Vor dem NATO-Gipfel: Ex-Amtsträger fordern Veränderungen in der Nuklearstrategie

Vor dem morgen beginnenden NATO-Gipfel in Chicago hat eine Reihe ehemaliger (europäischer) Minister und Amtsträger zu einer Neubesinnung im Bündnis aufgerufen und vor allem Veränderungen in der Nuklearpolitik der Allianz verlangt. Das Dokument des European Leadership Network wurde unter anderem vom ehemaligen deutschen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger und den beiden Ex-Militärs Klaus Naumann und Ulrich Weisser unterzeichnet, als einzige aktive deutsche Politikerin habe ich die SPD-Abgeordnete Uta Zapf entdeckt. Ebenso auch von Ex-NATO-Generalsekretär Javier Solana und mehreren früheren britischen Kabinettsmitgliedern. Allerdings gehen sie es unter pessimistischen Vorzeichen an: Das Treffen steht unter keinem guten Stern.

Wesentliche Aussagen aus der deutschen Fassung der Erklärung:

Das Strategische Konzept der NATO, beschlossen auf dem Gipfel 2010 in Lissabon, hat viele Fragen rund um die Nuklearstrategie – und politik der NATO offen gelassen. Deshalb haben die Verbündeten eine Überprüfung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs (Deterrence and Defence Posture Review) in Auftrag gegeben. Ergebnisse dieser Überprüfung sollen auf dem NATO-Gipfeltreffen in Chicago am 20.-21. Mai 2012 vorgelegt werden, aber das Treffen steht unter keinem guten Stern. Wahrscheinlich wird der Bericht keine Strategie beschreiben, die auf eine Änderung des Status quo hinausläuft.
Während gemeinsame Anstrengungen erforderlich wären, um die Bedeutung von Atomwaffen herabzusetzen, führt die geplante Modernisierung der in Europa stationierten US-Atomwaffen zwangsläufig zu einer Verbesserung der nuklearen Fähigkeiten der NATO auf dem Kontinent.
Unserer Meinung nach bietet die Überprüfung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs eine wichtige Gelegenheit, zu einer umfassenden, kohärenten und ausgewogenen Einschätzung darüber zu gelangen, welche Mischung von Fähigkeiten – nuklear, konventionell und/oder im Rahmen eines Raketenabwehrsystem – das Bündnis in den kommenden Jahren benötigt. Der Überprüfungsprozess bietet zudem die Möglichkeit, über die Zusammenhänge zwischen diesen Fähigkeiten nachzudenken und herauszuarbeiten, wie Rüstungskontrolle und Abrüstung zu einer Reduzierung atomarer  Risiken in Europa beitragen und das allgemeine Sicherheitsumfeld auf dem Kontinent verbessern können.
(…)
Vor diesem Hintergrund müssen die Staats- und Regierungschefs auf dem NATO- Gipfeltreffen:
• die in Lissabon eingegangene Verpflichtung, die Bedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen, unter anderem durch weitere Reduzierungen von Atomwaffenarsenalen, bestätigen und den Gipfel nutzen, um die Abrüstungsagenda konstruktiv voranzubringen.
• die nukleare Strategie der NATO so ändern, dass der fundamentale Zweck von Atomwaffen auf die Abschreckung von nuklearen Angriffen beschränkt und die Erklärungspolitik der Allianz damit in Einklang mit den Doktrinen jener Staaten gebracht wird, welche die wesentlichen nuklearen Fähigkeiten der Allianz bereitstellen.
• die umgehende Reduzierung der in Europa stationierten nicht-strategischen US-Atomwaffen um die Hälfte bekannt geben und beschließen, dass dies erreicht wird, indem in allen Stationierungsstaaten die Anzahl der dort vorhandenen Waffen halbiert wird. Dieser Schritt wäre ein konkreter Beitrag, um atomare Risiken zu mindern, ohne die symbolische Bedeutung der nuklearen US-Präsenz in Europa  zu schmälern oder das Prinzip der nuklearen Lasten- und Risikoteilung innerhalb des Bündnisses zu  untergraben.

Nun gibt es, glaube ich, begründete Zweifel, dass die Nachfolger der Unterzeichner in Chicago die nukleare Strategie der NATO ändern wollen…