RC N Watch: Unruheprovinz Badakhshan
Die Sicherheit in der Provinz Badakshan im Nordosten Afghanistans ist seit dem vergangenen Jahr nicht mehr Sache der internationalen Schutztruppe ISAF: Die Bundeswehr gab ihr Provincial Reconstruction Team (PRT) in der Provinzhaupftstadt Faisabad auf; die Sicherheitsverantwortung ging auf die afghanischen Sicherheitskräfte über. Friedlich ist es dort nicht: Vor allem im Distrikt Warduj (Wardusch) gibt es seit Wochen heftige Gefechte mit Aufständischen, Soldaten wurden entführt, auch ein deutscher Entwicklungshelfer, auf beiden Seiten gibt es zahlreiche Tote.
Die instabile Lage hält an, wie die afghanische Agentur Khaama Press heute berichtet:
According to local authorities in north-eastern Badakhshan province of Afghanistan, at least 12 people including 2 Afghan police forces and 10 Taliban militants were killed following clashes in Wardoj district. (…) Provincial security chief Gen. Imamuddin Motmaein confirming the report said Taliban militants attacked a security check post at Bashand village on Tuesday night.
Badakshan scheint sich immer mehr zu einer Unruheprovinz zu entwickeln. Auf jeden Fall eine Region, in der es fraglich scheint, ob die afghanischen Sicherheitskräfte tatsächlich in der Lage sind, ohne ISAF-Unterstützung ein sicheres Umfeld zu schaffen.
(Foto: Blick auf Faisabad, die Hauptstadt der Provinz Badakhshan, aufgenommen im Mai 2010 – Bundeswehr/PIZ Einsatzführungskommando via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)
Zur Situation in Badakshan ist auch interessant was die NYTimes gestern zur Übergabe des Gefängnisses in Bagram und der damit verbundenen Diskussion über die Freilassung von Taliban-Häftlingen schrieb:
„Among those confirmed to have returned to the fight, the official said, were … Maulavi Shaheer, who turned formerly peaceful Badakhshan Province into a new war zone, where 17 Afghan soldiers were killed in a single battle this month and 10 more were taken hostage on Monday.“
Herr Karzai scheint mit Begnadigungen eher unkontrolliert umzugehen… Den Preis zahlt jetzt unter anderem die Bevölkerung von Badakshan und die Organisationen die noch vor Ort sind.
Badakshan ist nie friedlich gewesen, ich empfehle daher in diesem Zusammenhang erneut das Buch „Decoding the New Taliban“ von Antonio Giustozzi.
„Friedlich“ ist Badakhshan seit 1979 nie wieder gewesen, aber seit 1992 kontinuierlich und immernoch eine der stabilsten Provinzen Afghanistans. Vergleichbar mit Bamian: auch da gibts mit Kahmard einen Unruhedistrikt, aber im Grossteil der Provinz kann man sich ziemlich gut und frei bewegen, und das tun auch viele Leute. Und dann gibts natuerlich lokale Kommandeure, die primaer ihrer eigenen Kriegskasse gegenueber loyal sind und schon gerne mal jemanden mitnehmen, wenn sie dafuer Loesegeld kassieren koennen. Ein bisschen so wie Fahrraddiebstahl in Deutschland: deswegen von einem Unruhe-Bundesland Hamburg, Berlin oder was auch immer zu sprechen ist doch ein bisschen viel der Ehre.
Ich war das erste mal 2005 in Badakhshan und bin grade gestern wieder von da losgefahren – ganz ehrlich, da hat sich in den letzten 8 Jahren strukturell kaum was geaendert. Warduj war immerschon (seit den 1980ern) eine Salafistenhochburg, die Daenen sind da ein paar Jahre ganz ordentlich gegrillt worden. Und jedes Fruehjahr ab Ende Maerz (wenn langsam der Schnee auf den hoeheren Paessen schmilzt und die Transportrouten fuer Genussmittel auf pflanzlicher Basis sich langsam oeffnen) gabs zum Teil heftige Verteilungskaempfe, vor allem Richtung Nordwesten (Shahr-e Bozorg, Yawan, Ragh). Die muessten auch langsam wieder anfangen.
Die An- oder jetzt eben Abwesenheit des PRT hat da auch kaum Einfluss auf die Lage; gelegentliche Patrouillen/ LTPs/ MOLTs in zufaellig ausgewaehlte Gebiete oder regelmaessige Besuche von PRT-Kommandeuren bei den Lapislazuli-Minen in Yamgan aendern ja nichts an den Allianzen und Konflikten der oertlichen Kommandeure. Und die bestimmen letztlich ueber die Stabilitaet einer Provinz. Und in Badakhshan ist nunmal die Jamiat (erklaerter Gegner der Taliban) im groessten Teil der Provinz dominant und die oertliche HIG (v.a. in Argu, Darayem, Tashkan, Keshm und Ragh) haelt nix von den TB (anders als zwischendurch in Baghlan). Der ganze Osten und Norden der Provinz ist von Ismailiten bevoelkert, die trauern noch kollektiv dem guten Dr. Najib nach und fuerchten die Talibs wie der Teufel das Weihwasser… es faellt mir verdammt schwer da jetzt eine Unruheprovinz draus zu konstruieren, trotz Warduj und ein paar Kriminellen. Zumal ich auch im Sueden des Landes ein bisschen unterwegs war… das ist dann noch mal ein gaaaaaanz anderes Kaliber…
@turan saheb
Einverstanden und danke für die Infos. Sehe den Begriff „Unruheprovinz“ als etwas überzogen an…
Allerdings: Bei der Zahl der Getöteten – auf beiden Seiten, mal 16 oder so entführten Polizisten und ähnlichem scheint es mir dann doch ein wenig mehr als Kleinkriminalität…
@ t .wiegold
„Bei der Zahl der Getöteten – auf beiden Seiten, mal 16 oder so entführten Polizisten und ähnlichem scheint es mir dann doch ein wenig mehr als Kleinkriminalität…“
das halte ich für eine Frage der Perspektive. In vergleichbaren Narkoregionen in Mexiko sind solche Dimensionen doch Usus. In XYZ Dorf in D wäre das natürlich ein Ding.
