gefechtssituationen (Nachtwei-Kommission)
Der frühere Grünen-Abgeordnete und Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei soll zusammen mit dem im Mai ausgeschiedenen ehemaligen Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus prüfen, ob die erkannten technischen Probleme bei dem Gewehr zur Gefährdung von Bundeswehrsoldaten in Gefechten zum Beispiel in Afghanistan geführt haben. Für Angehörige von gefallenen oder verwundeten Soldaten oder für Soldaten, die Kameraden verloren haben, ist es von großer Bedeutung, Sicherheit zu haben, ob da ein fehlerhaftes G36 eine Rolle spielte oder nicht, sagte Nachtwei in einem Interview. Die Kommission wird unter anderem vom Kommandeur der 1. Panzerdivision, Generalmajor Johann Langenegger, unterstützt und ist beim beamteten Staatssekretär Gerd Hoofe angesiedelt. Sie soll ihren Abschlussbericht am 1. Oktober dieses Jahres vorlegen.
• Der unabhängige Sachverständige ‚Organisationsstudie G36‘
ist der Commerzbank-Aufsichtsratschef Klaus-Peter Müller, ehemaliger Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Unter seiner Leitung sollen externe Experten die Prozessabläufe und zugrunde liegende Organisationskulturaspekte bei Beschaffung, Prüfung und Nutzung des G36 durch Dienststellen der Bundeswehr untersuchen. Dafür werden die Fachleute um die Beratungsfirma KPMG herangezogen, die bereits im vergangenen Jahr für das Ministerium eine Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte vorgelegt hatten. Müller, dessen Arbeit organisatorisch beim Beauftragten für die strategische Steuerung nationaler und internationaler Rüstungsaktivitäten der Bundeswehr, Gundbert Scherf, im Arbeitsbereich von Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder aufgehängt ist, soll seinen Abschlussbericht am 30. November präsentieren.
• Die Prüfgruppe ‚Geschäftsbeziehungen im Geschäftsbereich BMVg mit der Firma Heckler&Koch im Zusammenhang mit dem G36‘
wird von Flottenarzt Michael Storck aus dem Stab Organisation und Revision im Verteidigungsministerium geleitet, der ebenfalls Staatssekretär Hoofe zugeordnet ist. Dieses erweiterte Revisionsteam soll untersuchen, wie die Verträge mit dem Lieferanten des Sturmgewehrs zustandegekommen sind und ob es möglicherweise Interessenkollisionen bei Behördenvertretern gab. Die Prüfungsergebnisse sollen bis Ende September vorliegen.
• Die Prüfgruppe AIN I 4
ist eine technische Arbeitsgruppe im Referat Rüstungsangelegenheiten Parlament/Kabinett/Bundesrechungshof der Abteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung des Verteidigungsministeriums. Sie soll Hinweise auf technische Probleme – nicht nur beim G36 – untersuchen, die sich vor allem aus den Schreiben des geschassten Mitarbeiters des Bundeswehr-Beschaffungsamtes Dieter Jungbluth ergeben. Ihr Bericht wird bereits zum 20. Juli erwartet.
• Die Abteilung Planung des Ministeriums und das Planungsamt der Bundeswehr
arbeiten an einer so genannten Finalisierten Funktionalen Fähigkeitsforderung (FFF) für das künftige Sturmgewehr der Bundeswehr. Dabei soll festgelegt werden, was die künftige Standardwaffe der Streitkräfte können muss – ohne dass die Probleme wie beim G36 auftreten. Die FFF soll bis Ende 2015 vorliegen, erst dann soll entschieden werden, ob das G36 nachgessert werden kann, eine neue auf dem Markt verfügbare Waffe gekauft werden soll oder ein neues Sturmgewehr entwickelt werden muss. Ob das G36 durch ein neues Gewehr ersetzt werden müsse, sei noch völlig offen, hatte Generalinspekteur Volker Wieker Mitte Mai betont.
