Gastbeitrag zum Buch (2): Wave and Smile

Im Juli habe ich hier den Comic die Graphic Novel Wave and Smile von Arne Jysch zum Afghanistan-Einsatz vorgestellt und um Rückmeldung aus der Schlammzone gebeten: Mich würde ja interessieren, wie Soldaten mit Einsatzerfahrung dieses Buch sehen.

Deshalb hier erneut ein Gastbeitrag mit genau dieser Sicht: Hauptmann Marcel Bohnert war bis Anfang dieses Jahres Infanterie-Kompaniechef in der Task Force Kunduz III (und ist jetzt Leiter einer Studentenfachbereichsgruppe an der Bundeswehruniversität Hamburg). Seine Rezension von Wave and Smile wird demnächst in mehreren Truppengattungszeitschriften erscheinen; mit seiner freundlichen Genehmigung hier eine – gekürzte – Fassung seiner Sicht auf diese Graphic Novel:

»Wave and Smile« – Winken und Lächeln – bezeichnet einen militärischen Verhaltensgrundsatz in internationalen Missionen, der die Wichtigkeit unterstreicht, sich gegenüber der ortsansässigen Bevölkerung nicht als Besatzer aufzuführen, sondern durch ein grundlegend rücksichtsvolles und offenes Auftreten als Freund und Helfer verstanden zu werden. Über viele Jahre des Afghanistan-Engagements hat sich der deutschen Gesellschaft vor allem dieses Bild der Mission am Hindukusch in den Kopf gebrannt. Der Illusion, dass ihre Soldatinnen und Soldaten dort ausschließlich als Schulenbauer und Brunnenbohrer agieren, wurde sie wohl erst im September 2009 beraubt, als der damalige PRT-Kommandeur Oberst Georg Klein den Bombenabwurf auf zwei in einer Furt des Kunduz-Rivers feststeckende Tanklastzüge befahl. Die Legende des »Wave and Smile«-Einsatzes musste korrigiert und die Wahrnehmung der Mission, wenn auch zögerlich, der Realität angepasst werden.

Der Titel der Graphic Novel von Jysch klingt vor dem Hintergrund ihres Inhaltes ebenso paradox und zynisch, da Hinterhalte und Feuergefechte den Verlauf der actiongeladenen Geschichte prägen. Zumindest die anfänglich geschilderten Vorfälle scheinen dabei noch sehr nah an realen Ereignissen orientiert zu sein.

(Zeichnung aus dem besprochenen Band, mit freundlicher Genehmigung des Carlsen Verlags)

Auf den ersten Seiten des Buches werden die agierenden Charaktere geschickt eingeführt und in verschiedenen Szenen Sympathien für die handelnden Figuren geweckt. Ungemein authentisch wirkt nicht nur die einleitende, an das Karfreitagsgefecht im Chahar Darreh erinnernde Gefechtsszene, sondern auch die Darstellung der Geiselnahme mit Verhör beim Journalistentraining in Hammelburg. Der sich an einen komplexen Hinterhalt mit Gefallenen und Verwundeten anschließende Streit des Kompaniechefs mit seinem Kommandeur über bürokratische Angelegenheiten ist ebenfalls nicht so fernab der Wirklichkeit, wie viele Kritiker dies in ihren Rezensionen darstellen. Ähnliche Vorfälle wurden bereits aus mehreren Einsatzkontingenten berichtet.

Als empfindliche Abweichung von der Realität fühlt sich bis zum mittleren Teil des Buches lediglich der relativ zügige Übergang zur »Normalität« nach dem Helikopter-Absturz mit einem gefallenen Doorgunner an. Das in späteren Szenen sichtbare Bild eines Pick Ups mit seiner abgedeckten Leiche und ein Sargbild zeigen zwar, dass der Tote nicht vergessen wurde, jedoch überrascht und verstört der dem Crash folgende Handlungsverlauf mit Übergang in die Gesprächsaufklärung und das Verhalten der Besatzung in der Operationszentrale angesichts eines Gefallenen doch ein wenig.

