RC N Watch: Deutsche Diplomaten beklagen Sicherheitsvakuum im Norden

Die Sicherheitslage im Norden Afghanistans hat wird auch nach offizieller deutscher Einschätzung als problematisch angesehen. Die Sicherheitslage hat sich mit Beginn der Frühjahrsoffensive in einigen der bekannt problematischen Regionen des Nordens deutlich spürbar verschlechtert, zitiert der Spiegel aus einem Bericht des deutschen Generalkonsulats in Masar-i-Scharif vom 11. Juli an das Auswärtige Amt. Die Taliban nutzten ein Sicherheitsvakuum in den Regionen, aus denen die ISAF-Truppen abgezogen wurden und wo die afghanischen Sicherheitskräfte nunmehr allein zuständig sind.
Bei einem Blick auf die Rubrik RC N Watch hier ist das alles nicht überraschend. Und recht offensichtlich ist auch, was mit den bekannt problematischen Regionen des Nordens gemeint ist: Im Westen die Provinz Faryab einschließlich des Distrikts Ghowrmach, die Provinz Baghlan und zum Teil auch die Region rund um Kundus.
Nachtrag: Dazu passend aktuell TOLONews aus Faryab:
Local officials on Sunday confirmed the killing of Taliban shadow district governor, Muallah Shafiq and a Taliban leader during an Afghan Security Forces‘ operation in northern Faryab province Saturday. Officials further added that there were no Afghan Forces casualties.
The incident took place in the Qurghan district after the Security Forces targeted Mullah Shafiq and the Taliban leader in the area.
„We had information that the Taliban shadow district governor for Qurghan and the commander were passing through the area. The Security Forces were ready to target them,“ said Gen. Nabi Jan Mullahkhil, Provincial Police chief.
(Foto: Außenminister Gudio Westerwelle, l., bei der Eröffnung des Generalkonsulats in Masar-i-Scharif am 9. Juni, mit Atta Mohammed Noor, Gouverneur der Provinz Balkh,2. v.r., und Abdul Haider, stellvertretender Aussenminister von Afghanistan)
ja, ja
Vernetzte Sicherheitspolitik vom feinsten ;-)
Überraachend ist es nicht – es deckt sich eben nur nicht mir der „alles wird gut“-Rethorik von ISAF.
Die UdÖ 30/13 vom 26.07.13 gibt nochmal ein aktuelles Bild.
In Faryab, Kunduz, Baghlan und Badakhsan ist die Lage weiterhin sehr angespannt.
Gefallene innerhalb einer Woche:
6 ALP
8 ANP
2 ANA
1 ABP
2 ANSF (unspezifiziert)
seit dem 04.07.: 6 ANSF bei Op in Baghlan
Die Hochwertangriffe in Kunduz und Baghlan in der vergangenen Woche zeigen ebenfalls die Fähigkeiten der Gegenseite.
Die Einzelvorgänge:
„Die seit dem 14.05.13 laufende Counter Narcotics-Operation der afghanischen Sicherheitskräfte (Afghan National Security Forces / ANSF) in der Provinz Badakhshan wird unverändert fortgeführt.
Am 16.07.13 gerieten ANSF-Kräfte in Kunduz in einen Hinterhalt regierungsfeindlicher Kräfte (Opposing Militant Forces / OMF). Dabei sind nach afghanischen Angaben drei Angehörige der afghanischen Lokalpolizei (Afghan Local Police / ALP) gefallen. Ein OMF soll getötet worden sein. In einer anschließenden Search and Clear-Operation sollen weitere fünf OMF getötet worden sein.
Am 17.07.13 sind bei einem Gefecht in der Provinz Badakhshan nach afghanischen Angaben vier Angehörige der afghanischen Polizei (Afghan National Police / ANP) gefallen, drei weitere wurden verwundet. (…)
Am 18.07.13 sind nach afghanischen Angaben bei einem Überfall in der Provinz Kunduz vier ANP gefallen, ein weiterer wurde verwundet. Durch den Einsatz einer benachbarten ANSF-Einheit konnte der ANP-Posten rasch zurück gewonnen werden.
