Kein Aprilscherz: G36 (2)
Als ich Anfang April über Probleme mit dem Sturmgewehr G36 berichtete, bekam ich hier (und bis heute aus der Truppe) zu hören, da hätte ich mir wohl einen Aprilscherz erlaubt. Zur Info deshalb der Hinweis auf die Bild-Zeitung. Die meldet heute (auch auf der Webseite) unter der Überschrift Versagt das deutsche Sturm-Gewehr im Kampfeinsatz? über weitere interne Berichte von Bundeswehr und Verteidigungsministerium. Zitat:
In einer internen Vorlage an den Verteidigungsminister heißt es: „Alle bisher untersuchten G36 zeigen im heiß geschossenen Zustand eine Veränderung des mittleren Treffpunkts, dass ein Gegner in einer Entfernung von 200 Metern nicht mehr sicher bekämpft werden kann.“
Das stelle aus militärischer Sicht einen erheblichen Mangel dar, zitiert das Blatt aus der Vorlage an Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Allerdings verweist auch Bild auf die hier schon bekannte (und diskutierte) Stellungnahme von Heckler&Koch.
(Ich verlinke aus den bekannten Gründen nicht.)
Patrouille in Fayzabad mit G36 und MG4. (Foto: Bundeswehr/Kazda via flickr unter CC-Lizenz BY-ND)
Die interne Vorlage wäre ehrlicher wenn sie feststellen würde das alle dem G36 äquivalenten Waffen (in Gewicht, Treffsicherheit, Fehleranfälligkeit etc) genau das gleiche Problem haben.
Jedes Waffensystem ist eben eine Summe von Kompromissen.
Jetzt die Frage: Qui bono? Wer führt diese anti-G36 Kampagne? Will da jemand etwas neues verkaufen?
@b
auch bei Waffen mit dem Kaliber 7,62mm!
@ b „…Will da jemand etwas neues verkaufen…“
Krieg ist auch nur ein Geschäft, besonders für Rüstungsfirmen wie H&K
Bei H&K schreibt man seine Erklärungen aber auch eher mit heißer Feder und nicht mit kühlen Kopf. Stellenweise doch sehr martialisch formuliert, wenn auch in der Sache weitgehend richtig. ;-)
Nachdem ich mal einen Blick auf die Art der durchgeführten Versuche hatte, stellt sich für mich die Frage nach der Sinnhaftigkeit! Die Art des Test ist in meinen Augen sehr nah an einem Torture Test. Wenn ich schon lese, das man in weniger als einer viertel Stunde mehr als die gesamte Kampfbeladng eines Infanteriesten verschießt, sind in meinen Augen Zweifel angebracht! Was für eine Situation soll damit abgebildet werden? Was will man damit testen? Das konnte mir bisher noch keiner beantworten!
Hier werden (von Einzelergebnissen die echt etwas zu krass sind) Probleme generiert, die keine sind! Zumal es bisher meines Wissens nach auch keine AAR’s oder Kontingentberichte gibt, die eine solche „Schwäche“ beschreiben.
@ Jester
diese Berichte werden nur einen sehr kleinem Kreis vorliegen die der Normalsterbliche Soldat und/oder Bundesbürger niemal zu Gesicht bekommt
Das keine Beschwerden aus der Truppe kommen wunder mich nicht. Ein Freund von mir der schon mehrfach in Afganistan war sagte es treffend „Wer hat schon Zeit in einem Gefecht eine genaue Trefferauswertung zu machen.“
Was viel häufiger bemängelt wird ist das man mit G36 durch keine Deckung durch kommt und man den Gegner dann so lange Festnageln muss bis der kleine Freund mit der 20mm Kanone da ist.
Dem aufmerksamen Betrachter dürfte auffallen, dass es sich auf dem Foto NICHT um ein G36, sondern um ein MG4 handelt. Da alle Kritik sich derzeit auf das G36 (in den verschiedenen Modifikationen und Varianten) konzentriert, halte ich dieses Bild für nicht geeignet und irreführend. Da war ich bisher andere Qualitätsstandards von diesem Blog gewöhnt.
