Einigung auf Ukraine-Waffenstillstand in Minsk: ‚Keine umfassende Lösung‘

Der Ukraine-Gipfel in der weißrussischen Hauptstadt Minsk hat zwar ein Ergebnis gebracht, vor allem die Einigung auf einen Waffenstillstand ab dem kommenden Sonntag, 15. Februar. Was die Vereinbarung nach der Marathonsitzung der Staats- und Regierungschefs und ihrer Außenminister aus der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich langfristig für den Krieg im Osten der Ukraine bedeutet, ist dagegen offensichtlich noch nicht klar: Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte in seiner Erklärung nach dem Treffen, es sei keine umfassende Lösung, und schon gar kein Durchbruch. Interessant und recht schwierig dürfte ein Detail werden, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Pressestatement (s.u.) angekündigt hat: Wir als die Chefs des Normandie-Formats haben uns verpflichtet, dass wir diesen Prozess der Implementierung überwachen und dass wir alle in unserer Kraft Stehende tun, um ihn auch weiter zu begleiten. Also wird Deutschland auch den Prozess der Implementierung überwachen? Und wie konkret? Die Gipfel-Erklärung in der vom Bundespresseamt veröffentlichten deutschen Fassung:

Erklärung des Präsidenten der Russischen Föderation, des Präsidenten der Ukraine, des Präsidenten der Französischen Republik und der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zur Unterstützung des Maßnahmenpakets zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen angenommen am 12. Februar 2015 in Minsk Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, der Präsident der Französischen Republik, François Hollande, und die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, bekräftigen ihre uneingeschränkte Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Ukraine. Sie sind der festen Überzeugung, dass es zu einer ausschließlich friedlichen Lösung keine Alternative gibt. Sie sind fest entschlossen, zu diesem Zweck einzeln und gemeinsam alle möglichen Maßnahmen zu treffen. Vor diesem Hintergrund unterstützen die Staats- und Regierungschefs das am 12. Februar 2015 angenommene und unterzeichnete Maßnahmenpaket zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, das von allen Unterzeichnern des Minsker Protokolls vom 5. September 2014 und des Minsker Memorandums vom 19. September 2014 unterschrieben wurde. Die Staats- und Regierungschefs werden zu diesem Prozess beitragen und ihren Einfluss auf die jeweiligen Parteien ausüben, um die Umsetzung dieses Maßnahmenpakets zu erleichtern. Deutschland und Frankreich werden technische Expertise für die Wiederherstellung des Bankensektors in den betroffenen Konfliktgebieten zur Verfügung stellen, möglicherweise durch die Schaffung eines internationalen Mechanismus zur Erleichterung von Sozialtransfers. Die Staats- und Regierungschefs teilen die Überzeugung, dass eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen der EU, der Ukraine und Russland der Beilegung dieser Krise förderlich sein wird. Zu diesem Zweck unterstützen sie die Fortsetzung der trilateralen Gespräche zwischen der EU, der Ukraine und Russland über Energiefragen mit dem Ziel, nach dem Gas-Paket für den Winter weitere Folgeschritte zu vereinbaren. Sie unterstützen ferner trilaterale Gespräche zwischen der EU, der Ukraine und Russland, um praktische Lösungen für Bedenken zu erreichen, die Russland mit Blick auf die Umsetzung des tiefgreifenden und umfassenden Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der EU geäußert hat. Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE. Die Staats- und Regierungschefs fühlen sich der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen weiter verpflichtet. Zu diesem Zweck vereinbaren sie die Schaffung eines Aufsichtsmechanismus im Normandie-Format, der in regelmäßigen Abständen zusammentreten wird, und zwar in der Regel auf der Ebene hoher Beamter der Außenministerien.

