Im Windschatten der französischen Intervention: Menschenrechtsverletzungen in Mali?
Malische Soldaten in Niono (Foto: Französische Armee/EMA/ECPA-D)
Quasi im Winschatten der jetzt knapp zwei Wochen laufenden Intervention französischer Streitkräfte im westafrikanischen Mali gibt es erste Hinweise, dass malische Truppen ihre neu gewonnene Bewegungsfreiheit zu Menschenrechtsverletzungen, sogar Gräueltaten wie Massentötungen von tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Gegnern genutzt haben sollen. Vor allem Menschen hellerer Hautfarbe, die als Tuareg oder andere Bewohner Nord-Malis angesehen würden, seien bedroht:
A leading rights group accused Malian soldiers Wednesday of summary killings and serious abuses in the course of a French-led assault against Al Qaeda-linked groups, as concerns rose over the conflict’s civilian toll. (…)
Nearly two weeks after France swept to Mali’s aid to stop an Islamist advance towards the capital Bamako, reports emerged of atrocities committed by Malian soldiers and growing fears of attacks among light-skinned ethnic communities.
berichtet AFP.
Wenn sich diese Vorwürfe auch nur im Ansatz bestätigen sollten, steht die EU vor einem weiteren Problem: Soll und will sie Ausbildungshilfe für Streitkräfte leisten, die nicht nur schlecht ausgebildet und ausgerüstet sind, sondern auch grundlegende Disziplin verloren haben? Anders gefragt: welchen Preis müssen die Europäer bereit sein zu zahlen, und das nicht monetär, um ein Vordringen der militanten Islamisten zu verhindern?
Nachtrag: Dazu passt diese Reuters-Meldung: Army seals off Mali town after reports of ethnic reprisals
Mali’s army sealed off the central town of Sevare to journalists on Wednesday following allegations by residents and human rights groups that government soldiers had executed Tuaregs and Arabs accused of collaborating with Islamist rebels. (…)
A Reuters reporter saw at least six bodies in two areas of the Walirdi district of Sevare. Three of them were lying, partly covered in sand, near a bus station and showed signs of having been burned. Three more had been thrown into a nearby well.
Nachtrag 2: Das Thema erreicht jetzt auch die deutschen Medien:
Spiegel Online: Frankreichs Verbündete sollen Gegner hingerichtet haben
tagesschau.de: Malische Armee soll Menschen hingerichtet haben
Wird schon seinen Grund haben warum Journalisten nicht an die Front dürfen.
Wozu sollte es sonst eine Ausbildungsmission geben, wenn nicht zur Beseitigung von Ausbildungs und Disziplinmängeln ???
Das ist Afrika.
pi
Die Tötung auch von zivilen Mitgliedern gegnerischer Gruppen ist in einem ethnischen Konflikt nicht Ausdruck von Disziplinmängeln, sondern Teil der Logik des Konflikts. Bildet man die Kräfte einer Seite aus, werden diese kompetenter im Töten der der Mitglieder anderen Konfliktparteien. Es geht in den diversen Konflikten in Afrika oder dem Nahen Osten eben nicht um „Demokratie“ oder ähnliche Konstrukte, auch nicht in Syrien oder an anderen Orten. In Syrien haben die ethnischen Säuberungen gegen Minderheiten ja schon vor einiger Zeit begonnen, und auch in Afghanistan dürften verbleibende Teile der ANA nach dem Ende von ISAF ihre Fähigkeiten zur ethnischen Flurbereinigung im Norden des Landes nutzen.
Es gibt tiefgehende rassistische Animositäten zwischen den dunkelhäutigen Südländern und Tuaregs, Berbern und Arabern in Nordafrika. Man denke nur an den Sklavenhandel der auch heute noch dort vorkommt.
Diese Animositäten sind beidseitig. Die im Norden fühlen sich den Südländern rassisch überlegen. Die in Bamako herrschenden Südländer gönnen dem Norden keine Ressourcen. Diese Animositäten findet man z.B. auch in dem Sudan-Südsudankonflikt und zwischen Ober- und Unteregypten.
Die von den Kolonialherrschen gezogenen Grenzen haben da oft Menschen zusammen in „Länder“ gesteckt die nichts miteinander zu tun haben wollen. Richtige Nationen werden solche Länder nie.
