BMVg zahlt für Forschung an Unis mehr als das Pentagon – aber geheim
Für eine gewisse Aufregung sorgen am (heutigen) Montag Berichte der Süddeutschen Zeitung (Link aus bekannten Gründen nicht) und der ARD, nach denen das US-Verteidigungsministerium Forschungsaufträge an deutsche Hochschulen vergeben hat. Allerdings: Die Höhe der Pentagon-Aufträge lag unter der des deutschen Verteidigungsministeriums – und die Pentagon-Aufträge sind (und waren) öffentlich:
Das US-Verteidigungsministerium hat in den vergangenen Jahren mit mehr als zehn Millionen Dollar Projekte an 22 deutschen Hochschulen finanziert, teils für Grundlagenforschung, teils für Rüstungsforschung. Dabei sind auch Universitäten, die sich friedlicher Forschung verpflichtet haben. (…)
Die Verträge finden sich in einer öffentlich zugänglichen Datenbank (www.usaspending.gov). Wie eine Auswertung im Rahmen des Rechercheprojekts „Geheimer Krieg“ zeigt, waren seit dem Jahr 2000 mindestens 18 deutsche Hochschulen an Forschungsprojekten beteiligt, die das Pentagon bezuschusst hat.
heißt es in der ARD-Meldung. Wie das beim deutschen Wehrressort aussieht, teilte das BMVg heute nach entsprechenden Fragen in der Bundespressekonferenz mit:
Im Nachgang zur heutigen Regierungspressekonferenz teilen wir zur Frage „Wie hoch ist der Forschungsetat des Verteidigungsministeriums und die Höhe der Drittmittel, die an deutsche Hochschulen vergeben werden?“ mit:
Der Anteil des Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungsetats des Verteidigungsministeriums beträgt pro Jahr ca. 900 Mio €.
Das Verteidigungsministerium betreibt keine allgemeine Forschungsförderung.
Forschungsaufträge, die bedarfsorientiert an deutsche Hochschulen vergeben werden, umfassten im Durchschnitt der letzten drei Jahre ein Auftragsvolumen von ca. 10 Mio € pro Jahr.
Die Aufträge umfassen Themenbereiche der wehrtechnischen Forschung, der wehrmedizinischen und der wehrpsychologischen Forschung, der militärgeschichtlichen und der sozialwissenschaftlichen Forschung sowie der geowissenschaftlichen Forschung.
Detailliertere Angaben zu den Forschungsaufträgen sind aus Gründen der militärischen und der zivilen Sicherheit nicht möglich.
Also mehr als zehn Millionen Dollar in den vergangenen Jahren gegenüber durchschnittlich zehn Millionen Euro pro Jahr. Da würde ich doch mal sagen, geheimer Krieg hin oder her: Die USA machen ihre Aufträge (nicht nur die Forschungsaufträge) öffentlich. Ein bisschen weniger Geheimes würde ich mir vom deutschen Ministerium auch wünschen.
Also Herr Wiegold, der Vergleich ist unfair.
Die Amerikaner lassen sicherlich keine wirklich geheimen Dinge an deutschen Hochschulen erforschen. Das wird zuhause gemacht und die Daten dazu werden auch nicht veröffentlicht. Da verhalten die sich sinnvollerweise genauso wie die Bundeswehr.
Warum glauben Sie hat das Pentagon seit fast 20 Jahren keine Bilanz oder wenigstens vollständige Ausgabenrechnung vorgelegt? Da sind Milliarden im Etat die in „schwarze“ Rüstungsprojekte gehen und die daran beteiligten Unis werden die entsprechenden Tätigkeiten schweigen.
Und die Bundeswehr lässt wirklich geheime Dinge an deutschen Hochschulen erforschen?
Geheimnisse sollten im Grundsatz Geheimnisse bleiben – aber nur dann, wenn sie wirklich geheimhaltungsbedürftig sind.
