Stimmung bei der Bundeswehr-Reform: Kampf um die Interpretationshoheit
Von der Umfrage des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV) zur Stimmung bei der Bundeswehr-Reform, der Neuausrichtung, sind bisher nur wenige – vernichtende – Aussagen öffentlich bekannt: 88 Prozent der in der Umfrage erfassten militärischen Führer sind der Meinung, dass die Reform nachgebessert werden muss; drei Viertel nehmen an, dass die Bundesregierung nicht hinter dieser Reform steht.
Die Details der DBwV-Umfrage wird es erst heute am frühen Nachmittag geben; bereits jetzt geht allerdings das Verteidigungsministerium darauf ein und hat heute die (hier in den Kommentaren schon erwähnte) eigene Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr dazu veröffentlicht.
Eine detaillierte Auswertung dieser Studie (genauer: der veröffentlichten Kurzfassung) dauert auch einen Moment, ich hänge diese Kurzfassung für meine Leser unten an. Bei einem ersten Blick fällt allerdings auf, dass auch diese Studie kein so positives Bild der Stimmung in der Truppe zeichnet: So sind gut zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass bei der Neuausrichtung nicht klar erkennbar ist, wohin die Reise gehen wird.
Und aus den Befragungsergebnissen noch zwei Zitate:
• Die überwiegende Mehrheit sieht die Notwendigkeit der Neuausrichtung. Breite Kritik wird an der Umsetzung der Neuausrichtung laut, die nach Meinungen der Führungskräfte nicht erfolgreich verläuft.
• Die Ziele „Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber“ und „Erhöhung der Einsatzfähigkeit der Truppe“ werden nach Ansicht der Mehrheit der Befragten verfehlt.
Das klingt nicht gut. Um so interessanter die Bewertung durch das Ministerium:
Die Studie zeigt, dass die Mehrheit der Bundeswehrangehörigen die Neuausrichtung als unumgänglichen Reformprozess betrachtet, dessen Umsetzung in ihren Augen aber nicht erfolgreich verläuft. „Eine solche Einschätzung konnte man zu diesem frühen Stadium eines derart großen Veränderungsprozesses erwarten“, erklärt Staatssekretär Stéphane Beemelmans.
und:
Die zentralen finanzpolitischen und personalpolitischen Zielsetzungen werden von der überwiegenden Mehrheit als Ziele der Neuausrichtung wahrgenommen und von einer klaren Mehrheit der Führungskräfte mitgetragen. Ziele, die die Aufbau- und Ablauforganisation der Bundeswehr betreffen, wie Bürokratieabbau, flachere Hierarchien und schnellere Entscheidungsprozesse werden mehrheitlich gefordert. Diese sehen die Führungskräfte aber meist nicht als Ziel der Neuausrichtung an. „Hier herrscht offensichtlich Kommunikationsbedarf, denn gerade die ablauforganisatorischen Veränderungen und Verbesserungen sind ein Wesenskern der Neuausrichtung“, erklärt Staatssekretär Beemelmans.
Eine weitergehende Bewertung stelle ich jetzt erst mal zurück, bis ich auch die Umfrage des DBwV im Detail kenne. Es wird ja interessant sein, die Art der Fragestellung zu vergleichen und zu sehen, wie die Ergebnisse zu Stande gekommen sind.
Die Kurzfassung der SoWi-Studie: SoWi_Neuausrichtung_kurz
Vielleicht ist es an dieser Stelle nicht mangelnde Kommunikation. Vielleicht haben die Befragten auch selbständig die Reform analysiert und sind zu dem Entschluss gekommen, dass die angegebenen Effekte vielleicht Wunschdenken sind, aber mit der Reform eben nicht erreicht werden.
Ist halt die Frage, was man als Ausgangsgröße für „ist ein Ziel der Neuausrichtung“ nimmt: Der als Dreizeiler geäußerte Auftrag oder die konkret geplante Umsetzung.
„Eine solche Einschätzung konnte man zu diesem frühen Stadium eines derart großen Veränderungsprozesses erwarten“, erklärt Staatssekretär Stéphane Beemelmans.“
Wer das als Führungskraft schon erwartet, der sollte seinen Posten besser räumen. Denn genau so etwas zu verhindern ist sein Job.
@Tom:
100% richtig!
Ein solches Ergebnis war zu erwarten?
Das werte ich als Eigentor, denn dann war die Werbekampagne doppelt schlecht.
Den Mann würde ich ablösen.
Die mit Abstand gravierendste Information, meiner Meinung nach, entnehme ich der Abb. 3.3.2 auf Seite 17.
Veränderung der „Einstellung meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber dem Dienstherren“
Positiv: 0%
eher Positiv: 6%
sowohl / als auch: 27%
eher negativ: 31%
Negativ: 32%
Kein Effekt: 5%
Für mich ist das „Sprengstoff“.