Das die malischen Soldaten sich keinen Deut um Menschenrechte kümmern ist schon lange bekannt. Im September haben die z.B. grundlos 16 Dawa Kleriker umgebracht. Die Bevölkerung ist da nicht besser. In Bamako ist Lynchjustiz an Diebstahlverdächtigen durch einen Mob nichts ungewöhnliches. Da wird nicht gefackelt sondern abgefackelt.
Wenn die malischen Truppen in den Norden gelangen wird es da einige heftige Massaker geben.
Andere Truppen die jetzt nach Mali gebracht werden sind übrigens keinen Deut besser. Nigeria schickt christliche Soldaten in eine muslimisches Land. Das geht selten gut. Die Soldaten aus dem Chad, die sich übrigens nicht dem ECOWAS/französischen Kommando unterstellen wollen, sind für u.a. Grausamkeiten gegen Flüchtlinge aus Dafür bekannt. Die UN hat da einiges in den Akten. Wo die einmarschieren wird die Unterscheidung Kombatant/Nicht-Kombatant schon mal fallengelassen.
Das ganze ist ein guter Grund für uns dort nicht einzugreifen und auch mit den finanziellen Mitteln an diese Truppen (die ohnehin bei den Politikern und Offizieren versickern) sollten wir dort sehr zurückhaltend sein.
@b
„Das ganze ist ein guter Grund für uns dort nicht einzugreifen und auch mit den finanziellen Mitteln an diese Truppen (die ohnehin bei den Politikern und Offizieren versickern) sollten wir dort sehr zurückhaltend sein.“
Das Traurige ist dass wir uns militärisch zurückhalten, über Demokratie und Menschenrechte reden und den Geldbeutel aufmachen, was wie durch die Lösegeldzahlungen an AQIM und Co. den Konflikt erst entfacht. Dann lehnen wir uns zurück und wundern uns was da los ist, „wir wollten doch nur helfen“…
@b
„Nigeria schickt christliche Soldaten in eine muslimisches Land. Das geht selten gut.“
Nigerianische Soldaten haben ohnehin einen einschlägigen Ruf. Sobald diese im Einsatzraum eintreffen, sollte man sich auf Meldungen über Plünderungen und Vergewaltigungen einstellen. Hier ein älterer Bericht von HRW über nigerianische und andere ECOWAS-bzw. ECOMOG-Kräfte in Liberia. http://www.sc-sl.org/scsl/Public/SCSL-03-01-Taylor/SCSL-03-01-T-301/SCSL-03-01-T-301%20D.pdf
Das kommt weder unerwartet noch ungewollt. Solange die Regierung das Land unter Kontrolle hält und den westlichen Ländern zumindest zugetan ist, kann sie doch machen, was sie will. Bestes Beispiel ist Saudi-Arabien.
Als ob die Franzosen in Mali einmarschiert wären, weil für manche Straftaten neuerdings das ein oder andere Körperteil abgeschlagen wird.
@ zog
Das ist aber jetzt sehr böse von Ihnen formuliert, ich muss Ihnen aber wohl zustimmen.
Das ist aber genau das was viele hier in diesem Blog beanstanden:
Erst mal schauen was ich für Interessen habe, dann weiter denken.
Und wenn dann ein paar Körperteile abgeschlagen werden, na ja.
Nur deswegen in den Krieg zu ziehen ist wohl nicht zu verkaufen, da muss schon was härteres (schlimmeres, politisch noch inkorrekteres, wirtschaftlich ausuferndes) kommen, dann geht das.
Werferfehler
Syrische Aufständische drohen Frankreich wegen des Einmarsches in Mali
Message à la france de la part d’un Moujahid du Sham (video)
Man sollte Hollande (und auch Berlin) jetzt mal nach seiner „Regime Change“ Politik in Syrien fragen. Hat er sich die wirklich gut überlegt?
@b: Das könnte auch in Frankreich augenommen worden sein…
ohne Logo sagt das Video erst mal gar nichts aus.
Aufgrund der Flagge könnte man auch Jabhat al-Nusrah tippen, wobei die normalerweise auf anderem Wege veröffentlichen, und auch durch ihre eigene Medienproduktion mit Logo.
Sollte es sich um diese Gruppe handeln: Die stehen doch sowieso schon auf der US-Terrorliste.
@ b, ja hat man. der aufstand war abzusehen, assad wurde als sitting duck betrachtet. also galt es die kräfte zu unterstützen, die man noch irgendwie unter „freunde“ verbuchen könnte. die vollbartfraktion gehört wohl eher nicht dazu, ist aber nur eine von vielen. einig sind die sich doch alle erstmal nur darin, dass assad weg soll. wenn der weg ist, geht das hauen und stechen doch erst richtig los.
