Lagebeobachtung: Ukraine
Die Lage in der Ukraine – oder genauer: vor allem auf der Krim – spitzt sich weiter zu. Um die Diskussion darüber hier im Blog ein wenig zu bündeln, ein neuer Eintrag, erneut mit dem Verweis auf das (heutige) Ukraine Liveblog vom InterpreterMag und die ständig aktualisierte Seite der BBC.
(Ich verzichte deshalb hier darauf, die aktuellen Ereignisse einzutragen, weil sich die Lage ständig ändert).
(Foto: Screenshot CNN 28. Februar – allerdings mit den Aufnahmen russischer Artillerie, nicht von Panzern)
Das ist eigentlich genau das Problem:
Keine Seite ist bereit, die legitimen Interessen der anderen Seite anzuerkennen.
Für die „Maidanets“ sind die prorussischen Demonstranten alles gesteuerte Agenten Putins, Relikte der Sowjetzeit usw.
Für die Russen sind die Leute auf dem Maidan Faschisten oder Agenten der USA/EU.
Aber ich kann beider Standpunkt nachvollziehen….
Hat Putin nicht noch vor kurzem jede humanitäre Intervention in Syrien unter dem Hinweis auf die Unverletzlichkeit staatlicher Souveränität verweigert ?
In der Ukraine werden keine Russen gejagt oder massakriert , einmarschiert wird trotzdem. Wo wird Putin stoppen ? Schon auf der Krim ? In Charkov? In Kiew? Noch weiter im Westen ? Das hängt auch von der Entschlossenheit der EU und der USA ab .
@ JCR
Naja, das ist schon ein anderes Problem, eben ein inner-ukrainisches. Da ist zwar viel Glas zu Bruch gegangen, aber da hat es glaub (noch) keine unüberbrückbaren Gegensätze. Was nicht heißt, dass da nicht mehr ginge, und alles gut ist. (Und die ukrainischen Nationalisten und Frau Timoschenko sind ja jetzt nicht gerade Integrationsfiguren.) Trotzdem scheinen sich die Mehrheiten beider Seiten als Ukrainer zu sehen, und eine Aufteilung der Ukraine wird nicht gewünscht.
Nur sieht es halt aus, als hätte Russland da andere Interessen. Neben den Stützpunkten der Schwarzmeerflotte eben auch die Eurasische Wirtschaftsunion – bei diesem Prestigeprojekt Putins hat er ja bereits klar gemacht, dass das ohne die Ukraine nicht viel wert sei. Von daher scheint es eine starke Motivation zu geben, entgegen den internationalen Abkommen und dem Willen der Bevölkerung einen Teil der Ukraine an Russland „anzugliedern“. Die Bestimmungen zur Aufnahme in die russische Föderation wurden ja gerade gelockert. (Hätte ich mir persönlich vor einigen Tagen noch nicht träumen lassen, aber danach siehts derzeit aus.)
Entsprechend rund läuft da derzeit die russische Propaganda.
Es gab eben praktisch keine Gewalt und erst recht keine Toten auf der Krim – den Euromaidan-Demonstranten und der Übergangsregierung war die Krim bisher ziemlich egal.
Dass Herr Yanukovych mittlerweile von seiner eigenen Partei zum Teufel gejagt wurde, und nicht von Oppositionellen, wird ebenso ignoriert.
Der ganze russische Interventionsgrund ist halt wild herbeifabuliert, um Halbinformierte zu verunsichern und vor allem das Narrativ in den Medien zu bestimmen. Und es ist jetzt nicht so, als würde die europäische Gegenseite sich da allzugut schlagen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die politische Wirklichkeit – ohne breite Empörung werden die Reaktionen wohl schwächer ausfallen.
Letztlich ist es aber vor allem ein Wettpokern auch mit militärischen Mitteln, und es sieht nicht so aus, als würde Europa der russischen Aggression allzuviel entgegensetzen wollen.
