Britische Regierung hält Angriff auf Syrien auch ohne UN-Beschluss für gerechtfertigt
Das britische Parlament debattiert derzeit eine Beteiligung des Landes an einem Militärschlag gegen Syrien – und die Debatte ist, wie so oft im House of Commons, feinster Parlamentarismus. Auch und gerade, wenn es um so etwas Ernstes wie Krieg oder Frieden geht. Und es scheint, die Diskussion könnte noch eine Weile dauern.
Die Position der konservativen Regierung unter Premierminister David Cameron ist klar: Auch ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats hält London einen Angriff auf das syrische Regime nach dem Chemiewaffeneinsatz am 21. August für gerechtfertigt. Ein wenig merkwürdig, dass gerade Großbritannien einen Vorschlag für einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats eingebracht hat (auch wenn klar ist, dass der am Veto Russlands und Chinas scheitern dürfte).
Die – rechtliche – Sicht der britischen Regierung:
If action in the Security Council is blocked, the UK would still be permitted underinternational law to take exceptional measures in order to alleviate the scale of the overwhelming humanitarian catastrophe in Syria by deterring and disrupting the further use of chemical weapons by the Syrian regime.
Such a legal basis is available, under the doctrine of humanitarian intervention, provided three conditions are met:
(i) there is convincing evidence, generally accepted by the international community as a whole, of extreme humanitarian distress on a large scale, requiring immediate and urgent relief;
(ii) it must be objectively clear that there is no practicable alternative to the use of force if lives are to be saved; and
(iii)the proposed use of force must be necessary and proportionate to the aim of relief of humanitarian need and must be strictly limited in time and scope to this aim (i.e. the minimum necessary to achieve that end and for no other purpose).
All three conditions would clearly be met in this case:
Zuvor hatte das britische Joint Intelligence Committee erklärt, alle vorliegenden Informationen deuteten auf einen Einsatz chemischer Waffen durch das Assad-Regime hin:
(…) We have assessed previously that the Syrian regime used lethal CW on 14 occasions from 2012. This judgement was made with the highest possible level of certainty following an exhaustive review by the Joint Intelligence Organisation of intelligence reports plus diplomatic and open sources. We think that there have been other attacks although we do not have the same degree of confidence in the evidence. A clear pattern of regime use has therefore been established.
Unlike previous attacks, the degree of open source reporting of CW use on 21 August has been considerable. As a result, there is little serious dispute that chemical attacks causing mass casualties on a larger scale than hitherto (including, we judge, at least 350 fatalities) took place.
(…)
There is no credible intelligence or other evidence to substantiate the claims or the possession of CW by the opposition. The JIC has therefore concluded that there are no plausible alternative scenarios to regime responsibility. We also have a limited but growing body of intelligence which supports the judgement that the regime was responsible for the attacks and that they were conducted to help clear the Opposition from strategic parts of Damascus. Some of this intelligence is highly sensitive but you have had access to it all.
Against that background, the JIC concluded that it is highly likely that the regime was responsible for the CW attacks on 21 August. The JIC had high confidence in all of its assessments exceptnin relation to the regime’s precise motivation for carrying out an attack of this scale at this time – though intelligence may increase our confidence in the future.
(Archivbild: Prime Minister David Cameron during the debate on the 2013 Queen’s Speech – Catherine Bebbington/Parliamentary Copyright via Flickr unter CC-BY-NC-Lizenz)
Was ist denn die völker- und verfassungsrechtliche Sicht der Bundesregierung?
Gibt es ähnliche Vorlagen in der Bundesregierung?
Noch ist es aus den kakaphonen Äußerungen von Koalitionspolitikern nicht erkennbar, dass es derlei gibt.
Man hatte ja auch im Bundeskabinett diese Woche nicht viel Zeit über diesen „einschneidenden Verstoß gegen das Völkerrecht“ zu sprechen oder gar in einer BSR-Sitzung diese Themen (Lage in Syrien, Rechtsrahmen, Handlungsoptionen) zu klären bzw. ressortübergreifende Prüfaufträge zu erteilen.
Was ist schon die Weltlage gegen den Bundestagswahlkampf. Am liebsten würde Merkel die Syrienkrise wahrscheinlich auf nach den Wahlen verlegen, so wie seit Monaten jegliche Entscheidung in Bund, Ländern und EU über substanzielle Themen.
