Generalbundesanwalt: Drohnen-Angriff auf Deutschen in Pakistan kein Kriegsverbrechen
Die Entscheidung des Generalbundesanwalt zum Tod eines deutschen Staatsbürgers in Pakistan (auf die mich mehrere Leser hingewiesen haben), ist ein wenig überraschend – und hat vielleicht auch Auswirkungen auf die deutsche Debatte über das Thema Kampfdrohnen: Die Behörde hat das Verfahren eingestellt, mit dem der Tod des Deutschen Bünyamin E. durch einen Drohnenangriff untersucht wurde. Es gebe keinen hinreichenden Verdacht für das Vorliegen einer Straftat, teilte die Bundesanwaltschaft am (heutigen) Montag mit. Der Getötete sei nicht als Zivilist anzusehen, sondern Angehöriger einer organisierten bewaffneten Gruppe gewesen – damit sei der Angriff auf ihn kein Kriegsverbrechen.
Die Entscheidung der Karlsruher Strafverfolger enthält zwei interessante Argumentationsstränge: Zum einen wird auch für Pakistan ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt angenommen, also umgangssprachlich: eine (Bürger)Kriegssituation. Der Drohneneinsatz, bei dem der Deutsche ums Leben kam, war Teil dieser Auseinandersetzungen, heißt es in der Erklärung. Auch wenn der GBA bewusst vermeidet, diese Drohne einer der Kriegsparteien zuzurechnen.
Damit hat der Generalbundesanwalt nach seiner rechtlichen Bewertung des Kundus-Luftangriffs im September 2009 zum zweiten Mal Auseinandersetzungen, an denen deutsche Staatsbürger – wenn auch auf unterschiedlichen Seiten – beteiligt sind, als Krieg eingeschätzt, der nach dem Völkerstrafrecht zu bewerten ist. Das wird dann auch für andere mögliche Fälle getöteter Deutscher in Pakistan gelten.
Die zweite Argumentation folgt dem in der ersten angelegten Gedanken:
Nach dem Ergebnis der Untersuchungen steht fest, dass Bünyamin E. nach Pakistan reiste, um sich im Sinne des gewaltsamen Jihad an den dortigen militärischen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Nacheinander schloss er sich mehreren aufständischen Gruppierungen an, die die pakistanische Armee und die in Afghanistan stationierten ISAF-Streitkräfte bekämpften. Er ließ sich zum Einsatz im bewaffneten Kampf ausbilden, wurde mit einer Waffe ausgestattet und war mit seinem Einverständnis für einen Selbstmordanschlag vorgesehen. Seine gesamten Aktivitäten in Pakistan waren darauf ausgerichtet, an feindseligen Handlungen teilzunehmen. Zum Zeitpunkt des Drohneneinsatzes am 4. Oktober 2010 nahm er an einem Treffen von acht männlichen Personen teil, darunter Mitglieder von Al Qaida und den Taliban. Dabei sollten die Planungen für ein Selbstmordattentat unter seiner Beteiligung auf Angehörige der pakistanischen Armee oder der ISAF-Streitkräfte vorangetrieben werden.
Die zweite Überlegung ist nur logisch: Wer als Kämpfer in einem Krieg teilnimmt, muss damit rechnen, dass die Regeln des Krieges gelten. Allerdings ist für mich als Nicht-Jurist (und schon gar nicht Völkerrechtler) noch nicht ganz einsichtig, wie die Einschätzung eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts in Pakistan zu bewerten ist. Im Umkehrschluss heißt das doch sicherlich, dass der Angriff eines solchen Jihadisten auf amerikanische Soldaten in Pakistan (und auch auf deutsche Soldaten in Afghanistan) keine Straftat ist, weil diese Soldaten nach den Regeln des Völkerstrafrechts legitime Ziele sind? Das kann mir bestimmt ein Jurist erklären.
