Karzai beschwört eigene Stärke Afghanistans
Angesichts des bevorstehenden Abzugs der internationalen (Kampf)Truppen aus Afghanistan hat Präsident Hamid Karzai bei einer Rede vor dem Offiziersnachwuchs des Landes heute die eigene Stärke der afghanischen Sicherheitskräfte beschworen – und zugleich angekündigt, dass sie künftig keine Luftschläge mehr bei ISAF anfordern dürften. Die Rede selbst ist bislang nicht veröffentlicht, aber dpa berichtet in ihrem englischen Dienst:
„We are the owners of this soil, Americans aren’t,“ Karzai said in a speech to young Afghan military officers in Kabul.
„Fortunately they are leaving soon,“ he added, referring to the foreign deployment against al-Qaeda and Taliban forces that started soon after the September 11 attacks of 2001.
Das könnte man als erwartbare Rhetorik ansehen – und schlicht als politische Notwendigkeit eines Staatsoberhaupts, sich von den Folgen der Operationen der internationalen Truppen zu distanzieren. Vor allem, wenn dabei Zivilisten zu Schaden kommen. Karzai geht aber offensichtlich noch einen Schritt weiter:
Afghan security forces will be banned from calling for NATO air strikes in residential areas to help in their operations, President Hamid Karzai said on Saturday, three days after 10 civilians died in such a strike in the country’s east. (…)
Addressing a conference at Kabul’s National Military Academy, Karzai expressed his anger about the strike and said he would issue a decree on Sunday preventing any resort to such measures by his forces.
„Tomorrow, I will issue an decree stating that under no conditions can Afghan forces request foreign air strikes on Afghan homes or Afghan villages during operations,“ Karzai told more than 1,000 officers, commandos and students.
berichtet Reuters von der selben Rede.
Wenn der Präsident diese Ankündigung wahr macht, dürfte das die Lage am Hindukusch recht grundlegend verändern: In immer mehr Regionen haben die afghanische Armee oder Polizei bereits die so genannte Sicherheitsverantwortung übernommen. Allerdings fehlt ihnen die (technische) Feuerkraft der ISAF-Truppen. Wenn sie künftig nicht mehr auf deren Luftunterstützung bauen können, wird das auf der einen Seite – vielleicht – die so genannten Kollateralschäden verringern, aber auch den Erfolg ihrer Operationen.
Keine Frage: Luftschläge amerikanischer, britischer, niederländischer Kampfjets waren von Anbeginn des Afghanistan-Einsatzes ein Problem, wenn dabei Unbeteiligte getötet oder verletzt wurden. Aber ob die rein bodengebundenen Aktionen der afghanischen Sicherheitskräfte tatsächlich dazu führen, dass weniger Zivilisten ins Gewehr- oder Mörserfeuer geraten, scheint mir noch nicht ausgemacht.
Nachtrag: Eine interessante Analyse im Afghanistan Analysts Network bringt das auf den Punkt:
Even bearing in mind just how frightening and disruptive, hostile planes and attack helicopters in the sky are for many Afghan rural populations, withdrawing them may not necessarily lead to easier lives. In at least one province, we are seeing the impact of the end to air support. As AAN reported last week and in November 2012, the departure of the Norwegian PRT from Faryab in September and the loss of NATO air support has reduced the ANSF’s ability to conduct operations against insurgents. The result has been a Taleban resurgence with more IEDs, more assassinations and more suicide bombings – and many more dead Afghan civilians.
(Archivbild: Karzai beim afghanischen Unabhängigkeitstag 2011 – U.S. Air Force photo by Master Sgt. Michael O’Connor via ISAF Media auf Flickr unter CC-BY-Lizenz)
“Fortunately they are leaving soon“ und kein CAS und CCA für ANSF.
Na dann auf Wiedersehen Herr Karzai (und Nachfolgeregierung?).
Wenn dies so sehr Thema im beginnenden Wahlkampf wird, ist die Aussage ggf. gültig auch nach Ende der Ära Karzai.
Passt doch auch wunderbar zur veränderten US-Planung (einige Berater in Ministerien und Ausbildungseinrichtungen, ggf. Beratung auf Korpsebene, fast keine Enabler für ANSF und Spezialkräfte für counter-terrorism).
Von der ursprünglichen train, advise, assist-Aufgabe ist wenig geblieben.
Siehe auch: http://articles.washingtonpost.com/2013-02-11/world/37039696_1_troop-presence-afghanistan-commanders
Also für mich klingt das nach einer Mischung aus „Pfeifen im Walde“ und Realitätsverlust… Karzai setzt seine (nach innen gerichtete) Abgrenzung zu ISAF fort…. Wenig überraschend, gilt es doch für ihn sich entsprechend zu positionieren.
Evtl. ist das Ganze halb so wild, wenn CAS benötigt wird, kann er Ja immer noch durch ISAF-Personal angefordert werden…und die ANA ist fein raus wenn was schief geht….
Und im Zweifel Verfahren wir halt nach der Devise: Wer nicht will der hat schon…bauen schneller ab und ziehen das Chaos, das post-ISAF hereinbrechen wird einfach zeitlich nach vorne…
@Interessierter:
Im RC-N ist das Mentoring auf Btl-/Kandak-Ebene fast ganz aufgegeben worden.
Damit wären ANSF bereits jetzt ohne CAS.
Aber was Karzai sagt zeugt ja eh meist von Realitätsverlust.
Wie im SPIEGEL vor ca. nem Jahr als er behauptet hat er kenne die CIP nicht (kannte sogar ich): http://augengeradeaus.net/2011/12/rc-n-watch-schluss-mit-dieser-art-von-polizei/
Erinnert an „Der Untergang…“
Interessantes Dejá-vu…..
Das ist nicht das erste Mal, das sich eine Marionette gegen ihren Puppenspieler erhebt….
Wir wissen alle, wie es die letzten paar Male ausgegangen ist…
Da Karzais Haltung zum Thema „Von Ausländern aufgestellte Milizen“ ja recht eindeutig und bekannt ist (siehe auch ALP), darf bezweifelt werden, dass er in hinsichtlich des Aufbaus der CIPP eingebunden wurde. Von daher ist das wohl eher ein schlechtes Beispiel.
(Wobei es an der Stelle schon interessant wäre, was die europäischen Verteidigungsminster zum Thema „lokale afghanische Hilfstruppen“ so aus dem Stand sagen könnten.)
@J.R.:
Kritik an den ALP von Karzai ist nachvollziehbar. Die Behauptung derlei geschehe komplett hinter seinem Rücken (und dem seiner Behörden) ist jedoch nicht haltbar.
@ Memoria
Um seine Behörden geht es ja auch nicht. Bei der ALP hängt ja das Innenministerium mit drin, und auch die Provinzgouverneure und örtlichen „Power Broker“ dürften involviert sein. Dass aber irgendwer Lust hat, vorher das (unwahrscheinliche) Ok von Karzei persönlich einzuholen, und im Falle eines Neins vor ein Dilemma und vor Gesichtsverlust gestellt zu werden, kann ich mir kaum vorstellen.
