von der Leyen: Die Sonntags-Interviews

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Am (gestrigen) Sonntagabend hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sowohl in der ARD (Bericht aus Berlin) als auch im ZDF (Berlin direkt) zur aktuellen Lage der Bundeswehr, der für heute geplanten Vorlage einer Studie zu Rüstungsprojekten und zu geplanten neuen Missionen Stellung genommen.

Aus meiner Sicht war das wichtigste Neue in den Aussagen der Ministerin die Ankündigung, neue Groß-Drohnen beschaffen zu wollen. Aber damit sich jeder selbst ein Bild machen kann und zur Dokumentation hier die Abschriften der beiden Interviews:

 ARD/Bericht aus Berlin

Frage: Steht (in dem Gutachten) etwas drin, was wir noch nicht wissen?

Antwort: Es ist ein sehr umfangreiches Gutachten auf all die Fragen, die ich im Frühjahr gestellt habe und auf die ich damals keine Antworten bekommen habe.

Ich habe ja im Februar all die Berichte, die mir vorgelegt worden sind, zurückgewiesen, weil sie viele Lücken aufwiesen, unklare Situationen darstellten und ich auf dieser Basis nicht entscheiden konnte. Deshalb war es richtig, dieses Gutachten anzufordern.

Und wir sehen: Die haben tief reingegriffen in die Themen, aber auch die Probleme. Und da kommt einiges an Arbeit auf uns zu. Das ist auch gut so.

Der Film eben hat es ganz richtig gezeigt: Es sind einerseits handwerkliche Fehler im Verteidigungsministerium über Jahre, aber auch handwerkliche Fehler aufseiten der Industrie. Und das sind gigantische Projekte, die sind ein Zigfaches zum Beispiel dessen, was der BER-Flughafen hat oder was Stuttgart 21 hat.

Das heißt, man muss enorm viel Prozessmanagement und Projektmanagement dahinter tun. Und genau das zeigt das Gutachten.

Frage:… Hat die Bundeswehr sich über den Tisch ziehen lassen von der Industrie?

Antwort: Es ist richtig, dass viele dieser Großprojekte viel zu spät kommen – Jahre zu spät – und sehr viel zu teuer sind. Da ist aber zum Teil auch enormes handwerkliches Versagen auf Seiten der Industrie, die einfach auch nicht zeitgereicht geliefert hat.

Und ja – es ist richtig, dass wir für so große Angehen im Verteidigungsministerium besser werden müssen, was die Professionalität angeht, was das Management der Verträge zum Beispiel angeht: Was kann ich durchsetzen gegenüber der Industrie an Regressforderungen oder, dass einfach schneller auch geliefert wird.

Das sind viele sehr wichtige Hinweise, die wir dort bekommen. Das Gute ist, das sagt das Gutachten ganz klar: Wenn dann mit Jahren Verspätung endlich dieses hochmoderne Gerät dann da ist, dann ist es meistens das Beste, was es auf der Welt gibt. Deshalb wollen das auch alle haben.

Und das zweite Gute – lassen Sie mich noch sagen – ist, dass ganz viel Sachverstand im Verteidigungsministerium ist, der aber nicht klug zusammengefasst ist bisher. Und das ist eine Managementaufgabe, die ich auch annehmen will.

Frage:… Wer hat denn dieses Missmanagement eigentlich zu verantworten?

Antwort: Das geht über Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte. Eben im Film wurde der Eurofighter angesprochen, der stammt aus den 90er Jahren, die ersten Planungen.

Das heißt, man kann sich auch vorstellen, dass sich Probleme aufgehäuft haben. In der Zwischenzeit sind die Anforderungen sehr viel weiter fortgeschritten. Und die Industrie ist sehr viel unabhängiger auch geworden, das heißt, hat sich internationalisiert.

Und da müssen wir hinterher. Wir müssen auf Augenhöhe mit der Industrie sein. Und wir müssen ganz klar unsere Interessen auch als Bund durchsetzen.

Frage: Es heißt, Sie wollen möglicherweise die Euro-Hawk-Drohne… wieder fliegen lassen. Was steht dahinter?

Antwort: Dahinter steht die Überlegung: Was braucht Deutschland zum Beispiel für Schlüsseltechnologien, um unabhängig zu sein. Im Eurohawk ist eine Technologie drin, eine Aufklärungstechnologie – die brauchen wir in der Zukunft, um unabhängig von anderen auch Erkenntnisse zu haben.

Sie ist fast fertig erforscht. Sie hat den Labortest bestanden. Sie muss jetzt noch den Praxistest in großer Höhe bestehen.

Da haben wir sehr genau hingeschaut mit den Gutachtern: Was ist das Gerät, das am besten dieses machen kann? Und das ist diese Plattform Euro-Hawk, die genommen wird – für die Erprobungsflüge, also um zu Ende die Technologie zu erforschen.