Nachtrag: Leider mit ein wenig Verspätung eine Stellungnahme der Grünen-Bundestagsabgeordneten Katja Keul, die nicht nur Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion, sondern auch Juristin ist (und so weit ich das sehe, ist es die erste/einzige Stellungnahme einer Partei oder Fraktion?):
Die Begründung für die Einstellung des Verfahrens im Fall Bünyamin E. ist erstaunlich. Der Generalbundesanwalt erklärt Pakistan zum Bürgerkriegsgebiet, in dem feindliche Kämpfer getötet werden dürfen. Unklar bleibt dabei, warum ausgerechnet ein ausländischer Staat, in diesem Fall die USA, beteiligte Kriegspartei sein soll. Selbst wenn es sich in Pakistan um einen Bürgerkrieg handeln sollte, können nicht andere Staaten militärisch auf pakistanischem Territorium operieren. Da außerdem kein Einverständnis der pakistanischen Regierung zu Drohnenangriffen ausländischer Staaten vorliegt, scheidet eine völkerrechtliche Legitimation auf dieser Grundlage ebenfalls aus. Das Töten eines deutschen Staatsbürgers durch den US-amerikanischen Staat in einem Land, in dem weder Deutsche noch Amerikaner Krieg führen, ist daher nicht nach Völkerstrafrecht, sondern nach allgemeinem deutschem Strafrecht zu ahnden.
(Foto: Eine Drohne vom Typ MQ-9 Reaper, betrieben von der britischen Luftwaffe und ausgerüstet mit Hellfire-Raketen und GBU-12-Bomben auf dem Flugplatz Kandahar in Afghanistan – Crown Copyright/defenceimages.mod.uk/Cpl Steve Bain ABIPP via flickr unter CC-BY-NC-ND-Lizenz)
Zum Umkehrschluss:
Diese Problematik hat lange Zeit auch die Aussagen der Bundesregierung beeinflusst, im Besonderen die Verwendung des Begriffs „Krieg“ im Bezug auf Afghanistan.
Aus meiner Sicht: Wenn sich die Taliban an das HVR halten, insbesondere das deutlich zu erkennen geben, Schutz der Zivilbevölkerung und Verzicht auf Heimtücke, dann hätten sie auch Anspruch darauf, als Kombattanten im Sinne des HVR anerkannt zu werden.
Das heißt im Umkehrschluss dann auch, dass sie straffrei ISAF und AFG- Truppen töten dürften.
Aber wie bereits gesagt muss dafür das ganze als Konflikt im Sinne des HVR anerkannt werden (von wem?), sowie die Jihadisten sich an das HVR halten.
Falls sich ein Jurist findet, würde ich die Frage gerne noch um einen Punkt erweitern: Sind dieser Argumentation (Drohne=legitimes Instrument in einer Art Krieg, der feindliche Kämpfer damit ein legitimes Ziel) zufolge nicht auch die Drohnen-Steuerer an ihren Standorten außerhalb Afghanistan/Pakistan als Kämpfer anzusehen und damit legitime Ziele der Jihadisten etwa für entsprechende Bombenanschläge in den USA oder ggf. auch deutschen Standorten?
@Zivi:
Bitte nochmal meinen Beitrag lesen. Man kann sich beim HVR nicht aussuchen, was man will. Entweder alles oder nichts. Die Jihadisten müssten eine erkennbare Uniform und ihre Waffen offen tragen. Eine wesentliche Anforderung des HVR ist es, dass Kombattanten deutlich als solche zu erkennen sind.
Ich finde das alles sehr schwierig. In Afghanistan steht seitens Deutschland der Ansatz der Evidence Based Operations im Fokus, um der afghanischen „Strafverfolgung“ möglichst in die Hände zu spielen und Insurgents als Straftäter verfolgen zu können. Auf der anderen Seite kommt Karlsruhe um die Ecke gebraust. Das ist alles weder Fisch noch Fleisch – geschweigedenn konsistent!