Außerdem Steinmeiers Erklärung im Wortlaut:

Das war eine sehr lange Nacht in Minsk. Es waren extrem schwierige Verhandlungen. Jeder wusste, was auf dem Spiel steht. Jedem waren die Folgen klar, wenn wir hier heute ohne Einigung auseinandergegangen wären. Es war letztlich die gemeinsame Überzeugung, dass das nicht passieren durfte, die uns hier die ganze Nacht hart arbeiten und verhandeln lassen hat. Ich begrüße, dass es gelungen ist, sich auf eine gemeinsame Erklärung zu einigen. Ich sage das ohne jeden Überschwang und sicher nicht euphorisch. Denn das war eine schwere Geburt. Aber immerhin: Wir haben etwas erreicht. Das Wichtigste ist, dass sich Moskau und Kiew auf eine Waffenruhe geeinigt haben, die Samstag Nacht in Kraft treten soll. Wir haben die Vereinbarungen von Minsk vom September bekräftigt. Wir haben erstmals klare zeitliche Vorgaben für die Umsetzung von Minsker Verpflichtungen – zu Wahlen, zur Grenzkontrolle, zum Gefangenenaustausch, um nur einige zu nennen. Manchem wird das nicht reichen. Auch wir hätten uns mehr gewünscht. Aber es ist das, auf das sich heute Nacht die Präsidenten der Ukraine und Russlands einigen konnten. Wir hoffen, dass beide Seiten hier in Minsk ernsthaft und mit guten Absichten verhandelt haben. Und wir erwarten, dass sie in der besonders heiklen Phase bis zum In-Kraft-Treten des Waffenstillstands alles unterlassen, was die heutigen Vereinbarungen untergraben könnte. Noch immer können Gewaltexplosionen alles zunichte machen. Die heutige Vereinbarung ist keine umfassende Lösung, und schon gar kein Durchbruch. Aber Minsk II könnte nach Wochen der Gewalt ein Schritt sein, der uns von einer militärischen Eskalationsspirale weg und hin zu politischem Momentum führen könnte. Für diese Chance hat der Einsatz sich gelohnt!

Und, ebenfalls vom Bundespresseamt veröffentlicht, die Abschrift der Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande:

Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Hollande am 12. Februar 2015 in Minsk (Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Konsekutivübersetzung) P Hollande: Vor einer Woche hatten die Bundeskanzlerin und ich selbst die Idee zu einer Initiative, um eine Lösung für diesen schon zu lange andauernden Konflikt in der Ukraine zu finden. Die Idee war, dass wir zunächst nach Kiew reisten und dann in einer zweiten Station nach Moskau, und dass wir uns dann schließlich in einer dritten Station im Normandie-Format hier in Minsk trafen. Wir haben nun eine sehr lange Nacht hinter uns gebracht und wir haben auch einen langen Vormittag hinter uns gebracht, aber wir haben es geschafft, zu einer Übereinkunft zu kommen, zu einem Waffenstillstand und zu einer umfassenden politischen Regelung für diese Ukraine-Krise. Der Waffenstillstand wird am 15. Februar um 0 Uhr eintreten. Die allgemeine, die umfassende politische Regelung umfasst alle strittigen Fragen, angefangen vom Waffenstillstand bis hin zur Grenzkontrolle, über Fragen der Dezentralisierung, selbstverständlich des Rückzugs der schweren Waffen und der Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen. Sprich, es sind alle Fragen angesprochen worden, und zwar in einem Text, der dann von der Kontaktgruppe und den Separatisten unterschrieben worden ist. Die Kanzlerin und ich selbst, gemeinsam mit Präsident Poroschenko und Präsident Putin, haben nun die Aufgabe – und wir haben uns dazu verpflichtet -, diesen politischen Prozess zu überprüfen. Ich möchte ganz besonders die Anstrengungen, die während dieser langen Stunden von den verschiedenen Beteiligten geleistet worden sind, begrüßen. In allererster Linie denke ich dabei an Präsident Poroschenko, der sein gesamtes Land in die Waagschale geworfen hat und sich als Land engagiert hat. Ich möchte auch Herrn Putin erwähnen, der den nötigen Druck auf die Separatisten ausgeübt hat, damit sie unterzeichnen. Aber vor allem und in erster Linie möchte ich die Bundeskanzlerin und ihre Rolle nennen, und auch die sich ergänzenden Rollen, die Deutschland und Frankreich in diesem Prozess gespielt haben; denn damit hat sich auch ganz Europa verpflichtet, diesen Prozess zu unterstützen. Sie wissen ja, wir werden heute Nachmittag einen Rat in Brüssel haben. Wir werden gemeinsam mit Präsident Poroschenko Bericht erstatten und wir werden alles dafür tun, dass auch Europa diesen Prozess weiterhin unterstützt. Wir haben Hoffnung – wir haben zwar noch nicht alles erreicht, aber wir haben eine ganz ernsthafte Hoffnung für die Ukraine und damit auch für Europa, und wir haben wieder einmal gezeigt, dass das deutsch-französische Tandem in der Lage ist, etwas für den Frieden zu tun. BK’in Merkel: Von meiner Seite möchte ich auch ganz herzlich François Hollande danken. Wir haben vor einigen Tagen die Initiative ergriffen, nach Kiew und nach Moskau zu fahren und dann hier auch im Normandie-Format zu verhandeln und ein Papier für die trilaterale Kontaktgruppe und die Unterschrift durch die Separatisten vorzubereiten. Es waren 16 Stunden Verhandlungen, in denen wir intensiv arbeiten mussten und in denen auch Präsident Poroschenko in der Tat alles getan hat, um eine Möglichkeit des Beendens des Blutvergießens zu erreichen – für sein Land, aber auch für die Zivilisten und Soldaten, die in den Gebieten von Donezk und Lugansk leben und die dort fürchterliches Leid erleiden. Wir haben jetzt einen Hoffnungsschimmer, wir haben eine umfassende Implementierung von Minsk vereinbart. Aber die konkreten Schritte müssen natürlich gegangen werden, und es werden noch große Hürden vor uns liegen. Aber in der Abwägung kann ich sagen, dass das, was wir jetzt erreicht haben, deutlich mehr Hoffnung gibt, als wenn wir nichts erreicht hätten. Deshalb kann man sagen, dass sich diese Initiative gelohnt hat. Zum Schluss hat auch Präsident Putin Druck auf die Separatisten ausgeübt, damit sie einverstanden sind, dass ab Samstag 24 Uhr beziehungsweise Sonntag 0 Uhr ein Waffenstillstand herrscht. Ich habe keine Illusion, wir haben keine Illusion: Es ist noch sehr, sehr viel Arbeit notwendig ist. Es gibt aber eine reale Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden. Deutschland und Frankreich, Frankreich und Deutschland haben gemeinsam gezeigt, dass wir auch im Einklang mit Europa einen Beitrag geleistet haben. Ich möchte François Hollande auch ganz herzlich danken. Ich glaube, die Tatsache, dass wir alles gemeinsam verabredet und durchgesetzt haben – zusammen mit unseren Außenministern -, hat dazu beigetragen, dass wir dieses Ergebnis erreichen konnten. Die Details der Regelung wird die trilaterale Kontaktgruppe veröffentlichen. Wir als die Chefs des Normandie-Formats haben uns verpflichtet, dass wir diesen Prozess der Implementierung überwachen und dass wir alle in unserer Kraft Stehende tun, um ihn auch weiter zu begleiten. Ich gehe davon aus, dass das auch nötig sein wird.

Nachtrag: Die Erklärung des russischen Präsidenten veröffentlicht der Kreml in einer englischen Übersetzung hier (ist allerdings noch nicht vollständig). Und auch dieses:

 

Nachtrag 2: Nachdem zunächst die Kiyv Post (und andere) eine inoffizielle Übersetzung des Maßnahmenpakets zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen ins Englische veröffentlicht hatten, gibt es das jetzt offiziell aus dem französischen Präsidentenpalast (auf Englisch! aus dem französischen Präsidentenpalast! Aber vom Auswärtigen Amt leider noch nichts…):

Package of Measures for the Implementation of the Minsk Agreements

1. Immediate and comprehensive ceasefire in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions of Ukraine and its strict implementation as of 15 February 2015, 12am local time.

2. Withdrawal of all heavy weapons by both sides by equal distances in order to create a security zone of at least 50 km wide from each other for the artillery systems of caliber of 100 and more, a security zone of 70 km wide for MLRS and 140 km wide for MLRS „Tornado-S“, Uragan, Smerch and Tactical Missile Systems (Tochka, Tochka U):

for the Ukrainian troops: from the de facto line of contact;

for the armed formations from certain areas of the Donetsk and Luhansk regions of Ukraine: from the line of contact according to the Minsk Memorandum of Sept. 19th, 2014;

The withdrawal of the heavy weapons as specified above is to start on day 2 of the ceasefire at the latest and be completed within 14 days.

