Vier Franzosen bei Anschlag in Afghanistan gefallen
Die Zahl der Anschläge auf ISAF-Truppen in Afghanistan mag, wie ISAF immer wieder vorrechnet, insgesamt sinken – der Blutzoll bleibt weiterhin hoch: Am Samstag sind bei einem Anschlag in Kapisa vier französische Soldaten gefallen, wie der Präsidentenpalast in Paris bestätigte. Fünf wurden verwundet, drei davon schwer. Die Details dieses vermutlich mit einer improvisierten Sprengvorrichtung (IED) verübten Anschlags sind noch nicht klar; nach Meldungen aus Afghanistan soll ein Aufständischer, mit einer Burka als Frau verkleidet, eine Fußpatrouille angegriffen haben.
Über die eigentliche Tatsache des Anschlags hinaus hat dieser Vorfall Bedeutung für den ISAF-Einsatz insgesamt: Der neue französische Präsident Françoise Hollande hatte ungeachtet des Ärgers der Verbündeten bereits angekündigt, Frankreich werde seine Kampftruppen noch in diesem Jahr aus Afghanistan abziehen (allerdings auch weiterhin mit einer stattlichen Zahl von Ausbildern präsent bleiben). Vor diesem Hintergrund ist natürlich die Frage, wie sich die vier Gefallenen auf die französische Haltung (und öffentliche Debatte) auswirken. Nach Angaben des Senders Europe1 will sich Hollande am Nachmittag dazu öffentlich äußern.
Der Anschlag ereignete sich heute morgen um 06:40 Uhr hiesiger Zeit. Zufälligerweise hatte übrigens der französische Verteidigungsminister, Jean-Yves Le Drian, für morgen einen Besuch in Afghanistan geplant.
Die Gefallenen gehören dem 40. Artillerieregiment aus Suippes (im Nordosten Frankreichs) sowie dem „1er Groupement inter armées des actions civilo militaires“ aus Lyon an.
http://www.letelegramme.com/ig/generales/france-monde/monde/afghanistan-quatre-soldats-francais-tues-jean-yves-le-drian-se-rendra-sur-place-dimanche-09-06-2012-1732405.php
Die Motivation für Anschläge gegen Rückzügler ist besonders hoch, weil der Feind die Wahrnehmung verstärken will, dass diese besiegt wurden bzw. der Rückzug eine Flucht vor den stärkeren Aufständischen darstellt. Während des Rückzugs wäre daher auf Seiten von ISAF besondere Härte mit sichtbarer und unmißverständlicher Wirkung erforderlich, um diese Wahrnehmung zu unterbinden. Gelingt dies nicht, kann dies noch lange nachwirken, wie im Fall Sowjets, deren Niederlage in Afghanistan erfolgreiche islamistische Kämpfer dazu motivierte, es u.a. auch in Ägypten, Algerien und New York zu versuchen. Ein fluchtartiger Rückzug aus Afghanistan, bei dem man es zulässt die Aufständischen Bilder des Triumpfes erzeugen, würde vermutlich ähnlich negative mittel- und langfristige Folgen haben. Man müsste nun also Bilder erzeugen, die Schwäche und Demütigung der Aufständischen besonders glaubwürdig kommunizieren, während man sich um die langfristige Wahrnehmung des eigenen Vorgehens durch die afghanische Bevölkerung außerhalb bestimmter Korridore weniger Sorgen machen muss.
Auch im Norden etwas Neues. Gefängnisausbruch in Sar-e-Pol:
http://m.thehimalayantimes.com/fullNews.php?headline=Taliban+escape+from+Afghan+prison&NewsID=335339
Aber nach offizieller Lesart ist die Gegenseite ja so gut wie zerschlagen – weil sie uns nicht mehr direkt angreift. Unsere Generalität verwechselt nur leider Schwäche mit Lernfähigkeit.
„Der Attentäter hatte sich mit einer Burka getarnt.“ (Welt)
Kann man das völkerrechtlich noch als „List“ einordnen?
[Link entfernt, den Grund habe ich oft genug genannt, außerdem steht der Hinweis auf die Burka bereits oben im Beitrag. Somit doppelt kein Grund für den Link. T.W.]
@Politikverdruss
Ich persönlich finde solches Verhalten nicht listig, sondern tuntig. Das Völkerrecht ist den Aufständischen davon abgesehen ohnehin vollkommen gleichgültig.
Es gibt auch gute Nachrichten: Aufgrund Mitgliederausfalls durch Tötung, Gefangennahme und Flucht gelten die „Deutschen Taliban Mudschahiddin“ jetzt offiziell als vernichtet. Die Überlebenden waren sich em Ende für Einsätze als Cross-Dresser offenbar doch zu schade.
http://ojihad.wordpress.com/2012/06/09/deutsche-taliban-zerschlagen/
Der Truppenabzug bringt nach allgemeiner Einschätzung auch die einheimischen Helfer der ausländischen Soldaten in Gefahr, Opfer von Racheakten der Taliban zu werden. Der deutsche Generalinspekteur Volker Wieker sagte der „Bild am Sonntag“, afghanische Mitarbeiter könnten in Deutschland politisches Asyl erhalten. „Da geht es nicht nur um Ortskräfte bei den Streitkräften, sondern zum Beispiel auch um die zivilen Aufbauhelfer“, sagte er. Schätzungen, dass es sich um rund 3000 Afghanen handeln könnte, wollte Wieker nicht bestätigen.