Nach afghanischen Angaben unterbrachen OMF am 19.07.13 im Distrikt Dowlatabad in der Provinz Faryab die Stromversorgung mit Hilfe einer Sprengung. Bei einem Angriff auf Reparaturkräfte sind zwei Angehörige der ANSF gefallen, drei weitere wurden verwundet. Zwei OMF sollen getötet worden sein. Nachdem die ANSF das Gebiet wieder unter Kontrolle gebracht hatte, konnte die Stromversorgung wieder hergestellt werden.
Die ANSF führten am 20.07.13 im Norden der Provinz Baghlan eine Cordon and Search Operation mit insgesamt rund 700 ANSF durch. Deutsche Kräfte, die im Rahmen des Partnering beteiligt waren, gerieten hierbei nicht unter Beschuss. Bei der Operation sind am 20.07.13 nach afghanischen Angaben zwei Angehörige der afghanischen Lokalpolizei gefallen, ein weiterer wurde verwundet. Fünf OMF sollen getötet, drei weitere verletzt worden sein. ISAF unterstützte mit Luftnahunterstützung, die durch die deutschen Kräfte vor Ort koordiniert wurde.
Die am 04.07.13 begonnene Search and Clear Operation der ANSF in der Provinz Faryab wurde am 20.07.13 beendet. ISAF unterstützte mit Aufklärungsmitteln und durch Einsatz von Luftnahunterstützung. Im Laufe der Operation sind nach afghanischen Angaben sechs ANSF-Angehörige gefallen, fünf weitere wurden verwundet. Rund 40 OMF sollen getötet sowie zahlreiche weitere verletzt worden sein. Einige OMF sollen sich zudem im Nachgang Reintegrationsprogrammen angeschlossen haben.
Am 21.07.13 haben nach afghanischen Angaben OMF ein Lager der afghanischen Armee (ANA) im Südwesten der Provinz Faryab angegriffen. Dabei sollen zwei ANA-Soldaten gefallen und drei weitere verwundet worden sein.
Am 23.07.13 wurde im Distrikt Warduj in der Provinz Badakhshan ein Kontrollposten der afghanischen Grenzpolizei (Afghan Border Police / ABP) durch eine unbekannte Anzahl von OMF angegriffen. Dabei ist nach afghanischen Angaben ein Angehöriger der ABP gefallen, drei weitere wurden verwundet.
Am 24.07.13 verübten OMF in der Provinz Kunduz einen IED-Anschlag auf eine deutsche Patrouille. Ein Kraftfahrzeug wurde dabei leicht beschädigt.“
…so wie in den letzten 12 Jahren vorbildlich vorgelebt.
Mal im Ernst: wer ist denn dafür verantwortlich, dass der zivile Anteil der Mission nie so richtig delivered hat?
Und wer hat zusammen mit den Goldbetressten ständig geschönte und „unwahre dienstliche Meldungen“ (=Dienstvergehen) über die Sicherheitslage abgegeben? Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut an einen Bericht hier im Blog, finde ihn aber gerade nicht. Der RC Kommandeur war aber GM (Jetzt GL?) Pfeffer. Und viele andere waren auch nicht ehrlicher.
@Memoria
Die UdÖ kann man ja auch verlinken ;-)
http://bit.ly/17Mke2I
@Sailor1995
Dafür gibt’s hier ’ne Suchfunktion ;-)
Meinten Sie diesen Eintrag?
http://augengeradeaus.net/2013/02/ehemaliger-kommandeur-des-rc-north-vorsichtig-optimistisch/
T.Wiegold | 28. Juli 2013 – 10:11
@Memoria
Die UdÖ kann man ja auch verlinken ;-)
Ja, dachte in dem Fall wäre es sinnvoll den Text direkt einzustellen.