@J.R.:
Karzai erweckt jedoch dann laufend den Eindruck die Ausländer würden ohne Absprache mit MoI etc. CIP und ALP betreiben. Dies blieb auch im SPIEGEL-Interview unwidersprochen.
@memoria
Danke für die Info bzgl. des Mentorings.
Ich glaube wir sollten die Feldlager nicht zu weit zurückbauen…irgend jemand wird die in naher Zukunft im Rahmen des Eroberungsfeldzuges nutzen können…
Karzai hat einen Todeswunsch. Es ist nur eine Frage der Zeit bis er gewaltsam gestürzt wird.
Schade um die ganze (elektronische) Tinte, die wegen Karzais Gequassel verspritzt wird. Wenn wir noch was für ihn tun wollen, könnten wir ja schon mal eine Luxus- Exilbleibe für ihn bereitstellen. Er wird sie ja bald brauchen. Oder die Taliban oder andere innerbetrieblichen Gegner entheben uns des Problems beizeiten. Der Mann ist eigentlich schon Geschichte.
Wieso trägt er eigentlich immer so hohe Kragen? Damit man die Gewinde seines Wendehalses nicht so deutlich sieht.
Man muss nicht alles wirklich ernst nehmen, was Karzai zur eigenen Bevölkerung sagt. So ist nun mal das mediale Spiel nach innen und außen. Es kommt immer auf die Zielgruppe an. Und will er seine ohnehin schon grottenschlechten politischen Überlebenschancen nicht noch weiter verschlechtern, muss er jetzt einfach die nationale Karte spielen, sich von den Amerikanern weiter abgrenzen und dabei den starken Mann spielen. Wahrscheinlich hilft ihm auch das nichts.
Trotzdem sollte sein Verhalten, das mit Blick auf die allgemeine afghanische Stimmungslage in Grenzen nachvollziehbar ist, uns zu denken geben. Wenn wir unser mehr als elfjähriges Engagement noch mal Revue passieren lassen, dann fällt auf: Wir (und damit meine ich vor allem, aber auch nicht ausschließlich die Amerikaner) haben uns immer mehr auf das hin entwickelt, was wir von Anfang an strikt vermeiden wollten: Als gefühlter Besatzer anstatt als Befreier und Unterstützer verstanden zu werden. Von wegen „to win the hearts and minds“! Die Reputation des Westens hat im Laufe der Zeit immer mehr gelitten – eine merkwürdige Entwicklung, die wohl nicht nur auf islamistischer Propaganda beruht. Unsere Freunde dort sind fast nur noch diejenigen, die (noch) an uns verdienen oder sich nur mit unserer Hilfe an der Macht halten können. Alle anderen wollen uns loswerden, freilich ohne zu wissen, was das für sie selbst bedeuten könnte. Man fragt sich wirklich, wie wir das alles (sehenden Auges) zugelassen haben.
KelaBe ist mir ein paar Minuten zuvorgekommen: Eigentlich besorgniserrend sollte doch sein, dass die Stimmung insgesamt eher Anti-ISAF als Pro-ISAF zu sein scheint. Präsident Karzei ist da „nur“ der (imho vielfach unterschätzte) politische Überlebensküntler, der versucht daraus für sich Kapital zu schlagen.
Nochmal zur Luftunterstützung: Vielleicht sollte man im Hinterkopf behalten, dass Herr Karzei einer der wenigen Politiker sein dürfte, der weiß wie sich ein US-Luftschlag anfühlt.
KeLaBe + J.R.:
Zustimmung, daher bin ich bei Mali so skeptisch.
Friktionen gibt es immer – und schon beginnt der Weg evtl bis hin zur accidental guerrilla.
Dieser Unmut wird dann Politikern und noch mehr von „spoilern“ (Taliban, AQMI, etc) genutzt.
Am Ende steht man als Buhmann in der Ecke – siehe ISAF
Folgerung bei der Neuausrichtung der Bw: Wir konzentrieren uns weiter auf Stabilisierungseinsätze. Hoppla.
Da untermauert wieder jemand seinen Spitznamen…
DEAD MAN WALKING
@KeLaBe: „to win the hearts and minds“. Guter Ansatz, der aber leider kaum mal klappt.
Mir geht dabei gerade der Gedanke durch den Kopf, daß das im Falle der alliierten Besetzung Deutschlands zumindest in den Westsektoren anders war. Warum eigentlich? War es vielleicht der Umstand, daß die Besetzung umfassend und mit solcher Manpower erfolgt war, daß sich jeder Widerstand erübrigt hat? Hatten die Deutschen das Vergangene wirklich so satt, daß die Ruhe von alleine kam? Oder sind das in Europa einfach andere Verhältnisse? Könnte man daraus schließen, daß ein Zuwenig an Ordnung schaffender Macht den Widerstand begünstigt, obwohl man bei der Bevölkerung zunächst offene Türen einrennt, man also eigentlich als Befreier kommt?
Anders muß vermutlich die deutsche Besatzung auf dem Balkan und in Rußland gesehen werden. Deutschland war wirkliche Besatzungsmacht und hat niemanden wirklich befreit (Vielleicht von einigen antikommunistischen Anteilen mal angesehen). Also gab es keine Ruhe, keinen Frieden und erheblichen Widerstand.
Wenn man in diesem Lichte Mali betrachtet, kann man Parallelen ziehen. FRA kommt als Befreier, aber zu knapp ausgestattet. Zunächst einiger Jubel, dann kommen die INS wieder ins Geschäft, weil weder die lokale Macht noch die der Besatzungsmacht ausreichen, um die Bevölkerung zu schützen.
Allerdings kommt bei Mali noch hinzu, daß der schwarzafrikanische Bevölkerungsanteil nun seinerseits die Lage nutzt, ein paar alte Rechnungen zu begleichen, was die arabischstämmigen Leute nicht glücklich machen wird. Das Ende der Mali- Aktion kann man am Beispiel AFG vorausahnen.
Um den alten Clausewitz abzukürzen: Wenn schon, dann aber richtig.
@ iltis
In der Nachkriegs-BRD hat eben eben „Hearts and Minds“ funktioniert:
– „Hearts“ in dem Sinne, dass es eine wünschenswerte Zukunftsperspektive gab. Endlich ein Kriegsende gab, und irgendwann dann auch Wohlstand und Selbstbestimmung.
– „Minds“ in dem Sinne, dass die „Herrschaft“ der West-Allierten unangefochten war. Am Kräfteverhältnis – militärisch, wirtschafltich, moralisch – ließ sich nicht wirklich rütteln.
Später kam dann noch der Kalte Krieg dazu: Da war man dann mit den Amerikanern ein „wir“ gegen „die anderen“ im Osten.
Das sind dann vermutlich auch die entscheidenden Faktoren:
– Sicherheit (vor Gewalt, vor Mangel etc.)
– Mitbestimmung
– die ausländischen Truppen als weniger fremdartig als der „gemeinsame“ Gegner.