Umso bemerkenswerter, da Russland angeblich auf der Sicherheitsratssitzung mit Angriffen auf Kiev gedroht haben soll.
http://www.interpretermag.com/ukraine-liveblog-day-12-putin-prepares-an-invasion/
Rußland verlangt auf der Sicherheitsratssitzung formell, daß die Entwicklung in der Ukraine auf den Stand des Übereinkommens kurz vor dem Sturz Janukowitschs zurückgedreht wird (Neuwahlen im Dezember).
Auf Deutsch: Putin fühlt sich verarscht und schlägt um sich.
Das Signal ist deutlich an die Staaten die vielleicht auch überlegt hätten Moldawien und Weißrussland
Die werden wohl unter Putin nicht mehr auf die Idee kommen
Aber die Ukrainer halfen schon im 2WK den Deutschen , und Kämpften auch und es gab Partisanen Jäger unter ihnen die wahren sehr Ehrgeizig
Man muss sich doch sehr wundern wie hier einige pro-westliche Kommentatoren aufheulen.
Betrachten wir den Staus Quo seit 1990. Der Cordon Sanitaire den die Sowjetunion um sich gelegt hatte, war zusammengeschrumpft auf die ehemaigen Sowjet-republiken Ukraine und Belorussland. Polen und alle anderen ehemaligen Staaten der Einflusssphäre stehen seitdem im feindlichen Militärlager. Nun wurde eine mehrere Jahre währende Propaganda-Schlacht des Westens um die Ukraine begonnen (mit dem ausstehenden Beschluss, die Ukraine in die NATO zu integrieren). Nicht Russland versucht also Mexiko oder Polen aus der NATO-Struktur zu lösen und in einen neuen imaginären Warschauer Pakt einzufügen, um direkt an Deutschland oder die USA heranzurücken. Sondern anders herum: Die USA und ihre Verbündeten versuchen auch nach 1990 DIREKT an die Grenzen Russlands aufzurücken. Wenn dann erst einmal der Rakentenschild gebaut ist, an dem die USA und ihre Verbündeten Eisern festhalten, wird es bald auch mit der nuklearen Abschreckung als letzter Sicherheit für Moskau vorbei sein. Es ist klar dass eine solcher geostrategischer Würgegriff des Westens vom Kreml nicht zugelassen werden kann. Man hätte sich also überlegen müssen wie weit man gehen kann den Bären zu reizen, BEVOR man auf dem Maidan die Leute zum Umsturz ermutigte.
@cakifax „Rußland verlangt auf der Sicherheitsratssitzung formell, daß die Entwicklung in der Ukraine auf den Stand des Übereinkommens kurz vor dem Sturz Janukowitschs zurückgedreht wird (Neuwahlen im Dezember).
Auf Deutsch: Putin fühlt sich verarscht und schlägt um sich.“
Hier muss sich die EU verarscht vorkommen, nicht Putin. Drei EU Aussenminister haben die Vereinbarung (Wahlen im Dezember) abgesegnet und dann absolut nichts zu desses Durchsetzung getan weil die Amis eben etwas anderes, nämlich den Putsch, wollten.
Putin schlägt da eine gute Lösung des Problems vor. Laßt die Ukrainer an der Wahlurne entscheiden. Aber weder NATO Beitritt, noch EU Abkommen, noch die jetzt Herrschenden werden dabei eine Chance auf eine Mehrheit haben. Das weiß man auch in Washington weshalb man eben den demokratischen Weg ablehnt.
Die EU allerdings hat allen Grund Putin bei dieser Lösung zu unterstützen. Ansonsten wird das Wort der EU in Zukunft absolut nichts mehr gelten.
Wer hätte zu träumen gewagt, daß auch unsere Generation ihren Krimkrieg erleben wird?
Wie haben die Amerikaner denn die Nationalen in die Übergangsregierung geputscht?
Die Antwort darauf erhoffe ich mir etwas präziser als schlicht den Begriff “ Agenten „.
Vielen Dank im Voraus
3 EU Außenminister handeln mit Janukovitsch einen Kompromiss aus, danach kommt Mrs „GASP“ Cafherine Ashton eingeflogen.
Inzwischen kann man das Abkommen als Anzünder verwenden.
Da drängt sich der Eindruck auf, dass sich einige Europäer zu wichtig nehmen, besonders Steinmeier!
