Syrien: „Nie ein militärisches Engagement Deutschlands in Betracht gezogen“

Die Entscheidung über einen möglichen Angriff auf Syrien scheint jetzt allein bei den USA zu liegen. Der Wunschpartner Großbritannien fällt aus, dass der UN-Sicherheitsrat ein militärisches Eingreifen autorisiert ist unwahrscheinlich, und die Unterstützung Frankreichs und der Türkei ist politisch von Bedeutung, aber kaum militärisch.

In dieser Situation noch mal zum Nachlesen, wie sich Deutschland positioniert – aus der heutigen Bundespressekonferenz. Darin die schon vermeldete Aussage, ein militärisches Engagement Deutschlands sei nie in Betracht gezogen worden (Die allerdings deswegen ein wenig merkwürdig klingt, weil die Bundesregierung in dieser Woche auch die UN-Initiative Großbritanniens begrüßt hat – und in der war ausdrücklich von der Ermächtigung zu allen notwendigen Maßnahmen unter Kapitel VII der UN-Charta die Rede, also auch von militärischen Mitteln).

Die Dokumentation der Aussagen von Regierungssprecher Steffen Seibert und Andreas Peschke, dem Sprecher des Auswärtigen Amtes:

FRAGE: Herr Seibert, teilt die Bundesregierung die Auffassung des britischen Parlaments, dass es jetzt nicht zu einem militärischen Einsatz der Weltgemeinschaft gegen das syrische Regime kommen sollte?

STS SEIBERT: Sie werden verstehen, dass ich Entscheidungen des britischen Parlaments hier nicht zu kommentieren habe. Ich sage Ihnen gerne die Haltung der Bundesregierung in diesen Tagen.

Wie Sie an den Telefongesprächen der Bundeskanzlerin in den letzten etwa 36 Stunden, die wir ja auch öffentlich gemacht haben, gesehen haben, berät sich die Kanzlerin intensiv mit unseren Partnern und mit den wichtigen Akteuren. Ebenso steht der Außenminister im ständigen engen Kontakt zu zahlreichen Partnern.

Unsere Überzeugung bleibt: Ein solch grausamer Chemiewaffeneinsatz gegen Hunderte von Männern, Frauen und Kinder ist ein Verbrechen und ist ein Verstoß gegen internationale Normen, der nicht ohne Konsequenzen bleiben darf. Dazu muss nach unserer festen Überzeugung die internationale Staatengemeinschaft eine klare Haltung einnehmen. Wir unterstützen daher, dass der UN-Sicherheitsrat mit dieser sehr ernsten Lage befasst ist. Wir hoffen, dass das Gremium nun auch seiner Verantwortung gerecht werden wird. Wir hoffen, dass niemand im UN-Sicherheitsrat die Augen vor einem solchen Verbrechen verschließt.

Darüber hinaus kann ich Ihnen heute keinen neuen Sachstand öffentlich machen. Die Konzentration liegt derzeit auf dem Prozess in den Vereinten Nationen. Sie wissen, dass heute die Inspektionsmission der UNO in Syrien endet. Morgen werden die Inspekteure abreisen. Wir erwarten, dass der Bericht, der dann hoffentlich bald dem Sicherheitsrat zugeleitet wird, noch klarer Auskunft über die Art und Weise dieses Verbrechens geben wird.

ZUSATZFRAGE: Herr Seibert, dies ist nicht nur eine Entscheidung des britischen Parlaments, sondern es gibt auch eine Erklärung des britischen Premierministers, dass Großbritannien jetzt nicht zu militärischen Schritten greifen wird. Begrüßt die Bundesregierung diese Erklärung?

STS SEIBERT: Außenminister Westerwelle hat sich ja heute Morgen schon geäußert. Ich will noch einmal ganz ausdrücklich unterstreichen, was er damit für die gesamte Bundesregierung gesagt hat: Es hat bei uns keine Anfragen nach militärischem Engagement gegeben, von der Bundesregierung ist auch nie ein militärisches Engagement Deutschlands in Betracht gezogen worden. Sie wissen: Verfassung und Rechtsprechung setzen dem in Deutschland enge Grenzen.

ZUSATZFRAGE: Aber es müsste ja eine Haltung der Bundesregierung dazu geben, ob überhaupt militärische Schritte auch anderer Staaten ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats richtig oder falsch wären.