Das war in der frühen BRD gegeben.
In Afghanistan ist es das nicht.
Und um an der Stelle mal die etwas überspitzt die Sichtweise zusammenzufassen:
– Afghanistan ist nicht sicher (weil ISAF bombt, weil ISAF Milizen protegiert, weil ISAF die Taliban finanziert)
– Es gibt keine Mitbestimmung (weil das das ausländische Geld nur an eine korrupte Elite geht, und deren Posten von Kabul aus vergeben werden)
– Die Ausländischen Truppen sind ignorant, halten sich für was besseres, hassen Muslime. Da wirken selbst Pakistanis und Araber weniger fremdartig.
Das muss so nichtmal wahr sein, aber es dürfte an der Wahrheit näher dran sein als der ISAF-Spin. Und es bedeutet nichtmal, dass die Afghanen sich die Taliban zurückwünschen. Aber der Ist-Zustand ist alles andere als wünschenswert. Und daran wird den internationalen Akteuren, die sich für einen „bequemen“, Kabul-zentrierten Top-Down-Ansatz entschieden haben, der um einige wenige Power-Broker herum konstruiert wurde, eben eine Mitschuld gegeben.
Der Unterschied zwischen Europa und Afrika ist einfach:
In Europa gab es eine „Ordnung“ zu der man zurückkehren konnte….in Afrika gibt es das nicht.
Die Menschen dort (wie auch in Afghanistan) lebten seit Jahrhunderten in ihrer eigenen Welt-die durch lokales Leben geprägt war.
Nun kommt eine „Besatzungsmacht“, bombt alles weg, und will alles zentralistisch demokratisieren.
Dann soll aber auch irgendwann einmal jeder Steuern bezahlen, denn die Regierung muss ja finanziert werden.
Viele Menschen haben kein Einkommen-sie leben von der Hand in den Mund; und das meist mehr schlecht als recht.
Guten Morgen,
ich muss den Denkansatz von Huey voll unterstützen.
Die Menschen in den weiter entfernten Regionen haben andere Lebensgewohnheiten, Traditionen und Regeln – und das seit hunderten Jahren – und nun kommen die „westlichen Gutmenschen“ und wollen dieser, aus unserer Sicht fast mittelalterlichen, Lebensweise innerhalb von wenigen Jahren unser Lebensmodell überstülpen.
Wenn die das dann nicht mit offenen Armen entgegennehmen, sondern versuchen bei ihren angestammten Lebensweisen zu bleiben, dann gilt der Einsatz als problematisch oder gescheitert.
Blickt man nur einmal in der europäischen Geschichte so bis ins frühe Mittelalter zurück und sieht wieviele Kriege, Koalitionen und soziale Umbrühe über eine Zeit von über 500 Jahren hier gelaufen sind, dann versteht man, dass dieser Prozess keiner von 3-4 Jahren ist. Ich war bereits 2000 im Kosovo der Überzeugung, dass der Einsatz mindestens 1 besser 2 Generationen andauern muß um alte Wunden zumindest ansatzweise zu schliessen und die Bevölkerung an ein friedliches „Miteinander/Nebeneinander“ zu gewöhnen.
In AFG sähe ich hier aufgrund der zusätzlichen großen kulturellen Unterschiede eher noch längere Zeiträume als notwendig – aber nicht in der Funktion als Besatzer sondern als Sicherheitsstützgerüst. Das ist aber m.M.n. aus der heutigen Situation dort nicht mehr möglich, da die „Entscheider“ der Afghanen sich mittlerweile zu sehr gegängelt fühlen und die ISAF-Truppen ASAP los werden wollen.
Eine Lösung aus unserer Gutmenschensicht mag das zwar nicht sein, aber einen Einsatz zu beginnen den man, um es sinnvoll zuende zu bringen, auf 20 Jahre anlegen muß, wird kein Politiker sein Mandat geben und die Bw ist dazu auch nicht mehr in der Lage.
Lippe65
@lippe65
Deswegen hat man ja auch früher mit Entwicklungshilfe gearbeitet…
Alles richtig, entkräftet meine Grundidee aber nicht, daß wir zu schmal in diese Einsätze gingen. Wieder AFG mit Deutschland nach dem Kriege verglichen würde ein passendes Schema doch so aussehen:
1) 200.000 Mann Besatzungsmacht, wenn nicht noch mehr.
2) Besetzung aller Schlüsselstellungen mit eigenem Personal
3) Komplettes Entmachten/ Wegsperren der alten Führungsriege bis runter zu den regionalen Fürsten. Nur Bürgermeister/ Dorfälteste bleiben.
4) Komplette Entwaffnung aller lokalen Strukturen, auch und gerade von Warlords, Mögliche externe Kräfte werden ohne Rücksicht verdrängt/ eliminiert.
5) Aufbau einer Zivilgesellschaft, die den Namen verdient und die aber regionale Eigenheiten nicht außer acht läßt.
6) Auslegung der Besatzungsstruktur auf 20 Jahre oder nach oben offen.
Unter dem Strich hieße das, daß der Westen seine Kräfte überdehnt. Alles darunter wiederum lohnt den Aufwand nicht. Es sei denn man stünde zu der Grundidee, daß einem Land und Leute egal sind und es nur um begrenzte Eigeninteressen ginge. Außerdem gibt es genügend Länder, in denen ein ähnlich rigoroses Eingreifen aus Menschenrechtsgründen angezeigt wäre. Wo also anfangen und wo aufhören.
Also besser in Zukunft Finger weg lassen oder nur so lange „drin bleiben“ bis das eigene Primärziel erreicht ist und abziehen, sobald die Stimmung in der Bevölkerung kippt.
@iltis
Das verklaert aber dann doch die deutsche Nachkriegsgeschichte ein klein bisschen…. Das klingt eher nach Morgenthau als nach Marshall….
@iltis
Zustimmung!
Für unsere Politiker ist die Überschuldung und Jugendarbeitslosigkeit ein vie größeres Sicherheitsrisiko für Europa!
Und evtl haben sie damit recht! Die Sicherheit gegen Terror wird eben mit anderen Mittel effektiver bekämpft!
@Soenke Marahrens: Vielleicht verkläre ich tatsächlich ein bißchen, aber sicher nicht viel.
Aber wir und die Amis sind uns kulturell deutlich näher als der Westen insgesamt und Länder aus der muslimischen Sphäre. Zudem es bei uns eine deutlich niedrigere Bereitschaft gibt, sich selbst zum Wohle der Gesamtheit zu opfern. Trotzdem: in der Phase der Besetzung haben die Gegner Deutschlands zunächst mal Tabula rasa gemacht und alles abgeräumt, was über Bürgermeister hinausging, wenn sie überhaupt so zaghaft waren. Und das war gut so, anders bekommt man totalitäre Strukturen nicht heraus. Was man mit dem Personal anschließend macht, ist eine andere Frage: Wieviel Prozent Persilscheine will man ausgeben und auf welchem Gefährdungslevel…
Ich möchte aber doch empfehlen, Morgenthau noch mal zu verinnerlichen: Danach wäre hier ein DE ein großes Agrarland mit Bauer und Knecht übrig geblieben, das andere Länder ernährt, statt sie zu überfallen. Das hätte bei enger Auslegung sogar bedeutet, daß die Kenntnis von Lesen und Schreiben nicht mehr jedermann vermittelt worden gewesen wäre.