Was ist die Schlussfolgerung aus dieser afrikanischen Kultur der ethnischen Kriege ?
Nebenbei bemerkt die ethnischen Kriege auf dem Balkan waren auch nicht weniger grausam gegenüber der Zivilbevölkerung.
Was juckt uns eigentlich wer in Bamako regiert ? Es gibt auf der Welt soviele Staaten, die den islamistischen Fundamentalismus unterstützen, wie Saudi Arabien, Quatar usw. warum sollte man sich da Gedanken um Mali machen ?
Die Franzosen haben ihre wirtschaftlichen Interessen, aber wir ?
Jedesmal als substanzielle Erklärung für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, Bündnisräson zu hören, ist zu wenig.
So sollen sie sich halt die Köpfe gegeneinander einhauen, wie dies in Afrika laufend an einer Ecke gemacht wird und mit überlebenden Regime werden dann Geschäfte gemacht. Ich weiß, dass ist sehr zynisch, aber läuft es in Praxis anders ab ?
Gibt es einen humanitäreren Weg in Afrika die Gegensätze auszugleichen ?
mit Verlaub, den „Afrikanern*“ eine kultur der ethnischen kriege zu unterstellen ist entweder dumm oder frech (pick one …)
die gegenwärtigen konflikte sind doch immer noch nachwehen der Kolonialisierung und der grenzziehungen mit langen Linealen.
* wie groß ist dieser Kontinent doch gleich? wieviele verschiedene sprachen, ethnien und kulturräume hats da nochmal ?
Okay, den „Afrikanern“ ist eine unqualifizierte Pauschalisierung.
Ethnische Kriege kommen aber in Afrika nach meinem Eindruck häufig vor. Was ist denn eine Lösungsmöglichkeit ? Die Grenzziehungen der ehemaligen Kolonialmächten sind nun mal vorhanden, sollen alle Grenzen in Frage gestellt werden ? Sollte das Recht des Stärkeren gelten ? Oder gibt es auch in Afrika einen Weg des Interessensausgleichs von Völkern, ohne dass dies jedes Mal mit einem Krieg ausgefochten wird ?
Der Regierung in Bamako zu helfen, damit sie Greueltaten gegen die Bevölkerung mit heller Hautfarbe im Norden von Mali ausüben kann, scheint mir jedoch auch keine Lösungsmöglichkeit für den Interessensausgleich von Volksgruppen zu sein !
persönliche eindrücke täuschen oft, darum gibts ja inzwischen auch in den sozialwissenschaften den hang zur empirie. ob ethnische konflikte auf dem afrikanischen kontinent häufiger sind als anderswo würd ich erstmal mit nem fragezeichen versehen, bis mir das mal jemand sauber operationalisiert und nachzählt.
die wirklichkeit, die durch medienberichte konstruiert wird, ist dann doch oft von aufmerksamkeitsökonomischen interessen der medienmacher bestimmt.
den gordischen knoten zu zerschlagen haben schon ein paar versucht… zivile konfliktbearbeitung und militärische interventionen wechseln sich lustig ab, großartige erfolge sehe ich bei beiden ansätzen nicht.
mittel bis langfristig könnte es aber idT auf eine teilweise neuordnung des Kontinents hinauslaufen. Der Sudan war ja schonmal ein Warnschuss in die Richtung. Durch Globalisierungsprozesse sinken ohnehin die kosten für Staatsgründungen und Abspaltungen, da ist noch luft ;)
Ganz kleines OT: SpOn versorgt die Welt mal wieder mit einer sprachlichen Perle – „Geheimdienstoffizierinnen“! (siehe Artikel: Pentagon-Plan: US-Militär lässt Frauen an vorderster Front kämpfen)
Liebe Journalisten, bei aller Liebe zur gendergerechten Schreibweise, irgendwann ist’s aber auch gut…
(wobei neben Journalisten unsere Politiker auch sehr verliebt darin sind)
US-Außenministerin Hillary Clinton hat zugegeben, dass die Krise in Mali eine Folge des Umsturzes in Libyen und der Ermordung von Machthaber Muammar al-Gaddafi ist.
http://de.rian.ru/security_and_military/20130123/265381769.html
Nun ist es offiziell. So wie andere und ich in früheren Beiträgen bereits sagten, die Krise ist wieder einmal hausgemacht. Mögen doch die dafür verantwortlichen Staaten nun auch die Suppe auslöffeln. Deutsche Zurückhaltung ist vernünftig.