STS SEIBERT: Ich will jetzt weiterhin nicht mutmaßen, was die richtige, klare internationale Antwort auf dieses Verbrechen sein soll oder sein kann. Der UN-Sicherheitsrat hat sich damit zu befassen. Wir hoffen, er wird eine einstimmige Haltung dazu entwickeln, und ich werde nicht einzelne Möglichkeiten, wie eine solche Haltung aussehen kann, in der Öffentlichkeit diskutieren. Ich habe das gesagt, was für Deutschland und für die Bundesregierung das Entscheidende ist.

FRAGE: Herr Seibert, ich habe zwei Fragen.

Erstens. Können Sie mir erklären, wieso zumindest der deutsche Außenminister jetzt Klartext gesprochen und erklärt hat, er lehne eine deutsche Teilnahme an einem Militärschlag ab? Gibt es dafür Gründe, die Sie mir namens der Bundesregierung mitteilen können?

Zweitens. Fand das Telefonat mit Herrn Obama eigentlich auf Wunsch der Kanzlerin statt, damit sie Herrn Obama von Militärschlägen abhalten kann, oder hat der US-Präsident die deutsche Bundeskanzlerin einfach nur über seine Haltung informiert?

STS SEIBERT: Das Telefonat der Bundeskanzlerin mit dem US-Präsidenten wie auch ihre Telefonate mit Herrn Cameron, Herrn Hollande, Herrn Putin finden im beiderseitigen Interesse und auf beiderseitigen Wunsch statt. Es sind ausführliche Gespräche über diese sehr ernste Lage. Was wir dazu öffentlich machen können, das haben wir anschließend in Pressemitteilungen öffentlich gemacht.

Zu dem Ersten Sie beziehen sich auf Äußerungen von Außenminister Westerwelle kann vielleicht Herr Peschke noch etwas sagen.

ZUSATZFRAGE: Entschuldigung, ich hätte gerne den Regierungssprecher gefragt, weil Sie sich ja die heutige Erklärung von Herrn Westerwelle ausdrücklich zu eigen gemacht haben. Deswegen: Nichts gegen Sie, Herr Peschke; aber ich habe den Regierungssprecher gefragt, ob er Frau Merkel belastbar zitieren kann.

PESCHKE: Bevor Herr Seibert das noch einmal klarzieht er hat es ja gerade schon gesagt , möchte ich, weil mir in Ihrer Frage ein leicht falscher Zungenschlag aufgetaucht zu sein scheint, nur noch einmal den genauen Wortlaut der Erklärung des Außenministers vortragen. Er wurde nach einer möglichen deutschen Beteiligung an einer Militäraktion gefragt. Die wörtliche Antwort des Außenministers darauf lautete:

„Eine solche Beteiligung ist weder nachgefragt worden noch wird sie von uns in Betracht gezogen. Uns setzen unsere Verfassung und die Rechtsprechung enge Grenzen. Wir drängen darauf, dass der Sicherheitsrat zu einer gemeinsamen Haltung findet und dass die Arbeit der UN-Inspektoren möglichst schnell abgeschlossen wird.“

Sie sehen: Der Satz „Eine solche Beteiligung ist weder nachgefragt worden noch wird sie von uns in Betracht gezogen“ ist wortidentisch mit dem, was Herr Seibert, soweit ich es gehört habe, gerade auch gesagt hat.

STS SEIBERT: Ich erinnere mich auch so. Es ist einfach so, dass der Außenminister damit das habe ich gerade schon gesagt für die gesamte Bundesregierung gesprochen hat. Es gibt in dieser Frage zwischen Außenminister und Bundeskanzlerin seit Tagen die engstmögliche Abstimmung. Es ist im Übrigen auch nichts dramatisch Neues; denn wir haben bereits am Mittwoch hier in der Regierungspressekonferenz darauf hingewiesen, wie die verfassungsrechtliche Situation in Deutschland ist, weswegen eine deutsche militärische Beteiligung in diesem Fall nicht infrage kommt.

ZUSATZFRAGE: Also aus rechtlichen Gründen kommt sie nicht infrage, und eine politische Meinung zum Militärschlag hat die Bundesregierung derzeit nicht?

STS SEIBERT: Wir haben eine militärische Beteiligung Deutschlands nicht in Betracht gezogen und tun es auch jetzt nicht.

ZUSATZFRAGE WONKA: Die Frage war, ob die Bundesregierung eine politische Meinung zu dieser Frage hat.

