„Wave and Smile“: Der Afghanistan-Roman in 3Farb-Flecktarn
Nach zehn Jahren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, der zunächst in Deutschland nicht Krieg genannt und auch nicht so wahrgenommen wurde, gibt es immer mehr Bücher über diese Mission – Erfahrungsberichte, Analysen und natürlich auch Romane. Ein Roman ist mir besonders aufgefallen: Wave and Smile ist ein Comic, wie es in meiner Generation (Altersband 3) heißt, der englische Begriff Graphic Novel trifft es allerdings besser: Ein gezeichneter Roman, dessen fast 200 Seiten durchgängig im Ockerton afghanischen Staubs daherkommen – oder eben, genau so passend, im 3Farb-Flecktarn heiß/trocken der deutschen Uniformen.
Die Handlung ist erfunden, nicht überraschend für einen Roman. Und auch nicht wirklich überraschend ist, dass Zeichner und Autor Arne Jysch sehr, sehr viel verarbeitet hat, was zum Afghanistan-Einsatz gehört – von der permanenten IED-Bedrohung über den deutschen Bürokratie-Wahnsinn (sehr schön dargestellt am Beispiel von nach deutscher Bauvorschrift installierter Straßenbeleuchtung im Feldlager, die dann aus Sicherheitsgründen gar nicht erst angeschlossen wird). Natürlich gehört die post-traumatische Belastungsstörung eines Protagonisten dazu, aber auch The German Attitude… You go to war, but you don’t dare to kill … or get killed. Ob die dramatische Wende, die der Roman in seinem zweiten Teil nimmt, noch realistisch ist oder nur dichterische Freiheit – das zu beurteilen, würde ich jedem Leser selber überlassen.Überraschend fand ich allerdings, wie detailverliebt Jysch die Personen, die Uniformen, die Ausrüstung dargestellt hat – obwohl er nie in Afghanistan war, noch nicht mal Soldat. Hunderte von Fotos, erzählte er mir, habe er für die Arbeit an Wave and Smile gesichtet, auf der Internationalen Luftfahrtausstellung einen CH53-Hubschrauber in allen sichtbaren Einzelheiten abgelichtet (und im Buch auch tatsächlich die GS-Version gezeichnet).
(Zeichnungen aus dem besprochenen Band, mit freundlicher Genehmigung des Carlsen Verlags)
Vorsichtshalber bemühte sich der Zeichner auch um Rückversicherung bei ihm bekannten Soldaten ebenso wie bei der Bundeswehr, wo es um die Einzelheiten ging. Der Auslöser für die Beschäftigung mit diesem Thema war allerdings ein ganz anderer: So etwa 2008, als in Deutschland noch lange nicht von einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt und damit vom Krieg die Rede war, habe er mit einem Deutsch-Afghanen über die Lage in seinem Land gesprochen – und damit plötzlich eine ganz andere Sichtweise bekommen.
Mehr als zweieinhalb Jahre hat der Berliner Jysch an dem Buch gearbeitet, nach der Recherche ein Jahr lang das Drehbuch entwickelt und geschrieben und ein Jahr lang gezeichnet. Stolz ist der darauf, eine Graphic Novel in diesem Umfang in Farbe vorzulegen – fast 200 Seiten gibt es sonst gezeichnet meist nur in Schwarz-Weiß.
Wave and Smile ist in dieser Woche im Carlsen Verlag erschienen. Mich würde ja interessieren, wie Soldaten mit Einsatzerfahrung dieses Werk sehen.
„German Attitude“ – ist das jetzt schon ein stehender Begriff wie „german vote“ bei der EU?