Geheimniskrämerei aus Prinzip hingegen macht verdächtig. Dafür gibt es viele Beispiele in der deutschen Sicherheitspolitik, bei einem selbstbewussten Einstehen für unsere Interessen angefangen. Auch bei den Forschungsaufträgen an deutsche Hochschulen dürfte ein Schuss mehr Offenheit zwar kurzfristig unbequem, aber langfristig heilsam sein. Das „Sicherheitsargument“ scheint in vielen Fällen nur vorgeschoben.
Etwas mehr Mut zur eigenen Courage ist jedenfalls für eine Entkrampfung der öffentlichen Meinung der Bundeswehr gegenüber nicht schädlich – auch nicht in der Hochschullandschaft, die kritisch ist und dies generell auch sein muss. (Vielleicht würde diese durch Offenheit erzielte Entkrampfung sogar auf lange Sicht das Unbehagen des Hptm Wullers – siehe anderen Thread – lindern.)
Umgekehrt gilt übrigens das Gleiche, auch wenn es vorübergehend weh tut: Gerade Hochschulen müssen ihre Geldgeber von Anfang an ehrlich offenlegen, um nicht in einen (tatsächlich zutreffenden oder auch nur böswillig unterstellten) Verdacht zu geraten, verdeckt Forschung für Dritte zu betreiben und zugleich die eigenen wissenschaftlichen Ideale zu verraten. So sollten Demokratien jedenfalls ticken.
Danke für den Vergleich! Spannender Einblick!
hr-info hat im Zuge der Berichterstattung die hessischen Universitäten in den Fokus genommen. Also für Verschwörungstheoretiker ein gefundenes Fressen um sich was zusammenzuspinnen. ;)
In Marburg wurde das Flugverhalten von Insekten erforscht. Gefördert wurde das Ganze mit 70.000 US-Dollar über zweieinhalb Jahre. Und öffentlich ist der Bericht auch: http://www.ndr.de/geheimer_krieg/forschungsbericht107.pdf
Warum ich das Beispiel oben aufführe: Weil ich auch wie TW glaube, dass das BMVg in solchen Sachen auch etwas mehr transparenter sein könnte. Denn die Begründung „Detailliertere Angaben zu den Forschungsaufträgen sind aus Gründen der militärischen und der zivilen Sicherheit nicht möglich.“ wird wohlmöglich mal wieder für alles genommen. Auch das Flugverhalten von Scheißhausfliegen im BMVg wird mindestens VS – Streng geheim sein. (Das war jetzt nen Witz!).
Mehr Transparenz gerade in solchen Sachen würde das Misstrauen mindern, welches durch obiges Statement eher wieder zunehmen wird.
Dass solche Forschung in Deutschland vertraulich behandelt wird, ist wohl in erster Linie der Verhinderung von Übergriffen von Aktivisten geschuldet, die andernfalls zu erwarten wären. Es gibt dafür leider einige Präzedenzfälle, bei denen es u.a. auch Drohungen gegen Mitarbeiter von Universitäten oder Störung von Lehrveranstaltungen gab.
Besser als das Wegducken in Form von Geheimhaltung, dass doch nur verwendet wird um weiteres Misstrauen zu schüren, wäre es, aktiv gegen die Extremisten vorzugehen, von denen Störungen und Drohungen ausgehen.
@Westfale: Richtig. Was immer noch unbegreiflich ist, ist, warum Leute, die explizit gegen universitäre Forschung und Lehre vorgehen, nicht sofort exmatrikuliert und mit Hausverbot belegt werden.
@califax
In den mir bekannten Fällen haben die Unis Angst vor den Reaktionen dieser Extremisten, die an manchen Unis zahlenmässig recht stark vertreten sind und auch mit einer gewissen Sympathie in bestimmten Parteien und Teilen der Medien rechnen können. Die Täter werden in solchen Fällen gerne zu Opfern hochstilisiert, und couragierte Universitätsvertreter stehen in solchen Fällen rasch am Pranger.