Nein Nein Nein
@ wiegold et alii.
Die Verwirrung bezüglich einer zulässigkeit der Bekämpfung ergibt sich aus der unpräzisen Nutzung juristischer Fachtermini.
Beim Konflikt in Afghanistan und den angrenzenden Territorien (FATA/NWFP) handelt es sich um einen Nicht internationalen bewaffneten Konflikt.
In selbigen gibt es für irreguläre nichtstaatliche Kämpfer kein Kombattantenprivileg sondern nur Zivilisten. Nehmen diese Zivilisten an kampfhandlungen Teil werden sie zu legitimen Zielen militärischer Angriffe. Es besteht somit eine gewollte Asymetrie, die irregulären Kämpfer dürfen im bewaffneten Konflikt somit bekämpft werden, ohne ihrerseits zu Kampfhandlungen berechtigt zu sein.
(siehe ihr Amerikaner Beispiel)
Die Frage die bisher in Deutschland ungeklärt und nun von der Bundesanwaltschaft beantwortet wurde war, ob bei Zugehörigkeit zu einer „organisierten bewaffneten Gruppierung“ das Kriterium der gegenwärtigkeit des Angriffs entfallen, der irreguläre Kämpfer also unabhängig von einer akuten Gefechtssituation bekämpft werden darf. Antwort ja.
Einschlägige Normen sind Art. 51, 1.Zusatzprotokoll Genfer Abkommen sowie Art. 13 2.Zusatzprotokoll Genfer Abkommen
Wo ist das Problem? Es gibt zwei Fragen zu beantworten: Herrscht ein Krieg? Handelt ein Beteiligter im Rahmen des HVR?
Wenn ein Krieg herrscht, dürfen kriegerische Mittel verwendet werden.
Aber nur, wenn ein Beteiligter im Rahmen des HVR handelt, genießt er auch dessen Schutz (darunter auch den Schutz vor Strafverfolgung)!
@ califax
Das „Problem“ ist, das es für den wackeren Talib keine Möglichkeit gibt sich an den Kampfhandungen in legaler Form zu beteiligen (auch bei hypothetischer Beachtung der LOAC). Es gibt im NichtIntBewaffKonfl. kein combatant privilege für irreguläre Kräfte.
Das Völkerrecht ist hier wie auch in vielen anderen Gebieten staatenfreundlich.
@CWendt: Unsere Beiträge haben sich einfach überschnitten. Zudem finde ich Ihr Argument auch nicht wirklich überzeugend sondern eher weltfremd, weil es ja auf die Vergabe einer B-Note für den künstlerischen Eindruck der jeweiligen Kriegsführung hinausläuft. Angesichts Guantanamo darf man wohl auch deutliche Zweifel daran haben, dass die Standards der US-Kriegsführung dem HVR entsprechen. Die von den USA bewusst („vorsätzlich“) begangenen Verletzungen des HVR (nämlich ein Vorgehen bzw. ein juristischer Trick, der im Londoner Statut für das Nürnberger Tribunal als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ definiert wurde) abzuwägen gegenüber dem blindwütigen Vorgehen der Taliban – das ist ein sehr weites Feld.
@ wiegold
Vielleicht noch eine Ergänzung. Da Sie sich über die Einbeziehung Pakistans in den nicht internationalen Bewaffneten Konflikt Afghanistan wunderten;
die nichtinternationalität ist auch bei transnationalen Konflikten gegeben. Ausschlaggebend ist, dass eine Konfliktpartei (hier das OMF Konglomerat) nichtstaatlicher Natur ist.
Insofern ist der Begriff etwas missverständlich. Asymetrischer bewaffneter Konflikt träfe es besser.
Eigentlich kann ich der (Pressemeldung der) Bundesanwaltschaft zustimmen.
Aber nur mit Einschränkungen.