Abgesehen davon sind die beteiligten Parteien doch die „job creators“, näme man die aus der volkswirtschaft könnte man das BIP wahrscheinlich halbieren ;)
@ T. Wiegold – bei Warduj gebe ich ihnen recht, das ist in grossen Teilen ein „Unruhedistrikt“. Dort haelt sich eine grosse Zahl von Regierungsgegnern verschiedener Couleur um einen harten Kern von altgedienten Salafisten in den Bergen beidseits des Tals auf und macht was sie will. Mit gelegentlichen Abstechern in die weniger dicht besiedelten Gebiete im Westen (Jorm). Und fast jeder in Badakhshan, der „in die Berge“ gehen will/ muss, geht nach Warduj – hat irgendwie eine magnetische Wirkung, darum werdens auch nicht weniger… Aber wie gesagt, das ist seit den 1980er Jahren so und stellt einen sehr geringen Teil der Provinz Badakhshan dar (zumal der nordwestliche Teil des Distrikts Warduj von Jamiatkommandeuren beherrscht wird und im Suedosten schon das Ismailitengebiet anfaengt).
Und wenn Truppen nach Warduj einruecken und eine auf optimistischen Latrinenparolen beruhende Operation in dem schwierigen Gelaende durchfuehren gibt es Tote und/oder Gefangene (meistens beim Wegrennen, darum dann auch gleich jedesmal die grosse Zahl von Toten bzw. Gefangenen). Das ist aber auch schon seit Jahren eine Konstante. Dann gibt es anschliessend immer mal wieder eine etwas ernster gemeintere, besser geplante Offensive der Regierung mit massiver Luftunterstuetzung und… aehem… sehr amerikanisch aussehenden jungen Maennern mit Baerten… um die Taliban diesmal endgueltig aus Warduj zu vertreiben. Von denen werden auch brav ein paar getoetet – und der Rest weicht rechtzeitig in die Berge aus und sickert nach ein paar Wochen wieder ein. Wie gesagt, das Spiel spielen wir seit 2005 mit und bevor wir da hin sind lief es schon so aehnlich. Die Salafisten und die Jamiatis haben sich schon in den 1980er Jahren dort bekaempft. Das meinte ich auch nicht mit der „Kleinkriminalitaet“, damit meinte ich die Entfuehrung am Samstag. Oder die letztes Jahr von den Medair-Typen. Aber wenn man Warduj, ein paar Talibankommandeure mit Minigruppen im Rest der Provinz und die erwaehnte Kleinkriminalitaet abzieht (plus die Verteilungskaempfe um die Drogenschmuggelrouten) hat man eine fuer afghanische Verhaeltnisse extrem stabile Provinz. Kein Vergleich (um mal nur bei den nordprovinzen zu bleiben) mit Faryab, Sar-e Pol, Baghlan und Kunduz bzw. West-Balkh. Und sogar stabiler und sicherer als Sheberghan und Takhar.
Vor allem macht mich der gelegentlich konstruierte Zusammenhang zwischen dem Abbau des (aus meiner Sicht immer schon voellig ueberfluessigen) PRTs und den gelegentlichen (und wie gesagt aus meiner Sicht ueber die Jahre hinweg erstaunlich konstanten) Sicherheitsvorfaellen immer ein bisschen fuchsig…
@turan saheb:
Einmal mehr vielen Dank für den Blick ins Gelände.
Stimme ihnen auch weitgehend bei der geringen Effektivität der PRT. Nun traut man sich eben auf der Gegenseite nur noch etwas mehr.
Was lernen wir daraus?
Mein Vorschlag: Nicht unsere Probleme, nicht unsere Aufgabe.
Das PRT war – umschlossen von Bergen und somit wunderbar exponiert – eher mit der Eigensicherung und dann mit der gelegentlichen Kontrolle der Hauptverkehrsrouten beschäftigt. Nach Westen führt einzig eine einzelne schmale Straße – durch wunderschöne Täler – in die Nachbarprovinz. Der Süden ist durch Berge verschlossen und nur in der schneefreien Zeit passierbar. Richtung Osten führt eine Straße, die mit Kontrolle von Baharak ganz gut im Griff gehalten werden konnte. Die Straße Feyzabad – Baharak ist für den Transit von was auch immer extrem wichtig.
Wobei… was nennen wir hier Straße… das ist extrem hartes Gelände dort und Reisen brauchen dort selbst im Sommer sehr viel Zeit…
Das PRT – besser: die zivile Aufbauhilfe – konnte selbst in der Provinzhauptstadt nur sehr langsam spürbare Verbesserungen in der Infrastruktur bewirken…
Ein Fehlen des PRT hat für die Sicherheit nicht unbedingt eine Auswirkung.
ABER man verliert den Blick für den Transitverkehr in der Region.
Wurde das PRT nicht anders herum von den regionalen Eliten als schützenswert angesehen, da es ein Krankenhaus und die Garantie für die Anwesenheit von internationalen Aufbauhelfern bzw. -Geld bedeutete …