Der organisierte Grundgesetzbruch, der z.B. im Rahmen der „Zivilklauseln“ betrieben wird, konnte sich überhaupt nur wegen des von Extremisten geschaffenen Klimas der Angst durchsetzen, in dem kritische Professoren mit Farbbeutelwürfen, Drohungen oder Störung ihrer Veranstaltungen rechnen müssen.
Ein wenig mehr Recherche und der Skandal verschwindet, und mit ihm leider auch die Schlagzeile zusammen mit den drei Spalten auf Seite 4:
http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NY1BC4MwDIX_UavDw9htIsKuuzh3kVZjF2ZTqYmDsR-_drA8eCF8jxd910lkdnSGMZBZ9E33I57sS1m_O-WRcGOIKF4Zma2RYRZ65qyaEAZjGXARckCJb1Fg43QNJPzOG2kO0f-6U834IHzqLv-cQI2BgLMzEGNyFw2HqNYQeclEYkxE4aT7omzqoiz-U36Obdt0XXWomkt91av35y_9fyPf/
und
http://www.bundeshaushalt-info.de/startseite/#/2012/soll/ausgaben/einzelplan/142055101.html
Ich finde die sg. Zivilklauseln, die jegliche Verteidigungsforschung an normalen Unis unterbinden wollen aus zwei Gründen für sehr schädlich:
1. Es entsteht der Eindruck, dass die wissenschaftliche Unterstützung der Bundeswehr etwas Verwerfliches sei, für das man sich schämen müsse.
2. Wenn die Bundeswehr wird von der Expertise universiäterer Spitzenforschung weitgehend abgekoppelt und ist bei Entwicklungsvorhaben fast ausschließlich von der Rüstungsindustrie abhängig. Zwar gibt eine Reihe von außeruniversitären Forschungseinrichtung auf die die wehrtechnischen Dienststellen zurückgreifen können (WiWEB, FGAN, FHG, DLR). Aber diese sind ihrerseits wieder sehr vom universitären Nachwuchs abhängig, der auf lange Sicht ja eher schrumpfen wird. Außerdem ist die wehrtechnische Forschung durch die vielen Geheimhaltungsvereinbarungen, so weitgehend von der Publikationspflicht abgeschottet, dass Mondprojekte lange Zeit weiterlaufen können, ohne dass wie in der freien Forschung üblich Fehlentwicklungen gebranntmarkt, gestoppt oder korrigiert werden.
Die derzeitige Hexenjagd nach Verteidigungsforschung an den Universiäten ist daher aus meiner Sicht doppelt schädlich und sollte von der Politik kritisch hinterfragt und wo möglich auch gestoppt werden.
Auch wenn sich manche Unis mit ihren Zivilklauseln rühmen, so lassen sie sich eigentlich vor einen pazifistischen Karren spannen, der das Wasch mich – aber mach mich nicht nicht nass Prinzip – zur allgemeinen Handlungsgrundlage erhebt und die Bundeswehr stigmatisiert. Da darf man sich dann nicht wundern, dass Dozenten und Vortragende aus dem Verteidigungssektor in Universitäten offen angefeindet und niedergebrüllt werden.
Das geht jetzt die Medien rauf und runter. Natürlich undifferenziert und so, dass der Bürgermedienkunde die Botschaft auch versteht. Sie lautet: Forschung, vom Militär finanziert, fördert den Krieg. Da kann man jetzt argumentieren so gut man kann und soviel man will, es erfordert etwas Nachdenken um diese Argumente nachzuvollziehen. Diese Zeit hat der Bürgermedienkunde nicht. Aber eines hat die Nachrichtenflut auch für sich: in drei Tagen haben es 99,99% vergessen, worüber sie sich heute noch lecker aufgeregt haben.
@TW: Die Frequenz der Anfragen an das BMVg bzgl. der Forschungsförderung an deutschen Hochschulen ist ohnesgleichen. Wenn man die jeweils in der, oft regional geprägten, Tagespresse verfolgt, so wurde fast jedesmal konkret das Forschungsthema der regionalen Hochschule benannt. Von einem übertriebenen Geheimhaltungsbedürfniss kann aus meiner Sicht daher nicht gesprochen werden.
