Die NATO und Russland: Abwehrfähig, abwehrwillig, Abwehr nötig?

Steadfast_Javelin_2014_Estonia

In Estland läuft die Übung Steadfast Javelin (Foto oben) unter dem Kommando des deutschen Generals Hans-Lothar Domröse, Chef des NATO Joint Forces Command Brunssum. Die USA und andere NATO-Länder haben zusätzliche Kampfflugzeuge in die osteuropäischen Mitgliedsländer des Bündnisses geschickt, um die Luftraumüberwachung zu verstärken. Hunderte von US-Soldaten beteiligen sich rotierend an Übungen in Polen und im Baltikum – alles Folgen der Ukraine-Krise. Und gleichzeitig macht sich die NATO Sorgen um eine bedingte Abwehrbereitschaft gegenüber Russland, wie der Spiegel berichtet?

„Russlands Fähigkeit und Absicht, ohne große Vorwarnung bedeutsame Militäraktionen zu unternehmen, stellt eine weitreichende Bedrohung für den Erhalt von Sicherheit und Stabilität in der Euro-Atlantischen Zone dar“, heißt es demnach in einem Entwurf des Nato-Verteidigungsplanungs-Ausschusses. „Russland ist fähig, kurzfristig und an beliebigem Ort eine militärische Bedrohung von lokaler oder regionaler Größe aufzubauen“, so der vorläufige Bericht weiter.

zitiert der Spiegel aus einem Entwurf aus Brüssel.

Es klingt nach einem Gegensatz, obwohl es das nicht ist: Die ganzen Übungen und Manöver und – in relativ geringer Zahl – vorübergehend nach Osten verlegten zusätzlichen Truppen und Gerät sind die so genannten kurzfristigen Maßnahmen des Bündnisses, mit dem die Politik den militärischen Oberbefehlshaber Phillip Breedlove beauftragte. Da geht’s um die nächsten Monate, und es geht darum, Stärke zu demonstrieren – vor allem, um die osteuropäischen Verbündeten nicht der Befürchtung zu überlassen, die NATO würde sie gegen die Russen nicht unterstützen.

Viel tiefgreifender für alle Mitgliedsländer wird die Frage, wie die Allianz langfristig mit einer neuen Lage nach der russischen Annexion der Krim und dem russischen Auftreten gegenüber (und zumindest indirekt auch in) der Ukraine umgeht. Russland nicht mehr als Partner, sondern als Gegner betrachten, wie es sowohl NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen als auch sein Stellvertreter in den vergangenen Tagen öffentlich immer wieder erklärten? Die Notfallpläne, das contingency planning, für die Bündnisverteidigung im Osten ändern – und wenn ja, welche Folgen hat das für Struktur des Bündnisses, Ausstattung der Streitkräfte und damit nicht zuletzt auf die Verteidigungshaushalte der NATO-Staaten?

Das Papier, über dessen Entwurf  der Spiegel berichtet, dürfte da nur ein erstes Kratzen an der Oberfläche sein. Denn die für Bündnis-Entscheidungen nötige Einigkeit über, gegebenenfalls, teure Abhilfe dürfte nicht so einfach sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in einem FAZ-Interview (Link aus bekannten Gründen nicht) klar gemacht, dass der Verteidigungshaushalt zwar nicht sinken, aber nun auch nicht dramatisch steigen werde. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen redet bislang nicht, zumindest nicht öffentlich, über Folgerungen aus der Ukraine-Krise für die Bundeswehr. Und für die deutsche Politik insgesamt steht bislang die NATO-Russland-Akte nicht zur Disposition, in der das Bündnis 1997 auf die Stationierung sowohl von Atomwaffen als auch von substantial combat troops in den osteuropäischen Mitgliedsländern verzichtete.

Die Debatte im Bündnis steht damit erst am Anfang. Die Frage, ob die NATO tatsächlich nur bedingt abwehrbereit ist, bleibt vorerst müßig, so lange es nicht mal eine gemeinsame Haltung gibt, welche Abwehr denn überhaupt gewünscht wäre. Mehr Panzer wie in den Zeiten des Kalten Krieges – oder vielleicht doch eine an moderne – und von Russland auch praktizierte – ganz andere Formen der Kriegführung? Was ist mit (auch deutschen) Cyber-Abwehrfähigkeiten, was mit InfoWar, was mit Special Forces? Oder, noch viel grundsätzlicher : Was ist mit Abschreckung? Oder auch: Ist das ein Denken in den Kategorien des 20. Jahrhunderts?

Diese Diskussion dürfte gerade in Deutschland schwierig werden. Ich bin gespannt, ob die Bundesregierung sie bereit ist zu führen.

(Foto: Verteidigungsministerium Estland via NATO Allied Command Operations)