Oder typisch SPD:
„Denn sie wissen nicht was sie tun?“ Oder aber auch: „Gut gemeint ist nicht gut gemacht.“
@Frank
„Wie haben die Amerikaner denn die Nationalen in die Übergangsregierung geputscht?“
Diese Kräfte sind nur Teil einer Umsturzbewegung, die von US-amerikanischen und auch deutschen politischen Stiftungen ausgebildet und auf andere Weise unterstützt wurde. Einen entsprechenden Beitrag des Guardian hatte ich hier bereits verlinkt.
Die Masse der Demonstranten bekam man dadurch auf die Straße, dass man der Bevölkerung des wirtschaftlich labilen Landes EU-Hilfen in Aussicht stellte, die im Wesentlichen durch die Bundesrepublik zu zahlen sein werden.
Aus der Perspektive nationaler Interessen Deutschlands betrachtet ist das Geschehen daher äußerst nachteilig. Zum Ausgleich dafür, dass wir demnächst für weitere „Rettungspakete“ zahlen werden dürfen, bekommen wir einen neuen Kalten Krieg und ein neues, wenn auch noch abstraktes Kriegsrisiko in Europa. Man kann spekulieren, ob auch das von den Amerikanern erwünscht ist, weil es die NATO wieder relevanter machen wird, aber das ist ausdrücklich Spekulation, während die anderen hier genannten Punkte dokumentierte Fakten sind.
Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und frühere tschechische Außenminister Schwarzenberg weist auf die (offensichtlichen) Parallelen im Vorgehen Putins und Adolf Hitlers in den 30er Jahren hin:
http://orf.at/stories/2220446/
@chickenhawk
Das ist doch unsäglich platt und dazu noch dumm weil unhistorisch und ohne jeglichen argumentativen Wert. Mit dem Argument kann man jeder Regierung der Welt, die irgendwelche Pläne zum Schutz eigener Staatsbürger im Ausland vorhält, Parallelen zu Hitler unterstellen.
Es wäre schade, wenn die Diskussion nicht auf das Niveau herabsinken würde, der jeweils anderen Seite zu unterstellen, der größere „Nazi“ oder „Faschist“ zu sein. Aber Sie haben das ja nur zitiert und sich nicht hinter diesen geistigen Aussetzer gestellt, wenn ich Sie richtig verstehe.
@ K. Müller
Das war, wie gesagt, ein Zitat. Und in Tschechien hat man für diese Dinge eben ein besonderes Gespür.
@chickenhawk
Wenn man die Worte des Minister geopolitisch analysiert, kann man sie als Ausdruck wachsender Sorge vor Russland sehen, die sich vielleicht in größerer Nähe zur NATO und Beitrittswünschen weiterer Staaten der Region äußern wird. Das wäre dann eine hier bereits angesprochene indirekte und aus der Perspektive von US-Interessen günstige Wirkung der Entwicklung in der Ukraine neben der Hauptwirkung des möglichen russischen Verlusts des strategischen wichtigen Hafens auf der Krim und der Verschiebung des US-Einflußbereichs bis an die Südwestgrenze Russlands. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wird ja bereits vorbereitet: http://www.euronews.com/2014/02/26/door-to-nato-remains-open-for-ukraine/
Guten Tag,
wie kann es denn eine ausländische Macht schaffen einen Umsturz anzuregen wenn das Volk des Landes zufrieden ist ?
Russland und seine Diplomaten haben auf ganzer Linie versagt, sonst müssten sie nicht zum Militärapparat greifen.
Diese ganzen ewig gestrigen sind ein hemmnis für die Weltwirtschaft. Alleine was diese Entwicklung für Kosten in der Wirtschaft und Börse verursacht hat.
Bei Licht betrachtet kann Putin ja den Macker spielen nund seinem Volk weiter Vorgaukeln sie seien wieder auf dem Weg die unabhängige Supermacht zu werden die sie mal waren ( da war doch ein Haken oder ? ) . Nur wird diese Strategie über Kurz oder Lang eben auf eine Isolation Russlands herauslaufen. Wer will denn bitte mit jemanden Verhandeln, der Hinterlistig schon zum wiederholten Male, unter fadenscheinigen Begründungen Angriffskriege provoziert ?
