Service: Abschied von de Maizière – zum Nachhören

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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat am (heutigen) Mittwochabend ihren Vorgänger Thomas de Maizière mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet. Die Reden beider Minister hat das Verteidigungsministerium auf seiner Webseite verlinkt, aber nur zum Herunterladen; deshalb als Service hier beide direkt zum Anhören:

 

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deMaiziere_BMVg_08jan2014.mp3     

 

(Was drin ist, weiß ich – noch – nicht; ich war zu der Veranstaltung nicht eingeladen und habe mir die beiden Dateien auch noch nicht anhören können. Das Redemanuskript von de Maizière habe ich leider nicht, das hat das Bundesinnenministerium nämlich nur an ausgewählte Journalisten verschickt hat mir ein freundlicher Kollege nettwerweise zukommen lassen, siehe unten.)

Nachtrag: Die in den Kommentaren und auch bereits in anderen Medien angesprochene Passage zum Vergleich der Einsätze mit anderen europäischen Verbündeten findet sich im Audio ab 11:20; außerdem gibt es bei 14:08  noch eine interessante Passage zu Staatssekretär Stéphane Beemelmans: Ich habe Sie mit ins Verteidigungsministerium gebracht. Auf meinen Wunsch und mit dem Einverständnis mit meiner Nachfolgerin bleiben Sie als die treibende Kraft der Neuausrichtung im Verteidigungsministerium.  

Das vorab veröffentliche Redemanuskript (nach erstem Vergleich scheint es mit der gehaltenen Rede weitestgehend übereinzustimmen):