Statt „sich selbst zum Wohle der Gesamtheit zu opfern“ hätte ich wohl besser gesagt: „zum Wohle einer Idee“
@iltis
Nach 3.7 Jahren USA… auch hier verklären Sie….
Wir sehen das Recht auf Religionsfreiheit als Freiheit von der Religion, die meisten Amerikaner sehen Religionsfreiheit als das Recht zur Religion. Und stehen damit den Muslimen (nicht dem Islam) deutlich näher als der „wohlaufgeklärte“ Westeuropäer…
Ich bin mir Morgenthau wohlbewusst…. aber ich denke, Adenauer’s Ich kann den Alliierten keine 18 Jährigen Generäle anbieten können Sie quer durch die westdeutsche (und auch die ostdeutsche) Nachkriegsgesellschaft vefolgen…
Glaube dem Karzai bleibt nichts anderes übrig. Wie soll man als Staatschef respektiert sein wenn man seine Herrschaft auf den mal mehr, mal weniger präzisen Bombenhagel verhaßter Ausländer stützt. Das dürfte ihm schon einen gewissen Popularitätsschub geben. Ob es reicht wer weiß, aber ihm war natürlich völlig klar dass der Westen die militärischen Ressourcen eh in absehbarer Zeit abgezogen hätte. So kann er das Ende der Angriffe wenigstens auf sein Konto zu buchen versuchen.
@Soenke Marahrens: Ich sage ja ähnlich und nicht gleich. Wenn Sie im mittleren Westen nach Religion fragen, bekommen Sie andere Antworten als in San Francisco, schon klar. Anders sind wir schon, aber ähnlich auch. Das verkläre ich nicht.
Conny A. hatte natürlich recht. Aber bis dahin war es schon ein Weg nach ’45. Und die Amis sind am Ende auch Realisten. Sie haben beizeiten ausgelesen, was eher Nutzen und was eher Schaden versprach. Aber wer will Ihnen verdenken…
Vielleicht als Abschluß zu diesem Gedankengang, weil es nur am Rande um transatlantische Ähnlichkeiten geht. Wichtiger ist mir der Ansatz, daß man zur wirklichen Änderung eines Landes den Rasen erst mal ziemlich kurz schneiden muß. Und da reicht es nicht, an zwei drei Stellen mal richtig hin zu halten, sondern da geht man flächendeckend drüber. Und es braucht ausreichenden Mitteleinsatz dazu.
@ Iltis
Um bei ihrer Metapher zu bleiben…. Es sollte auch vorher klar sein, was im rasen Unkraut ist und was Wildkraut..
Na gut, setze ich auch noch eins drauf: Wenn ich im Garten zu Gange bin, ist im Frühjahr der neu schießende Rasen genauso dran, wie der Krokus. Höhe einstellen, Motor an und los. In alle Ecken. Machen Sie das anders? Ich erinnere mich an eine Karikatur, wo der gelernte Friseur im eigenen Garten auf den Knien herumrutscht und höchst selektiv die Schere handhabt. Könnte symbolisch für unsere derzeitige Herangehensweise stehen. Beides führt trotz hohem Aufwand nicht zu einem schönen Garten…
Ich gestehe – der Vergleich gefällt mir schon :-)
Jetzt stellen wir uns mal vor Karzai oder sein Nachfolger (immerhin wurde er nur sehr knapp wiedergewählt) kommt militärisch wirklich unter Druck durch islamistische Aufständische…
Wie lange wird Karzai wohl brauchen seine Unterschrift unter eine Ausweitung der Militärrechte der ISAF-Truppen zu setzen? Vermutlich geht das schneller als die Foristi „Bundestagssitzung zur Verlegung von Panzerhaubitzen“ sagen können.
Es gibt nur einen Schritt der diese Option auslöscht und das wäre der komplette Abzug der ISAF und Militärattaches. Und danach siehts nicht aus. Vieleicht sitzen die Truppen zukünftig däumchendrehend in ihren Bunkern, aber einsatzbereit sind sie nach einer Unterschrift.
Ein ehemaliger US J5 hat mir mal erzählt, dass eine Annahme der Iraqui Freedom Planer war, dass die Verwaltungsstrukturen und die Streitkräfte Führungsstrukturen weitgehend erhalten bleiben und übernommen werden sollten. Diese Annahme war abgesegnet in high places…….und man war völlig überrascht seitens der US Streitkräfte, dass dann diese Annahme durch das state dep über Bord geworfen wurde……..
Mal angenommen, ich bin nicht ganz falsch orientiert, dann hat man im Irak die gründliche Lösung gewählt. Eigentlich ein guter Ansatz, wenn die oben getroffene Annahme richtig ist. Ein großer Unterschied zu DE im Jahre ’45 ist aber, daß es kaum „innerbetriebliche“ Friktionen zwischen Volksgruppen gab. Vielleicht zwischen Flüchtlingen und Ur- Bevölkerung…
Im Irak haben wir es vor allem mit zwei Religionen zu tun, die schon lange auf Abrechnung gewartet zu haben scheinen und den Kurden. Dazu die Interessen des Iran und anderer Nachbarn. Eine böse Suppe und ein Argument mehr dafür, daß man sich die Idee mit dem Nationbuilding von der Backe putzen sollte
@ iltis
Auch wenn die Antwort etwas spät kommt, hier noch ein Punkte.
Alles richtig, entkräftet meine Grundidee aber nicht, daß wir zu schmal in diese Einsätze gingen.
Angesichts von gerade mal 100-200 Mio. Euro für zivile Unterstützung, die der Afghanistan-Einsatz am Anfang jährlich wert war, läßt sich das wohl nur schwer leugnen. ;)
Aber ansonsten lässen sich Nachkriegs-Afghanistan und Nachkriegs-Deutschland nur schwer vergleichen, von der Kriegsmüdigkeit vielleicht. In Deutschland gab es eben immer noch einen funktionierenden Staatsapparat. Und auch das wirtschafltich-industrielle Wissen war vorhanden – es mussten also nur wieder Kapital bereitgestellt und Produktionsmittel angeschafft werden. (Dazu kommt, eher am Rande, dass Deutschland schon damals führend in der Bevölkerungserfassung war und traditionell über eine starke Polizei verfügt – das macht militanten Widerstand ziemlich schwer.)
Nachkriegsdeutschland hatte entsprechend zwei Faktoren, die in Afghanistan fehlen: Wirtschaftlicher Wohlstand und Sowjetrussland als Feindbild. Damit ließ sich selbst der überzeugteste Nazi erstmal ruhigstellen.