Richtig! Als ich bei der Befragung über diesen Punkt nachdachte, stellte sich schon die Frage, wie weit diese Veränderung der Einstellung nur eine kurzfristige Delle in der Motivation bedeutet kann und ob sich mittelfristig Erholung einstellt. Das betrifft zunächst eher die Art der Umsetzung der Reform, kann aber mittels der Kommunikation im persönlichen Umfeld gerade der immer wichtigeren Nachwuchswerbung abträglich sein. Verschärfend kommt immer klarer hinzu das Thema weiterer Reduzierung, siehe auch MdB Arnold in der neuesten LOYAL.
Das „Vermittlungsproblem“ ist das liebste Luftschloss der Politik.
Nicht nur im Bereich Verteidigung.
Wenn man es nur ordentlich erklären würde, müßten ja alle zustimmen.
Der Plan ist also perfekt, nur die Leute sehen es nicht… ;)
Wenn man böse wäre könnte man fast sagen daß das Vermittlungsproblem die „Voooorsähunk“ der Berliner Republik ist ;)
Die Ziele „Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber“
Dazu passend in den Tageszeitungen des shz-Verlages heute auf Seite 1 ein Bericht des Marineinspekteurs unter der Überschrift:
„Personalmangel – Der Marine gehen die Matrosen aus“
Der Marine fehlen 1.000 Mannschaftsdienstgrade bei einer Gesamtpersonalstärke von 15.600 Stellen. Schiffe nur noch zu 70% besetzt.
Das sagt eigentlich schon viel, wenn nicht alles.
Schönes WE an alle Blogger
@McKenzie: Ist ja komisch, dass keiner zur Marine kommt.
Standorte am Hintern der Welt, Abwesenheiten von über 6 Monaten, teilweise weit darüber, und das jedes Jahr. Denn die anderen Einheiten sind ja auch stets unterbesetzt.
Kommunikation von Bord nach Hause: Wenn überhaupt, dann nur per eMail. Und das auch nur etwa alle 4 Stunden. Und nur Text. Und nur wenige kb groß.
Im letzten Jahr gab es sogar eine Initiative, die Soldaten an Bord an den Kosten für diese „Betreuungsmaßnahme“ zu beteiligen.
Wie gesagt, komisch….
Die realen Zahlen über alle Dienstgradgruppen weg sind ja dann sogar noch etwas größer. Die 1000 betreffen nur die Mannschaftsdientsgrade. Insgesamt landet man so bei ca. 2000 Fehl.
89% der „Führungskräfte“ glauben nicht, dass die „Richtung der Neuausrichtung klar erkennbar ist“.
Seite 25.
54% glauben, dass die „anstehenden Veränderungen mehr Nachteile als Vorteile oder sogar nur Nachteile bringen wird“.
Seite 30: Die durchschnittliche Entfernung zwischen dem Wohnort und dem Arbeitsplatz liegt für Soldaten bei 112 km! Rechnet man diejenigen raus, die sich einen Wohnort nahe ihrer Verwendung gesucht haben, ist das erschütternd.
Für etwa ein Drittel wird sich diese Entfernung vergrößern.
Seite 34 sagt eigentlich alles.
Und ich hoffe sehr stark, dass von diesen Ergebnissen NIEMAND überrascht sein wird. Das wird keiner zugeben, aber es darf doch ernsthaft keinen erstaunen.
Das Problem „Motivation“ stellt sich doch schon seit einiger Zeit, zumindest in der Schlammzone. Und jetzt kommt eben die schlecht umgesetzte „Verschlankung“ in Form der „Reform“ und die damit einhergebrachte Unsicherheit dazu.
Jahrelang lebt die Bundeswehr vom Improvisationstalent und der Aufopferung der unteren Ebenen. Aber auch die erkennen eben zunehmend das die Auffopferung nicht dazu nutzt durch ein dunkles Tal zu wandern, sondern die Armee am Leben hält. Es ist eben kein Licht am Ende des Tunnels…
Zur Reform: Die Regimentsstruktur hätte deutlich zur Verschlankung beigetragen und die teils unsinnige Verantwortungsverweigerung reduziert. Genau eine Division hat das umgesetzt. Und die hat die Brigadeebene beibehalten (wegen dem 1-Sterner des Saarlandes). Was ändert sich also? Die Arbeitsebene und die Förderposten der Arbeitsebene verringern sich…. Und dann hält man diese Ebene noch für zu Blöde das einschätzen zu können…gefährlich!
Viele schauen sich das Reformbegleitgesetz genau an, insbesondere in der Ebene der Unteroffiziere. Aber den Schritt werden nur die wenigsten Berufsunteroffiziere gehen, denn die Konditionen sind zu schlecht. Konsequenz daraus? Man wird in diesen Ebenen nicht mehr alles möglich machen und sich dafür verbiegen, schon gar nicht um irgendwelche Durchlauferhitzer zu stützen….und den Nachwuchs motivieren? Nur das sie frühzeitig gehen!!! Wer.dient.Deutschland? könnte es demnächst wohl heißen! Und.mit.was?