Haben Sie sich schon mal gefragt wie denn das „Wirtschaftswunder“ der Russen möglich wurde ? Ein Teil dieser Genesung wurde wohl durch Typen wie den ehemaligen (oder seiner Meinung nach noch immer amtierenden) Präsidenten finanziert. Ein Ausverkauf eines Landes bei dem nur wenige profitierten. Wen wundert es da dass das Volk einen Kurswechsel will ?
Erinnern Sie sich mal an die alten Sowjetzeiten und sagen mir bitte in welchem Sowjetland die Wirtschaft Gesund und auf langfristiges Wachstum ausgelegt war.
Stimmt es gab keines. Der ganze Verbund war Bankrott und die Russen hatten den meisten Tant zu sich ins Land geschafft und verjubelt. (Komisch der Kommunismus wurde von Marx doch irgendwie anders Beschrieben oder ? )
Russland ist zu tiefst imperialistisch und repressiv. Und wenn ich eben nur die wahl zwischen Pest und Cholera habe, dann lass ich mich lieber ausspähen wenn ich was sage als dass man mich niederknüppelt und / oder tötet ( Siehe Oppositionsgegner der Russen in der Ukraine)
Kann ich übrigens einmal anmerken dass es eine Beleidigung des Intellekts ist, dass Thomas Wiegold uns ausgerechnet den feed von Interpretermag als ‚Informationsquelle‘ anbietet, dessen Institution als ‚charity‘ in New Jersey registriert ist, also eine typische US-‚Nicht-NGO‘? Dann solte man auch Russia Today verlinken …
Jonathan Eyal vom Royal United Services Institute sieht auch geschichtliche Parallelen:
http://www.express.co.uk/news/world/461770/Expert-likens-possible-Putin-action-on-Ukraine-to-Hitler-s-1938-move-on-Czechoslovakia
@chickenhawk
Soviel dann zur Seriösität des bislang von mir eher geschätzten RUSI. Wer solche Vergleiche zieht, will die Diskussion gezielt entsachlichen. Gerade die Briten hätten in ihrer Geschichte ausreichend weniger aufgeladenes Vergleichsmaterial für das Intervenieren einer absteigenden imperialen Macht auf dem Territorium ihres ehemaligen bzw. schrumpfenden Imperiums. Ein Vergleich mit der britischen Falkland-Intervention hätte es auch getan und wäre zudem inhaltlich und historisch passender gewesen.
So platt ist die Parallele mit dem Schicksal der Tschechoslowakei nun auch nicht. Wenn wir akzeptieren, dass Staaten in andere Staaten einmarschieren dürfen, weil sie dort eine „ihre“ Landsleute schützen, dann wird das 21. Jh. schön blutig. Ist ja nicht gerade so, dass in der Ukraine ein Genozid gegen Russen im Gang ist.
@MrRotstift
Können Sie anmerken, und wenn Sie das als Beleidigung Ihres Intellekts empfinden, muss ich das hinnehmen.
Allerdings gibt es einen grundlegenden Unterschied zu RT: Die verlinkte Seite agiert als Aggregator verschiedener anderer Quellen. Über deren Seriosität können Sie sich dann ja auch aufregen; das sagt aber zunächst mal nichts über diese Seite aus.
Im übrigen: hier wird von etlichen Lesern auch RT und ähnliches verlinkt, ohne dass ich mich beleidigt geäußert hätte. (Und wie immer: es steht Ihnen frei, hier zu lesen oder nicht.)
Yaroslav Trofimov Wall Street Journal
tweets: So far the only ethnic Russians beaten/arrested/persecuted are the ones trying to demonstrate in Moscow against the war on #Ukraine
Das dürfte so stimmen, sonst hätte die russische Propaganda bereits davon berichtet, und fasst die Lage gut zusammen.
Momentan läuft es für Russland recht gut. Der Westen wirkt etwas hilflos, aber es gibt auch keine wirklichen Optionen.
@Jörg
„Momentan läuft es für Russland recht gut.“
Was ist für Russland am Staatsstreich in der Ukraine denn gut? Die Maßnahmen auf der Krim können allenfalls den Schaden begrenzen.