Das alles ist höchst unbefriedigend. Die völkerrechtlichen Grauzonen werden auf die Schnelle auch nicht beseitigt werden können. Aber es muss (!!!) sich auf internationaler, völkerübergreifender Ebene möglichst bald etwas bewegen, um hier mehr Klarheit mit Blick auf das Prinzip „Responsibility to Protect“ zu schaffen und der UN die Legitimation, Entscheidungskompetenz und Durchsetzbarkeit zu geben, die für Krisenlage wie die aktuelle dringend nötig sind. Dafür halten wir uns Diplomaten. Denn Fälle wie Kosovo und Syrien werden (leider) immer wieder auftreten.
Im Klartext: Die Zusammensetzung des UN-SR und die absoluten Veto-Rechte haben sich längst überholt. Das ist keine neue Erkenntnis. Nur: Es tut sich nichts zur Abhilfe.
Jetzt muss ich aber mal einhaken. Da erzeugen aber die Presseerklärungen und die Rede von PM Cameron unterschiedliche Stimmungen.
Cameron hat zwar deutlich seine Überzeugung dargelegt, die Chemiewaffen seien von der Assad Regierung eingesetzt worden (ohne aber endlich mal darauf einzugehen wer wie was), jedoch hat er dem Parlament klipp und klar vorgetragen, dass es vor einem grundsätzlichen milit. Eingreifen GBRs „further actions on the UN side and a clear vote of this parliament“ geben wird. Das Parlament war im übrigen nicht in der Masse von den Aussagen des PM überzeugt. Es gab sogar einen köstlichen Diskurs über die Qualität der Geheimdienstinformationen und der tiefen Kluft zwischen „prove“ und „suggest“
Klar zeigt die Presseerklärung nur die rechtliche Sichtweise GBR, jedoch kommt hier immer diese „gonna do it anyway“ attitude hervor – die so einfach nicht stimmt.
„Gegenwärtig gibt es keine hundertprozentige Sicherheit darüber, wer chemische Waffen eingesetzt hat“, sagte Cameron im Parlament. „Wir haben keine Beweise, dass die Opposition keine C-Waffen hat und dass das Regime diese eingesetzt hat.“ Die vorliegenden Hinweise „reichen nicht aus, um das Regime verantwortlich zu machen.“
http://de.rian.ru/politics/20130829/266763455.html
@Jas:
Ich finde auch beide Stellungnahmen sind ziemlich substanzlos.
Insbesondere das Intel-Papier strotzt ja nur von „suggest“ und Vermutungen.
@KeLaBe:
Völkerrechtlich ist es auch sehr dünn.
Aber Völkerrecht ist ja auch Gewohnheitsrecht.
Die Divergenz zwischen R2P und Vetomöglichkeiten im UNSC wird wohl erst verschwinden, wenn der Westen keine Kraft mehr für „humanitäre“ Interventionen“ hat.
Das wird schneller gehen als eine UN-Reform.
Der amerikanische Generalstabschef argumentierte bereits, dass ein Flugverbot über Syrien 1 Mrd USD/ Monat kosten würde. Vor 10 Jahren noch undenkbar.
Daher könnte die BReg – wie Italien – eine Teilnahme an einer UN-Resolution festmachen (auch mit Blick auf Art. 24 GG).
Aber wir wollen es ja allen Recht machen.
@KeLaBe | 29. August 2013 – 18:15
Gültig ist allein die UN-Charta, weil nur diese von allen Mitgliedern anerkannt ist. Schutzverantwortung ist eine „Erfindung“ des Westens, die nur herangezogen wird um außenpolitisch ungehorsame Staaten zu bestrafen. Dabei hat der Westen keinerlei Bedenken auch mit den übelsten Golfdiktaturen zu kooperieren, anstelle für deren Bevölkerungen die „Schutzverantwortung“ wahrzunehmen. Sie ist nicht Bestandteil des UN-Völkerrechts sondern eher ein Beleg für die Doppelmoral des Westens und Charakter der „westlichen Werte“.
http://www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf
@Memoria | 29. August 2013 – 18:41
Völkerrecht ist kein Gewohnheitsrecht, sondern zwischen den Staaten vertraglich vereinbartes Recht. Es kann nur mit Zustimmung aller UN-Mitglieder geändert werden.
@ Stefan
Die UN-Charta ist durchaus sehr lesenswert. Auch mit Blick auf Syrien.
Und natürlich gibt es auch ein Völkergewohnheitsrecht, so wie das @ Memoria anführt.