@ MK | 24. Januar 2013 – 1:41
In einem Artikel der sich maßgeblich mit Frauen befaßt, ist es grammatikalisch nur logisch das der Genus so angewandt wird … auch wenn Sie es nicht verstehen.
OT aus.
@Stefan
Dann können wir uns ja schon mal auf die Folgen einstellen, sollte Assad stürtzen!
@Heiko Kamann
Die Mehrzahlbildung von Geheimdienstoffizier ist Geheimdienstoffiziere!
Wenn man auf die Gruppe der Damen im Besonderen hinweisen möchte, dann heißt es die weiblichen Geheimdienstoffiziere! Aber das Blog ist ja keine amtliche Einrichtung und der Spiegel angeblich auch nicht und so können sie ja schreiben wie sie wollen :-)
Ethnische Konflikte werden, auch in Deutschland, nicht mit Wattebäuschchen ausgeführt. Da setzt gegenüber anderen Ländern immer gleich Schnappatmung ein und das mit der Message, dass diese Zeiten bei uns im Mittelalter gelegen haben. Man muss gar nicht 1933 – 1945 bemühen. Heute werden Häuser anderer Etnien angezündet oder die NSU mordet sich durch Deutschland. Natürlich sind es eher und Gott sei Dank, Ausnahmen aber die Motivation ist die Gleiche.
Ich bin regelgerecht glücklich, dass auch hier in den Kommentaren es nun vordringlich darum geht, nicht möglichst schnell irgendwo mitzumachen, sondern darum, was haben wir für Interessen und was wollen wir erreichen. Dafür ein danke, zu Anfang hatte mich diese Diskusion (wieso sind die Dänen schneller als wir und kann die Bundeswehr sonst nix usw.) erschüttert.
Wenn man über die langfristige Lösung solcher ethnischen Konflikte nachdenkt, muss das Dogma der Unverletzlichkeit der Grenzen grundsätzlich in Frage gestellt werden. Ganz viele mächtige Staaten auf der Welt haben kein Interesse daran, Separationsbewegungen irgendwelche Zugeständnisse zu machen, seinen es Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien usw, usw.. Und nach dem Motto “ Wehret den Anfängen“ wird das auch bei anderen Staaten prinzipiel nicht gerne gesehen. Beispiele: Kosovo? (U.a. auch von Spanien nicht anerkannt.) Tschetschenien? Tibet? usw.
Aber kann sich hier jemand eine langfristige Lösung für den Kosovo vorstellen, wenn nun mal Serben und Albanisch-stämmige partout nicht in einem Staat zusammenleben wollen? Immerhin haben sie darin mal eine Gemeinsamkeit ;-)
Wenn Ethnien nun mal nicht – auf gerechte Weise – ein einem Staat zusammenleben wollen, dann darf man – kann man – sie nicht dazu zwingen. Ein Blick auf Afrikas-Grenzziehungen, wo man heute noch das Lineal anlegen kann, und man sieht die Hauptursache des Problems. Man stelle sich das mal im ach so zivilisierten Europa vor……Man müsste da in einem Großen Wurf neu sortieren.
Also vergessen wirs ;-).
@Tiberius
Auch da kann DEU eine Führungsrolle übernehmen in dem Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Nationalität, ethnische Gruppe, Sprachgruppen, Milieu uvm getrennt betrachtet werden!
Die Verengung von Staat auf eine Leitkultur, Sprache uvm bringt uns in Europa nicht weiter!
http://sorbenland.info/category/deutsch-sorbisches-volkstheater/
@ Elahan | 24. Januar 2013 – 10:52
Daher ist ja auch der zentrale Punkt das „Zusammenleben-wollen“.
@markus d.Ä.
