Sicherheit für Afghanistan? Nicht so.
Eine sehr interessante Stimme in der kontroversen Debatte über den internationalen Einsatz in Afghanistan: Ein – westlicher – Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der für den Abzug der Truppen plädiert und dafür auch ein Beispiel aus der Provinz Faryab im (deutsch geführten) ISAF-Regionalkommando Nord anbietet:
I think Afghans do want the troops out. I hear it all the time. Yes, they want security, but the international military are not providing that. As an example: Faryab, of the five northern provinces, has the highest number of conflict-related internally displaced people at present: some 25,000, compared with 1200 in Balkh. The reason? Taliban moved into Faryab, and this caused some initial unrest, which quickly dissipated.
Then the US military moved in: drone attacks, night raids, ground assaults, and a heavy, overt presence in the main city, Maimana. That ratcheted everything up, and of course, as is well known, US policy is to tie aid spending to military activity.
So the aid budget for Faryab rose about 500 per cent, providing a clear incentive to keep the conflict alive. Are the Taliban innocent? No. But if the US had left them alone, they would have moved on, or settled down; in fact exactly that had started to happen, when Uncle Sam arrived in town.
Wie zur Untermauerung seiner Vorwürfe: heute gab es in Maimana (Meymaneh) einen Sprengstoffanschlag, bei dem unter anderem vier US-Soldaten ums Leben kamen. Die Aussage des Entwicklungshelfers ist sicherlich diskussionsbedürftig, aber auch diskussionswürdig, und diese Debatte dürfte schärfer werden: Sind die ISAF-Soldaten Teil des Problems oder Teil der Lösung? Oder, einen Schritt zuvor: Versprechen sie eine Sicherheit, die sie gar nicht bringen können? Oder wäre es ohne die internationale Truppenpräsenz schlimmer?
Sehr geehrter Herr Wiegold!
Eine exzellente Ansprechpartnerin für alle Fragen zu Afghanistan wäre für Sie und alle:
Frau Dr. Citha D. Maass
Senior Associate
Asia Division
Stiftung Wissenschaft und Politik
Berlin
Mit freundlichen Ostergrüßen
P. S.
Man hat es versäumt in Afghanistan die Macht des Opiums zu brechen, eine Landwirtschaft und Infrastruktur aufzubauen die dem Land angepasst ist, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und
die Herzen der Menschen zu gewinnen.
Statt dessen hat man Korruption gefördert, gebombt und zerstört und eigentlich nur Kolonialpolitik betrieben.
Indochina und Vietnam lassen grüßen !
Dazu passt auch der blöde Spruch:
„Deutschland wird am Hindukusch verteidigt.“
Dabei geht es um die menschen dort und nicht um Deutschlands Verteidigung.
Zitat: „Sind die ISAF-Soldaten Teil des Problems oder Teil der Lösung?“
Es scheint so, als würde hier der Krieg den Krieger ernähren, ähnlich wie in Afrika.
Der Spiegel Korrespodent Christoph Reuter in Khanabad berichtete am 05.12.2011 in seinem Artikel „Power Plays in Afghanistan – Laying the Groundwork for Civil war“ etwas ähnliches. Wie aus 28 Taliban in dem District 1500 Arbaki Milizionäre wurden, die vom afghanischen Geheimdienst NDS bezahlt wurden. Bei der Zahl von 1500 hörten die Zahlungen auf und mittlerweile kämpfen zwei Dutzend „Commander“ mit ihren Söldnern mit insgesamt 4000 Mann um die Vorherschaft in dem Gebiet.
Die offizielle Regierung tut nichts dagegen, im Gegenteil laut einer Aussage eines einheimischen Rechtsanwaltes profitieren die korrupten Regierungsmitglieder von dem Zustand. So halten die ausländischen Hilfszahlungen an..
Also der Krieg ernährt die Krieger und die ISAF kann nicht wirklich viel dagegen tun. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung neigt sich das Pendel des eingangs zitierten Satzes in die falsche Richtung – zum Teil des Problems.
PS: Nachdem hier der Altmeister Peter Scholl-Latour in Kommentaren meistens schlecht wegkommt, sei der Hinweis auf ihn erlaubt. In seinem 2007 erschienen Buch hat er die Situation schon vorausgesagt, dass die Afghanen nicht eher Ruhe geben werden, bis der letzte ausländische Soldat das Land verlassen hat. Unabhängig ob Paschtune, Usbeke oder Taliban.
Gegenseitige „Schuld-„zuweisungen sollen mich nicht leiten, aber drei Punkte will ich festgehalten wissen:
1. Als ISAF das Mandat bekam waren nicht einmal mehr die Ärzte ohne Grenzen (die letzte Hilfsorganisation, die AFG verließ, ja die letzte, nicht nur letzte westliche) im Land. Das sagt Kennern alles. Mit ISAF wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass Hilfsorganisationen wieder ins Land kamen, ja erst kommen konnten und wollten.
2. Es fehlte der vernetzte Ansatz von Anfang an, so blieb die Rede vom „nation building“ leere Hülse. Dennoch muss man bei „Abrechnungen“ auch quantifizieren: Rufen wir uns ins Gedächtnis wieviel ANA man bis wann seitens der ISAF aufgebaut haben wollte-es gilt zu resumieren: man ist fast im Plan. Nicht so bei Polizei, Justiz und so weiter. Fehler der ISAF? Nein.
3. PSL hatte es von Anfang an angemahnt: Bekommen die ANTI-ISAF Kräfte in Pakistan die Möglichkeit zur WIederaufstellung, dann werden sie diese nutzen. Und doch muss man konstatieren: es gibt nicht DIE Bewegung gegen ISAF, es gibt viele Gruppen, die sich behaupten werden wollen nach deren Abzug, nach deren Abzug. Und dann sollen sich ALLE überlegen wie lange sie dem dann möglicherweise wieder eintretenden CNN Effekt widerstehen.