Dann wird es einen zweiten Schritt geben, nämlich für die Serienreife. Also, wenn wir dann in den Normalbetrieb gehen, werden wir ein anderes Flugzeug nehmen, eine andere Drohne, die heißt Triton. Die ist aus den USA.

Das zeigt aber: Wir wollen die Technologie haben. Und die Plattform ist nicht so wichtig, die muss nur Träger sein für das, was erforscht wird.

Frage:… Stichwort Ostukraine: Der Drohneneinsatz soll auch von Soldaten begleitet werden. Ist das denn – und Nordirak auch – überhaupt noch zu leisten?

Antwort: Wenn wir uns die Welt in diesem Jahr anschauen, Ebola, der Nordirak, die Ukraine, dann sind Krisen da, die sozusagen nicht darauf warten, dass Deutschland sich bequemt zu kommen oder nicht, sondern die auch danach rufen, dass wir Verantwortung übernehmen.

Und wir können das auch, denn in der Vergangenheit ist eines geschehen: Man hat sich sehr stark fokussiert mit den Investitionen für die Einsätze.

Das zahlt sich jetzt aus. In der Ostukraine hat es ja das Abkommen gegeben in Minsk zwischen den Separatisten und der Ukraine, Russland mit am Tisch, die OSZE mit am Tisch.

Und die OSZE hat den Auftrag bekommen, den Waffenstillstand zu überwachen, und hat gefragt: Wer kann uns Drohnen liefern? Hier prüfen Deutschland und Frankreich, ob wir dieses leisten können. Aber unter dem Dach der OSZE. Die hat die Führerschaft dort.

Frage:… Mit Bundestagsmandat oder ohne? Streben Sie eine Mandatierung an?

Antwort: Wir sind noch viel zu früh in der Prüfungsphase, nämlich: Wie sieht es aus vor Ort? Was wird verlangt? Welcher Wachschutz muss gegeben sein oder auch nicht?

Das wird im Augenblick mit der OSZE, mit Frankreich und Deutschland besprochen. Und erst wenn wir diese Details haben, können wir weitere Schritte auch gehen.

Frage: Mit Blick auf das Koalitionstreffen am Dienstag: Erwarten Sie da jetzt Rückendeckung von Ihren Kolleginnen und Kollegen, wenn es um mehr Geld geht, um den künftigen Wehretat?

Antwort: Wir sind uns, glaube ich, alle darüber auch bewusst, wie dringend in der schwierigen krisenhaften Lage der Welt Deutschlands Verantwortung gebraucht wird.

Und das heißt, wir werden auch da reininvestieren wollen. Nicht kurzfristig – das habe ich immer wieder gesagt – dass wir im Jahr 2015 mit dem Etat auskommen, aber wir werden mittelfristig mehr leisten müssen. Und das kostet Geld.

 

ZDF/Berlin direkt

Frage: Die Pannen deuten ja auf ein grundsätzliches Problem bei der Bundeswehr hin. Inwieweit sind Sie dafür verantwortlich?

Antwort: Ich habe vor sechs Monaten einige Fragen gestellt, die mir nicht beantwortet werden konnten. Das war der Auslöser dafür, dass ich gesagt habe, ich entscheide nicht auf so einer unsicheren Basis wichtige Rüstungsprojekte, sondern ich möchte in die Tiefe der Probleme vordringen.

Da sind wir jetzt. Das ist auch gut. Es zeigt, dass wir ein erhebliches Portfolio an Problemen haben, das wir bearbeiten müssen. Aber es zeigt sich eben auch, dass die Bundeswehr gefragt ist, denn… die Bedrohung ist real.

Wer hätte vor einem Jahr gewusst – Ukraine, Ebola, Nordirak, das bedeutet, wir sind auch gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Und genau diese Balance hinzukriegen, das ist jetzt meine Aufgabe.

Frage:… Das Kerngeschäft der Bundeswehr leidet, die Verpflichtungen gegenüber der NATO. Sie haben sich dafür starkgemacht, dass die Bundeswehr, dass Deutschland immer mehr auch in internationale Einsätze geht. Setzen Sie die falschen Prioritäten?

Antwort: Die NATO-Verpflichtungen – vor einem Jahr sind theoretische Zahlen eingespeist worden in das System, in das NATO-System, die sagen, was könnt ihr kurzfristig liefern, da hat Deutschland Zahlen eingeliefert, und was könnt ihr nach sechs Monaten liefern, also zum Beispiel welche Zahl von Eurofightern.