„ob ethnische konflikte auf dem afrikanischen kontinent häufiger sind als anderswo würd ich erstmal mit nem fragezeichen versehen, bis mir das mal jemand sauber operationalisiert und nachzählt.“
Ethnische Konflikt treten dort tatsächlich häufiger auf, aber es wäre falsch, bei Schwarzafrikanern eine stärkere Neigung dazu zu vermuten. Unter vergleichbaren Bedingungen (Präsenz verschiedener Ethnien in nicht autonom verwalteten Räumen) entstehen solche Konflikte weltweit, auch in Europa, wie man an Beispielen wie Nordirland, Belgien, Tschechen/Slowaken oder dem ehemaligen Jugoslawien erkennen kann. In der Schweiz lebt man wegen weitgehender Autonomie und Aufteilung auf ethnisch weitgehend homogene Räume hingegen friedlich zusammen. Im Zuge wachsender ethnischer „Vielfalt“ in Europa bzw. der Schaffung ethnisch inhomogener Räume werden zwangsweise ethnische Konflikte auch in Europa wieder stärker zunehmen.
„Deutsche Führungsrolle“ Ich habe da meine Zweifel, daß so etwas gut ankommt, wobei es wahrscheinlich egal ist, wen man danach fragt. Auch wenn da ein polnischer Ministerpräsident eine solche Leitrolle für DEU anregt, bzw Gefahren bei Nichterfüllung dieser Rolle sieht, könnte das nicht vielleicht nur Bestandteil einer „Sonntagsrede“ gewesen sein? Die polnischen Empfindlichkeiten gegenüber auch nur Empfehlungen aus DEU sind nicht klein. Und was die Vettern von der Insel in ihrer splendid Isolation dazu sagen werden, wird uns dann die „SUN“ um die Ohren hauen… Oder erinnern wir uns der Worte eines früheren italienischen Außenministers: „Signore Schulz, in Italien wird gerade ein Film…“
Will sagen, wenn DEU eine Führungsrolle übernimmt, ist auch Schluß mit manchen alten Freundlichkeiten, denn wir haben (abgesehen von der EURO- Krise) ja kaum mal eigene Initiative entwickelt.
Belgien und Tschechien/Slowakei sind aber nun gerade Musterbeispiele dafür, dass ethnische Konflikte auch ohne Blutvergießen über die Bühne gehen können und man sich, falls gewünscht, auch einvernehmlich trennen kann.
Und was die Anzahl der Opfer angeht, so waren das in Nordirland im Vergleich zu den blutigen Bürgerkriegen und Kriegen in Afrika nur Peanuts. Da waren im vergleichbaren Zeitraum die Bandenkriege in einer x-beliebigen amerikanischen Großstadt verlustreicher.
Zu Jugoslawien könnte man noch einiges, durchaus auch kontroverses, anmerken, aber das sprengt den Rahmen.
@tiberius
nunja es ist nicht nur eine frage des wollens. in autokratien (und die sind nunmal hauptaustragungsort für innerstaatliche konflikte) fehlen schlicht institutinen über die interessen von minderheiten artikuliert werden können. militärdiktaturen sind darüber hinaus besonders anfällig für bürgerkriegsszenarien, da sie besonders nervös auf widerspruch reagieren und fast ausschließlich auf gewalt setzen um diesen zu unterbinden.
ein und mehrparteiendiktaturen haben da deutlich größere und vielschichtigere kapazitäten für informationsbeschaffung und einflussnaheme auf die opposition.
@ orontes, das entspricht auch weitgehend meinem bauchgefühl
im zuge der laufenden ethnischen durchmischung europas müssen institutionen entwickelt werden, über die minderheiteninteressen ins politische system eingespeist werden. die schweiz ist idT ein sher gutes beispiel für eine erfolgreiche lösung, aber man muss ja nicht so weit weg schauen. D war ja ebenfalls ein schlimmer flickenteppich und hat sich in wenigen jahrzehnten zu einem recht einheitlichen staatsgebilde zusammengefunden (zumindest einheitlich genug für den 1. WK …
@markus d.Ä.
„in autokratien (und die sind nunmal hauptaustragungsort für innerstaatliche konflikte) fehlen schlicht institutinen über die interessen von minderheiten artikuliert werden können.“
Das Osmanische Reich war eine Autokratie, schaffte es aber über lange Zeiträume, durch gewisse Autonomierechte innerhalb eines verordneten Konsenses innere Konflikte zu reduzieren.