@ Rotstift
Frei nach Siegfried Jacobsohn: „Sie beklagen sich über den Ton meines Blattes? Da weiß ich Ihnen ein sicheres Mittel: befreien Sie mich von Ihrem Lesertum, und das schnellstens.“
@c.k.
„So platt ist die Parallele mit dem Schicksal der Tschechoslowakei nun auch nicht. “
Die Amerikaner kämpfen ja nach eigener Darstellung grundsätzlich nur gegen Inkarnationen Hitlers und das absolute Böse in der Welt. Man achte diesbezüglich auf Darstellungen Saddam Husseins, Milosevics, Bin Ladens, Gaddafis oder Assads. Der Wähler will es eben so und wäre mit komplizierten geopolitischen Argumenten oder der Konfrontation mit der Tatsache, dass man für wesentlich prosaischere Ziele handelt, vermutlich überfordert.
Als regelmäßiger (aber stiller) Leser des Blogs und seiner Kommentare bin ich doch etwas überrascht, dass so viele Beiträge hier dem russischen Narrativ zu folgen scheinen. Deshalb mal ein paar Anmerkungen (sry für die Länge, ist eben ein weites Feld. Hoffe es liest trotzdem jemand ;)):
1. Legitimität der aktuellen Regierung: Sicher sind Parlamentsentscheidungen, die unter dem unmittelbaren Druck der Straße/des Mobs zustande gekommen sind zunächst höchst fragwürdig. Allerdings setzt sich der Eindruck durch, dass Janukowitschs Parteigenossen ihm aufrichtig entsagt haben, weil er spätestens nach Zoo und Piratenschiff in seinem Garten derart unbeliebt ist, dass es die einzige Möglichkeit ist als Partei an der Wahlurne (!) zu überleben. Wichtiger noch: Russland, das dem Westen gerne und nicht selten zu Recht Doppelmoral vorwirft, stützt sich in der Krim nun auf eine Regierung, die mindestens unter einem gleich hohen Grad undemokratischer Umstände an die Macht gekommen ist!
2. Selbst Russland fasst Janukowitsch bestenfalls noch mit spitzen Fingern an, weshalb mich das russische Beharren auf dem EU-verhandelten Abkommen so verwundert: Fordern sie ernsthaft die Rückkehr Janukowitschs ins Amt bis Dezember? Mir scheint es da eher darum zu gehen, der EU den schwarzen Peter zuzuschieben und von den eigenen Machenschaften abzulenken. Zudem ist die Frage nach dem Bruch des Abkommens ja keinesfalls objektiv beantwortet: Janukowitsch ist schließlich geflohen, statt die Gesetze zu unterschreiben..
3. Die Idee dass „der Westen“ die Aufstände orchestriert habe, ist in dieser Plätte einfach nur eine propagandistische Phrase. Das heißt nicht, dass ich die Rolle mancher US- oder EU-Vertreter unkritisch sehe. Man stelle sich vor russische Diplomaten/Politiker hätten bei einer Demo z.B. gegen den umstrittenen Lehrplan in Baden-Württemberg Essen und Getränke an die Demonstranten verteilt, wir können uns alle denken wie laut der Aufschrei gewesen wäre.. Nichtsdestotrotz ist die These falsch, weil sie den Umkehrschluss in sich trägt, dass es ohne die moralische/politische Unterstützung durch den Westen keine Proteste, oder keinen Erfolg dieser, oder weniger Gewalt gegeben hätte. Das halte ich schlicht für naiv.
4. Als überzeugter Verfechter des Selbstbestimmungsrechts der Völker sehe ich keinen Grund, weshalb die Krim nicht über ihre Unabhängigkeit und auch gerne einen Anschluss an Russland abstimmen können dürfen sollte. Allerdings stellt sich auch hier die Frage, wie frei eine solche Abstimmung unter den Augen bewaffneter Soldaten jenes Landes, dem man beizutreten überlegt, sein kann.