All das fehlt in Afghanistan. Vielleicht käme man mit 200.000 Ausländischen Truppen und 100.000 afghanischen Hilfstruppen mit einem solchen oppresiven Ansatz hin – das sind so die Zahlen, mit denen damals die Russen spekulierten um „Gewinnen“ zu können (und weshalb Gobatschow diese Verdoppelung auch sein ließ und lieber abzog). Es wäre immer noch ein Abenteuer, und angesichts der grundlegenden Schwächen im Vorgehen der internationalen Gemeinschaft angeht bezweifel ich, dass man damit in einen alle Ebenen betreffenden Konflikt wirklich erfolgt hätte. Schon jetzt ist man ja sehr schwerfällig und oft ahnungslos, ich sehe nicht, dass das mit mehr Truppen und noch größeren Basen besser würde.
In meinen Augen ist der Grundfehler in ihrer Annahme, dass Ausländer eine afghanische Zivilgesellschaft und ein afghanisches WIrtschaftswunder besser hinbekämen. Da hab ich sehr starke Zweifel.
Die internationale Gemeinschaft tut sich immer noch sehr schwer, den afghanischen Ist-Zustand zu erfassen. Wie will man da a) einen afghanischen Soll-Zustand definieren, und b) die besten Mittel wählen um vom Ist-Zustand zum Soll-Zustand zu kommen?
Des Denken und Agieren in staatlichen Strukturen funktioniert da nur bedingt, weil es die eben in Afghanistan so gut wie nicht gibt. Und wenn sie aufgebaut werden, dann müssen sie auch relevant sein – dazu muss man entweder bestehende PowerBroker einbinden, und/oder schaun dass für die Strukturen tatsächlich Bedarf besteht, und sie diesen auch erfüllen. Beide Ansätze sind nicht leicht, und die internationale Gemeinschaft hat sich mit beiden schwergetan.
Es ist glaub nicht falsch zu sagen, dass die internationale Gemeinschaft einen Wasserkopf in Kabul geschaffen hat, von dem der Rest des Landes nur wenig profitiert.
Auch so Punkte wie das Wegsperren der Führer wird schwer. Oft sind die eben über verwandschaftliche/gesellschaftliche Bande etabliert. Ein Sippenoberhaupt kann man eben nicht einfach „absetzen“. (Nicht dass die Russen sowas nicht probiert hätten. Das hat die afghanische Gesellschaft insgesamt geschwächt, und die Machtergreifung religiöser Extremisten erst möglich gemacht.)
Vielleicht hilft es da, einfach mal das Narrativ der Taliban anzuschaun. Das ist ziemlich gestrickt:
– Wir schützen euch vor Kriminellen.
– Wir bieten schnelle und gerechte Rechtssprechung.
– Wir sind hier, ISAF ist es nicht.
Mit Verlaub, das könnte die internationale Gemeinschaft besser, wenn sie denn wollte. Und dazu auch noch etwas schaffen, das auch in Jahrzehnten noch Bestand hat (etwa durch Bildung und Landwirtschaftsförderung). Und es wäre nichtmal so teuer (die Taliban haben ja auch kein Riesenbudget). Nur würde es halt ein Umdenken erfordern.
Kilcullen verwendet für seine Insurgency-Erläuterungen gerne den Vergleich mit einem geschwächten Immunsystem. Radikale Fremdkörper können sich nur einmischen, wenn der Ist-Zustand zu geschwächt ist ein Einnisten abzuwehren. Und auch wenn man die gröbsten Geschwüre operativ entfernen kann (und damit den Körper insgesamt womöglich noch mehr schwächt), ohne einen stabileren Ist-Zustand bringt das letztlich nicht.
Und um den Vergleich beizubehalten: Wir reden hier darüber, den Patienten an eine Herz-Lungen-Maschine zu hängen, weil wir es nicht hinkriegen ein paar Impfungen und Nährstoff-Präparate zu verabreichen.
@ iltis
Mal angenommen, ich bin nicht ganz falsch orientiert, dann hat man im Irak die gründliche Lösung gewählt.
Nö. Man ist mit der Planierraupe über das gesamte Grundstück gefahren, und war der Ansicht, dass dann schon von selbst ein englischer Rasen draus wird.
(Nebenbei: Deutschland hat Föderalismus, Religionsfreiheit und Minderheitenschutz ja nicht aus einer Laune der Natur heraus, sondern weil man ohne schlechte Erfahrung gemacht hat. Die Frage ist doch eher, ob die Situation in anderen Ländern ähnlich ist (imho ja), und ob man dort die Vorteile dieser Mechanismen auch ohne eigene schlechte Erfahrungen erkennen kann (imho auch ja). Interessant im Vergleich zum Nachkriegsdeutschland ist da zum Beispiel, dass sich die USA für Deutschland für ein sehr föderatives System entschieden haben, für Irak und Afghanistan aber für ein sehr zentralistisches.)
@J.R.
Das föderale System hat auch in großen Teilen von Jugoslawien für Ruhe gesorgt und wäre der richtige Ansatz für AFG (evtl auch für Mali) aber wer an Rohstoffe will, möchte doch nicht mit dem Eigentümer verhandeln! Das Prinzip funktioniert in Kanada, USA, Türkei, Nigeria, Russland, Australien uvm auch nicht anders. Föderalismus ist für die Weltoligarchen Teufelszeug!
@J.R.: Föderalismus…Die USA sind sehr föderal aufgestellt, haben dieses Beispiel dann für Deutschland gewählt. Wir sind bisher nicht schlecht damit gefahren. Wenn für spätere Abenteuer zentralistische Modelle gewählt wurden, warum? Welche Prämissen haben sich geändert? Nimmt man Elahans Aussage als gegeben an, geht die Zielrichtung eher in Richtung Rohstoffsicherheit. Damit wäre die Hauptthese der Friedensbewegung bestätigt.
Der Kilcullen- Ansatz kommt gut hin. Um das Immunsystem entscheidend zu stärken, müßte man demnach eine Situation wie im Nachkriegsdeutschland herstellen. Nur, und das haben Sie auch beschrieben, es fehlen die industriellen und bildungstechnischen Voraussetzungen für ein selbstanfachendes Wirtschaftswachstum, welches eine Befriedung mit sich bringt. Wer reich werden will und kann hat für revolutionäre Ideen keine Zeit
Insgesamt haben wir nun doch ganz schön herausgearbeitet, warum man von solchen Einsätzen besser die Finger läßt. Zumal wir nicht in der Lage und auch nicht willens sind, den vollen Einsatz im Sinnen Clausewitzens zu bringen
By the way: Ich stelle meinen Rasenmäher nicht so ein, daß der Rotor unterirdisch arbeitet…
@ Iltis
Insgesamt haben wir nun doch ganz schön herausgearbeitet, warum man von solchen Einsätzen besser die Finger läßt.
Nö, wir haben herausgearbeitet, warum der gewählte Afghanistan-Ansatz den Anforderungen nicht genügt, das ist alles.