The process shall be facilitated by the OSCE and supported by the Trilateral Contact Group.

3. Ensure effective monitoring and verification of the ceasefire regime and the withdrawal of heavy weapons by the OSCE from day 1 of the withdrawal, using all technical equipment necessary, including satellites, drones, radar equipment, etc.

4. Launch a dialogue, on day 1 of the withdrawal, on modalities of local elections in accordance with Ukrainian legislation and the Law of Ukraine “On interim local self-government order in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions” as well as on the future regime of these areas based on this law.

Adopt promptly, by no later than 30 days after the date of signing of this document a Resolution of the Parliament of Ukraine specifying the area enjoying a special regime, under the Law of Ukraine “On interim self-government order in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions”, based on the line of the Minsk Memorandum of September 19, 2014.

5. Ensure pardon and amnesty by enacting the law prohibiting the prosecution and punishment of persons in connection with the events that took place in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions of Ukraine.

6. Ensure release and exchange of all hostages and unlawfully detained persons, based on the principle “all for all”. This process is to be finished on the day 5 after the withdrawal at the latest.

7. Ensure safe access, delivery, storage, and distribution of humanitarian assistance to those in need, on the basis of an international mechanism.

8. Definition of modalities of full resumption of socio-economic ties, including social transfers such as pension payments and other payments (incomes and revenues, timely payments of all utility bills, reinstating taxation within the legal framework of Ukraine).

To this end, Ukraine shall reinstate control of the segment of its banking system in the conflict-affected areas and possibly an international mechanism to facilitate such transfers shall be established.

9. Reinstatement of full control of the state border by the government of Ukraine throughout the conflict area, starting on day 1 after the local elections and ending after the comprehensive political settlement (local elections in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions on the basis of the Law of Ukraine and constitutional reform) to be finalized by the end of 2015, provided that paragraph 11 has been implemented in consultation with and upon agreement by representatives of certain areas of the Donetsk and Luhansk regions in the framework of the Trilateral Contact Group.

10. Withdrawal of all foreign armed formations, military equipment, as well as mercenaries from the territory of Ukraine under monitoring of the OSCE. Disarmament of all illegal groups.

11. Carrying out constitutional reform in Ukraine with a new constitution entering into force by the end of 2015 providing for decentralization as a key element (including a reference to the specificities of certain areas in the Donetsk and Luhansk regions, agreed with the representatives of these areas), as well as adopting permanent legislation on the special status of certain areas of the Donetsk and Luhansk regions in line with measures as set out in the footnote until the end of 2015.1

12. Based on the Law of Ukraine “On interim local self-government order in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions”, questions related to local elections will be discussed and agreed upon with representatives of certain areas of the Donetsk and Luhansk regions in the framework of the Trilateral Contact Group. Elections will be held in accordance with relevant OSCE standards and monitored by OSCE/ODIHR.

13. Intensify the work of the Trilateral Contact Group including through the establishment of working groups on the implementation of relevant aspects of the Minsk agreements. They will reflect the composition of the Trilateral Contact Group.

Participants of the Trilateral Contact Group:

Ambassador Heidi Tagliavini

Second President of Ukraine, L. D. Kuchma

Ambassador of the Russian Federation

to Ukraine, M. Yu. Zurabov

A.W. Zakharchenko

I.W. Plotnitski

1 Such measures are, according to the Law on the special order for local self-government in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions:

Exemption from punishment, prosecution and discrimination for persons involved in the events that have taken place in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions;

Right to linguistic self-determination;

Participation of organs of local self-government in the appointment of heads of public prosecution offices and courts in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions;

Possibility for central governmental authorities to initiate agreements with organs of local self-government regarding the economic, social and cultural development of certain areas of the Donetsk and Luhansk regions;

State supports the social and economic development of certain areas of the Donetsk and Luhansk regions;

Support by central government authorities of cross-border cooperation in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions with districts of the Russian Federation;

Creation of the people’s police units by decision of local councils for the maintenance of public order in certain areas of the Donetsk and Luhansk regions;

The powers of deputies of local councils and officials, elected at early elections, appointed by the Verkhovna Rada of Ukraine by this law, cannot be early terminated.