5. Die Rechtfertigung für Russlands Eingreifen muss einem als sachlichen Beobachter doch heuchlerisch vorkommen, denn die an die Wand gemalte Bedrohung der russischen Bevölkerung hat sich schlicht und ergreifend bislang nicht im Geringsten manifestiert. Wenn UN-Botschafter Tschurkin im Sicherheitsrat Kräften die Destabilisierung der Ukraine vorwirft klingt das von außen, als meine er damit seine eigene Regierung.
6. An dieser Stelle hinkt auch der Vergleich zum Kosovo-Krieg (dem ich sehr kritisch gegenüberstehe). Denn immerhin gab es dort echte Gewalt und nicht nur ein hypothetisches Bedrohungsszenario. Und der von Russland zu Recht kritisierte Irak-Krieg der Amerikaner wiederum legitimierte sich nur unter genau einer solchen Scheinbedrohung, die Putin legendenhaft ja mit den wunderbaren Worten kommentierte, er hätte Massenvernichtungswaffen gefunden. Tut mir Leid, wenn ich deshalb russischen Berichten über Angriffe von Banden auf irgendwelche zweitrangigen Krim-Verwaltungsgebäude weder Glauben schenke noch sonderliche Bedeutung zumesse (zumal zeitgleich in Charkov prorussische Demonstranten ein paar halbwüchsige Maidanaktivisten blutig schlagen. Wer bedroht hier nochmal wen?)
7. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gilt zudem auch zum Nachteil Russlands. Wenn ein Land entscheidet, dass es sich kulturell und wirtschaftlich nach Westen orientiert ist das seine freie Entscheidung. Die mit Verweis auf die Zugehörigkeit zur „russischen Einflusszone“ zu unterbinden, ist nicht nur undemokratisch, sondern entlarvt auch ein hochgradig arrogantes Weltbild. Russland sollte sich vielmehr fragen, weshalb sich denn viele ehemalige Sowjetrepubliken bzw. Länder der Einflusssphäre von ihm abwenden. Das aktuelle Vorgehen wird jedenfalls sicher nicht dazu beitragen, dass der Wunsch mancher Länder zu einem Nato-Beitritt leiser wird.
8. Zuletzt zur militärischen Situation: Ich höre und lese immer wieder, die Ukraine hätte gegen Russland keine Chance und Rufe nach Generalmobilmachung oder Kriegsdrohungen seien deshalb lächerlich. Tatsächlich ist die strategisch richtige Zurückhaltung der Regierung sicher auch mit ein Ausdruck dieser Rechnung. Doch man kann doch nicht ernsthaft fordern, dass die Ukraine kampflos aufgeben soll (ich rede hier nicht von der Krim, die de facto bereits aufgegeben ist, sondern von einer möglichen Invasion des Ostens). Warum unterhält man sich dann überhaupt ein Militär und investiert die vier Milliarden nicht lieber in Infrastruktur und Schulbildung? Die Idee muss doch sein, auch einem überlegenen Gegner zumindest einen Preis für seine Taten abzuverlangen (im Sinne gefallener Soldaten, zerstörten Geräts, finanzieller Kosten …), der der Gegenseite die Frage aufzwingt, ob es das wirklich alles wert ist.
CNN hat gestern online Bilder einer amerikanischen Airsoft-Gruppe gepostet, um die Berichte zu untermalen. ;-)
Hier die Story und ein Interview mit den russisch-amerikanischen Airsoftern: http://spartanat.com/
@ K.Müller
Keine Ahnung wie Sie auf die Amerikaner kommen. Die grundsätzliche Argumentation ist die gleiche: Unsere Landsmänner sind in Gefahr, wir müssen das Gebiet militärisch besetzen. Jetzt schauen sie sich mal die ethnische Zusammensetzung ein paar zufällig herausgegriffener Nationalstaaten an und sagen Sie mir, dass sie diese Argumentation für tragfähig halten.
Und irgendwie scheint mir die Verhältnismäßigkeit bei Ihnen verrutscht. Selbst wenn der Westen den innenpolitischen Verlauf in der Ukr massiv beeinflusst hat, das haben die Russen auch getan. So what, Interessenpolitik. Ist aber doch eine völlig andere Qualität als Teile eines anderen Staates zu besetzen.