Zum einen müsste mMn der fragliche Drohnenangriff einem bestimmten Konflikt zugeordnet werden. Er kann juristisch nur schwerlich beiden genannten (frei nach: einer wird schon zutreffen) unterfallen.
Und wenn man wie der Generalbundesanwalt einen „nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“ annimmt, dann kommt es für den geprüften Verstoß gegen das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) auf die Zivilisteneigenschaft des Opfers eigentlich nicht an. Denn in dieser Konfliktart sind Zivilisten keine geschützten Personen iSd VStGB, sondern nur „Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden“; lediglich im internationalen bewaffneten Konflikt sind auch Zivilisten vom VStGB geschützt. Siehe § 8 Abs. 6 VStGB.
Zur Umkehrschluss der zweiten Überlegung von T.W.:
Dem muss ich (leider) zustimmen. Und nicht nur für AfPak. Denn ein Konflikt wird nicht räumlich sondern nur konfliktparteiisch begrenzt. Sprich ISAF und Co können das Konfliktgebiet nicht einseitig auf AfPak begrenzen.
Die Diskussion gab es (sehr intern) auch schon zu Beginn des Kosovo-(Luft-)Einsatzes bezüglich eventueller „Vorfälle“ gegen deutsche Militäreinrichtungen in DEU; sie endete mit betretendem Schweigen und Hoffen.
@Wacaffe:
Es ist ja Sinn und Zweck der Rechtsordnung zwischen Staaten (warum heißt das wohl international und nicht interindividuell?), daß es grundsätzlich illegal ist, wenn Hinz und Kunz plötzlich meinen, Leute umbringen zu müssen.
Staaten haben als die Organe der Rechtsordnung ein Gewaltprivileg.
Das HVR ist Vertragsrecht zwischen Staaten und regelt die gemeinsame Rechtsfassung der Unterzeichnerstaaten.
Natürlich ist es staatenfreundlich, sonst wäre es unsinnig.
Interessante Entscheidung. Eine Frage bleibt allerdings m.E. noch offen:
Ist es wirklich völlig egal, was ein Teilzeitkämpfer (tagsüber Bauer, abends Aufständischer) zum Zeitpunkt seiner Bekämpfung macht? Immerhin wird ausgeführt, dass er gerade bei einem Treffen mit anderen Kämpfern war und dabei militärische Planungen erfolgten. Es stellt sich also die Frage: kommt es darauf an, oder war es nur eine interessante Nebeninformation? Anders formuliert: hätte man ihn auch bekämpfen dürfen, wenn er fröhlich pfeifend am Frühstückstisch sitzt und seinen Kaffee umrührt?
Insofern:
@Wacaffe: Ich hoffe Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass die aktuelle Gefechtssituation egal ist, sicher bin ich mir aber nicht…
@ Tom:
Zum Schutz der Zivilisten nach dem VStGB:
„§ 8 Kriegsverbrechen gegen Personen
(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt
1. eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,“
…und Zivilisten sind immer geschützte Personen.
@Tom: „Und wenn man wie der Generalbundesanwalt einen “nichtinternationalen bewaffneten Konflikt” annimmt, dann kommt es für den geprüften Verstoß gegen das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) auf die Zivilisteneigenschaft des Opfers eigentlich nicht an. Denn in dieser Konfliktart sind Zivilisten keine geschützten Personen iSd VStGB, sondern nur “Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden”; lediglich im internationalen bewaffneten Konflikt sind auch Zivilisten vom VStGB geschützt. Siehe § 8 Abs. 6 VStGB.“
Das VStGB stellt aber – auch in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten – in §11 Abs. 1 1. „einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen [….], die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen“ unter Strafe, weshalb die Zivilisteneigenschaft des Ziels (nicht des „Opfers“) durchaus relevant wäre.