Umgekehrt sind gerade Demokratien besonders verwundbar für ethnische Konflikte. Im schwarzafrikanischen Raum eskalierten ethnische Konflikte im Zuge der Demokratisierung, weil ethnische Minderheiten angesichts ethnischer Stimmenblöcke stets auch politische Minderheiten waren und blieben und ihre Vertreter daher nicht selten die gewaltsame Sezession als Ausweg sahen. Richtig gefährlich für Minderheiten sind vor allem in Demokratien Lagen, in denen die Minderheit stärker wächst als die Mehrheit, worauf die schwindende Mehrheit vereinzelt mit Massakern reagiert, wie etwa im Libanon.
das demokratien besonders verwundbar wären widerspricht den gängigen annahmen der konfliktforschung … da bietet sich ihnen ein ansatzpkt für eine Doktorarbeit.
klassische imperien lasse ich hier mal unberücksichtig, die sind heute nicht mehr relevant und nicht umsonst entlang von ethnisch-nationalistischen konfliktlinien zerbrochen.
auch die anderen beispiele taugen nur bedingt. in keinem fall handelt es sich dabei um konsolidierte demokratien sondern um länder in übergangsphasen zu noch nicht klar erkennbaren staatlichen strukturen. gerade in übergangsphasen mit auseinanderbrechenden institutionen oder semi-autokratischen systemen (zb mit mehrparteiensystem) besteht da fraglos eine erhöhte konfliktwahrscheinlichkeit.
sieh dazu auch fjlede – generals, dictators and kings.
@markus d.Ä.
„das demokratien besonders verwundbar wären widerspricht den gängigen annahmen der konfliktforschung …“
Diese Annahmen sind eben unzutreffend, und außerhalb Deutschlands sind diese Annahmen auch keinesfalls Konsens. Dass sich dieser unbegründete Konsens in Deutschland überhaupt durchsetzen konnte, hängt auch damit zusammen, dass die Politikwissenschaft in Deutschland nach dem letzten Krieg ausdrücklich als pädagogisch wirkende „Demokratiewissenschaft“ verstehen sollte. Pädagogischer und wissenschaftlicher Anspruch widersprechen sich aber.
„klassische imperien lasse ich hier mal unberücksichtig, die sind heute nicht mehr relevant und nicht umsonst entlang von ethnisch-nationalistischen konfliktlinien zerbrochen.“
Diese Imperien haben teilweise aber immerhin Jahrhunderte überlebt, während die Lebensdauer der erwähnten schwarzafrikanischen Demokratien meist sehr überschaubar war. Das gleiche Schicksal steht der irakischen und afghanischen Demokratie bevor, die bald schon die lange Liste empirischer Widerlegungen der These von der Demokratie als politischem Allheilmittel ergänzen werden.
@ O. :darum berufe ich mich ja auch ausdrücklich nicht auf deutsche PoWis … (siehe titel und autor… btw die 70ies sind vorbei, man bewegt sich in der dt konfliktforschung durchaus am puls der zeit. im bereich transformationsforschung ist man da oft auch etwas weiter als die amerikanischen Kollegen, die überall gleich Demokratisierungswellen gesehen haben, wo das ergebnis des wie auch immer gearteten Transformationsprozesses nicht abzusehen war. )
und nochmal. ihre Beispiele von „demokratien“ sind alles klassische Beispiele von semi-autokratischen Systemen, in denen es zwar demokratische Institutionen gibt, die aber massivst von informellen Institutionen unterlaufen werden. sowas wird gegenwärtig entweder als eigener regimetyp geführt oder als übergangsstufe zur demokratie aber nicht als „richtige“ demokratie. afghanistan als „demokratie“ zu titulieren würde nichtmal einer weltfremde müslikauendenden rastadame des ersten semsters einfallen, die am wochenende im eineweltladen aushilft und gute schokoplätzchen backen kann.
und klassische Imperien haben lange funktioniert, ja. so lange bis sie nicht mehr zeitgemäß waren. es gab da zwischenzeitlich so dinge wie industrialiserung, nationalismus, globalisierung …
Für alle die Mal Bilder von Nord-Mali und eine Zusammenfassung der Lage vor dem französichen Einmarsch sehen wollen. Ich frage mich allerdings, warum solch eine super Dokumentationen einen Sendeplatz um 00:45 Uhr bekommt. Sehr sehenswert !
ZDF Auslandsjournal Die Doku – Aufstand der Tuareg
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1826518/Die-Herren-der-Wueste#/beitrag/video/1826518/Die-Herren-der-Wueste
@iltis
mit “Deutsche Führungsrolle” meinte ich nicht eine Belehrende sondern eher führen durch vorleben!
Da bietet sich der Umgang mit anatolischstämmigen Bürgern, Geldadel, Arbeitssuchende, Rentner, Kinder, Afroeuropäer ( oder wie nennt man Deu-Bürger mit ganz dunkler Hautfarbe?), Sinti, Sorben, Roma, ehm. Sowjetbürger uvm an.