Der ganze Vorgang bleibt für mich wenig nachvollziehbar. Folgende drei Punkte führen mich dazu:
1. Die Truppe im Einsatz hat keinen solchen Mangel gemeldet. Was im Einsatz viel mehr auffiel, war, dass die Waffen in der Originalfarbe bei Sonneneinstrahlung nur mit Handschuhen zu bedienen sind und sie bei 40°C natürlich schnell heißgeschossen werden. Das dies für Kunststoffteile nicht gut sein kann, sollte jedem klar sein. Aber auch das ist kein Konstruktionsfehler an der Waffe.
2. Selbst in der Annahme, die Waffen veränderten ihren mittleren Treffpunkt nach erheblicher Schussbelastung – so what? Wenn ein normales G36 im Einsatz angeschossen wurde und der Soldat es anschließend zwei Wochen auf Patrouille mitnimmt, wird die Justierung auch etwas darunter leiden. Deshalb muss auch im Gefecht der Soldat die Schussbeobachtung durchführen und seinen Haltepunkt korrigieren. Das ist Teil der Schießausbildung bei der Infanterie.
3. Wenn den das G36 tatsächlich dieses Problem hätte, so kann ich verstehen, dass argumentiert wird, im Einsatz kann kaum eine Trefferauswertung erfolgen. Wo dieses Problem aber schon lange hätte auftreten und erkannt werden müssen, wäre der Close Quarters Battle Lehrgang oder der Schießlehrgang Erweiterte Grundbefähigung.
Da wird in einem Umfang ausgwertet geschossen, dass Verschleiß und Ausfälle an Waffen merklich sind. Veränderungen im Treffverhalten hätten auffallen müssen.
Da mir solche Auffälligkeiten nicht bekannt sind, muss ich auch davon ausgehen, dass hier andere Interessen als die Ausstattung der Truppe mit effektiven Waffen hinter den Presselancierungen stehen. So ein internes Dokument VS-NfD findet seinen Weg ja auch nicht zufällig in die BILD-Redaktion…
@ M: Keine Sorge! Ich weiß sehr genau, wem solche Berichte zugänglich sind. Ich bleibe bei der Aussage.
@ DoBra: Das mit der Penetrationsleistung ist aber kein originäres Problem des G36. Sondern ein Kaliber-bedingtes? Schon die Aussage, das man mit 20mm arbeiten müsste, zeigt ja das das ein generelles Problem von HaWa ist. Und davon abgesehen reißt es eine 20mm meist auch nicht einfach so. Da wird ja vielfach so gearbeitet, das man mit AP eine „Bresche“ schießt und dann mit HE in der Tiefe wirkt. Es wird aber kaum eine querschnittliche Lösung für deckungsbrechende Wirkung für die Infanterie geben können. Sowas sind einfach unrealistische Forderungen die einfach nur taktische wie technische Unwissenheit enthüllen. Und auch die reflexhafte Forderung „gebt uns das G3 zurück“ ist da sehr entlarvend.
@ cynic2: zum Top 3. Trefferbeobachtung im Gefecht und auf dem CQB C sind zwei völlig verschiedene Dinge!
@Jester:
Warum ist das Unrealistisch? Rambo schiesst doch auch ohne Magazinwechsel geschätze 4500 Projektile ab ;-)
Ernsthat, ich kann mich der Meinung nur zu 100% anschliessen!
@T.W.:
Warum wird eigentlich ein Artikel über das G36 mit einem Bild eines MG4 illustriert? ;-)
@ Patrik: Rambo ist ein Amateur! Sean „Topper“ Harley hat vorgemacht, wie es richtig geht!
Ok Ernst beiseite. Die großen Magazine sind in den Depot’s eingelagert und werden dann im V Fall ausgegeben.
Gut, genug rumgeblödelt…..
Und wie sieht´s beim Gegenüber aus?
Behält die russische Feinmechanik in der Hitze des Gefechts ihren mittleren Treffpunkt?
Welches Kaliber steht denn gegenüber?
7,62x39mm, 5,45x39mm oder 5,45x45mm je nach Bauart.
Schütze vielleicht hinter Lehmmauer in Deckung mit Schutzbekleidung in Form von Sandalen und Leinengewändern mit Baumwollkopftuch und dem weltweit am meisten verbreiteten Infantry Fighting Vehicle für die taktische Mobilität und eventueller Feuerunterstützung mit sMG, der Toyota Pickup!