Wenn man bei der Immunsystem-Analogie bleibt (oder einfach mal nach Somalia schaut, oder in die islamistisch kippende Sahel-Zone, oder in das blutende Herz Afrikas), dann wird auch schnell klar, dass Nichtstun auch keine Lösung ist.
Und noch kurz zum Clausewitz:
Clausewitz fordert keinen vollen Einsatz, sondern einen der für den Gegner ausreicht und politisch durchhaltbar ist. (Etwa Kapitel 1.1.11, „Nun tritt der politische Zweck
wieder hervor“)
(Ist jetzt etwas blöd, dass es gerade Sie erwischt, und nicht jemanden derjenigen, die hier so üppig mit Clausewitz um sich werfen. Mittlerweile hab ich persönlich ne regelrechte Clausewitz-Allergie, wofür der Mann zugegebenermaßen selbst nichts kann.)
Von T.W. getwittert:
COMISAF sieht die Weisung von Karzai in Anlehnung an die ISAF tactical directive.
Entscheident ist wohl ob man self-defense Klauseln einbringt, die jedoch der Weisung von Karzai widersprechen. Siehe: http://t.co/eWgvxBsj
@J.R. Machen Sie sich um mein Seelenheil mal keine Gedanken. Den Clausewitz fertig zu lesen habe ich noch nicht geschafft. Ich habe nur eine Urspungsfassung als Word- doc und das liest sich nicht gerade wie ein Liebesroman. Ich bleibe aber dran…
Zu Ihrer Feststellung, daß Nichtstun auch keine Lösung sei. Was dann? Dann bliebe nur der robuste Einsatz mit vollen Kräften und zusätzlich eine Wirtschaft- und Bildungsoffensive, gegen die der Marshall- Plan vor Neid erblaßt. Und das hätte noch nicht mal einen Mentalitätseffekt auf die Bewohner der Gegend. Die müssen das Denken in großen wirtschaftlichen Zusammenhängen erst noch lernen. Und wir müssten lernen, daß EU- Agrar-Exportsubventionen für Hühnerreste die Kleingeflügelzucht in halb Afrika auf dem Gewissen hat.
Zusätzlich müßte man sich mit allen Bewohnern auf Stammesebene zusammensetzen und Länder neu bilden, die den ethnischen Grenzen entsprechen. Ja, aber den Grenzen aus welcher Ära? Und was ist mit den gigantischen Interessen unserer Wirtschaftssysteme? Die Lobbyisten lassen die Politiker ja heute nicht mal ungestört aufs Klo gehen. Und wenn wir den Maliern helfen, was mit den Süd-Sudanesen? Und was mit den Tamilen auf Ceylon? Und was ist mit den Dänen in Schleswig-Holstein (:-)
Das Problem ist doch, dass für den großen Ansatz, also ganz viele Soldaten mit noch viel mehr Geldeinsatz, einfach das letztere fehlt und der politische Wille bzw Durchhaltefähigkeit.
Doch gleichzeitig gebe ich ihnen Recht, dass nichtstun auch keine Lösung ist.
–> Wir stecken in einem Dillema, was sollen wir machen? Da bleibt uns dann doch nur eine Variante übrig, in der wir kurz agressiv eingreifen und dann den Einheimischen das Feld überlassen. Gleichzeitig hier und da mal eine kleine Geldspritze mehr nicht. Davon wird es keine Menschrechte geben und der Bevölkerung geht es genau so schlecht wie vorher, nur sind dann hoffentlich Warlords etc an der Macht, die uns genehm sind.
Wenn man das auf Afghanistan übertragen möchte, hätte man Mitte 2002 das Land wieder verlassen müssen. Die Taliban waren geschlage/geflohen und solange keiner an die Macht kommt, der wieder Al-Quaida gewähren lässt, ist uns der Rest völlig egal.
Mir ist bewusst, dass dieses Vorgehen auch scheitern kann, doch welche Alternativen hätte denn der Westen?
@ iltis
Zu Ihrer Feststellung, daß Nichtstun auch keine Lösung sei. Was dann?
Gerade soviel tun wie nötig ist, aber das dann effizient und langfristig.
Ist ja nicht so, als wäre Afghanistan Land voller bösartige, blutrünstiger Barbaren, in dem man eine multimilliarden High-Tech-Insurgency gegen sich hätte.
Man kämpft da immer noch gegen religiös glorifizierte kriminelle Banden – die wie oben angeführt außer Gewalt und Einschüchterung nicht viel zu bieten haben. Und die Bevölkerung willl auch keine Schweiz-am-Hindukusch (keine Ahnung wer sich diesen Strohmann ersponnen hat), sondern erstmal ein Land in dem sie ohne Existenzängste leben kann, und in dem es die nächste Generation mal besser hat.
Nur dazu muss man näher an der Bevölkerung sein als der „Gegner“ (oder die Leute, die einem nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen). Und daran scheiterts.
Nebenbei: Eine schon etwas ältere Zusammenfassung des Kabuler Wasserkopfs. Und ein großer Teil des Geldes der internationalen Gemeinschaft geht eben wieder … tadaaa… an die internationale Gemeinschaft. Was nebenbei dazu beiträgt, dass die teils als noch korrupter wahrgenommen wird als die Regierung Karzai.
@J.R.: Nur dazu muss man näher an der Bevölkerung sein als der “Gegner” (oder die Leute, die einem nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen). Und daran scheiterts
Für AFG käme das wohl zu spät. Ist der Ruf erst ruiniert… Ich glaube sogar, daß das von vornherein chancenlos gewesen sein dürfte, selbst wenn man das Personal gehabt hätte, pro 4 oder 5 Dörfer eine Hilfs- und Wachgruppe von vielleicht 10 Mann zu stellen. Einmal sind da der kulturelle Abstand und das Sicherheitsbedürfnis unserer Leute, deren Ausrüstung schon eher einschüchternd als einladend wirkt. Außerdem käme es bei aller Vorsicht immer wieder zu Kollateralschäden. Das verdirbt mit der Zeit die Stimmung und am Ende kommt es dann so, wie es jetzt auch kommt.
Lassen wir es mal dabei bewenden und schauen, wie es sich in Zukunft entwickelt.
@ iltis
Der kulturelle Abstand und die Kollateralschäden nehmen aber zu, je größer die Distanz zur Bevölkerung ist. (Was sich dann auch auf die Wirksamkeit und Sicherheit der eingesetzten Leute sehr negativ auswirkt.) Dass es auch anders geht wurde ja auch in Afghanistan immer wieder gezeigt.
Aber: Selbst die 10 Mann für 4-5 Dörfer wird man, wie Stefan H. ja an anderer Stelle richtig anmerkt, kaum kommen. Ohne ein Vielfaches an einheimische Unterstützung geht es nicht.
Eben das ist ein Aspekt, auf den die Bundeswehr so gar nicht vorbereitet ist. Das kommt in der Doktrin nicht vor. Entsprechende Versuche waren Eintagsfliegen.
– ETTs? Vergammelt in den Archiven des Schwarzen Baretts.