Liebe Frau Kollegin,
für diese mich berührende Rede möchte ich mich herzlich bedanken. Und ich fühle mich geehrt, dass du mir heute einen Großen Zapfenstreich ausrichtest. Bei jedem Zapfenstreich, den ich gegeben habe, ging mir durch den Kopf: wie ist es wohl, wenn für mich ein Zapfenstreich gegeben wird? Heute werde ich es erfahren.
Die Bundeswehr ist mir ans Herz gewachsen. So habe ich es in meinem letzten Tagesbefehl kurz vor Weihnachten formuliert. Ich hätte auch sagen können: „Die Bundeswehr ist mir ins Herz gewachsen.“
Das war keine Liebe auf den ersten Blick. Gerne wäre ich vor fast drei Jahren Innenminister geblieben. Die Bundeskanzlerin hat es anders entschieden. So wie jetzt auch…
Aber ich habe schnell gemerkt und erfahren: Die Bundeswehr kann man nicht nur mit Verstand führen. Man kann Sie allerdings auch nicht nur mit Herz führen. Die Bundeswehr zu führen verlangt Herz und Härte.
Wundern Sie sich nicht, dass ich mit folgendem Gedanken beginne: In der Bundeswehr ist natürlich vieles nicht in Ordnung, nicht nur im Rüstungsbereich. Das ist normal für Institutionen dieser Größenordnungen. Ich habe in meiner Amtsführung viel Wert darauf gelegt, dass die Bundeswehr eine hohe Wertschätzung in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft erfährt. Aber das darf einen kritischen Blick auf Mängel nach innen nicht verstellen. Ich habe meine Rolle immer auch darin gesehen, Fehlentwicklungen offen anzusprechen und Fehler abzustellen. Ich wollte stets auch ein kritischer Chef sein.
Das hat mir zuweilen Ärger eingebracht. Auch innerhalb der Bundeswehr. Das gehört nach meinem Amtsverständnis aber dazu. Kein anderer Minister der Bundesrepublik Deutschland ist in dieser Weise auch als Chef von hunderttausenden von Menschen so gefordert und verantwortlich. Das ist einzigartig und großartig, verlangt aber auch viel.
Gute Führung verlangt nach meiner Auffassung Lob und Tadel. Und beides selten. Ich erwähne das bei meinem Abschied vor allem deshalb, um bei denen für Verständnis zu werben, die meine Kritik nicht verstanden oder abgelehnt haben. Jedenfalls mein Motiv möchte ich offenlegen.
Eine Institution, die sich mit dem Erreichten zufrieden gibt und sich ständig selbst auf die Schulter klopft oder geklopft werden möchte, verliert an Selbstkritik und Klasse. Abstieg beginnt nicht mit Mängeln, sondern mit Selbstzufriedenheit.
Im Mittelpunkt meiner Arbeit stand aber natürlich die Neuausrichtung der Bundeswehr, die sicherheitspolitische Verantwortung Deutschlands in der Welt und die Durchführung der Einsätze. Dazu möchte ich mich heute äußern.
Zur Neuausrichtung
Die Neuausrichtung der Bundeswehr hatte für mich folgende Ziele:
– Die Bundeswehr soll der internationalen Verantwortung Deutschlands als Armee im Einsatz, mit politischem Auftrag, in verschiedenen Einsätzen – von einer Waffenstillstandsüberwachung bis hin zum Kampfeinsatz – gerecht werden können.
– Die Bundeswehr soll demografiefest und gut ausgerüstet sein.
– Die Bundeswehr soll nachhaltig finanziert sein.
– Die Bundeswehr soll ein attraktiver Arbeitgeber sein.
– Die Bundeswehr soll als ein ganz besonderer Teil der Gesellschaft Wertschätzung und Zuwendung erfahren.
– Und in der Bundeswehr sollen die Soldaten kameradschaftlich und die zivilen Mitarbeiter kollegial miteinander umgehen. Einsatzbereitschaft, Tapferkeit, gute Führung und die Freude am dienen sollen die Bundeswehr prägen. Manche mögen das altmodisch finden. Ich finde es nötig und zukunftsweisend.
Für die Neuausrichtung der Bundeswehr waren in kürzester Zeit viele Entscheidungen vorzubereiten, zu planen und zu treffen, die weit in die Zukunft reichen:
– Die verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2011 als sicherheitspolitische Grundlage
– Die Eckpunkte zur Neuausrichtung, ebenfalls vom Mai 2011.
– Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Einführung des Freiwilligen Wehrdienstes zum 1. Juli 2011.
– Die Entscheidung über die zukünftige materielle Ausstattung in Form der Entscheidung über die erforderliche Anzahl der Großgeräte zu Lande, zur Luft und zu Wasser.
– Die Entscheidung über die Grobstrukturen der Bundeswehr auf allen Ebenen.
Die Neuorganisation aller Führungsstrukturen und aller Kommandoebenen.
– Die Neuordnung und Verschlankung des Bundesministeriums der Verteidigung selbst.
– Ein Personalabbau von über 300.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten und rund 55.000 Stellen für zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
– Rund 5.000 von 6.400 Organisationseinheiten sind direkt von der Neuausrichtung betroffen.
– Wegen dieser gewaltigen Veränderungen erarbeiteten wir ein Reformbegleitprogramm und ein entsprechendes Reformbegleitgesetz.