Und außer Konkurrenz läuft natürlich parallel
• die Aufklärung im Verteidigungsausschuss des Bundestages
Die Abgeordneten vor allem der Opposition haben in den vergangenen Wochen sehr viele Detailfragen an das Verteidigungsministerium gestellt und werden das sicherlich auch noch weiter tun. Die Antworten aus dem Ministerium sollen, so ist von Beteiligten zu hören, ebenfalls sehr detailliert gewesen sein – bis zu Erklärungen der Zieloptik durch die Rüstungs-Staatssekretärin (und promovierte Physikerin) Suder. Ein Untersuchungsausschuss zum G36 ist allerdings vorerst unwahrscheinlich: Da die Linkspartei bislang ein solches Untersuchungsgremium ablehnt, kommen wegen fehlender Einigkeit in der Opposition die nötigen Stimmen dafür nicht zusammen.
Nachtrag: In der Tat habe ich, danke für den Hinweis in den Kommentaren, glatt eine Meta-Arbeitsgruppe übersehen:
• Arbeitsgruppe Koordinierung und Kommunikation
soll den Informationsaustausch sicherstellen und ist bei Staatssekretär Hoofe angesiedelt, genauer beim Stab Organisation und Revision unter Konteradmiral Michael Nelte.
Ich denke mal, um die gerade übernommenen Handwaffen zu überprüfen bzw. anzuschießen.
Eigene Waffen aus dem Heimatland führen ja meistens nur Soldaten des ersten Kontingents und nicht näher genannte Spezialisten mit.
Kann mich aber auch täuschen…bin noch nicht so lange bei der Infanterie. Sind nur knappe 25 Jahre!
Komisch – jetzt wo die G36 „Affäre“ da ist, hat es natürlich jeder Soldat vorher gewusst.
re: Schlammzone
Gibt es außer dem eindeutigen Hinweis in der Zentralrichtlinie A2-222/0-0-1210 „Schießen mit Handwaffen“ (die scheinbar der Kommentator „Buche“ nicht kennt!?), mit dem Hinweis auf die „Veränderung der Präzision durch Temperatureinfluss“, noch eine neue „Bereichsrichtlinie G36“?
re: Peter Pan
Folgt man der „Taktisch-Technischen Forderung“ aus dem Jahr 1993, dann war die geforderte Nutzungsdauer für das G36 wohl 20 Jahre.
Stellt man das in einen Zusammenhang mit den unterschiedlichen Zeitpunkten des Zulaufs der Waffe zur Truppe, dann kann einem schon der Gedanke kommen, dass man von interessierter Seite vorrangig an eine Möglichkeit einer „Produktverbesserung“ (PV) der eingeführten Waffe G36 gedacht haben könnte!
Mithin über diesen Ansatz der PV ein sukzessiver Austausch der Waffe hätte erfolgen können,- ohne das man die Beschaffung hätte neu ausschreiben müssen!?
Folgt man diesem Gedanken dann bestünde zumindest ein Ansatzpunkt dafür, warum man versucht hatte von interessierter Seite im BMVg die „Fähigekeitslücke G36“ zu deckeln!?
Klar, es kann natürlich auch ganz anders gewesen sein …
re: audio001
Genau so ist es – im Gegensatz zum G36, haben Sie voll ins Schwarze getroffen!
re: audio001
Neu ist die Bereichsrichtline schon. Ist aber die alte ZDv 3/136 (Gewehr G36).
Also: Copy – Paste
re: audio001
Frage: Wo genau steht in der Zentralrichtlinie A2-222/0-0-1210 „Schießen mit Handwaffen“ etwas über „Veränderung der Präzision durch Temperatureinfluss“?
Die ZDv 3/136 (Gewehr G36) wurde in die Bereichsrichtlinie C2-222/0-0-1272 überführt.
Somit ist die Bereichsrichtlinie „neu“. Inhaltlich „Copy – Paste“
Das Team Infanterie war also schon unterwegs…
http://s337251796.online.de/2015/KW24/
Seite 5
re: Schlammzone
Ihre Frage 09:50 war berechtigt!-Falscher Bezug meinerseits ….
re audio001
es kann nur noch peinlicher werden. . . .
Mir scheint, der Übersichtlichkeit wegen ist da ein neuer Thread fällig…. kommt dann demnächst.
/edit: gibt einen neuen G36-Eintrag, bitte die Debatte dort fortführen.