@Stefan full ack
@Stefan – nein:
Auszug Wikipedia:
Quellen des Völkerrechts sind bi- oder multilaterale völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze (vgl. Art. 38 I lit a, b, c IGH Statut):
Völkervertragsrecht entsteht durch Vertragsschluss und anschließende Ratifikation zwischen den beteiligten Völkerrechtssubjekten.
Das Völkergewohnheitsrecht setzt sich aus den Elementen der langandauernden Übung (etliche Jahre, in einigen sich schnell verändernden Rechtsgebieten eventuell weniger – consuetudo) und der Überzeugung, dass diese Übung rechtens sei (opinio iuris), zusammen (Völkervertragsrecht hat trotz seiner Schriftlichkeit keinen Vorrang vor Völkergewohnheitsrecht!). Will ein Staat seine Bindung an im Entstehen begriffenes Völkergewohnheitsrecht verhindern, so muss er ihm ausdrücklich und, solange die anderen Staaten an ihrer Überzeugung festhalten, auch wiederholt widersprechen (persistent objector).
(…)
Nach diesen Maßstäben ist R2P eine Totgeburt.
Responsibility to Protect (R2P) kann jeder Staat momentan so auslegen wie er will. Folgedessen kann er es als moralische und rechtliche Rechtfertigung für einen Militärschlag einsetzen, wenn zuvor eine Greueltat begangen wurde. Damit ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.
Es sei daran erinnert, dass die USA und viele andere Staaten die Regeln der Humanitären Intervention nur anwenden, wenn es ihnen in die politischen Absichten passt. In Ruanda und im Kongo hatten die Amerikaner andere Interessen, also wurden unter Aufsicht der UNO knapp 1 Mio Menschen getötet. Jetzt wurden durch Giftgas ca 400 Menschen getötet und dies soll plötzlich ein Kriegsgrund sein ? Gleichzeitig schaut man zu, wie Saudi Arabien mit ihrer aggressiven Exportideologie die arabische Halbinsel ins Chaos stürzt. Ist dies weitsichtige Politik. Als Ziel einen islamischen Staat mit Scharia Gesetzgebung a la Islamische Republik Afghanistan schaffen ?
Sollte diese Entwicklung wirklich das Ziel von westlichen Staaten sein ?
Wenn nichts passiert, wenn sich niemand dran hält, ist es kein richtiges Recht. Das gilt umso mehr, wenn es nicht mal ein Gericht gibt.
Und speziell zu Syrien und dem UN-Sicherheitsrat: Das Veto wirkt in beide Richtungen. Genauso wie Russland und China eine gemeinsame Aktion blockieren können, werden die USA, GB oder Frankreich eine Verurteilung einer NATO-Aktion oder einer anderen Koalition der Willigen blockieren können: http://andreasmoser.wordpress.com/2013/08/28/un-approval-for-military-intervention/
Fehlt in der Aufzählung unter Punkt (iii) nicht Etwas?
„the proposed use of force must be necessary and proportionate to the aim of relief […] All three conditions would clearly be met in this case“
Der derzeit als am wahrscheinlichtsten angenommenen Strategie (also eine Vergeltung duch Angriff auf weniger als 50 Ziele) einer Attacke mangelt es auch in Hinblick auf R2P schlicht der Geeignetheit.
Weder sichert dieses Vorgehen Chemiewaffen, noch lindert es die humanitäre Situation.
Dieses Problem löst ich auch nicht da durch, dass man die Geeignetheit in mit der Verhältnismäßigkeit abdeckt.
@ Memoria | 29. August 2013 – 17:49
Was ist denn die völker- und verfassungsrechtliche Sicht der Bundesregierung?
U.a. der ZEIT, dem neuen Thomas Wiegold Publikationsmedium (Danke nochmal Hr Wiegold für den Artikel zu Syrien-Bundeswehr), war zu entnehmen, dass Frau Merkel auf Verhandlungen im Hintergrund und auf eine diplomatische Lösung setzt.
Anders ist die Meldung, dass sie mit Putin, Hollande und Cameron telefonierte, schlichtweg an Hand von opensource Infos nicht zu analysieren und nicht zu konstatieren. Und damit legt sie die Karte auch deutlich genug auf den Tisch, ganz gleich ob ihr die deutsche Presse „handlungsunlust“ unterstellt. Ihr Sprecher hat in meinen Augen ausreichend und umfassend genug informiert.