– Für die Öffentlichkeit am sichtbarsten, wenn auch nicht am Wichtigsten, war das Stationierungskonzept vom 26.10.2011 mit der Festlegung, wo und in welchem Umfang die Bundeswehr in Deutschland künftig Standorte unterhalten wird.
– Es folgte das Konzept der Reserve vom Februar 2012.
– Der Dresdner Erlass regelt die neue Spitzengliederung der Bundeswehr. Erstmalig seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wird der Generalinspekteur der Bundeswehr oberster Soldat und truppendienstlicher Vorgesetzter aller Soldaten.
– Die Realisierungsplanung legt fest, bis wann im Einzelnen jede Dienststelle umstrukturiert sein wird.
– Das neue Personalstrukturmodell (PSM 185) bestimmt die Dienstpostenaufteilung im Einzelnen für die gesamte Bundeswehr.
– Zwei große Projekte sind in Arbeit: Das Projekt Deregulierung. Und das Projekt Ausbildung.
Mit der Neuausrichtung waren und sind viele Probleme verbunden, vor allem bei der Umsetzung. Ziel der Neuausrichtung war es nicht und konnte es nicht sein,die Zufriedenheit der Soldaten und Mitarbeiter zu erhöhen. Das Ziel der Neuausrichtung war und ist, den Auftrag der Bundeswehr zukunftsfähig erfüllen zu können.
Und doch ist es ein wesentliches Ziel, die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Soldatinnen und Soldaten mit der Neuausrichtung der Bundeswehr in einen besseren Einklang zu bringen. Da ist noch viel zu tun. Insbesondere bei der Verringerung der Notwendigkeit vieler Umzüge und Versetzungen sowie bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ohne allerdings das typisch soldatische aufzugeben. Ja, auch die Planbarkeit von Zeit ist für die Attraktivität der Bundeswehr von großer Bedeutung. Aber ebenso gilt für mich der Grundsatz: Im Zweifel ist ein Soldat immer im Dienst.
Das führt mich zu einem letzten Gedanken zur Neuausrichtung der Bundeswehr. Die Neuausrichtung der Bundeswehr behandelt nicht nur Strukturfragen. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist genauso ein geistiger Prozess. Ohne Veränderung von Mentalitäten bisheriger Art wird die Neuausrichtung der Bundeswehr keinen Erfolg haben. Deshalb habe ich Diskussionen angestoßen zum Selbstverständnis der Bundeswehr, zum Begriff des Veteranen und auch zur Tradition der Bundeswehr, die insbesondere wertvolle Traditionen der neueren Bundeswehr in den Blick nimmt.
Nun zu den Einsätzen:
Es ist schon ein kleines Wunder, dass die Bundeswehr trotz ihrer Neuausrichtung gleichzeitig ihre Bewährung in den Einsätzen bestanden hat und besteht. Wir haben Einsätze erfolgreich beendet wie in Bosnien und Herzegowina oder verantwortungsbewusst reduziert wie im Kosovo. Wir haben aktiv auf neue Herausforderungen reagiert wie in der Türkei oder in Mali. Wir
haben Weichen für das Ende des ISAF-Einsatzes in AFG gestellt und für einen neuen, anderen Einsatz (Resolute Support) für AFG vorbereitet. Und wir haben einen starken sicherheits- und militärpolitischen Beitrag in internationalen Organisationen, vor allem der NATO geleistet z. B. mit dem Konzept der Rahmennation.
Die NATO und auf absehbare Zeit niemand sonst – ist und bleibt für mich der sicherheitspolitische Anker Deutschlands.
Auch im internationalen Vergleich hat sich die Bundeswehr in internationalen Einsätzen vorzüglich bewährt. Dies gilt für die Einsatzvorbereitung, für dieDurchführung und inzwischen auch für die Nachbereitung. Ein vernetzter Ansatz in den Einsätzen wird von den Soldaten der Bundeswehr gelebt. Sie wissen um die Begrenztheit des Militärischen zur Lösung internationaler Konflikte. Nicht alle Akteure sind so zur gegenseitigen Zusammenarbeit bereit wie die Bundeswehr.
Wir haben gelernt, mit unseren Verwundeten fürsorglich und menschlich umzugehen. Auch hier bleibt allerdings noch viel zu tun insbesondere bei dem Umgang mit seelischen Verwundungen. Ein besonderes Anliegen war mir der Sport als Hilfe für verwundete Soldaten.
Wir haben gemeinsam mit den Hinterbliebenen würdig unserer Gefallenen gedacht.
Die Begegnungen mit den Hinterbliebenen bei den Trauerfeiern oder zum Beispiel beim Volkstrauertag gehören für mich zu den intensivsten, bewegensten und erfüllendsten Momenten meiner Amtszeit, ja meines ganzen Lebens.
Als aktiver Verteidigungsminister musste ich mich bei manchen Formulierungen zurückhalten. Heute muss ich das nicht mehr im gleichen Umfang. Deswegen
möchte ich zu unseren Einsätzen noch folgendes sagen:  Deutschland braucht von niemandem in Europa Belehrungen über Art und
Ausmaß unserer internationalen Einsätze. Das gilt auch für Frankreich und Großbritannien. Wir sind bei internationalen Einsätzen mehrfach stärker engagiert als Frankreich. Frankreich hat allerdings aus nationalen Interessen andere starke Einsatzverpflichtungen. Deutschland steht zu seinen Verpflichtungen, auch wenn es innenpolitisch schwierig ist. Eine