Es zeigt sich heute, die kurzfristigen Verpflichtungen, wenn eine Krise käme, wenn die NATO angegriffen würde, können wir alle erfüllen, auch die NATO-Einsätze, die zur Zeit laufen. Aber nach sechs Monaten wären heute 42 Eurofighter in der Luft und nicht, wie vor einem Jahr geplant, 60.

Das zeigt, das ist eine theoretische Spielart. Aber ich finde, wichtig ist, sich auch ehrlich machen da und zu fragen, wie sind solche Zahlen zustande gekommen. Das muss professionalisiert werden, dass man genauer weiß, was ist tatsächlich abrufbar.

Frage:… Sie drängen auf mehr internationale Verantwortung. Setzen Sie die falschen Prioritäten?

Antwort: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir haben 17 Auslandseinsätze zur Zeit, wo die Deutschen hoch angesehen… ausgesprochen Hervorragendes auch leisten.

Wir haben den Grundbetrieb vernachlässigt… 185.000 Soldatinnen und Soldaten sind hier in Deutschland, 3.300 sind im Augenblick im Auslandseinsatz. Wir sind ausgelegt für ungefähr 10.000.

Das heißt, sich darauf konzentrieren, dass die Einsätze, die notwendig sind, gefahren werden, aber intensiver hier im Grundbetrieb aufräumen (ph). Das ist meine Aufgabe.

Frage: Sie räumen selbst ein, der Grundbetrieb wurde vernachlässigt. Sie streben sogar neue Einsätze jetzt wieder an. Überfordern Sie die Truppe nicht?

Antwort: Wir wägen sehr wohl ab, was wir können und was nicht. Das sind jetzt die Prüfungen zum Beispiel auch für den Nordirak, dass wir in Ruhe abwägen, wo sind unsere Stärken. Große Zahl 185.000 – steht zu den 3.300, die im Einsatz sind. Es gibt Themen, wo wir sagen würden, das sind nicht unsere Themen.

Das, was sich jetzt an Problemen zeigt, ist ja nicht über Nacht entstanden, sondern das ist eine Folge von Problemen, die sich aufgestaut haben über Jahre. Und ich finde jetzt wichtig, dass wir nicht in Panik verfallen und alles abbrechen, aber dass wir uns konsequent ehrlich machen und die Probleme im Grundbetrieb auch angehen.

Frage:… Der Wehrbeauftragte sagte an diesem Wochenende, Soldatinnen und Soldaten seien schon jetzt überlastet wegen zu häufiger Einsätze und schlechter Ausrüstung. Warum wollen Sie da noch immer mehr draufpacken, wenn das Kerngeschäft ohnehin schon leidet?

Antwort: Die Konzentration in den vergangenen Jahren war zu Recht auf Afghanistan. Das wird jetzt deutlich zurückgefahren. Wir hatten in der Hochzeit mehrere tausend Soldaten dort. Wir werden ab nächstem Jahr nur noch bis zu 800 haben.

Das zeigt, dass auch Einsätze sich verändern. Und diese Flexibilität hat die Bundeswehr. Das ist auch ein Anspruch, den wir uns stellen. Das schließt nicht aus, dass man die Fragen, die sich jetzt auch in diesen Tagen in den Problemen stellen, nicht ernst nimmt.

Frage: Und Sie meinen nicht, dass das eine Überforderung ist und dass Sie diese Überforderung möglicherweise noch steigern?

Antwort: Wir sehen ja, dass bei den Verbündeten hoch angesehen ist das, was die Soldatinnen und Soldaten auch leisten. Und ein so großes Unternehmen wie die Bundeswehr hat enorme Potentiale.

Aber ich möchte einfach um Verständnis werben, dass man die Probleme nicht mehr verschweigt. Man kann etwas leisten – das wissen alle, die in großen Organisationen tätig sind -, man kann aber durchaus parallel auch Probleme angehen, die sich über Jahre entwickelt haben, weil die Welt sich ändert; jetzt auch modernisieren, das ist jetzt die Zeit.

Frage: Das Angehen der Probleme…, das wird dauern, eine Jahr, zwei Jahre, da Abhilfe zu schaffen. Die neuen Einsätze bringen aber sofort eine neue Belastung. Das ist eine Differenz.

Antwort: Während wir beide hier sprechen leisten Soldatinnen und Soldaten mit hochmodernem Gerät im Einsatz Außergewöhnliches. Das sagt Ihnen jeder der Verbündeten. Es ist ja in den letzten Jahren so viel in die Einsatzfähigkeit investiert worden.

Und deshalb ist mir wichtig, dass wir nicht das Kind mit dem Bade jetzt ausschütten und ignorieren, was geleistet wird. Trotzdem darf das nicht die Augen davor verschließen, was an Grundbetriebsarbeit zu tun ist.

(Screenshot: ARD/Bericht aus Berlin 5.9.2014)