– PMTs im Rahmen des FDDs? Ist 2012 ausgelaufen. Von den 120 Distrikten im RC Nord hat man im Jahr 5 gleichzeitig betreut, in etwa 4 Jahren glaub 20 insgesamt.
– OMLTs? Mit um die 300 Soldaten im Vergleich zu den anderen schon fast ein Mammutprojekt. Und ein Auslaufmodell, dass in Afghanistan bundeswehrseitig praktisch nicht mehr existent ist, sowieso neben den Bundeswehr-Strukturen nebenher existierte, und von dem nach der Bundeswehrreform erst recht nichts überbleiben wird.
– Zusammenarbeit mit Milizen? Nach der Schlappe von Shahabuddin hat man statt aus seinen Fehlern zu lernen davon lieber wieder die Finger gelassen.
Und das institutionelle Versagen zieht sich halt durch den ganzen Apparat, zu einer Hearts and Minds-Kampagne ist die Bundeswehr nicht fähig. Dabei scheitert es nichtmal an den Hearts – viele Soldaten vor Ort haben sich auch persönlich stark engagiert, und mein Eindruck ist, dass das auch von den Afghanen zur Kenntnis genommen wurde. Und wenn auch nicht viel, so ist eben doch wenigstens etwas dabei rumgekommen. Aber am Minds scheitert es eben: Was soll man davon halten, wenn selbst der Kommandeur praktisch nur ein Handlanger ist, der keine verbindlichen Zusagen treffen kann, kaum über eigene Mittel verfügt, und wo alle 6 Monate alles komplett anders werden kann? Ein deutscher Lawrence von Afghanistan würde vermutlich schon an der Kleiderordnung scheitern, an deutschen Lebensmittelvorschriften und dem von Berlin aus ausgeschriebenem Catering, oder aus versicherungsrechtlichen Gründen, weil deutschen Soldaten die Zulassung zum Betrieb eines equinen Transportmittels (frontgesteuert, um 1t, pflanzenbetrieben) fehlt.
Aber während man vor Ort das umsetzt was aus Deutschland bis ins Detail vorgeschrieben wird, und vor Entscheidung erstmal in Berlin rückfragt oder eben nichts macht, wird in Deutschland über Auftragstaktik und Clausewitz philosophiert.
Und da ist halt wirklich die Frage: Kann die Bundeswehr noch zum Schaffen von Sicherheit in unruhigen Ländern beitragen? Oder ist man mit einer neuen Instution, die näher an der Realität und weiter von Berlin weg ist, nicht langfristig besser bedient?
@J.R.
Was Sie da schreiben, offenbart tiefste Hoffnungslosigkeit. Vor allem der Eindruck, daß es für alles schon zu spät ist. Um bei Ihrem equinen Beispiel zu bleiben: Man kann eine Weile an Wasser und Heu sparen, aber es kommt ein Point of no return. Danach ist das Pferd tot und dann können Sie mit noch so viel Heu und Wasser die Lage nicht mehr herumreißen. Auch die Berichte, die Sie zitieren scheinen das zu bestätigen.
Daß Sie die Diskussion um Auftragstaktik nicht mögen, verstehe ich nicht ganz. Sie ist doch genau das, was Sie im AFG- Einsatz vermissen: Eine Zielvorgabe und dann Carte blanche bei der Umsetzung. Da es allerdings nicht um das Einnehmen der Höhe xyz geht, sondern von Hearts and Minds, kann man das Personal nicht dauernd austauschen. Und und und… Vermutlich müssen wir uns damit abfinden, daß wir es vergeigt haben. Wenn man nur sicher sein könnte, daß aus den Fehlern etwas gelernt worden ist.
Wie meinen Sie das eigentlich mit der neuen Institution, die es besser als die Bw machen könnte?
@J.R.
Ich denke man muss zwei Aspekte trennen: Die Fähigkeiten der Bundeswehr und die Fähigkeiten der Bundeswehr in Afghanistan.
Wenn beispielsweise die OMLT auf unterer taktischer Ebene in Afghanistan eingestellt werden, sagt das noch lange nichts über die Fähigkeiten der Bundeswehr, die in diesem Bereich tatsächlich einen Zugewinn in der Neuausrichtung erfahren. Zukünftig werden OMLT Kräfte strukturell und planerisch abgebildet sein und das deutlich oberhalb von 300.
Winning the hearts and minds können Sie nach meiner persönlichen Erfahrung in Afghanistan vergessen. Beispielsweise ist es in unserem Kontingent zu einer black PsyOps Aktion des Gegners gekommen der behauptet hat, dass wir christlich Missionieren und Taufen. Da war wirklich gar nichts daran und trotzdem gewaltbereite Demonstrationen, Ausschreitungen und Tote. Dann noch ein paar Hasspredigten am Freitag und die Aufbauarbeit von Monaten ging den Bach runter. Das sind ppt-Konzepte, die im richtigen Leben kaum Bestand haben. Christlich bleibt – in diesen Kulturzonen – ungläubig und daher m.E. für den Daueraufenthalt ungeeignet. Lieber den Abzug nicht vergessen, als sich der Phantasie einer Lösung mit 200.000 Soldaten hingeben. Dafür ist Afghanistan zu groß, hat zu viele Einwohner und man muss es zu 220.000 Polizisten in Deutschland zum Vergleich sehen…
@T.W.:
„Afghanistan: Tanklaster abgebrannt
Berlin/Kundus, 18.02.2013, Einstellzeit 18.55 Uhr.
Am 15. Februar gegen 08.41 Uhr mitteleuropäischer Zeit (12.11 Uhr Ortszeit) wurden durch die Provincial Advisor Task Force (PATF) Kundus zwei brennende zivile Tankfahrzeuge in der Nähe des Flugfeldes von Kundus gemeldet.
Beide Fahrzeuge brannten vollständig aus. Es kam zu keinen Personenschäden. Im Zuge der Ermittlungen durch afghanische, deutsche und amerikanische Spezialisten wurden an einem ausgebrannten Fahrzeug Teile gefunden, die auf eine magnetische Haftladung schließen lassen.
Der Verdacht auf einen Anschlag durch Aufständische wird weiter untersucht.
Stand: 18.30 Uhr
http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/NYzNDoIwEISfhQewS0kU9SbhYrwYL4oXspQNNPaHlEUS48PbHpxJ5vLNDDwh2uFbD8jaOzTwgEbpY7eKbu1J4IsXMoZmgcvc9mRb0m5G_sA9LWNDeUecksmxjjkEZB_E5AObRJYQIhG6hyaXdSXL_C_5PWyLy7Us5K4-V7d0OAUcLELj_EahGgkma_frKct-4Nbz2Q!!/
@Stefan H.:Wenn es für Afghanistan objektiv kein Nutzen mehr zu erwarten ist, was wollen wir da noch? Ich meine nach dem eigentlichen Abzug. Das ganze Beratungs- Trainings- und sonstwie Gedöns verursacht demnach nur weiteren vermeidbaren Aufwand.