Hier ein Bericht von ZDF Kultur zu Autor und Werk: http://tinyurl.com/7lmesjf
Hr. Wiegold, zusammen mit dem Link von gyh2c | 03. Juli 2012 – 9:12 (Danke für die Verlinkung zum Interview bzw. Bericht !) abstrahieren Sie aus dieser graphic novel eine ganze Reihe von Fragestellungen/ Sachthemen, die es mir stets wert erscheinen diskutiert zu werden. Mir stellten sich unmittelbar folgende:
1. Es löste mit großer anzunehmender Wahrscheinlichkeit auch in der Frühphase des Afghanistaneinsatzes wenig Freude aus im Wolf, im Bus, etc. umherzufahren, nur „musste erst etwas passieren“ bis man vollends auf gepanzerten Transportraum setzte. Gleich verhält es sich zur Evolution bzgl. der Einsatzfreigabe indirekten Wirkfeuers. Ich denke in den Lagebeurteilungen vor Ort, war dies bereits „früh“ eine Forderung-dies medial nachzuvollziehen dürfte Ihnen sehr leicht fallen Hr. Wiegold, schließlich schrieben Sie darüber zu jener Zeit.
2. Die Angelegenheit mit dem „Kriegsbegriff“. Eine für viele ganz einfache Debatte, für einen Juristen wie Dr. Jung aber eben nicht. Ich weiß, dass ich mich in Opoosition zum Mainstream stelle, wenn ich ihm diesbezüglich zumindest nicht wider das Wort rede.
Dass die Frauen und Männer in Ihren in Interviews dargestellten Wahrnehmungen die Szenarien als solche empfanden/ empfinden ist unbenommen und man kann ergo den „Kriegsbegriff“ akzeptieren.
Nur dann bitte ich auch von dieser „Teilung“: früher war es stets ruhig und es wurde grundsätzlich nicht gekämpft/ heute ist es grundsätzlich nicht ruhig und es wird grundsätzlich gekämpft Abstand zu nehmen. Btw: Ich erinnere mich an einen jungen Hr. Wiegold der die Frühphase in Artikeln nicht als Kaffeeausflug beschrieb.
3. Die Kritik an den deutschen Bauvorschriften, an den gesetzlichen Schutzaufgaben ist immer gern per schwarz/ weiß Schablone rausgehauen und man sonnt sich gern im Beifall, der einem fast automatisch zuteil wird.
a) wer meint, dass z.B. FRA/ USA solche „Bau- Projekte“ bzw. „Einsätze/ Kriege“ ohne Beachtung entsprechender Vorschriften angeht, der irrt.
b) über Sinn und Unsinn einer Straßenbeleuchtung in den afg. Feldlagern will ich nicht streiten, nur darauf hinweisen: entweder es wird keine gebaut, oder aber wenn, dann bitte betriebssicher.
c) auch die rudimentären Anweisungen der Dienstvorschriften zum Gefechtsdienst, eingehender die zu Feldbefestigungen,Handhaben von Werkzeug, Gerät und
Baustoffen, Allgemeiner Straßendienst und Behelfsstraßenbau, wieder mit Abstrichen Sperren und Sprengen sind, wenn man so will, deutsche Bauvorschriften-und zwar welche dessen Inhalte sehr umfangreich im WK II getestet wurden.
4. Natürlich ist es eine fiktive Geschichte, aber deren Inhalt wirft eine höchst interessante Frage auf: Wie weit würde ein deutscher Vorgesetzter gehen, um seinen „Jungen“, sein „Mädel“ zurückzuholen? Wie weit die Bw-Führung: der IBuK, der Inspekteur, Befehlshaber Einsatzführungskommando, RC-Kommandeur bzw. abstrakter der deutsche Kontingentführer, Kommandeure/ Chefs vor Ort-und zwar jeder auf seiner Ebene mit seinen Kräften/ Mitteln betrachtet?
Und dies lässt sich mit folgenden Anhängen dikutieren: Wie weit würde ein deutscher Vorgesetzter gehen
können
dürfen
wollen
sollen
,um seinen „Jungen“, sein „Mädel“ zurückzuholen? Und welches Verb sticht welches aus und warum…
Ich maße mir keine Antworten an, dies nämlich jeder mit Befehlsgewalt und Möglichkeit zum Operieren für sich beantworten muss/ und wohl allerspätestens bei Eintritt dieser Situation X dringend sollte. Hier vor meinem Rechner im sicheren Deutschland darüber zu philosophieren hielte ich für vermessen, unterlasse es folglich.