Gibts eigentlich konkrete Quellen?
Bisher ist ja nur „von einer wichtigen Menschenrechtsorganisation“ die Rede die „vor Ort mit Augenzeugen gesprochen hat“ und zwar mit Augenzeugen aus einer angeblich abgeriegelten Stadt. Und diese Augenzeugen haben angeblich mehrere Leichen an mehreren versteckten Orten gesehen.
Da muß mehr Substanz her.
In der von Herrn Wiegold verlinkten AFP-Meldung werden mehrere Vorfälle detailliert beschrieben.
@ spektakel, ihre skepsis in allen ehren, aber überraschen wäre es doch, wenn es zu keinen vorkommen der oben beschriebenen art kommen würde.
Wenn schon der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian ragiert, könnte was dran sein!
http://www.france24.com/en/20130123-mali-army-committing-human-right-abuses-france-drian
Soweit ich mich noch an meine Diplomarbeit (Greed vs Grievance Debatte) und die Literaturrecherche erinnere, ist der Schluss „ethnische Heterogenität = höhere Konfliktwahrscheinlichkeit“ empirisch nicht belegt und ich beziehe mich hier auf angelsächsische Autoren.
@Müller
Bsp.: Alamannen und Bayern
markus, d.Ä.: Vielen Dank für Ihre knappen und schlüssigen Beiträge zum aktuellen Stand der Konfliktforschung – bitte machen Sie weiter! Das ist eine erfrischende Abwechslung zu einigen Beiträgen, in denen persönliche Einstellungen mit der selektiven Wiedergabe einiger (veralteter?) wissenschaftlicher Erkenntnisse verbrämt werden zu Absolut-Wahrheiten…
(Dieser Kommentar erfolgt als Ersatz für einen Like- oder Mod-up-Knopf.)
@Georg | 24. Januar 2013 – 13:25
Zitat: „Ich frage mich allerdings, warum solch eine super Dokumentationen einen Sendeplatz um 00:45 Uhr bekommt.“
Damit sie möglichst wenige Menschen sehen und das ZDF gleichzeitig behaupten kann ausgewogen zu berichten.
@ helge. ich erheb auch keinen anspruch auf vollständigkeit. bewaffnete konflikte und die makroregion afrika sind für mich auch nur am rande von interesse. sollte da aber so grober unfug verzapft werden wie oben geschehen, dann kann ich abe beizeiten mal wieder ein paar allgemeinplätzchen aus der forschung einwerfen ;)
@markus, d.Ä.: „afghanistan als “demokratie” zu titulieren würde nichtmal einer weltfremde müslikauendenden rastadame des ersten semsters einfallen, die am wochenende im eineweltladen aushilft und gute schokoplätzchen backen kann.“
Sie waren offensichtlich schon lange an keiner Universität mehr…
@chickenhawk
Die AFP-Meldung habe ich schon gelesen und noch ein paar andere, aber genau da ist eben von drei Fällen die Rede: 20 Hingerichtete an einer Strasse und fünf Leichen in einem Brunnen und sexueller Belästigung aber alle drei ohne Quellenangabe bzw. nicht näher genannte lokale Beobachter oder Zeitangabe.
Aber ok, so wirklich genau wird man das nie erfahren weil die einzigen zuverlässigen Quellen, französische Soldaten und unabhängige Beobachter, eigentlich keine Möglichkeit haben dem nachzugehen: Die Franzosen sind Kampf- und keine Polizeitruppen und für unabhängige Beobachter ist es noch zu heiß.
Zumindestens fällt mir auf: Warum riegelt man ein Dorf ab und bindet dadurch ein paar Dutzend bis hundert Mann? Sicher nicht wegen gefundener Leichen – da riegelt man eine Strasse oder einen Brunnen ab. Ich denke eher da wird konkret nach untergetauchten Feindkombattanten gesucht. Und was das bei Radikalislamisten bedeutet kennt man ja aus Algerien, Irak und Afghanistan.
Lt. FAZ unter dieser Überschrift “ Malischer Rebellenführer will verhandeln “ wollen Teile der Rebellen wohl verhandeln und sagen sich von den islamistischen Terroristen los.
Man distanziert sich von Terrorismus und Extremismus.
Mal sehen, was daraus wird.