STS SEIBERT: Ich habe Ihnen dargelegt, was nach diesem Giftgasanschlag mit seinen entsetzlichen Folgen unsere politische Überzeugung ist. Das kann ich jetzt gerne noch einmal tun. Wir sprechen von einer klaren, einmütigen Haltung der internationalen Staatengemeinschaft. Daran wollen wir uns beteiligen. Darauf wollen wir hinarbeiten. Dem dienen die Kontakte, die der Außenminister hat, die die Bundeskanzlerin hat. Darauf arbeiten wir hin.

FRAGE: Erstens. Herr Seibert, zu dieser klaren, einmütigen Haltung der Bundesregierung: Bewegen wir uns nach den vielen Telefongesprächen und Bemühungen in den letzten 48 Stunden in Richtung einer solchen klaren Haltung, oder gibt es in letzter Zeit nicht eher sogar Signale, dass sie weiterhin nicht in Sicht ist?

Mich würde zum Zweiten interessieren: Wie sieht denn die Bundesregierung ihre Position in diesen Bemühungen? Sieht man sich in der Rolle, zumindest quasi als Mittler oder Vermittler einer einheitlichen Haltung in Europa aufzutreten und das zu moderieren, oder ist man nur einer von vielen Playern?

Als Letztes würde ich gerne Ihre Einschätzung hören: Werden wir denn diese klare Reaktion der Staatengemeinschaft noch vor dem Gipfel in St. Petersburg erleben?

STS SEIBERT: Ich fange mit der letzten Frage an: Ich kann hier nicht über Zeitpläne mutmaßen.

Zweitens. Die Bundesregierung sieht ihre Verantwortung, zu einer solchen einmütigen internationalen Reaktion beizutragen, und der kommt sie nach. Wie Sie das dann nennen, ist Ihnen in aller journalistischen Freiheit überlassen. Das kann ich nicht bezeichnen.

Jetzt habe ich die erste Frage leider vergessen.

ZUSATZFRAGE: Das war die Frage nach einer Einschätzung von Ihnen, ob wir in den letzten 48 Stunden, nach all den Telefongesprächen, eine Bewegung hin zu einer einmütigen Haltung sehen oder ob wir eher vermehrte Stolpersteine auf dem Weg hin zu einer solchen Haltung sehen.

STS SEIBERT: Wir wissen ja alle, dass es an einer einmütigen Haltung zu dem entsetzlichen Konflikt in Syrien gefehlt hat, und zwar schon seit geraumer Zeit, lange bevor dieses entsetzliche Verbrechen begangen worden ist. Wir haben oft beklagt, dass der UN-Sicherheitsrat seiner Verantwortung, wie wir sie verstehen, nicht nachkommen konnte, weil es blockierende Mitglieder gab. Das ist ja auch zum Beispiel der Inhalt des Gesprächs mit Präsident Putin gewesen. Die Bundeskanzlerin hat noch einmal ihre Hoffnung ausgedrückt, dass es jetzt möglich sein wird, dass der UN-Sicherheitsrat seiner Verantwortung nachkommt. Das heißt, wir tun, was wir können, damit es eine einmütige Haltung gibt. Das war in der Vergangenheit nicht einfach und wird es auch diesmal nicht sein.

ZUSATZFRAGE: Nur noch einmal nachgefragt: Sie sehen sich nicht imstande, eine Richtung anzugeben im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den nächsten Tagen eine solche einheitliche Haltung, und zwar nicht zu der Situation in Syrien, sondern bezüglich einer Reaktion erleben?

STS SEIBERT: Ich möchte mich jetzt nicht spekulativ in die Frage einmischen, welche Richtung das nimmt. Wir wissen, welche es nehmen sollte, und darauf arbeiten wir hin. Ob das gelingt, kann ich heute nicht sagen.

FRAGE: François Hollande hat gerade „Le Monde“ gesagt, dass Frankreich bereit ist, ohne die Briten zu agieren. Er hat gesagt: Jedes Land ist souverän, sich an einer Aktion zu beteiligen oder nicht. Hat Hollande mit Merkel darüber gesprochen, und hat die deutsche Regierung Angst, dass sich jetzt in Syrien Fälle wie in Libyen wiederholen könnten?

STS SEIBERT: Keine internationale Lage gleicht der anderen. Insofern kann ich auf solche Vergleiche nicht eingehen. Die Bundeskanzlerin hatte ein sehr intensives Telefonat mit Herrn Hollande über diese Situation, die beide genau gleich einschätzen. Es ist ein menschenverachtender Giftgasangriff auf die syrische Zivilbevölkerung begangen worden. Das ist ein einschneidender Verstoß gegen das Völkerrecht. Diese Meinung haben sowohl die Regierung in Berlin als auch die Regierung in Paris. Das darf nicht ohne Reaktion bleiben. Im Übrigen waren sich beide in dem Telefongespräch auch einig darüber, dass es jetzt richtig ist, den Prozess der Befassung im Sicherheitsrat voranzutreiben.