Man könnte das noch ewig ausführen, aber, und das Beispiel des StS B. zeigt es erneut, es wird doch wieder schön geredet und im Ministerium und schon einige Ebenen davor lebt man lieber weiter in seinem goldenen Käfig und preist ihn als Palast.
Courage? Verantwortung? Für sein Handeln eintreten? Lieber wider besseren Wissens ruhig sein und weiterkommen.
das lustigste ist, dass mit wir.dienen.deutschland der IBUK allen Reformumsetzungssoldaten, -beamten und angestellten die verwaltungstechnisch und -rechtlich belastbare Entscheidungs- und Handlunguntätigkeitssausrede gegeben hat.
Eigentlich würde ich ja lieber meine Kommentare bearbeiten, leider ist das nicht möglich:
Hat nicht die Marine noch vor wenigen Monaten gesagt, die Nachwuchsfrage sei geklärt und es gäbe genügend geeigneten Nachwuchs?
@T.W.: Eben im Radio hörte ich, dass bei der Rettungsaktion vor der Mittelmeerinsel Lampedusa auch ein Boot der Marine eingesetzt sei. Könnte es sich um unser Flottendienstboot handeln?
Und die Kosten für die Reform werden in die Zukunft verlagert und verschleiert
Mit der Auflösung des Flottenkommandos am 30. September 2012 wird die Kasernenanlage in Glücksburg-Meierwik nicht sofort geschlossen. Das Herzstück des Flottenkommandos, das größtenteils unterirdische MOC, wird allerdings bis zur Errichtung der entsprechenden Infrastruktur in Rostock-Warnemünde noch am Standort Flensburg-Glücksburg verbleiben. Rund 400 Soldaten und zivile Mitarbeiter werden dort so lange weiterhin ihren Dienst im 24-Stunden-Schichtbetrieb versehen.
Ein funktionierendes System wird ohne militärische Notwendigkeit zerstört und kostet im Übergang sogar noch mehr!
Wer immer auf die Idee gekommen ist, die SoWi Studie jetzt zu veröffentlichen, hat die Brisanz des Themas völlig falsch eingeschätzt. Das Ergebnis der Studie ist ja noch verheerender als das Ergebnis des Bw-Verbandes.
Und ganz ehrlich, bei dem Zitat von StS Beemelmanns bekomme ich eine Gänsehaut. Wie kann jemand zum Ausdruck bringen, dass es zu erwarten war, dass die Befragten in dieser Phase der Reform den Sachverhalt nicht durchdringen????
@schleppi: Durch eine völlig abgehobene Art seine Arbeit zu tun, weit weg von allen, die davon betroffen sind.
Die Aussage des Sts wundert mich nicht und passt in das Bild unserer politischen Führung!
Die Studie ist ja nicht erst vor 2 Tagen ausgewertet worden. Das die Ergebnisse schön geredet werden war klar, weil es keine erneute Diskussion um die Strukturentscheidungen geben darf. Selbst wenn 100% dagegen gewesen wären würde sie weiter durchgezogen.
Komunikation war noch nie so schlecht in der BW wie zur Zeit. Warum TdM und der GI sich das von ihrem unterstellten Bereich so bieten lassen ist mir ein noch größeres Rätsel. Struktur hin oder her, die Zeitlinien waren allen klar und dennoch wird keiner fertig, bzw. läßt mal einen verläßlichen Sachstand an seine Männer bringen.
Dafür das auch meine Dienstelle Ende des kommenden Jahres aufgelöst wird und bis heute noch niemand mit mir über Möglichkeiten, Chansen, Wechsel o.ä. gesprochen hat bzw. es immer nur heißt: zur gegeben Zeit wird man auf Sie zukommen…, wundert es mich nicht das noch keiner auf die Barikaden gegangen ist.
Regimenter? Die Regimentsstruktur, unabhängig ob in der Umsetzung als seltsame Task Force i.S. des JgRgt 1 (wird aufgelöst) und der neu aufzustellenden FschJgRgt 26 und 31 (werden bei der nächsten Reform aufgelöst) oder als truppengattungsreine Gliederung (von Divisonstruppen mal abgesehen), ist überholt und richtigerweise durch Brigaden abgelöst worden. Allerdings nicht die derzeitige deutsche Gliederung mit sieben Bataillonen, davon lediglich drei KpfTrBtl, sondern in der klassischen schlanken Gliederung (drei KpfTrBtl, ein ArtBtl und selbstständige Kompanien), geführt und unterstützt durch die Division(-struppen). Der Wegfall der Divisionsebene übt einen gewissen Reiz hinsichtlich Verschlankung aus, internationale Einsätze zeigen jedoch die Notwendigkeit mehrerer (vier) Divisionsstäbe, z.B. für die Führung des Regional Command North.