@Müller
„Soweit ich mich noch an meine Diplomarbeit (Greed vs Grievance Debatte) und die Literaturrecherche erinnere, ist der Schluss “ethnische Heterogenität = höhere Konfliktwahrscheinlichkeit” empirisch nicht belegt …“
Dieser Aufsatz zitiert einige Literatur, die für und gegen diese Hypothese spricht:
http://www.yale.edu/macmillan/ocvprogram/papers/Wimmer_OCV.pdf
Zumindest die Hypothese, dass Gesellschaften unter Druck vorzugsweise entlang ethnischer Linie zerfallen bzw. die Konflikte entlang dieser Linien ausgetragen werden, ist empirisch schwer zu widerlegen. Streit gibt es hauptsächlich in der Frage, ob ethnische Unterschiede die Motivation der Konfliktparteien sind oder die Konflikte um etwas anderes gehen. Hier geht die Diskussion seit längerem in die Richtung, dass man sich oft (nicht immer) nicht um die Unterschiede als solche streitet, sondern die Akteure sich wegen ähnlicher Interessen und der Absicht nach kollektiver Durchsetzung dieser entlang ethnischer Linien organisieren.
Von einigen Autoren wurde dies so gedeutet, dass die ethnischen Konflikte angeblich nur Ausdruck „sozialer Konstrukte“ seien, was von Gesellschaftspädagogen u.a. in der Entwicklungszusammenarbeit dankbar aufgegriffen wurde, die damit Geld für „Krisenprävention“ etc. einforderten. Sie meinten, dass man Konflikte vermeiden oder entschärfen könne, wenn man den Menschen die Relativität ihrer ethnischen Identität erklären würde. Alle diese Vorhaben sind grandios gescheitert, aber die Idee lebt an deutschen Unis und unter Entwicklungshelfern etc. vorläufig noch weiter. Sie hat dazu beigetragen, Deutschland in den Afghanistaneinsatz zu treiben, weil man fälschlich glaubte, dass die inneren Konflikte in Afghanistan nicht ethnische Konkurrenz zum Inhalt hätten, sondern es um ideologische Gegensätze ginge und man die guten Muslime nur von den bösen Islamisten befreien müsse. Das gleiche Schauspiel wiederholt sich jetzt in Mali, und man reagiert überrascht darauf, dass die „Guten“ ja offenbar doch keine liberalen Demokraten sind, die den Tuareg Menschenrechte und Frieden bringen wollen.
„weil man fälschlich glaubte, dass die inneren Konflikte in Afghanistan nicht ethnische Konkurrenz zum Inhalt hätten, sondern es um ideologische Gegensätze ginge und man die guten Muslime nur von den bösen Islamisten befreien müsse.“
Ohne den Beitrag ethnischer Konflikte zum Konflikt in Afghanistan vermindern zu wollen: Die ideologische Komponente mischt da ganz heftig mit.
Ihr Kommentar liest sich zumindest für mich so, als wäre die ideologische Komponente komplett nichtexistent.
@zog
„Ihr Kommentar liest sich zumindest für mich so, als wäre die ideologische Komponente komplett nichtexistent.“
Natürlich ist das Thema komplexer als man es in einem Blogkommentar ausdrücken kann. Ich habe die ideologische Komponente aber als eindeutig nachrangig empfunden. Man hat zuweilen z.B. versucht, Dingen ein islamischeres Gesicht zu geben, zuerst in türkischer und später in afghanischer Form. Wenn der entsprechende Afghane aber nicht gleichzeitig der richtigen Gruppe angehörte, hat das nicht funktioniert. Und wenn er dieser Gruppe angehörte, war es wichtiger welches Netzwerk er in dieser Gruppe hatte.
Es gab zuletzt einige Meldungen darüber, wie die Mitglieder der verschiedenen ethnischen Gruppen sich in Erwartung des Abzugs von ISAF wieder auf ihre Gruppe zurückziehen: http://www.independent.co.uk/news/world/asia/a-city-divided-the-ethnic-tensions-splitting-kabul-6255444.html
Das scheint weitgehend unabhängig von ideologischen Aspekten zu geschehen. Man scheint der Stabilität und Zuverlässigkeit ethnischer Bindungen mehr zu vertrauen als ideologischen Bindungen.
na ja, eine starke ethnische Bindung hat natürlich immer einen ideologischen touch….‘.Hoscht mi, ia Fröschels ?‘ ;-)