Spätestens im letzten Abschnitt des Buches büßt die Story dann enorm an Glaubwürdigkeit ein und bekommt einen derben Hollywood-Touch. Der Bezug zur Realität entgleitet vollends, als Hauptmann Menger sich in bester Drehbuchmanier auf eigene Faust durch Afghanistan schlägt. Im Unterschied zu den fantasiereichen Bestsellern von Achim Wohlgetan (»Endstation Kabul«/»Operation Kunduz«), auf die sich »Wave and Smile« als Quelle stützt, erhebt das Comic allerdings explizit nicht den Anspruch, auf wahren Begebenheiten zu beruhen. Jysch weist darauf hin, dass die militärische Ausstattung sowie Vorgehensweisen aus dramaturgischen Gründen verändert wurden und er sich bei der Handlung lediglich von realen Ereignissen inspirieren ließ. Deshalb lässt sich dem Autor dieser womöglich störend wirkende Teil der Geschichte genau genommen gar nicht vorhalten. Das Buch hätte sicherlich mit der Rückkehr in das Heimatland, der Darstellung von Perspektivlosigkeit und des nicht mehr Zurechtkommens enden können. Das wollte Jysch seiner persönlichen Aussage nach allerdings vermeiden, da es solcherlei Geschichten schon mehrfach im »Tatort« oder ähnlichen Formaten gegeben habe.

Insgesamt orientieren sich Dialoge und Funkbetriebssprache im gesamten Comic durchgängig nah an der Realität. Die Patrouillensequenzen sowie die Bilder aus der Operationszentrale erscheinen ebenfalls sehr authentisch und selbst Dienstgrade und Unterstellungsverhältnisse sind im Grunde realistisch dargestellt – etwas, woran viele andere deutsche Medien noch immer kranken. Zeichnerische und inhaltliche Schwächen in Bezug auf das Militär sind im Buch tatsächlich eher selten anzutreffen. So sind beispielsweise Einheits- und Teileinheitsebene nicht korrekt abgebildet, Deutschland liegt 4705 Kilometer »nordöstlich« statt nordwestlich von Kunduz und Soldaten befinden sich schon mal mit eingeklappter MG-Visiereinrichtung in der Sicherung. Diese Ungenauigkeiten sind allerdings zu ertragen und darüber hinaus von stilistischen Vereinfachungen abzugrenzen, die insbesondere militärischen Laien ein besseres Verfolgen des Handlungsstranges ermöglichen. Eine Journalistin könnte deutsche Soldatinnen und Soldaten beispielsweise niemals ohne das Beisein eines Presseoffiziers begleiten. Dieser wäre in der Geschichte jedoch lediglich ein Störfaktor und wurde von Jysch bewusst ausgespart. Die Variation der Kopfbedeckungen und Trageweisen der Schutzbrillen zwischen einzelnen Charakteren sind teilweise unangemessen, machen die agierenden Personen aber leichter unterscheidbar. Auch Ausblendungen wie die nicht vorhandene Darstellung des Partnerings mit afghanischen Sicherheitskräften dürften ebenfalls der Fokussierung auf den wesentlichen Teil der Story dienen.

Abseits der Handlung besticht die Graphic Novel vor allem durch ihre Optik und den Aufbau einer besonderen Atmosphäre. Mit faszinierend authentischen Bildern, Szenen und Dialogen und enormer Liebe zum Detail gelingt es Jysch eine Lebendigkeit zu erzeugen, die den Leser die Stimmung des Einsatzes in Afghanistan nachempfinden lässt. In seinen aufwändigen Zeichnungen ist das Brummen der Fahrzeugmotoren praktisch hörbar und der staubige Fahrtwind zu spüren. Filmische Elemente, ein interessanter Erzählstrang und spannende Szenenwechsel rahmen lebensechte Bilder und Eindrücke ein, die jeder Einsatzsoldatin und jedem Einsatzsoldaten vertraut sind und sie faszinieren werden. Die Dialoge über Politik oder Kameradschaft haben einen ebenso hohen Wiedererkennungswert, auch wenn der Autor in einigen Passagen übertreibt und sie zum Schärfen der Profile seiner Charaktere nutzt. Er arbeitet durchweg mit Stereotypen und spielt mit Klischees: Die taffe und begehrenswerte Fotojournalistin, der traumatisierte Afghanistan-Heimkehrer, die bürokratische Militärführung, der undurchsichtige Sprachmittler, die rücksichtslose US-Armee usw. Hinzu kommen sprachliche und künstlerische Finessen, wie die Wiedergabe arabischer Sprache in einer optisch angepassten Schrift, die erst auf den zweiten Blick als Deutsch erkennbar ist. Auf mehreren Seiten des Buches wird zudem durchgehend Englisch gesprochen, es werden militärische Fachtermini sowie Abkürzungen benutzt und im Austausch mit Afghanen ist ein übersetzender Sprachmittler anwesend. All dies trägt zum Aufbau einer besonderen Stimmung bei.