Kommt nicht wieder vor :-).
Tja – die Fallschirmjäger üben schon mal fleißig für die Zeit nach 2014
http://www.youtube.com/watch?v=eDOj7A9CR3E
@Bang50:
Das Hochwertziel ergreift die Flucht: „Die multinationale Task Force hat ihren Auftrag erfüllt“.
Nach 2014 sehe ich nicht wirklich Fallschirmjäger proaktiv Druck auf den Feind ausüben.
Tun wir ja jetzt schon nicht mehr (s.o.).
Trotzdem sicher ne gelungene multinationale Übung.
Darauf kommt es bei Kolibri ja auch an.
http://www.washingtonpost.com/world/national-security/cia-closing-bases-in-afghanistan-as-it-shifts-focus-amid-military-drawdown/2013/07/23/7771a8c2-f081-11e2-a1f9-ea873b7e0424_story.html
Na ja, und der CIA reduziert sich auch in Afghanistan, denn man hat ja Al Qaeda in AFPAK enthauptet und so wendet man sich wieder NMO und Nordafrika zu…..the show must go on. Und da man die nachgewachsenen Köpfe ja nicht kennt, weil die keine handys benutzen ist alles safe ;-)
Wie schrieb ein Blogger in den USA
„Detroit dead. Al-Qaeda alive“
@ T.W.
Kleiner Rechtschreibfehler im ersten Satz („…hat wird…“).
Btt:
Es war doch klar, dass man durch derart passive Operationsführung, ´tschuldigung, den Verantwortungstransfer hin zu den Afghanen, den Karren wieder Richtung Wand steuert…
@T.W.
…..erkannt, ich lerne jeden Tag dazu.
Ja, diesen Eintrag hatte ich im Kopf, vielen Dank. Wenn man sich das im Lichte der Diplomatenklagen nochmal ansieht, wundert einen gar nichts mehr.
So geht proaktiver Opportunismus.
Das geht ja nicht nur in den Gebieten deutscher Tätigkeit so.
Die Briten haben zwischenzeitlich heimlich ihre Truppen in Sangin, Helmand eingesetzt weil die Afghanen dort überrannt wurden.
British troops return to Sangin after request from Afghan army
@b:
Haben wir – quantitativ vergleichbar – ja auch in Warduj gemacht:
http://augengeradeaus.net/2013/03/rc-n-watch-unruheprovinz-badakhshan/
Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist doch
MULTILATERAL-PRÄVENTIV-UMFASSEND :-))))
….alles normativ und nicht faktisch hinterlegt!
Wir können uns noch nicht einmal ressortübergreifend auf eine einheitliche Begriffssprache einigen und schon gar nicht ressortgemeinsam eine einheitliche STRATEGIE entwickeln und umsetzen.
…warum sollte die vernetzte Sicherheit dann in A- Land funktionieren?
Militär kann Zeit nur auskaufen, die Frage muss daher lauten was hat der zivilpolitische Apparat erreicht? Der militärische Ansatz, der dem Militär überhaupt von Seiten der Politik erlaubt war, ist als Erfolg zu bezeichnen.
Der politische Ansatz ist gescheitert.
Der politische Ansatz der USA in Irak und in Afghanistan ist gescheitert, weil in beiden Fällen das State Department unter C.Powel und später unter H.Clinton von den Falken im DoD ausmanövriert worden sind. Und Frau Rice gehörte eher zur Falkenfraktion des DoD.
Auch diese inneramerikanischen Machtspielchen werden in Berlin ja wunderbar kopiert, allerdings nen büschen biedermeierischer ;-)
@Freiherr von Schill:
„Militär kann Zeit nur auskaufen, die Frage muss daher lauten was hat der zivilpolitische Apparat erreicht? Der militärische Ansatz, der dem Militär überhaupt von Seiten der Politik erlaubt war, ist als Erfolg zu bezeichnen“
Militär kann und muss in einem solchen Einsatz mehr als Zeit kaufen. Es muss mit Gewaltandrohung und -anwendung die Situation verändern. Wie wenig man dies innerhalb der Bundeswehr verstanden hat, zeigt die von der Politik getriebene (!) ROE-Diskussion in den Jahren 2007-2009 (soviel zu was die Politik erlaubt).