„Zur Umkehrschluss der zweiten Überlegung von T.W.:
Dem muss ich (leider) zustimmen. Und nicht nur für AfPak. Denn ein Konflikt wird nicht räumlich sondern nur konfliktparteiisch begrenzt. Sprich ISAF und Co können das Konfliktgebiet nicht einseitig auf AfPak begrenzen.“
Die Qualifizierung einer Gruppe als organisierte bewaffnete Gruppe in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt (Art. 1 Abs. 1 ZP I) und somit ihrer Mitglieder als Kämpfer, die auch dann militärisch bekämpft werden dürfen, wenn sie gerade nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, beinhaltet keine Leigitimation ihrer Teilnahme am nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, die weiterhin nach nationalem Recht strafbar bleibt. Zudem können Mitglieder organisierter bewaffneter Gruppen auch wegen Kriegsverbrechen und ähnlichen Verstößen gegen das ius in bellum zur Rechenschaft gezogen werden, da eine Strafbarkeit nicht an die legale Teilnahme am Konflikt gebunden ist – eine solche Einschränkung wäre ja auch Unfug.
@Ares: Ihre Einlassung gegenüber @Tom ist unzutreffend. Er verweist zurecht auf §8 Abs. 6 VStGB.
Danke für die sehr sachlichen Zusammenfassungen an alle Diskussionsteilnehmer, das ist eine derart exemplarische Gegenüberstellung von Argumenten dass sie es direkt in meine Bookmarks zum Thema geschafft hat.
Die Staatlichkeit internationalen Rechts hat nicht nur traditionelle Wurzeln bis zu den napoleonischen Kriegen sondern auch sachliche Gründe: Sobald eine Partei so geschwächt ist dass sie nicht mehr regulär „zu Felde“ ziehen kann muss ein formaler Schlussstrich unter einen bewaffneten Konflikt gezogen werden.
Ursprünglich mag das einfach dazu gedient haben daß der jeweilige Kriegerfürst seine Beute geordnet in seinen Besitz integrieren kann, heute dient es auch der Trennung zwischen Kombattant und Ganove: Es wäre nicht daß erste Mal daß sich im Schatten eines Konfliktes mafiöse Strukturen an der Zivilbevölkerung laben.
@Sascha W.:
Danke für Ihren Hinweis auf § 11 Abs. 1 VStGB. Den hatte ich übersehen.
Ihren Hinweis auf „Art. 1 Abs. 1 ZP I“ verstehe ich nicht. Da fehlt mir der Zusammenhang.
Darüber hinaus würde ich gerne die gerne genommenen Hinweise, dass die gegnerische Seite bisweilen selbst „gegen das ius in bellum“ verstößt und somit dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann, aus der theoretischen Diskussion heraushalten – das führt nur zu Abschweifungen.
Beim HVR kann man zunächst einmal von dem Normalfall eines bewaffneten Konfliktes, eines Krieges, zwischen zwei souveränen Staaten A und B ausgehen. A und B verfügen über ein Heer, eine Luftwaffe und eine Marine; deren Angehörige tragen Uniformen. In dem Krieg versuchen (grundsätzlich) A und B, soviele feindliche Soldaten wie möglich zu töten, auch wenn der individuelle Gefreite Y des Landes B sich gerade 500 km hinter der Front befindet und gerade beim Kartoffeln schälen ist, als eine Bombe, abgeworfen von einem Flugzeug der Luftwaffe des Landes A, ihn in Stücke reißt. Es handelt sich seitens A um einen legitimen Akt der Kriegsführung. Man darf dem Piloten der Luftwaffe von A wegen der Tötung von Y nicht den Prozess machen.