Wir hoffen auf ein rasches Ende der UNO-Mission, einen raschen Bericht, der dann auch umgehend vorgelegt werden kann. Die Bundeskanzlerin und der Staatspräsident waren sich einig, dass der Sicherheitsrat nun zu sprechen habe.

ZUSATZFRAGE: Sind Sie mit Hollande keinen Schritt weiter? Nach diesem Interview mit „Le Monde“

STS SEIBERT: Ehrlich gesagt, müsste ich das Interview mit „Le Monde“ erst einmal lesen, und ansonsten habe ich Ihnen hier darzustellen, was die Position der Bundesregierung ist.

ZUSATZ: Ich kann das nur auf Französisch lesen. Aber wenn ich darf er sagt

STS SEIBERT: Ich könnte das nach der Pressekonferenz auch. Aber ich versuche hier darzulegen, was die Haltung der Bundesregierung ist.

FRAGE: Herr Seibert, noch einmal zur Beweislage: Ist die Bundesregierung davon überzeugt, dass auf jeden Fall Assad hinter diesem Angriff steht, wie das in den letzten Tagen eigentlich zum Ausdruck gebracht wurde?

In diesem Zusammenhang auch die Frage: Die amerikanische Regierung hat angekündigt, untrügliche Beweise für die Schuld des Regimes vorzulegen. Spielte das im Gespräch mit Obama eine Rolle?

STS SEIBERT: Ich habe über das Gespräch das öffentlich gesagt, was wir dazu zu sagen haben. Es spricht weiterhin alles dafür, dass Kräfte des syrischen Regimes hinter dieser Tat stehen. Wir sehen weiterhin keine Belege für die behauptete Unschuld des syrischen Regimes. Deshalb: Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit sind die Täter in den Reihen des Regimes zu suchen.

FRAGE: Herr Seibert, Sie haben gerade gesagt: Wir wollen eine klare, einmütige Haltung, und daran wollen wir uns beteiligen. Wenn ich das wörtlich nehme, schließt das auch eine Beteiligung an einer Militäraktion ein, wenn die klare einmütige Haltung auf einen Militärschlag hindeutet. Ist das eine zulässige Interpretation? – Weil Sie den Militärschlag ausdrücklich ausschließen.

STS SEIBERT: Nein. Wir haben dazu doch eigentlich jetzt sehr klar gesprochen. Es hat keinerlei Anfragen an Deutschland in Richtung einer militärischen Beteiligung gegeben, wir haben sie nicht in Betracht gezogen, und wir ziehen sie nicht in Betracht. Im Übrigen der Verweis auf die sehr engen verfassungsrechtlichen Grenzen, die einer deutschen militärischen Beteiligung im Ausland gesetzt sind. Wir ziehen einen Militärschlag nicht in Betracht. Das ist nicht viel klarer zu formulieren.

FRAGE: Wenn die militärische Option fast allseits ausgeschlossen wird, aber alle gleichzeitig sagen, es müsse eine internationale Reaktion geben – wie würde diese internationale Reaktion aussehen? Hat man darüber gesprochen? Ist es ein wirtschaftlicher Boykott?

PESCHKE: Ich kann noch einmal kurz dazu Stellung nehmen. Es wird nicht viel anders sein eigentlich gar nicht als das, was der Regierungssprecher gerade gesagt hat.

Es ist so, dass wir das ist sowohl der Bundeskanzlerin als auch dem Außenminister sehr wichtig darauf drängen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seiner Verantwortung gerecht wird und zu dem, was in Syrien passiert ist, einmütig Stellung bezieht. Das ist der Sinn und auch das Ziel der gesamten Telefonate der Bundeskanzlerin gewesen das hat Herr Seibert beschrieben und auch des Telefonats des Außenministers gestern mit dem chinesischen Außenminister. Außenminister Westerwelle hatte dazu vorher auch noch mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, gesprochen. – Das ist der Sinn unserer Telefonate.