Eine echte konflikttheoretische Ausbildung fehlt eben schmerzhaft.
Die Balkan-geprägte Idee „Zeit kaufen“ (=passiv-reaktive Operationsführung) funktioniert bei COIN nicht.
Aber so ist es natürlich angenehmer.
Politik und Zivilisten schuld!
Dolchstoss 2.0
@Memoria
klassischer Zirkelschluß, den Sie da kolportieren.
COIN hat ja wohl auch nicht funktioniert oder sieht die Lage im IRAK und in AFPAK danach aus ?? Und nun kommen Sie mir nicht mit der Dolchstoßlegende 3.0, dass Obama eben nur länger hätte durchhalten müssen. Eine politische Strategie fängt mit einem zielführenden Mandat an und nicht mit COIN-ROE ! Also sollte der Bundestag und die BReg mal über vernetzte Mandate nachdenken, dieses politisches Spiel von divide et impera wird langsam teuer und kostet Menschenleben !
Auf den Widerspruch hab ich gewartet :).
Es geht mir nicht um COIN, sondern um das Grundverständnis der Rolle von Streitkräften (Utility oft Force).
Beispielsweise die Lage in Kunduz ab 2009 wurde nicht durch Zeit kaufen stabilisiert.
COIN als Gesamtansatz klappt für westliche Gesellschaften nicht.
Dahinter bleibt aber die Frage wie gehe ich mit „spoilern“ in Konflikten um? Aber dazu müsste man sich in der Bw hiermit auf einem gewissen Abstraktionsniveau beschäftigen.
Zu anstrengend, besser auf die Politik zeigen.
Und vernetzte Mandate: Sie schreien dann als erster: Kameralistisch-parlamentarisches Mikromanagement.
Die Mandate, die Begründungen und die Beschlussempfehlungen sind recht breit angelegt.
Wenn es die Exekutive nach 10 Jahren nicht schafft daraus ein kohärentes Vorgehen zu entwickeln, tja dann hilft auch nicht noch mehr Papier aus dem Parlament.
So was überfordert uns eben politisch, bürokratisch, aber eben auch militärisch.
Bevor man bundeswehrseitig andauernd oberlehrerhaft auf andere zeigt und sich beste Leistung bescheinigt, sollte man den eigenen Hof kehren. Da ist genug zu tun.
My 50 cents.
@Memoria
Nun, ich würde bei einem vernetzten Mandatierungsbeschluß nicht anfangen zu schreien, im Gegenteil.
Smart Defence und Smart Diplomacy/, bzw. Hard-, Soft-Power kann man zu Smart Power bündeln, das wäre ein Strategischer Comprehensive Approach. Der Anstoß zum Durchdenken eines solchen Ansatzes kann aber nicht von den Streitkräften kommen, sondern muß von der Politik kommen, die das aber niemals tun wird, denn dann müßte sie ja Verantwortung übernehmen. Die gößten Zeitkäufer dieser Republik sitzen in Berlin und Bonn und tragen zivil ! Ach ja, „Parlamentsarmee“ fällt mir da noch ein.
@Klabautermann:
Die Effektivität von COIN bezweifeln sie, aber comprehensive approach wird funktionieren?
Genau das ist aus meiner Sicht die Lebenslüge in Brüssel, Berlin Bonn, Ulm, Münster etc.
Mein Eindruck: Diese ganze Weltbeglückungsmaschinerie des comprehensive approach hilft vorallem einen zivil-militärischen Wasserkopf die Daseinsberechtigung zu erhalten.