Es gehört hier zwar nicht hin, trotzdem könnte aus dem hier diskutierten doch auch auf Mali und ähnliche Situationen geschlossen werden, zumindest solange wir uns im moslemischen Umfeld befinden. Nur für Kurzzeitmissionen könnte man eine Ausnahme machen.
@ Stefan H.
Zur Abbildung der OMLTs in der Neustrukturierung: Hätten Sie da einen Ansatz, wo ich mich darüber weiterinformieren kann? Ich hab die Neustrukturierung nur mit einem Ohr verfolgt, und was ich mitbekommen hab ging in die andere Richtung.
Zu Black PsyOps: Das „Dumme“ oder „Tolle“ an black PsyOps ist ja, dass es kräftig nach hinten losgehen kann. Nur braucht es dazu auch ein Netzwerk, dass daraus Kapital schlagen kann, um den Gegner „medial zu werden“. (Die US-Präsidentschaftswahlen sind da tolle Beispiele. ;) ) Nur ISAF hat diese Strukturen nicht. Da werden Journalisten ohne Vorkenntnisse angeheuert, die dann in Kundus aus dem Feldlager heraus in vorgegebenen Formaten (gemeinhin Sada-e Azadi) zu den Themen schreiben die aus Kabul vorgegeben werden. (Wer will kann das in „Drachenwind“ nachlesen, ist aber insgesamt eher ein wenig eindrucksvoller Feldlager-Reisebericht.)
Da braucht man mit „Bekämpfe die Strategie des Gegners, nicht den Gegner“ gar nicht erst ankommen. Und Hearts and Minds funktioniert eben doch, siehe etwa hier. (An der Stelle sorry, dass ich den alten Artikel auskram. Aber er unterstreicht den Unterschied zum Vorgehen der Bundeswehr ganz gut, und da ETTs mittlerweile ja ISAF-weit eingestellt wurden ist es schwer an vergleichbares zu kommen.)
Ab der Stelle ist dann auch festzuhalten: Die Glaubensfrage ist eine Hürde, aber anscheinend eine sehr nachrangige. Die Afghanen haben schlicht größere Probleme, und besonders fundamentalistisch ist das Gros der Bevölkerung anscheinend auch nicht. Was hingegen wichtig scheint, ist als guter Muslim zu erscheinen – das läßt sich durchaus auch als Hebel gegen die Ausländer verwenden. Und was eben gar nicht geht ist Respektlosigkeit, insbesondere gegen den Islam. An der Stelle kann man dann nochmal auf die Koranverbrennungen in Bagram verweisen, dämlicher geht glaub nicht. Aber insgesamt gilt auch hier: Die Afghanen kriegen den Unterschied zwischen ernsthaftem Bemühen und „Scheiss auf die Afghanen“ eben doch mit. (Was bei allen Schwächen des Bundeswehreinsatzes wohl auch mit ein Grund für die Demonstrationen gegen einen Abzug waren.)
@ iltis
Daß Sie die Diskussion um Auftragstaktik nicht mögen, verstehe ich nicht ganz. Sie ist doch genau das, was Sie im AFG- Einsatz vermissen:
Eben. Sie wird nicht umgesetzt, und trotzdem wird sich ständig selbst auf die Schulter geklopft als sei man Hüter des Clausewitzschen Erbes.
Das ist auch der Punkt, wo ich nicht glaube, dass die Bundeswehr „daheim“ besser ist als in Afghanistan. Dort gibt es wenigstens sichtbare Gründe sich anzustrengen (die Afghanen und die Kameraden).
Wie meinen Sie das eigentlich mit der neuen Institution, die es besser als die Bw machen könnte?
Die Bundeswehr hat mehrere strkturelle Probleme, die sie davon abhalten in einem asymmetrischen Konflikt zu wirken.
– Keine Auftragstaktik, kein unternehmerisches Denken, kein gesellschaftliches Denken
– Das Handeln wird durch die Situation in Deutschland bestimmt, nicht durch die Situation in Afghanistan.
– „Kurze“ Einsatzzeiten (die Kontingente der BW sind deutlich kürzer als die Stehzeiten des zivilen Personalys). Und ja, dass das für die Soldaten persönlich trotzdem enormen Stress bedeutet streitet hier niemand ab.
– Kinetischer Mindset. Man sieht sich eben nicht als Polizeitruppe oder Mentorentruppe, und will das auch gar nicht sein. Das ist eine Aufgabe die man halt wahrnimmt, aber „eigentlich“ ist man Soldat.
– Kein politischer Mindset. Die Bundeswehr versucht sich aus der Politik rauszuhalten. Sie will eben kein Mover and Shaker sein, kein „Strongest Tribe“. Wenn sie Kontakte knüpft oder Deals abschließt, dann eben um den militärischen Aspekt zu ermöglichen, nicht um politisches Gewicht zu erhalten.
– Keine Schnittstellen zur Gesellschaft. Damit tut sich die BW ja schon in Deutschland schwer. Und in Afghanistan neigt man erst recht dazu sich einzuigeln. Wo sich „bewaffnete Zivilisten“ noch schnell, unauffällig und unkomppliziert bewegen können geht bei ISAF unter drei gepanzerten Fahrzeugen, 10 Soldaten und einer halbstündigen Lagevorbesprechung eben nix. Da wird selbst das Kaufen einer Glühbirne zur Mission, und sich mal eben unter die Leute mischen ist nicht.
– Kein Einbinden der Einheimischen. Wenn ein Unternehmen oder eine NGO irgendwas erreichen wollen, dann greifen sie dazu auf Leute vor Ort zurück. (Ist schlicht wirtschaftlicher.) Wenn es eine längerfristige Investition ist, dann schaut man, dass man auch die leitenden Posten mit Einheimischen besetzt, eben weil die jahrelang im Land sind und die Situation besser kennen. Als Unternehmen weist man seine Angestellten ein und beaufsichtigt sie (eben weil man ein Interesse am Erfolg seiner Investitionen hat). Für einen Unternehmer ist das selbstverständlich, und es ist einer der Gründe, warum NGOs und Unternehmen eine Einheimischen-Quote von teils 98% haben.
Um an der Stelle man von der Seite der IAM zu zitieren, der ältesten NGO in Afghanistan (seit 1966), die u.a. die Noor Augenkliniken betreibt: „IAM beschäftigt 500 bezahlte afghanische Angestellte, und 60 ausgewanderte christliche Fachkräfte aus Europa, Nordamerika, Asien, Afrika und Ozeaninen. Ausländische Helfer müssen eine örtliche Sprache lernen und die durchschnittliche Einsatzzeit liegt bei 1-3 Jahren. Alle ausländischen IAM Helfer kommen als Freiwillige und finanzieren sich selbst“
Sowas wäre eben auch im Sicherheitsbereich denkbar, durchaus mit angemessener Bezahlung. Eventuell auch mit „konventionellem Militär“ als defensive Reserve für CAS und QRF. Aber das eigentliche Wirken kann die Bundeswehr in ihrer jetztigen Form nicht leisten, und – so mein Eindruck – das will sie auch gar nicht.