Was jetzt beim Sicherheitsrat herauskommt, das kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist Teil der Beratungen, das ist Teil der Gespräche. Darüber kann ich hier an dieser Stelle nicht spekulieren. Über andere Dinge jenseits des Sicherheitsrates, die im Raum standen und auch von Ihnen in den Raum gestellt wurden, kann ich erst recht nicht spekulieren. Das ist nicht unsere Rolle. Wir orientieren uns an der Lage, wie sie ist, und da ist es so: Es gibt einen sehr engen internationalen Abstimmungsprozess zwischen allen beteiligten Partnern im Bündnis, mit unseren Verbündeten, aber auch darüber hinaus mit Russland, mit China, mit den Vereinten Nationen, mit anderen. Es gibt ein Drängen unsererseits darauf, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seiner Verantwortung gerecht wird, und es gibt ein Drängen unsererseits gemeinsam mit vielen anderen, dass die UN-Inspektoren ihre Arbeit jetzt möglichst schnell abschließen, damit man sozusagen den Sachverhalt auch auf Grundlage eines gemeinsamen internationalen Untersuchungsergebnisses beurteilen kann.

Das sind die Dinge, an denen wir zurzeit arbeiten. Es ist schwierig genug. Über alles andere verbietet es sich, hier zu spekulieren, weil man natürlich die Schritte auch nacheinander gehen muss. Sie sehen ja, dass der internationale Beratungsprozess innerhalb von 24 Stunden von ganz unterschiedlichen Aspekten her gesehen werden kann. Wenn wir uns gestern darüber unterhalten hätten, dann hätten Sie womöglich die britische Haltung ganz anders eingeschätzt, als Sie sie heute Morgen einschätzen.

Insofern konzentrieren wir uns auf das, was auf dem Tisch liegt. Das erfordert eigentlich unsere ganze Kraft.

ZUSATZFRAGE: Das ist mir schon klar. Aber in diesen vielen Telefonaten werden wohl andere Optionen diskutiert worden sein. Kann man einen Hinweis darauf erhalten, welche anderen Optionen die Staaten dem Sicherheitsrat eventuell empfehlen könnten?

PESCHKE: Ich kann da keine weiteren Fährten legen.

FRAGE: Herr Seibert, Sie haben nun sehr oft gesagt, dass es aus Sicht der Bundesregierung eine Antwort der internationalen Gemeinschaft auf die schrecklichen Verbrechen in Syrien geben muss, und Sie haben klargemacht, dass sich die Bundesregierung eine einmütige Haltung im UN-Sicherheitsrat wünscht. Hängt aus Sicht der Bundesregierung das eine vom anderen ab? Kann es also eine Antwort auf die Verbrechen nur dann geben, wenn es eine einmütige Haltung im UN-Sicherheitsrat gibt?

STS SEIBERT: Wir konzentrieren uns jetzt auf das, was anliegt, und das ist der Versuch, diesen UN-Sicherheitsrat tatsächlich zum ersten Mal in der Syrien-Krise dazu zu bringen, dass er aus unserer Sicht seiner Verantwortung gerecht wird, dass er mit einer Stimme spricht, und zwar mit einer klaren Stimme, die klarmacht, dass ein Verstoß gegen die internationalen Normen der Ächtung des Einsatzes von C-Waffen Konsequenzen haben muss. Das muss deutlich gemacht werden. Das ist unsere Hoffnung, darauf konzentrieren wir uns jetzt, und dem dienen die verschiedenen diplomatischen Bemühungen und die Gesprächskontakte, die die deutsche Regierung auf allen Ebenen hat.

FRAGE: Herr Seibert, Herr Peschke sagte gerade, die britische Haltung hätte man gestern vielleicht noch anders eingeschätzt. Wir bemühen uns ja jetzt, herauszubekommen, wie die deutsche Haltung eigentlich ist. Ich erinnere mich, dass Sie am Montag das geht auch aus meinen persönlichen Notizen hervor von einer Ahndung gesprochen haben, von einer sehr klaren Antwort. Jetzt geht es plötzlich nur noch um eine Reaktion oder Konsequenzen. Ich würde gerne dahinter kommen, was in diesen vergangenen Tagen passiert ist. Ist bei Ihnen etwas passiert? Hat sich Ihre Haltung gegenüber den Vorgängen in Syrien verändert? Ist das eine Reaktion darauf, dass die Engländer jetzt plötzlich nicht mehr mitmachen? Der Eindruck am Montag war ja, dass Sie nach den Gesprächen mit Hollande und Cameron sozusagen an der Seite derer stehen, die eine klare Reaktion erreichen möchten, und jetzt geht es irgendwie nur noch um Konsequenzen, wobei Sie noch nicht einmal spezifizieren können, in welche Richtung die gehen könnten.