Bei der Diskussion um die Wirksamkeit von COIN sollte man festhalten, dass
a) Deutschland nie wirklich COIN durchgeführt hat, sondern nur einige selektive Maßnahmen möglichst ohne Aufwand, zusätzliche Kräfte und Risiko umsetzte und dass dann als tollen Ansatz feierte. Die Truppe war dafür nicht aisgebildet, die Fürung hat es nicht verstanden und die Politik wollte es nicht.
b) COIN immer eine Betonung auf politischen Maßnahmen haben muss, als das die Sicherheitskräfte eine Situation so lange stabilisieren, bis politische Maßnahmen die Ursachen des Konfliktes so weit abgeschwächt haben, dass dem Gegner die Unterstützung der Bevölkerung ausgeht,
c) die eingesetzten host nation governments nie unter ausreichenden Druck kamen, tatsächlich die Ursachen durch politische Maßnahmen zu bekämpfen, weil sie zu große Interessen am eigenen Machterhalt und die Alliierten an kurzfristiger Stabilität hatten,
d) auch ein erfolgreiches Umsetzen von COIN gut und gerne 10 Jahre und länger dauern kann, wenn alles gut läuft.
Aus diesen Gründen halt ich die Aussage von @Freiherr von Schill, dass ein COIN-Einsatz erlaubt wurde zumindest für Deutschland nicht für zutreffend.
Wie @memoria feststellt, müssen Sicherheitskräfte und zivile Stellen gemeinsam ihre Maßnahmen koordinieren, aber in diesem Fall haben beide Seiten zu kurzfristig, unkoordiniert und mit zu wenig Ressourcen gearbeitet.
Und gerade dieses strategische Denken fehlt in demokratisch gewählten Regierungen leider zunehmend, als dass diese weiterhin versuchen, so viele kurzfristige Erfolge mit möglichst geringen Kosten oder langfristigen Verpflichtungen zu erreichen. Die politischen Ziele mit denen Deutschland nach AFG oder die USA in den Irak gingen waren schlicht naiv und unrealistisch. Und mit Blick auf die notwendigen Truppen zur Umsetzung dieses Ansatzes sah ja Donald Rumsfeld großes Einsparpotential und das BMVg wollte gar nicht erst über Effektivität reden, sondern hatte die Kontingentzahlen fix, bevor über Fähigkeiten nachgedacht werden konnte. Eine zielführende politische Strategie muss am Anfang stehen und man muss bereit sein, auch die damit verbundenen Konsequenzen in Zeit, Kosten und Risiken zu tragen.
@Memoria
Sie wissen doch ganz genau, dass ich mit einem strategischen CA nicht das olle NATO-Handbuch meine ;-)
Schauen Sie mal nach Japan, was sich dort zZt auf politischer Ebene in Sachen Sicherheit und Verteidigung tut, nachdem der damalige japanische Premierminister 2 Jahre nach Obamas Amtsantritt festgestellt hat, dass man sich auf die USA wohl nicht mehr verlassen könne……..
@Cynic2
dem kann ich nichts mehr hinzufügen, 100 Punkte von mir ;-)
@memoria, klabautermann
Der Ansatz vom „comprehensive approach“ ist ja grundsätzlich richtig. Wenn man mal einen Blick auf die „Klassiker“ wirft, stellt man dort erfolgreiche Konzepte fest, die sehr ähnlich aussehen.
Bei der Malayan Emergency manifestiert sich das in den State War Executive Committees von der höchsten bis zur lokalen Ebene (Und nein, den Malaya-Ansatz kann man nicht einfach irgendwo in die Welt kopieren, egal was Robert Thompson schreibt!). Hier musste der Counterinsurgent sich aber auch nicht mit einem ineffektiven host nation government rumschlagen, sondern konnte direkt notwendige politische Maßnahmen (Amnestie, Unabhängigkeit, Wahlen, Ausgangssperren, Umsiedlung…) veranlassen, wie die Situation es erforderte.