Es ist ein eigentümliches Kennzeichen gerade der sicherheitspolitischen Diskussion in Deutschland, das hier vor allem über humanitär-moralische oder völkerrechtliche Legitimität militärischen Handelns diskutiert wird anstatt über Interessen und Strategie. Hinterher wundert man sich dann, dass die andere Seite nicht in den eigenen Kategorien denkt, so wie 1991 auf dem Balkan, als die Förderung der kroatischen Sezessionsbewegung durch die Bundesregierung zur Auslösung der Balkankriege mit beitrug.
Es war absehbar, dass die russische Seite ihre Interessen vor allem auf der Krim verteidigen würde, egal ob Beobachter in der Bundesrepublik dies legitim finden oder nicht. Die Unterstützung der Umsturzbewegung in der Ukraine hat dazu beigetragen, das die Lage jetzt so ist wie sie ist, und keine Berufung auf gute Absichten ändert etwas daran.
@ Domingo
Schöne Ausführungen.
Was man vielleicht noch anmerken könnte, ist dass der Großteil der Krim-Bewohner die Krim als Teil der Ukraine haben wollen, und nicht als Teil Russlands (53% zu 23%).
Das erklärt vielleicht auch, warum Putin gerade die chaotischen Zustände für einen militärischen Einmarsch nutzt – eben weil er auf die Krim-Bewohner und ein faires Referendum nicht bauen kann.
Die Logik des russischen Vorgehens scheint ja derzeit rein machtpolitisch zu sein: Wenn ihr keinen Krieg in der Ukraine wollt, dann überlaßt uns die Krim.
Die russische Intervention in der Ukraine ist nebenbei in Russland ziemlich unbeliebt: 73% der Russen sind dagegen. Könnte also sein, dass Putins Position bei etwas Gegenwind arg ins Wanken geriete.
@ Domingo
Zustimmung und schöne Ausführung
Scheint mir so als ob morgen im Stab eine interessante Morgenlage besprochen wird. Ich hoffe, dass es zu einem gewaltfreien Abzug der russischen Streitkräfte aus der Krim kommt. Ein Krieg in der Ukraine hätte Folgen, die wir uns gar nicht ausmalen könnten.
@J.R.
Sie haben recht, dass viele Krim Bewohner lieber unter ukrainischer Herrschaft stehen möchten als unter russischer. Die Krim Tataren sind zwar quasi ein eigenständiger Volksstamm (historisch recht interessante Geschichte!) aber in der Ukraine gut aufgehoben und nciht als eine Minderheit diskriminiert. Das könnte sich bei einer „russischen Krim“ dann doch ändern.
@ K.Müller
Dass sie eine eher pro russische Haltung einnehmen ist ihre Meinung und absolut legitim. Aber ihre Argumentation bzgl Strategie und Co ist in meinen Augen unzureichend. Vielleicht haben wir Fehler gemacht im Kosovo, Afghanistan oder bei der Unterstützung der Opposition in der Ukraine.
Aber wir haben nun mal auch aus unseren Fehlern gelernt und lernen noch immer. Zumindest langsam ;-)
Und ich finde es absolut wichtig wenn man über legitimation militärischer Operationen diskutiert und daraus ggf auch Handlungen ableitet.
Was die russische Seite zur Zeit veranstaltet kann den Frieden in der Region und in großen Teilen Europas doch stark beeinträchtigen (und tut dies bereits). Fragen sie mal die baltischen Staaten, wie die die Aktionen Russlands zur Zeit sehen und bewerten.
Was macht die baltischen Staaten zu neutralen Beobachtern?
Ihre Spannungen mit Russland haben diese sich durch ihre Politik gegenüber ihren russischen Minderheiten größtenteils selbst zuzuschreiben.
Auch wenn da in letzter Zeit echte Fortschritte passiert sind.
Erlich gesagt wird das Russland-Europa/NATO Verhältnis seit Jahren von den Osteuropäern angeheizt.
Das ist einerseits dem dort vorherrschenden extremen Nationalismus geschuldet (wieso eigentlich in Osteuropa gedankengut von der EU gutgeheißen wird daß hierzulande zu Parteiverboten führen würde hat sich mir nie erschlossen), andererseits denke ich aber auch bewußten Kalkulationen.