Die dürfen aber nur ohne Burka nach Deutschland rein……(?)
@klabautermann:
Nur leider verpasst es der GI einmal mehr die zentrale Botschaft zu setzen:
Wir verlassen AFG 2014 nicht und wir brauchen auch danach noch Sprachmittler und weitere Ortskräfte.
Diese Botschaft wäre sowohl gegenüber den afghanischen Ortskräften, den Angehörigen der Bundeswehr (ziv./mil.), der Presse und der deutschen Öffentlichkeit wichtig.
Wieder einmal gelang – mit bewußt zweideutigen Formulierungen – das Gegenteil: Verwirrung und Unsicherheit bei allen Adressaten.
StratCom at its worst.
@Memoria
völlig Ihrer Meinung
@Politikverdruss
„Kann man das völkerrechtlich noch als „List“ einordnen?“
Nein, denn da ein Selbstmordanschlag aus einer zivilen Verkleidung per se nicht durch das Kriegsvölkerrecht gedeckt ist, handelt es sich entweder um eine „normale“ Straftat (also Mord) oder um ein Kriegsverbrechen…
Abgesehen davon kann ich @Orontes nur vollkommen zustimmen (sowohl was das „tuntig“, als auch die Ignoranz der Aufständischen ggü. dem Völkerrecht betrifft).
Allerdings wundert mich, dass ein Aufständischer aus dem radikal-islamisch-paschtunischen Taliban Umfeld eine Burka getragen haben soll.
Nach meinem Kenntnisstand widerspricht das eigentlich dem „Ehren“kodex Paschtunwali.
Die Aussage ist gem. den hier gepostet Quellen auch bisher nur vom afghanischen Innenministerium getätigt worden. Von daher könnte es auch Propaganda sein, denn ein „Krieger“ in Frauenkleidern dürfte in den Augen der meisten Paschtunen ja eher lächerlich wirken…
@Koffer
„Allerdings wundert mich, dass ein Aufständischer aus dem radikal-islamisch-paschtunischen Taliban Umfeld eine Burka getragen haben soll.“
Die machen das häufiger und handeln auch darüberhinaus eher pragmatisch, wenn taktischer Vorteil mit Tradition oder Religion kollidiert, und Versuche, die Aufständischen damit propagandistisch zu bekämpfen, waren nicht sehr erfolgreich. Allerdings widerspricht Transentum dieser Art der Selbstdarstellung der Aufständischen als stolze Krieger, und dieser Widerspruch soll unter Afghanen z.T. mehr Eindruck hinterlassen. Offenbar gibt es nicht sehr viele Freiwillige für so etwas, und diejenigen die man findet, sind nicht selten als Ballast abgestoßene Behinderte oder überschüssige Söhne, deren Familien Ausgleichszahlungen erhalten, und die mit Drogen vollgepumpt werden oder mit Fernzündern versehen werden müssen, weil ihr Glaube nicht ausreicht. Eigentlich sind das oft arme Schweine, die da quasi entsorgt werden. Wenn der Fernzünder fehlt, brechen manche den Anschlag ab und schaffen es, sich zu stellen. Andere begaben sich bei Anschlägen gezielt in abgelegene Räume von Gebäuden bevor sie ihre Weste zündeten, damit der Anschlag bei möglichst wenigen Toten trotzdem als ausgeführt galt ihre Familie das versprochene Geld erhielt. Die richtigen Profi-Attentäter sind oft keine Afghanen, sondern z.T. westliche Ausländer (es gab auch einen aus Deutschland), die die Gesellschaften verraten haben, die ihnen Gastfreundschaft gewährt haben.
Die palästinensische Hamas hat in der Vergangenheit auch geistig behinderte Kinder als „Selbstmord“-Attentäter eingesetzt.
Die Vorstellung, es gäbe so etwas wie einen edlen Rebellen mit einem ausgeprägten Ehrenkodex ist weltfremd.
Es hat auch schon mal ein mit einer Burka vermummter, gesuchter Islamist versucht, aus Großbritannien zu flüchten. Er wurde in Heathrow festgenommen.
Ein anderer britischer Islamist, Jermaine Grant, wurde in Kenia gefasst, als er eine Burka trug und im Bus unterwegs war:
http://www.mirror.co.uk/news/world-news/77-terror-accused-briton-was-arrested-754846
@chickenhawk
„Eie Vorstellung, es gäbe so etwas wie einen edlen Rebellen mit einem ausgeprägten Ehrenkodex ist weltfremd.“
1. Habe ich ganz, ganz bestimmt nicht von einem „edlen“ Rebellen gesprochen. Nach meiner Meinung sind die Taliban verbrecherische Spinner.
2. Dennoch muß man akzeptieren, dass auch verbrecherische, radikale Spinner innerhalb ihrer (wenn auch häufig wahngesteuerten) Welt zum Teil einem in sich logische „Werte“-System folgen.