Um es klar zu schreiben:
Die auch hier thematisierten Auslassungen eines Herrn Hansen, dass niemand DEU ernst nehmen könne, sind nicht stichhaltig und eher seiner Profession als einer sachlichen Analyse entsprungen. Andererseits schätzen es die VETO-Mächte nicht besonders, wenn ein sicherheitspolitischer midcarder das Bein hebt und mitpinkeln möchte, während man selbst noch um Meinungs- und Handlungshoheit ringt. Man kann das also getrost lassen.
Polemisch: Haben Sie das Statement der Spanischen Regierung zur SYRIEN-Krise schon gelesen? Nein? Aha. Aber trösten Sie sich, da sind Sie nicht der Einzige.
Um es noch klarer, dafür auch noch polemischer zu schreiben:
Für Bademeister auf Mallorca und Hegellesern aber Nichthegelverstehern, die Holocaust relativieren und unwahr informieren müssen, um „Handlungsfähigkeit“ vorzugaukeln, um ein fehlendes UN-Mandat zu überspielen und um mal ein bischen im Sandkasten des UNSR zu buddeln, habe ich ehrlich gesagt weit weniger übrig als für eine Telefonistin, die ihren Platz in der Welt ganz genau einzuschätzen weiß und eben erstmal zum Hörer greift und nicht milde belächelt vom „Ständigen Sitz im UNSR“ faselt.
Heut morgen gab’s ein Radio-Interview, das den status quo des Völkerrechts, zum voraussichtlichen Missfallen vieler, zum Ausdruck bringt – im Fazit:
Es schützt die jeweils bestehende nationale Ordnung.
Und dieser Grundsatz – aus guten Gründen und alten Traditionen entstanden – führt im Fall Syrien dazu, dass eine Intervention, wenn überhaupt, nur zu Gunsten der Regierung erfolgen kann – jedenfalls wenn er völkerrechtlich legitimiert sein soll.
Schliesslich liesse sich auch auf diese Art, simpel ausgedrückt, die Bevölkerung vor den Gefahren der Konflikthandlungen schützen.
Das Dilemma ist: keiner will das Assad-Regime an der Macht halten, das Gegenteil will aber auch keiner!
@Moxy
Gerne mit Sender und Interviewtem… (und Radiobeiträge darf man hier auch gerne verlinken.)
Die völkerrechtliche Legitimation solchen Eingreifens ist doch nur eine rhetorische Übung, die von denen die intervenieren wollen anerkannt und denen die dagegen sind abgelehnt werden wird. In Deutschland wird die Bedeutung des Völkerrechts allgemein weit überschätzt. Die Amerikaner haben z.B. auch für ihre Irak-Intervention problemlos eine formale völkerrechtliche Legitimation gefunden, und es war egal, ob diese von anderen geteilt wurde oder nicht, weil die USA mächtig genug waren so zu handeln wie sie wollten. Auch eine Syrien-Intervention wird so eine formale Begründung bekommen, und worauf es hier anstatt völkerrechtlicher Diskussionsspielereien ankommt ist, ob die USA die Koalition zustandebekommen die sie zum handeln brauchen oder ob jemand anderes eine Gegenkoalition zustandebekommt die für die USA überzeugenden Gegendruck aufbauen kann.
@Memoria und Kosten: Nur ein Wort – Sequester.
@Ottone:
Genau, das ist ja der Grund für das Kostenbewusstsein.
Rise and fall of empires…
@T.W.:
Das gesuchte Interview:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2232285/
Das Unterhaus teil die Meinung des Premierministers (mit knapper mehrheit) nicht ;)
http://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-23892783
@Sachlicher:
„Und damit legt sie die Karte auch deutlich genug auf den Tisch“
Welche Karte?
Ich kenne nicht die spanische, aber die italienische Position.
Unsere politische Liga (maximal).
Wir haben n.m.K. weiterhin keine vergleichbare Position.
Ich hab auch noch nie das Drängen nach einem ständigen Sitz im UNSR verstanden.
Mir geht es weiterhin auch „nur“ um Stringent in der Argumentation. So oder so.
Aber das ist wohl zu viel verlangt.
Und ja ich weiß, dass man in der Diplomatie lang seine Optionen offen halten muss. Aber irgendwann muss man sich entscheiden.
Auf Arte kommt „Sinn des Lebens“.
Sehr passend…
@all
gibt nen neuen Thread…