STS SEIBERT: Spezifiziert habe ich auch am Montag nicht. Ansonsten, glaube ich, habe ich von den Worten von Montag nichts zurückzunehmen. Ich habe gerade auch noch einmal gesagt: Wir wünschen uns eine sehr deutliche Antwort nicht irgendwelche Konsequenzen, sondern eine sehr deutliche Antwort , die klarmacht, dass ein solcher Verstoß gegen eine internationale Norm, die in unser aller Interesse ist oder deren Aufrechterhaltung in unser aller Interesse ist, nicht hingenommen werden kann. Es gibt keine Veränderung der Position gegenüber der von Montag. Ich hoffe, dass ich das hier klargemacht habe. Falls nicht, bekräftige ich das noch einmal.

ZUSATZFRAGE: Am Montag gab es ja auch Fragen nach einer möglichen militärischen Reaktion. Da haben Sie eindeutig nicht ausgeschlossen, dass es eine militärische Reaktion geben werde, dass die erwogen worden sei oder nicht erwogen worden sei. Jetzt ist sozusagen ganz klar: Wir machen nicht mit, wir sind gar nicht gefragt worden. Das klang noch am Montag alles anders.

STS SEIBERT: Ich kann Ihren Eindruck nicht teilen. Wenn wir in das Protokoll schauen, werden wir nirgends etwas finden, das darauf hinweist, dass die Bundesregierung je eine militärische Beteiligung an einer möglichen Konsequenz ins Auge gefasst hat. Davon haben wir hier nie gesprochen, davon könnten wir aus den genannten Gründen auch nicht sprechen, und davon sprechen wir auch weiterhin nicht. Da gibt es keine Veränderung. Unserer Haltung ist konsistent.

FRAG: Herr Seibert, stützt sich die Bundesregierung bei der Einschätzung der Täterschaft auf eigene Erkenntnisse der eigenen Geheimdienste?

STS SEIBERT: Es gibt vielfache Erkenntnisse aus verschiedenen Quellen, und wir erhoffen uns jetzt natürlich auch noch einmal genauere Auskunft über Art und Weise dieses Verbrechens, wenn der Bericht der UN-Inspektoren vorliegen wird.

ZUSATZFRAGE: Aber hat der BND auch eigene Erkenntnisse liefern können?

STS SEIBERT: So etwas könnte ich hier, in der Öffentlichkeit, nicht vortragen.

VORS.: Möchten wir das vielleicht „unter zwei“ oder „unter drei“ vortragen?

STS SEIBERT: Nein, danke!

FRAGE: Herr Seibert, gehen Sie davon aus, dass die UN-Inspektoren in ihrem Bericht zweifelsfrei werden sagen können, dass die syrische Regierung die Täterschaft zu verantworten hat?

STS SEIBERT: Ich würde den Bericht der UN-Inspektoren abwarten.

FRAGE: Herr Seibert, wenn Sie so viele Erkenntnisse haben, geht dann aus diesen Erkenntnissen auch irgendetwas über das Motiv dessen hervor, warum das Regime gerade zu diesem Zeitpunkt, wenn UN-Inspektoren im Land sind, so einen Angriff verüben sollte und damit sozusagen eine Reaktion des Westens heraufbeschwören sollte?

STS SEIBERT: Ich bin überhaupt nicht der Richtige, um über das Motiv eines Regimes wie des Assad-Regimes zu spekulieren, das schon bei vielen anderen Gelegenheiten große Grausamkeit gegen seine eigene Bevölkerung bewiesen hat. Ich habe darüber nicht zu spekulieren.

FRAGE: Hat die Frau Bundeskanzlerin vor, eventuell mit Behörden der arabischen Länder oder sogar mit Teheran zu sprechen?

STS SEIBERT: Vielleicht berichten wir noch einmal über die verschiedenen Kontakte des Außenministers. Die Bundeskanzlerin hat jetzt die Gespräche geführt, von denen ich Ihnen berichtet habe, und wenn sie weitere internationale Gespräche führen wird, werde ich darüber auch wieder berichten.

ZUSATZFRAGE: Hat sie das also nicht vor?

STS SEIBERT: Ich spreche immer über die Gespräche, die die Bundeskanzlerin hinter sich hat.