Und sowohl die Hamas, als auch britisches Islamisten hat NICHTS mit dem von mir hinterfragten „Taliban-Paschtunen“ System zu tun…
Ich habe kritisch hinterfragt ob die (Teil)-Meldung glaubwürdig ist, die auf der Basis des Kabuler Innenministeriums von einem Taliban in Frauenkleidern sprach!
Denn wie wir ja aus eigener Erfahrung wissen, halten es auch sogenannte regierungsoffizielle Quellen in AFG häufig nicht so genau mit der Wahrheit und verbreiten eher Propaganda oder Gerüchte!
@memoria 14:44:
Right you are – ich hatte unsere Statement-Vorbereitungsschreiberlinge für schlauer gehalten …
@ Orontes, bes. 15:58:
Zustimmung!
Egal, wie der Talib nun die Bombe an die Männer gebracht hat – RIP, Kameraden.
Sobald die offizielle Verlautbarung kommt, werde ich wieder versuchen, am Pont Alexandre III in Paris stehen, um den gefallenen Kameraden die letzte Ehre auf ihrer Fahrt zum Invalidendom zu erweisen. Diese letzte Form der – auch öffentlichen Ehrerweisung – gibt es nun seit fast einem Jahr. Zunächst inoffiziell, findet es auch bei den Franzosen immer mehr Zuspruch, dieses zu tun. Neben den „Ancien Combattants“ und Aktiven stehen auch zunehmend Nicht-Militärs und jüngere Leute auf dieser Brücke. Innerhalb eines halben Jahres steigerte sich die Zahl von ~50 auf nunmehr fast 1000!
Auch wenn jdes Mal ein trauriger Anlass dahinter steht, wünschte ich mir das manchmal auch in Deutschland, als Teil der – leider unangenehmen – Realität, die wir nicht mal eben ausblenden können.
Auch die „Sapeurs-Pompiers“ als paramilitärische Einheit nehmen regelmäßig an der Ehrerbietung teil – Stichwort Gedenk- und Ehrkultur.
Anbei ein Link zu einem Passé, welches ich im November 2011 besucht habe, hier Link zu zwei sehr aktiven, privaten französischen Fotographen bzw. Bloggern:
http://lignesdedefense.blogs.ouest-france.fr/archive/2011/11/17/sur-le-pont-alexandre-iii-ce-jeudi-au-passage-d-un-convoi.html
http://www.theatrum-belli.com/archive/2011/11/17/hommage-au-1cl-goran-franjkovic.html (kein Film, nur Bildsequenz)
Und wer den deutschen Austauschoffizier beim 2. Link im Hintergrund erkennt, hat ein besonders gutes Auge …
@ Thema: Öffentliche Ehrerweisung
auch die US-amerikanschen „Heeresflieger“-Kameraden hatten Verluste:
http://www.armyaircrews.com
Am 06.06.12 eine „Kiowa Crew „der 82th CAB
und
am 28.05.12 eine „Apache Crew“ der 12th CAB
http://a7.sphotos.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-snc6/252737_328104873930357_1550602588_n.jpg
PS:
Für die „Crew“ der 12th CAB findet am Dienstag den 12. Juni um 10 Uhr im Hanger 3 in Katterbach (bei Ansbach) eine Trauerfeier statt.
R.I.P.
@Mittendrin 41
Danke für die Links! Sehr beeindruckend.
Erinnert mich an (Royal) Wootton Basset in dem ja in den letzten Jahren vergleichbares passiert ist. Sehr stilvoll finde ich auch, den Dank von Elizabeth II an den Ort für seinen bewiesen Patriotismus :))
@Koffer:
Gern geschehen!
Danke ebenfalls für den Hinweis auf Royal Wootton Basset – da hatte ich noch nichts von gehört.
Ansonsten auch sehr patriotisch diese (wöchentliche) Aktion der „Bayshore Patriots“ in Tampa, Florida, bei der auch alle paar Monate die internationalen Verbinder beim CENTCOM zur Teilnahme eingeladen werden:
http://www.macdill.af.mil/shared/media/photodb/thumbnails160/080912-F-0323H-001.jpg
Als ich beim CENTCOM eine Zeitlang als LNO war, wurde u.a. das o.a. verlinkte Flagwaving an 09/11 durchgeführt. Anschliessend wurden wir in den „Local Veteran Post“ zu Bier und Essen eingeladen. Selten habe ich eine so tiefe und ehrliche Dankbarkeit dem aktiven Personal ggü. erfahren dürfen – das fing schon auf dem Flughafen in Tampa an, indem wildfremde Leute auf mich zukamen, mir die Hand schüttelten und sich für meinen aktiven Dienst bedankten. Ich fand es toll, aber wusste im ersten Moment gar nicht, was ich erwidern sollte. Ich kannte dieses nun so persönlich nicht, auch wenn ich schon öfters in den USA unterwegs war und wusste, dass zB in Freizeitparks „military families“ gerne bevorzugt behandelt werden.
Das ist das andere Extrem zu Deutschland.