Der gesamte Comic ist farbig gestaltet, wobei Jysch mit milden Aquarellfarben in Ocker und Grün arbeitet, die die Atmosphäre Afghanistans exzellent wiedergeben. Mit unglaublichem Auge fürs Detail werden hierbei Kleinigkeiten beachtet, die eine umfassende Recherche und eine große Genauigkeit des Zeichners indizieren. Beispielsweise ist das Airfield Kunduz – eigentlich nur am Rande kleinerer Bilder zu sehen – so perfekt skizziert, dass Ortskundige Mitlesern genauestens erklären könnten, an welcher Stelle sie sich seinerzeit aufgehalten und wo entlang sie sich bewegt haben. Jyschs Genauigkeit ist sicher nicht unwesentlich seiner Verbindung zur Journalistin Julia Weigelt (sicherlich.net) geschuldet, die ihn im Vorfeld umfassend beraten hat und von ihren Einsatzerfahrungen mit am Außenposten »OP North« in der Provinz Baghlan stationierten deutschen Kräften berichten konnte. Zudem erhielt er nach eigenen Angaben Unterstützung aus dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Eine mehrjährige Arbeit der Autors, die sich alles in allem wirklich gelohnt hat!

Arne Jysch war nie in Afghanistan. Er hat Zivildienst geleistet und hatte vor der Arbeit an diesem Comic auch sonst keinerlei Berührungspunkte mit der Bundeswehr oder deren Einsatzszenarien. Nicht einmal Nachrichten über Afghanistan haben ihn sonderlich interessiert. Gerade vor diesem Hintergrund gebührt Jysch Respekt dafür, sich so tief und präzise in die Materie hineingearbeitet und so viele winzige Details beachtet zu haben. »Wave and Smile« ist das beeindruckende Erstlingswerk eines begabten Zeichners und Storyboarders, der auf 200 Seiten die Stimmung eines Einsatzes vermittelt, ganz so, als wäre er selbst Teil der Mission gewesen und hätte die deutschen Kräfte auf Patrouillen und während ihres Lagerlebens begleitet. Die Ungenauigkeiten des Buches sind auch für Bundeswehrangehörige gut zu verkraften, wenn sie einen nicht zu hohen Realitätsanspruch erheben und den abenteuerlichen Storyverlauf ertragen können. Aus dem linken Spektrum werden dem Autor »Deutsch-nationale Kriegspropaganda« (scharf-links.de) und ein Werbecoup für die Bundeswehr vorgeworfen. Dieser Argumentation lässt sich allerdings nur schwerlich folgen, da dies weder aus seiner Biografie noch aus dem Inhalt des Buches ableitbar erscheint. Von einer Glorifizierung des Afghanistan-Engagements oder der deutschen Streitkräfte ist die Graphic Novel jedenfalls weit entfernt. Dass der Autor uns Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, den Menschen in Uniform, grundsätzlich wohlwollend gegenüber steht, lässt sich in der Gesamtbetrachtung seines Werkes dennoch erahnen. Zu hoffen bleibt, dass das Comicformat auch Menschen die Einsatzrealität näher bringen kann, die noch kein Interesse daran oder keine Vorstellung davon haben, was die Bundeswehr seit über zehn Jahren am Hindukusch tut. Dieses ungewöhnliche Medium bietet dafür in jedem Falle Potential. In einem persönlichen Gespräch, dass ich nach einer Buchpräsentation im August 2012 mit Jysch führen konnte, betonte er, dass er sich des Themas »Bundeswehr im Einsatz« aus verschiedenen Gründen beruflich nicht weiter widmen und daher auch nichts Vergleichbares mehr von ihm zu erwarten sein wird. Schade!