Beim Thema „Sicherheit für die afghanische Bevölkerung“ ist die Politik leider Opfer der eigenen Propaganda geworden, denn mit der Formulierung sollte eigentlich nur das Ziel der Kontrolle von Räumen netter beschrieben werden. Der Slogan war jedoch so erfolgreich, dass er sich verselbstständigt hat, so dass kaum einer mehr nach dem ursprünglichen Ziel fragt.
Das Thema ist aus meiner Sicht nicht nur mit Blick auf AFG spannend.
Es stellt sich ganz allgemein die Frage:
Wie erfolgreich kann ein. „nation-building“-Prozess einschl. einer militärischen Komponente (StabOp bzw. COIN) überhaupt sein, wenn es gewaltbereite „Störer“ (spoiler) gibt?
Theorie und Empirie sind recht eindeutig negativ.
Diese Kernfrage wird jedoch gerade in Deutschland (Vernetzte Sicherheit, Neuausrichtung Bw) und in der NATO (comprehensive approach, COPD) nicht wirklich diskutiert, stattdessen benutzt man diese Vorstellungen und Konzepte zum bürokratischen Selbsterhalt.
In den USA ist man hier schon weiter (siehe COIN-Diskussion in Fachzeitschriften und Defense Strategic Guidance).
Hier zeigt sich eben auch wie wenig die militärischen Eliten ihr eigenes Metier (Gewaltandrohung und -anwendung zur Erreichung polit. Ziele) theoretisch durchdringen.
An der FüAk hat man für sowas halt keine Zeit (außer mal als Randthema im Wahlfach bei SPS oder SOW).
„Versprechen sie (die ISAF-Truppen) eine Sicherheit, die sie gar nicht bringen können? Oder wäre es ohne die internationale Truppenpräsenz schlimmer?“ Diese beiden Alternativen schließen sich nicht gegenseitig aus. Fatalerweise dürfte beides richtig sein: Ohne die Truppen wäre es wohl wirklich schlimmer und doch können die Militärs keine vollständige Lösung liefern. Memoria hat oben Kompetenteres zu den Gründen des Scheiterns gesagt als ich es könnte. Die ganze Diskussion erinnert mich an die plakativen Fehlschlüsse a la „Je mehr Feuerwehrleute am Brandort desto größer der Schaden“. Truppen können die Probleme nicht alleine lösen, sie müssen aber ein paar unverzichtbare Voraussetzungen liefern, damit wenigstens Chancen auf Lösungen entstehen. ISAF scheitert (soweit ich das jedenfalls von außen erkennen kann) nicht primär an den militärischen Schwächen sondern am unzureichenden politischen Konzept und der beschämend schlechten Umsetzung von der zivilen Seite her, gerade wenn ich an die deutschen Beiträge zum Aufbau der Polizei denke.
Grundsätzlich sind Verallgemeinerungen („beschämend schlechte Umsetzung auf der zivilen Seite“ hier problematisch. Ich glaube, jeder wird unterschreiben, dass es sowohl auf der militärischen, als auch auf der zivilen Seite verschiedenste Probleme und teilweise Lernprozesse gab und gibt. Auf militärischer Seite könnte man hier die einstige „German angst“ nennen, also die politische Vorgabe die Militärcamps nicht zu verlassen (zumindest nicht, wenn’s brenzlig wird). Der Polizeiaufbau (wie die allermeisten Teile der afghanischen Sicherheitssektorreform) wäre eventuell das zivile Equivalent.
Trotzdem kann ja niemand in Abrede stellen, dass gewisse Teile der Strategie(n) auch funktionieren, zum Teil sehr gut sogar. Ich denke in den letzten Jahren hat die Ausbildung der ANA deutliche Fortschritte erziehlt (klar, auch hier: nicht immer!). Als ziviles Pendant könnte man hier sicherlich substantielle Verbesserungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, financial management und in Teilen Capacity Building in verschiedenen Ministerien nennen. Ich denke es ist wichtig, dass man hier wirklich mal auf die Mikroebene guckt und daran Verbesserungen fest macht.
Klar ist aber auch, dass „tactical success“ zu „strategic losses“ führen kann. Ich bin daher dankbar, dass oben bereits ein paar grundsätzliche Schlüsse gezogen wurden. Die Idee des Nationbuilding funktioniert doch schon theoretisch nur in einer idealisierten Welt: Donor coordination meint doch nichts anderes als „gemeinsam an einem Strang zu ziehen“. Das funktioniert aber nicht bei sich teilweise diametral entgegenstehenden Ansätzen. Überspitzt wäre das im Militärischen das Brunnenbohren der einen vs. den Night Raids der anderen. Auf der anderen Seite wäre da der IKRK-Ansatz (Impartialiy!) vs. dem COIN-Ansatz von aid als Belohnung für Ruhe und Stabilität. Die große Frage ist doch dann, wie man damit umgeht. Dass der derzeitig gewählte Ansatz (in Afghanistan) nicht so recht funktioniert wird deutlich, aber wie dann? Abzug, wie im Artikel diskutiert, ist sicherlich eine Möglichkeit. Was sind die Kosten wäre eine zu beantwortende Frage. Downscaling? Danach sieht’s ja derzeit aus.
Ganz persönlich glaube ich, dass Afghanistan etwas weniger mediale Präsenz und etwas mehr mit beiden Füßen auf dem Boden gut tut. Dafür braucht es aber auch ein Mindestmaß an Stabilität. Wer diese Stabilität letztenendes herstellt ist danach zweitrangig.