Es gibt aber auch Fälle, in welchem Gewaltakte zwischen den Soldaten von A und B ein Verbrechen darstellen. Das liegt z. B. vor, wenn Soldaten von A eine Gruppe von Soldaten des Landes B erschießt, obwohl letzere sich bereits ergeben hatten, also als Kriegsgefangene zu betrachten waren. Oder wenn die Luftwaffe von A ein Lazarett, welches als solches klar gekennzeichnet ist, angreift. In solchen Fällen spricht man von einem Kriegsverbrechen. Den Verantwortlichen (soweit man ihrer habhaft wird) wird der Prozess gemacht. Beispiele hierfür sind der Malmedy-Prozess 1946 in Dachau, der Prozess gegen den deutschen General Anton Dostler 1945 in Italien oder der Eck-Prozess 1945 in Hamburg.
Ein anderer wichtiger Fall war das amerikanische Standgerichts-Verfahren gegen die deutschen Soldaten, die am Unternehmen Greif 1944 teilnahmen (dabei ging es um das Tragen von Uniformen des Gegners, um diesen zu täuschen).
Komplizierter wird die Sache, wenn man es gar nicht mit zwei souveränen Staaten A und B, sondern mit einem »nicht-internationalen bewaffneten Konflikt«, also einem Bürgerkrieg, zu tun hat.
Interessanterweise gab gerade ein Bürgerkrieg, nämlich der amerikanische von 1861 bis 1865, den Anlass, die Grundzüge des humanitären Völkerrechts (wie man heute sagt), in den Grundzügen festzuschreiben. Das war der sogenannte »Lieber-Code«:
https://de.wikipedia.org/wiki/Lieber_Code
Die in der Union verbliebenen Nordstaaten erkannten die Südstaaten nie als völkerrechtliches Subjekt an, haben aber de facto den Krieg genauso geführt wie einen Krieg zwischen zwei Staaten; die gefangenen genommenen Soldaten der Südstaaten-Armee wurden als Kriegsgefangene behandelt, und nicht etwa wegen Tötungsdelikten oder Sachbeschädigung vor Gericht gestellt.
Im amerikanischen Bürgerkrieg hielten sich aber auch die rebellierenden Südstaaten im wesentlichen (es gab jedoch einige gravierende Ausnahmen) an die Regeln: Man trug Uniform (zumindest eine Art Räuber-Zivil, welchen den einzelnen Soldaten als Kombattanten erkennen ließ) und behandelte seinerseits gefangene Unions-Soldaten als Kriegsgefangene.
Dass die Taliban in Afghanistan und Pakistan einen Bürgerkrieg führen und als bewaffnete Macht auftreten, dürfte außer Zweifel stehen. Davon gehen, wenn ich es richtig verstehe, auch die Amerikaner und die ISAF grundsätzlich aus. Das würde an sich bedeuten, dass die Taliban auch den Schutz des HVR genießen und man einen Taliban, der während einer Kampfhandlung gefangen nimmt, nicht als Terroristen vor Gericht stellen darf sondern ihn als Kriegsgefangenen behandeln müsste.
Das besondere bei den Taliban ist aber, dass sie, wenn man sie denn als eine nach dem HVR zu beurteilende Konfliktpartei betrachtet, dieses Recht fortwährend und systematisch verletzen. Die Amerikaner haben dann gesagt, diese Leute hätten die Rechte verwirkt, als Kriegsgefangene nach dem HVR betrachtet zu werde. Damit kam es zur Schöpfung des höchst umstrittenen Begriffs: unlawful combatants.
Diese Betrachtungen spielen aber für den aktuellen Fall des »Bünyamin E.« keine Rolle: Es kann kein Zweifel bestehen, dass er sich einer Bürgerkriegspartei in der Absicht, zu kämpfen, anschloss und bei einer Kampfhandlung getötet wurde. Die deutsche Staatsangehörigkeit verleiht keinen universellen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit und Immunität in allen Lebenslagen.
@Tom: Die Strafbarkeit von schwerwiegenden Verstößen gegen das HVR auch von nichtstaaatlichen Konfliktparteien habe ich nur der Vollständigkeit halber angeführt. ein Hinweis sollte eigentlich auf Art. 1 Abs. 1 ZP II deuten, das eine I ist irgendwie untergegangen. Dort werden die wesentlichen Voraussetzungen für eine organisierte bewaffnete Gruppe dargelegt.