PESCHKE: Ich kann das noch ergänzen, und wir hatten das, glaube ich, auch schon einmal kommuniziert: Außenminister Westerwelle hat es gab ja einen Kontakt der Bundesregierung mit der iranischen Regierung mit dem neuen iranischen Außenminister hinsichtlich dieser Sache telefoniert. Der Außenminister hat gestern oder vorgestern auch mit dem libanesischen Außenminister gesprochen. Wir stehen also natürlich auch in Kontakt mit Vertretern aus der Region; das ist ja ganz klar. Das ist natürlich ein Fall, der auch mit den regionalen Kräften intensiv besprochen werden muss. Das ist ja alles Teil unseres Bemühens in Richtung einer einmütigen, geeinten Haltung und Reaktion der internationalen Gemeinschaft.

ZUSATZFRAGE: Was haben die Gesprächspartner aus diesen arabischen Ländern in Berlin als Mitteilung zum Appeasement erhalten?

PESCHKE: Es ist jetzt nicht meine Aufgabe, hier sozusagen die Haltung anderer Regierungen darzulegen. Das hat Herr Seibert nicht für die Gesprächspartner der Bundeskanzlerin getan, und ich tue das jetzt auch nicht für die Gespräche des Außenministers. Aber Sie können natürlich auch an öffentlichen Äußerungen, die die Arabische Liga und die Organisation islamischer Staaten getätigt haben, ablesen, dass es eigentlich eine sehr klare Positionierung der Verurteilung eines mutmaßlichen Giftgaseinsatzes gibt. Aber ich verweise Sie, wie gesagt, auf die veröffentlichten Statements. Die sind in diesem Fall maßgeblich.

ZUSATZFRAGE: Gab es also keine Forderung an Deutschland, als Broker eine politische Lösung zu finden?

PESCHKE: Es gibt, wenn ich das sagen kann, zumindest einen minimalen Konsens aus allen Kontakten und aus allen Aktivitäten, den man vielleicht ziehen könnte. Dieser minimale Konsens, auf den sich das aber nicht beschränkt, ist auf jeden Fall der, dass man in einer solchen Frage und bei einem so wichtigen Thema nur gemeinsam Lösungen erzielen kann und dass jeder dazu aufgerufen ist, hierbei seinen Part zu spielen. Selbstverständlich sind wir uns unserer Verantwortung bewusst, in diesem Konzert auch unseren Part zu spielen. Aber dabei müssen natürlich ganz viele Akteure der internationalen Staatengemeinschaft das ist ja ein internationales Thema ihrer Verantwortung nachkommen. Wir haben ja die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat namentlich immer wieder dazu gedrängt, und es gibt natürlich eine besonders große Verantwortung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Darauf haben wir auch immer wieder hingewiesen, im direkten Gespräch und öffentlich.

FRAGE: Herr Seibert, ist es Wunsch bzw. Erwartung der Bundesregierung, dass die UN-Inspektoren in ihrem Bericht über ihr Mandat hinausgehen und Aufschlüsse über die Täterschaft geben? Sie haben das ja eben angedeutet.

STS SEIBERT: Ich wiederhole noch einmal: Wir warten den Bericht der UN-Inspektoren ab. Wir haben denen keine Hinweise zu geben. Wir warten den Bericht ab.

FRAGE: Die UN-Inspektionsmission geht ja heute zu Ende. Morgen werden die Inspekteure zurückkommen. Gibt es schon irgendeinen Anhaltspunkt dafür, wann mit dem Bericht zu rechnen ist, weil ja Eile geboten zu sein scheint?

STS SEIBERT: Es ist natürlich Sache der Vereinten Nationen, diesen Zeitplan aufzustellen. Die Bundeskanzlerin hat mehrfach gesagt, und das ist auch Gesprächsthema bei den gestrigen Telefongesprächen gewesen, dass wir uns eine unmittelbare und möglichst zeitnahe Befassung des Sicherheitsrats mit den Ergebnissen wünschen.

FRAGE: Herr Seibert, wie beurteilt die Bundesregierung die Ankündigung aus dem Iran, dass ein Militärschlag gegen Ziele in Syrien die Vernichtung Israels zur Folge haben werde?

STS SEIBERT: Ich sage noch einmal das, was ich auch schon Mittwoch gesagt habe: Leider sind Drohungen aus dem Iran in Richtung Israel nichts Ungewöhnliches. Wir richten uns in dieser Angelegenheit nicht nach Drohungen, sondern nach den Werten und Interessen, die unsere Außenpolitik leiten.

FRAGE: Herr Seibert, weil Sie vorhin auch auf das G20-Treffen hinwiesen: In welchem Tagesordnungspunkt sollte nach Vorstellung der Bundesregierung bzw. der Bundeskanzlerin das Thema des Syrien-Konflikts in Russland besprochen werden?