Als zweites Beispiel kann die Hukbalahap Rebellion auf den Phillippinen dienen, die letztlich auch durch militärische und politische Maßnahmen beendet wurde, wobei der Verteidigungsminister und später Präsident Magsaysay schlichtweg auch die administrativen und politischen Maßnahmen durch die Armee umsetzen ließ. Was auch daran lag, dass die Bevölkerung seit der Moro Rebellion 1988-1913 gute Erfahrungen mit militärischen Kräften im COIN-Einsatz hatte. Man möchte es nicht glauben, aber die US Army kann insurgencies erfolgreich auflösen – und anschließend alles Gelernte institutionell und systematisch vergessen.
Wie man so einen ressortübergreifenden Ansatz dann als NATO aber joint combined und als expeditionary task force mit einem sehr wahrscheinlich wenig effektiven und wenig an politischen Reformen interessierten host nation government umsetzen will, bleibt mir unklar und sieht sehr unrealsitisch aus.
Im Einsatz wurden COIN und „Comprehensive Approach“ außerhalb der Bundeswehr nicht als Gegensätze behandelt, wobei der CA hier die Elemente „Shape, Clear, Hold, Build“ enthielt. Was auf deutscher Seite fälschlich als CA bezeichnet wurde, beschränkte sich nach Vorgabe der Politik auf das Element „Build“ und fand ohne erkennbare Koordination zwischen kinetischem und nichtkinetischen Vorgehen statt. „Build“ bedeutete in der Praxis, das das Auswärtige Amt oder die EZ mangels Risikobereitschaft oder Bereitschaft sich von der Bundeswehr „mit Waffengewalt“ sichern zu lassen Geld an korrupte afghanische Partner vergab und Erfolgsmeldungen herausgab, in denen die Höhe der im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzten Mittel als Erfolgsindikator galt.
Der Kamerad Lücking gibt eine vergleichsweise harmlose Falschmeldung als Ursache seiner Krankengeschichte an. Tatsächlich wurde und wird bzgl. Afghanistan auf allen Ebenen gelogen was das Zeug hält, und in erster Linie belügt man sich seit nun mehr fast zwölf Jahren selbst.
@ Cynic2, klabautermann
Da wurde ja einiges wahres gesagt, aber hier hak ich dann doch mal ein
b) COIN immer eine Betonung auf politischen Maßnahmen haben muss
Nein, muss es nicht.
Aufstände lassen sich auch ohne politische Maßnahmen, rein auf der Gewalt- und Geheimdienstebene niederschlagen. Anschauliche Beispiele dazu sind die Deutsche Revolution 1848/1849, oder eben jüngst die Grüne Revolution im Iran. (Mehr zu COIN mit diesem Schwerpunkt findet sich bei Bing West und Stahis Kalyvas.)
Klar, das beendet nur den Auftand (deswegen heißt es ja auch Counter-Insurgency, und nicht Militärisch-Politische-Eierlegende-Wollmilchsau ;) ), und ohne politische Reformen kann es gut sein dass es wieder zum Aufstand kommt. Aber es ist eben prinzipiell möglich, dem Gegner ohne politische Maßnahmen die Unterstützung der Bevölkerung zu nehmen und wieder ein Gewaltmonopol herzustellen, in dem dann eben auch wieder deutlich andere Regeln gelten als in einem Zustand umkämpfter Souveränität. Im Fall von Libyen und Syrien betrug die Zeitspanne zwischen den Aufständen gut 30 Jahre.
Ob dieser alleinige „hard“ COIN-Schwerpunkt für ausländische Akteure eine Option ist bleibt fraglich:
– Die Präsenz ausländischer Truppen ist für eine Truppenstellernation ohne Imperiums- oder Kolonialambitionien kein stabiler Endzustand, dazu sind die Kosten zu enorm. Anders sieht es halt für den Einsatz im eigenen Land aus – für die meisten Diktatoren sind enorme Ausgaben für Polizeiapparat und Geheimdienst ja vollkommen akzeptabel, und auch das UK hat für Nordirland einiges eingesteckt.