@chickenhawk: „Dass die Taliban in Afghanistan und Pakistan einen Bürgerkrieg führen und als bewaffnete Macht auftreten, dürfte außer Zweifel stehen. Davon gehen, wenn ich es richtig verstehe, auch die Amerikaner und die ISAF grundsätzlich aus. Das würde an sich bedeuten, dass die Taliban auch den Schutz des HVR genießen und man einen Taliban, der während einer Kampfhandlung gefangen nimmt, nicht als Terroristen vor Gericht stellen darf sondern ihn als Kriegsgefangenen behandeln müsste.“
Daß die Taliban (und weitere Gruppen Aufständischer) in Afghanistan und Pakistan im jeweiligen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine organisierte bewaffnete Gruppe im Sinne des Art. 1 Abs. 1 ZP II darstellen, dürfte in der Tat weitgehend unstrittig sein – daraus folgt aber nicht, daß deren Handlungen nicht nach nationalem Strafrecht bestraft werden dürften, denn weder im ZP II noch im sonstigen anwendbaren HVR findet sich eine Legitimationsgrundlage für deren Teilnahme an Feindseligkeiten.
o.T.
UNIFIL: Überfall auf deutsche Soldaten
„Limassol, 02.07.2013, Einstellzeit: 20.30 Uhr.
Am 02. Juli gegen 01.45 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit (02.45 Uhr Ortszeit ) kam es während des Besuchs eines Lokals in Limassol (Zypern) zu Handgreiflichkeiten gegen drei deutsche Soldaten.“
http://bit.ly/15e5F8H
Schon der zweite „Einzelfall“. Letztes mal wurde noch relativiert, mal sehen wie man diesmal reagiert
„Auch wenn der GBA bewusst vermeidet, diese Drohne einer der Kriegsparteien zuzurechnen.“
Wer sind denn die Kriegsparteien in Pakistan?
CAI und Kriminelle?
Kann eine Tötung durch den CAI als legitime Kamphandlung gesehen werden?
„Kann eine Tötung durch den CIA als legitime Kamphandlung gesehen werden?“
Eine interessante Frage.
Auf nationaler Ebene dürfte ein paramilitärisches operieren der CIA durch diverse Präsidialerlasse autorisiert sein.
Völkerrechtlich sind paramilitärische Kräfte durch Art. 43 1. ZP Genfer Abkommen zulässig.
Die frage ist, ob man verdeckt operierende Zivilkräfte (SAD usw.) unter diesen Artikel subsumiert. hier ist man dann in der Sphäre des Völkergewohnheitsrechtes. Da wohl nicht nur die USA über entsprechende Einheiten verfügen. (DGSE, MI6 spring to mind)
und gegen derartige Praktiken in der Vergangenheit nicht explizit protestiert wurde hätte man beide notwendigen elemente (opinio iuris, state practice) parat.
Letzlich eine tolerierte grauzone, frei nach dem Motto “ you can always find a lawyer who says it’s ok“
Hier ein illustrierender Artikel zu Bodenoperationen der angesprochenen Kräfte ei denen die obigen Probleme deutlich akuter sind als bei „remote controlled warfare“
http://www.washingtonpost.com/wp-srv/politics/CIA18.html
Wenn der Warfare dann “remote controlled” wäre :-))
Im Prinzip werden die Drohnen als Rückkehrende/Wiederverwendbare Marschflugkörper mit programmiertem Flugprofil und Ziel, verwendet.
Man könnte auch einen Tarus verwenden oder unterliegen sie einer Obergrenze durch ein Abkommen zur Anzahl und Reichweite von Marschflugkörpern?
@ Elahan
MTCR gillt nur für den Export.