5. Volker Rühes „Salamitaktik zur Gewöhnung des deutschen Volkes an Einsätze der Bw“ dürfte, wenn jetzt selbst graphic novels darüber erscheinen, eine nächste Scheibe aufs mediale Gewöhnungs-Tablett gebracht haben-ohne dabei vergangene Einsätze an dieser Stelle verklären zu dürfen.
@ Sachlicher
Es stimmt daß die Vorschriften alle auf soliden Erfahrungen des 2. Weltkrieges basieren, das Problem ist daß die Vorschriften durch jahrzehntelangen Gebrauch in Friedenszeiten und überzogenes Sicherheitsdenken ritualisiert worden sind.
Die meisten Rituale dieser Welt, egal ob religiös oder weltlich, waren einmal von praktischem Nutzen und wurden im Laufe der Zeit zu Ritualen.
Das Selbe ist mit den Dienstvorschriften passiert.
Noch dazu muß man in Baghlan eben nicht die Front verkürzen wenn der Russe durchgebrochen ist ;)
Danke für den Hinweis bzw die Vorstellung des Comics. Hab mir das Buch bestellt, bin mal gespannt. Ich hoffe nur, dass es den Kameraden im Einsatz gerecht wird. Hat da schon jemand weitere Erkenntnisse?
@ JCR | 03. Juli 2012 – 13:11
[…]Noch dazu muß man in Baghlan eben nicht die Front verkürzen wenn der Russe durchgebrochen ist ;)[…]
Das eine hat recht wenig mit dem anderen gerade bzgl. der 3er Reihe zu tun.
@Sachlicher:
„Gleich verhält es sich zur Evolution bzgl. der Einsatzfreigabe indirekten Wirkfeuers.“
An Evolution hat sich da wenig getan, lediglich an der Verfügbarkeit der Wirkmittel. Da die Einsatzbestimmungen aber schon seitens ISAF/NATO entsprechend streng ausgelegt sind ist das eigentlich die falsche Baustelle…
@Sachlicher:
Sehr vielschichtiger und zum Nachdenken anregender Kommentar. Auch deswegen lese ich gerne dieses/diesen Blog!
Gestern ist endlich meine (seit Ewigkeiten vorbestellte) Ausgabe eingetroffen. Der erste Eindruck: hui, ein Comic mit Hardcover – schick!
Ich muss sagen, dass der Zeichner mit sehr viel Detailverliebtheit gearbeitet hat, alles ist sehr gut illustriert und lebensecht gezeichnet. Die Story – naja. Bei einem ersten Durchblättern geht es wohl darum, dass sich ein ISAF-Soldat auf eigene Faust aufmacht, seinen vermissten Partner im Indianerland zu suchen. Das riecht mir persönlich ein bisschen zu sehr nach Seagal und van Damme.
Aber es werden auch viele Bereiche in dem Comic thematisiert, die real sind: die „Waffenstation ausbauen bei angesprengtem Fahrzeug“-Geschichte, die Führung, die immer Zurückhaltung anordnet, oder die wahllose Gefangennahme von potentiellen Insurgenten durch die US-Armee.
Ich werde mir das Buch die Tage mal zu Gemüte führen, halte es aber bislang für eine ziemlich brauchbare Angelegenheit, auch wenn sie ein sehr düsteres Bild vom ISAF-Einsatz zeichnet.
Wer übrigens auch mal etwas nettes auf Englisch lesen möchte, kann mal „The Docs – A graphic novel“ einsehen, gibts gratis im Netz.
Zufällig ein Rezensionsexemplar übrig? ;-)
@Daniel
Mein Rezensionsexemplar ist in der „Oase“ im Camp Marmal einzusehen oder auszuleihen.