– Die Friktionen sind für ausländische Akteure um ein vielfaches größer. Polizeiarbeit, Geheimdienstarbeit, politische Kommunikation, Mobilisierung, „Wir-gegen-die“ etc. sind für Ausländer um einiges schwerer zu bewerkstelligen.
– Dazu kommen dann noch typisch militärisch-westliche Hürden, wie military culture, Nato-Schablonendenken, kinetische Schwerpunktsetzung, kurze Rotationszeiten etc.
Nicht zuletzt deswegen haben Kilcullen und Co. einen eher „softe“ COIN-Herangehensweise formuliert, die eben so Aspekte wie „First, do no harm“, Verständnis für die örtliche Situation, durchhaltbarer Footprint und nachhaltige politische Lösungen betont.
Aber auch da steht die Einflussnahme auf die Bevölkerung durch den Kontakt zur Bevölkerung im Vordergrund.
Genau das unterscheidet aber COIN vom deutschen Vorgehen in Afghanistan: Deutschland war nie ein wirklicher Akteuer in Afghanistan, hat nie versucht Einfluß aufzubauen und Einfluß geltend zu machen. Deutschland hatte in Afghanistan keine Agenda (außer vielleicht die Warlords von einem erneuten Sturm auf Kabul abzuhalten, und irgendwie ein wenig gutes zu tun). Und entsprechend wenig hat Deutschland in Afghanistan bewegt. (Das heißt nicht, dass die vereinzelten Projekte nutzlos waren. Aber da wäre mehr und nachhaltigeres möglich gewesen. Auf der [sicherhetis]politischen Ebene ist man jetzt wieder beim Hoffen und Bangen angekommen.)
Und letztlich hat sich Deutschland nie besonders um die Sicherheit des normalen Afghanen geschert – entsprechend leicht war es für einige wenige Extremisten und Banden im Norden Fuß zu fassen. Und gerade diese Verschlechterung der Sicherheitslage ist ein Schuh, den sich auch zu einem maßgeblichen Teil die Bundeswehr mit ihrem „alles im grünen Bereich“ und „was wir tun ist ausreichend“ anziehen muss.
so hart es klingt. eine armee deren politische führung und offizierscorps bei jeder sich bietenden gelegenheit (abschiedsapelle etc.) betont oberstes ziel sei das alle heil zurückkommen kann im einsatz wenig bis gar nichts erreichen.
in D schlicht das Bewusstsein für militärisches im Sinne der Eingehung kalkulierter Risiken abhanden gekommen/ aberzogen worden.
If you don’t dare you don’t win
Bevor man sich in hierzulande mit den coin finessen von malaya bis sri lanka (m.E. nach das erfolgreichste hard coin bespiel der letzten zeit) abgibt sollten erstmal die essentialia wieder verinnericht werden.
Angefangen bei Clausewitz Kapitel 1, Erste Seite
@ wacaffe
Das ist glaub eher ein Symptom als die Ursache. In Afghanistan hätte sich imho durch bevölkerungsnahes Mentoring und Aufbauhilfe sehr viel erreichen lassen. Der rein militärische Aspekt spielte im Norden jahrelang keine Rolle, und wurde dann maßlos überbewertet.
„If you don’t care you don’t win“
Und gerade 2010 wurde auch von der Bundeswehr militärisch in die „Offensive“ gegangen (wenn man das mit den paar Zügen so nennen will), aber eben nie über die kinetische Denke hinausgedacht. Man tat halt, was man meinte was Soldaten halt so tun, ohne sich für die afghanischen Hintergründe der Situation zu interessieren. Daring without caring. ;)
Gleiches gilt für die Versorgungsfahrten und das Bemannen irgendwelcher abgelegener COPs, die vom Gegner schlicht ignoriert und umgangen werden. Dieses „sich zur Zielscheibe machen“ erfordert Mut, es ist riskant, und es wirkt in meinen Augen nicht.