Viel mehr muss man doch attestieren, dass das Mißtrauen gegenüber der Bundeswehr in Teilen der Gesellschaft derart groß ist, dass eine Veröffentlichung der Forschungsthemen besonders Engagierte auf den Plan ruft, die der Bundeswehr das schlechtmöglichste bzgl. der Absichten unterstellen. Von den Bedrohungen gegenüber der Geförderten will ich garnicht erst reden. Die Bundeswehr wird meiner Meinung nach durch eine höhere Transparenz keine Fortschritte in der gesellschaftlichen Akzeptanz erreichen.
Stellt man sich nun die Frage, mit welchem Vorgehen der „äußeren Sicherheit der Bundesrepublik“ (das müsste wohl der Auftrag der Bundeswehr sein) am besten gedient ist, so lässt sich wohl trefflich darüber streiten ob die von Ihnen geforderte Offenheit einen sittlichen Mehrwert besitzt. Ich kann die Auswirkungen nicht überblicken, bin jedoch eher skeptisch.
Vielmehr noch fragt sich ein nicht geringer Teil der Bevölkerung, was das denn für eine Armee ist, die so scheinbar (wörtlich) rein garnichts geheim halten kann, sobald jemand mit seiner Anstellung bei einem Presseorgan hausieren geht.
10 Mio sind doch nun wirklich Peanuts….wenn man sich mal die finanziellen Mittel des MIT oder Harvard etc anschaut, dann könnten die allein schon ganz Deutschland finanzieren.
Geheim heisst letztlich nur, dass die Ergebnisse derer die die Arbeit machen (Wissenschaftler und Co) nicht ihnen gehören. Sie dürfen die Währung der Wissenschaft, die Publikation, nicht nutzen. Es ist letztlich Auftragsforschung. Und zum Thema geheim gehört halt auch, dass die gewonnenen Ergebnisse und ggf Materialien dem Auftraggeber gehören und darüber nicht kommuniziert wird. Es werden lediglich universitäre Kapazitäten gegen Bezahlung genutzt. Häufig ist es sogar so, dass technische Apparaturen gestellt werden, bzw. der Verschleiss jener vetraglich bezahlt werden.
Nur weil Militär und Forschung und geheim in einem Satz genannt werden, heisst dies nicht, dass dort Zombies gezüchtet oder neue Superwaffen gebaut werden.
Was heißt geheim. Bei uns an der HS Koblenz ,genauer gesagt der Fachbereich Ingenieurwesen, flattern Regelmäßig Stellenausschreibungen, inkl. kurzer Themen Skizzierung, für Bachelor- und Masterarbeiten beim BWB oder den WTDs in Koblenz und Trier über den Mailverteiler. Der eine oder andere Prof redet sogar offen darüber was für tolle Projekte die Bw öfters hat.
Aber auch bei uns gab es im Februar/März eine einzelne Forderung nach einer Zivilklausel. Allerdings aus dem Fachbereich Sozialwesen. Diese wurde auch dem entsprechend ernst genommen.
Na also, vieles scheint also in Wirklichkeit gar nicht so geheim zu sein. Nur das BMVg (bzw. dessen Pressesprecher) macht mit dem fadenscheinigen Hinweis auf „die Sicherheit“ ein Geheimnis daraus. Siehe letzter Satz der Presseerklärung. Dahinter steckt wohl kaum mehr als eine lähmende Angst vor offenen Flanken und unliebsamen Diskussionen. Kein beeindruckendes Selbstbewusstsein und keine hilfreiche Debattenkultur.
Schon allein aus Wettbewerbsgründen ist es nicht immer sinnvoll mit Forschungsaufträgen (übrigens auch aus der Industrie) öffentlich zu werben- Autokonzerne halten ihre Entwicklungen doch auch „geheim“.
Und was ist eigentlich so verwerflich daran für Verteidigungsministerien zu forschen?
Ich finde dieses journalistische Gezetere mehr als eigenartig.