STS SEIBERT: Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Der Gastgeber ist Russland. Ich kann Ihnen das heute, am Freitag, einfach noch nicht sagen.

ZUSATZFRAGE: Aber darf ich davon ausgehen, dass zumindest die Kanzlerin das Thema bei einem G20-Treffen ansprechen wird?

STS SEIBERT: Ich bin sicher, dass das Thema Syrien bei diesem Treffen in Sankt Petersburg eine Rolle spielen wird.

ZUSATZFRAGE: Möchte die Bundeskanzlerin, dass das Thema angesprochen wird?

STS SEIBERT: Die Bundeskanzlerin hat gestern mit Herrn Putin gesprochen. Wir sprechen jetzt über das, was in diesen Tagen anliegt, und nehmen die Entwicklung zunächst einmal Tag für Tag; das scheint mir das Vernünftigste zu sein.

FRAGE: Hat die Absage des G20-Briefings etwas mit der gegenwärtig laufenden Syrien-Thematik zu tun?

STS SEIBERT: Nein, die hat rein terminliche Gründe. Wir werden das nachholen und Ihnen rechtzeitig Bescheid sagen.

FRAGE: Wann wird es am Rande des Petersburger Gipfels zu einem Gespräch zwischen Merkel und Putin kommen?

STS SEIBERT: Ich kann das noch nicht sagen. Ich habe Ihnen vorgetragen, welche Treffen fest vereinbart sind. Die Erfahrung solcher internationalen Gipfel ist, dass sich vieles spontan und am Rande ergibt und dass vieles auch noch in den 24 Stunden vorher vereinbart wird. Nach heutigem Stand, Freitag, habe ich Ihnen gesagt, was ich Ihnen an bilateralen Treffen schon nennen konnte. Aber das verändert sich.

FRAGE: Herr Seibert, Sie haben vorhin die ökonomischen Themen des G20-Gipfels genannt. Stellen Sie sich darauf ein, dass diese Themen an Bedeutung verlieren werden?

STS SEIBERT: Diese Themen sind von großer Bedeutung für alle teilnehmenden Staaten. Sie sind lange vorbereitet worden. Es sind Themen, mit denen sich beispielsweise auch schon der G8-Gipfel sehr intensiv auseinandergesetzt hat. Ich bin sicher: Diese Themen werden auch bei dem G20-Gipfel die ihnen gebührende Rolle spielen.

FRAGE: Hat denn die Bundesregierung oder das Bundeswirtschaftsministerium schon einmal die Konsequenzen eines Militärschlags oder einer militärischen Reaktion auf den Rohölpreis bzw. die strategischen Ölreserven Deutschlands diskutiert? Bei welchem Rohölpreis greift man diese strategischen Reserven an?

SCHWARTZ: Zunächst gilt auch für das Wirtschaftsministerium, dass wir uns nicht an Spekulationen über mögliche weitere Szenarien beteiligen. Grundsätzlich gilt, was die Rohölpreise anbelangt, dass wir keine Prognosen oder Spekulationen dazu abgeben, wie er sich entwickeln könnte.

Generell kann ich jetzt aber zum Thema der Ölimporte aus Syrien sagen, dass Syrien auch schon vor dem Konflikt kein bedeutender Ölproduzent war. Zum Beispiel lag die Produktion im Frühjahr 2011, also noch vor Beginn des Konflikts, bei rund 350.000 Barrel am Tag. Im Vergleich dazu beträgt die Welttagesproduktion knapp 90 Millionen Barrel. Auch aufgrund des Ölembargos, das ja schon seit einiger Zeit gilt, bezieht Deutschland derzeit kein Rohöl aus Syrien. Insofern sind keine direkten Auswirkungen zu befürchten.

Zu Ihrer Frage hinsichtlich der Nutzung von Ölreserven: Das ist ja gedacht für Fälle, in denen ein physischer Versorgungsengpass besteht. Momentan ist es aber so, dass der Ölmarkt insgesamt sehr gut versorgt ist. Deswegen kann ich auch hierzu jetzt keine weiteren Auskünfte geben. Das ist sozusagen auch ein hypothetisches Szenario, das man jetzt nicht vorwegnehmen kann.

ZUSATZFRAGE: Gibt es denn einen Preis, ab dem man dann sagt: Okay, jetzt müssen wir an die strategischen Ölreserven ran? Die Amerikaner sagen ja zum Beispiel: Bei 150 Dollar pro Barrel.

SCHWARTZ: Es gibt keinen gesetzlich oder sonstwie festgelegten Preis, ab dem interveniert wird.