Als „Frontstaaten“ haben diese Ländern einen völlig anderen Einfluß wie als die Armenhäuser Europas und es tun sich auch finanziell ganz andere Töpfe auf.
Auch der neuen ukrainischen Führung konnte eigentlich an einer Eskalation gelegen sein. Ökonomisch rentiert sich eine Investition in die Ukraine nicht.
Ist sie dagegen der Frontstaat und das Licht der Freiheit und Demokratie usw usw werden da Mittel hinfließen, die ansonsten eher unterbleiben würden.
Ich denke nur mit einer solch schnellen und harten Reaktion seitens Moskaus hat dort keiner gerechnet
der äußerer druck durch Russland scheint innenpolitisch neue allianzen zu fördern. mit Sergej Taruta und Rinat Akhmetow (zentrale Person in der Janukowitschpartei) haben sich zwei prominente Vertreter der östlichen businesscommunity explizit für die territoriale integrität der Ukraine ausgesprochen. aus einem längeren Brief Akhmetows:
„[…]
Я ответственно заявляю, что группа СКМ, которая сегодня насчитывает 300 тысяч человек и представляет Украину от запада до востока, от севера и до юга, сделает все возможное для сохранения целостности нашей страны.
Ринат Ахметов
Президент СКМ“
Kurz und sinngemäß: die SCM Gruppe mit ihren 300.000 Mitarbeitern wird alles ihr mögliche tun, um ihren Anteil für den erhalt der ukr. Unabhängigkeit und territorialen integrität beizutragen.
im weiteren Text wird auch der rest der oligarchen aufgefordert den gleichen kurs einzuschlagen (egal was das kosten mag).
@ jr, nmcm
fairerweise sollte man dazu sagen, dass die tataren nur 23% der Krimbevölkerung ausmachen. ein referendum auf der krim hätte also durchaus chancen auf erfolg …
@J.R.
Zu 73%: wenn man dem Link zu DW folgt landet man bei VTsIOM und wenn ich mich nicht vergooglet habe bezieht sich die Zahl auf diese http://wciom.ru/index.php?id=459&uid=114720 (*) Veröffentlichung vom 24.(!)02. Die Leute wurden laut Google-Übersetzer am 1-2 Februar interviewt zum Thema „The majority of Russians (73%) believes that Russia should not interfere in the conflict between the government and the opposition in Ukraine,…“.
Also ist es eine schöne Zahl die die momentane Lage nicht erfasst.
Zu 53%/23% woher kommen diese beiden Zahlen?
Pferdefuß, ick hör Dir trapsen …
Hoffentlich wird die NATO-Bündnissolidarität nicht eines Tages auf eine ganz harte Probe gestellt. Mourir pour Riga?
Wer ernsthaft glaubt, man könne so etwas wie den Maidan strategisch lenken und kontrollieren, hat noch nie eine wütende bzw. unter Druck geratene Menschenmenge mit Streß und Schlafentzug erlebt. Überlegungen, die eine von strategischen Interessen geleitete Fernsteuerung des Sturzes von Janukowitsch voraussetzen, sind schlicht ohne Grundlage in der Wirklichkeit.
Geplant war offensichtlich eine Verhandlungslösung mit geordneten Neuwahlen, die den Staat wieder stabilisiert. Und dann ist das Ding einfach außer Kontrolle geraten, weil Janukowitsch schwächer war als gedacht. Shit happens, das ist eben das Problem, wenn freischwebende basisdemokratische Versammlungen Politik machen – da gibt es niemanden, der ein echtes hartes Mandat hätte, und Verträge sind Makulatur, ehe sie geschlossen wurden.
@ Narf
Gallup-Umfrage auf der Krim, von 2013. Die Frage zur Staatszugehörigkeit ist auf Seite 17.
Und wieder verwechselt man Ethnie mit Sprache, Kultur, biologischer Herkunft, Staatsangehörigkeit und am Ende auch Religion. Nur wenn jemand russisch Spricht, ist man noch lange kein russischer Staatsbürger. Den Fehler hatte man in Mitteleuropa schon mit Deutsch gemacht.