Abstimmungsniederlage zur Zustimmung zu einem Einsatz hat eine deutsche Bundesregierung noch nicht erlebt. Insbesondere in AFG, dem schwierigsten Einsatz, haben wir frühzeitig die Bereitschaft zu einem nachhaltigen Engagement unterstrichen, mehr als alle unseren europäischen Partner einschließlich Großbritanniens.
Die fast drei Jahre meiner Amtszeit waren prall gefüllt mit Arbeit: ich habe 34 Auslandsreisen durchgeführt, davon 20 Einsatzreisen, davon wiederum 14 nach
AFG. Ich habe im Laufe der Zeit rund 80 Standort im Inland besucht, insbesondere auch Standorte, die von meinen Entscheidungen besonders negativ betroffen waren. Wir haben Klausurtagungen durchgeführt, Besprechungen aller Art, Vier-Augen-Gespräche mit den Abteilungsleitern und Inspekteuren. Und vieles andere mehr. All das wäre nicht möglich gewesen,
ohne sehr viel Hilfe:
Das beginnt in meinem Büro, bei meiner Sekretärin Frau Richter, die mich seit dem Kanzleramt begleitet. Über die Büroorganisation, das Büro des Persönlichen
Referenten, die Redenschreiber, vor allem die Adjutantur, die professionell und liebevoll jede Reise vorbereitet hat. Ich nenne hier insbesondere meinen
Adjutanten, Kapitän zur See Stawitzki, der mir ein großartiger Adjutant war. Bis hin zum Leiter meines Leitungsstabes, Dr. Teichmann.
Ich bedanke mich bei meinen Kraftfahrern, die tausende von Kilometern unfallfrei für mich und mit mir gefahren sind.
Ich bedanke mich bei meinen Personenschützern, die mich überall hin begleitet haben und mich wirklich in jeder Weise in AFG und anderswo beschützt haben.
Ich bedanke mich bei den beamteten und parlamentarischen Staatssekretären, Herrn Kossendey, Herrn Schmidt, Herrn Wolf und Herrn Staatssekretär Beemelmans. Ich habe Sie mit ins Verteidigungsministerium gebracht. Auf meinen Wunsch und mit dem Einverständnis mit meiner Nachfolgerin bleiben Sie als die treibende Kraft der Neuausrichtung im Verteidigungsministerium.
Ich bedanke mich bei Generalinspekteur Wieker. Sie sind ein ganz besonderer Generalinspekteur: klar, äußerst kenntnisreich, abgewogen, zuverlässig, politisch denkend, anerkannt über alle Parteigrenzen hinweg. Ich wiederhole gerne, was ich bei anderer Gelegenheit gesagt habe: Wer Sie einmal erlebt hat bei Trauerfeiern für gefallene Soldaten, der weiß, was für ein wunderbarer Mensch Sie sind.
Ich bedanke mich bei den Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern, den Inspekteuren und Präsidenten. Sie alle haben in und mit der Neuausrichtung der Bundeswehr Großartiges geleistet.
Ich bedanke mich bei den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, für die sich auch viel geändert hat und ändern wird im Rahmen des gemischten Ansatzes, den ich verfolgt habe. Und ich bedanke mich bei den Soldatinnen und Soldaten aller Dienstgrade.
Ich habe bewusst bei vielen Ernennungen von Leutnanten formuliert: „Wenn Sie heute Offizier werden, vergessen Sie nie, dass Ihr Beruf nicht Offizier wird, sondern Soldat bleibt. Vom Rekruten bis zum Generalinspekteur bleiben Sie über alle Dienstgrade hinweg kameradschaftlich verbundene Soldaten.“
Die Soldaten haben mich übrigens auch von einem Rücktritt abgehalten, mitten in der Euro Hawk-Krise, mitten in der Flut und mitten im Kampf um das Umspannwerk in Magdeburg.
So nehme ich heute Abschied in großer Dankbarkeit:
– Ich bin dankbar für den unglaublichen Gestaltungsspielraum, den ich in meiner Amtszeit hatte.
– Ich bin dankbar für die internationalen Erfahrungen, die ich sammeln und weitergeben durfte.
– Und ich bedanke mich vor allem für die vielen Begegnungen mit Menschen und menschlichen Begegnungen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu den Liedern sagen, die ich mir ausgesucht habe.
1. Es beginnt mit dem Marsch „Wir.Dienen.Deutschland.“ Das ist die Kernbotschaft, die ich für die Bundeswehr entschieden habe. Dazu hast Du, Ursula, das Entscheidende gesagt.
2. Das zweite Lied ist eine militärmusikalische Umsetzung des Lieds „live ist life“. Dieses Lied begleitet meine Frau und mich unser ganzes gemeinsames Leben. Für mich war und ist das leben immer live, bis in die letzten Tage hinein…
3. Und schließen wird die Serenade mit dem wunderbaren Lied „Großer Gott, wir loben Dich“. Die Menschen sind für vieles Verantwortlich. Gott sei Dank. Aber nicht für alles. Unser Leben ist in Gottes Hand, am Schreibtisch und im Gefecht. Und das möchte ich mit diesem Lied zum Ausdruck bringen.
Liebe Ursula,
ich wünsche Dir für Deine Amtszeit als Bundesministerin der Verteidigung viel Erfolg, Glück und Fortune und Gottes Segen.
Die Bundeswehr ist mir ans Herz gewachsen. Das bleibt. Über meine Amtszeit hinaus.
Ich melde mich ab.