Hier geschützte und bewaffnete Fzg mit aramidbewehrten Soldaten.
Man kann wirklich alles schlecht schreiben.
Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.
Denn diese lassen sich gut verkaufen.
Gleiches gilt meines Erachtens für den NH-90.
Das die 4 Entwicklernationen den abnehmen ist klar, aber warum denn auch noch bisher 10 andere Nationen? Machen die das auch über das BWB???
Oder ist der Heli vielleicht doch nicht so ganz schlecht???
Bin weder beim Gewehr noch beim Drehflügler Experte, aber ist „ganz i.O.“ nicht ausreichend oder ist es nur i.O. wenn es die Goldrandlösung mit diamantbestickter Platinverzierung ist???
@ Jester: Mein Beitrag sollte auch nur unterstreichen das man in der Truppe eher andere Probleme bemerkt als Schußabweichungen durch überhitze Waffen.
Als ehemailiger Mariner durfte ich beide Waffen kennenlernen, aber zum Glück nie in er Kampfsituation, daher beruhen meine Aussagen auf Bemerkungen von Kameraden die in Afganistan waren. Von denen hieß es immer wieder wenn der Gegner hinter Lehmmauer sitzt, kannst Du ihn dort nur solange festnageln bist was wirkungsvolleres da ist.
Ob dies wirklich so ist kann ich auf Grund von magelnden Erfahrungswerten nicht sagen, aber ich nehme das erst mal als gegeben hin solange ich nix anderes höre.
Und wie gesagt bei der Marine schießen wir selten mit so was kleinem. ;)
@Patrick
Echt? Komisch, die Tags der Bw-Flickr-Seite sagen G36…
Kommt mir das nur so vor, oder kann eine solche Diskussion nur in Deutschland geführt werden?!
Ich finde es bitter, dass sich die Medien auf ein solches Thema stürzen, anstatt sich mit sinnvolleren (militärischen) Sachen zu beschäftigen.
@T.Wiegold:
Der Handschutz vorne ist eindeutig vom MG4… ;)
Durch Deckungen käme man höchstens mit ner Panzerfaust. Leider haben die deutschen Soldaten aber nur die sperrige Panzerfaust 3, da ist nach 1-2 Schuss mit dieser Riesenpatrone Schluß. Die Aufständischen hingegen haben die wiederladbare RPG-7, für die jeder 3-4 Schuss problemlos mitschleppen kann. Hier sollte man mal nachbessern. Im Zweifelsfall die alte Carl Gustav wieder aus den Lagern holen und sich neue Munition dafür in Schweden kaufen, so wie es die US-Army seit geraumer Zeit vormacht. Dann muss man auch nicht endlos warten bis „Wirkmittel 90“ in zig Jahren mal einsatzfähig ist. Man sollte in Deutschland endlich aufhören nur omnipotente Goldrandlösungen zu suchen und stattdessen das was benötigt wird und „gut genug“ ist schnell an die Soldaten verteilen.
Ehe es nur noch um das falsche Bild geht: Ich habe das Foto jetzt ausgetauscht (und merke mal am Rande an, dass das zuvor gezeigte Bild auf der flickr-Seite der Bundeswehr mit G36 getagged ist. Dabei dachte ich, die hätten mehr Ahnung als ich.)
http://blogs.ottawacitizen.com/2012/01/09/u-s-army-starts-using-carl-gustaf-in-afghanistan/
Die Bundeswehr benutzt die Carl-Gustav auch, allerdings nur zur Gefechtsfeldbeleuchtung. Scheinbar ist den „Genies“ in der deutschen Führungsebene noch nicht aufgefallen, welchen Nutzen dieses alte Rohr mit all den neuartigen Munitionssorten in Afghanistan hätte.
https://en.wikipedia.org/wiki/Carl_Gustav_recoilless_rifle#Ammunition
Da wartet man doch lieber noch ein paar Jahre, bis deutsche Firmen irgend so ein 1200 m Raketending entwickeln, das aber leider auch gigantische Patronen haben wird, im Vergleich zur guten alten Carl G.
@TheDude
Da gibt es noch die Miniaturvariante für den Hausgebrauch: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Bundesarchiv_Bild_101I-698-0038-25A,_Russland,_Waffenvorf%C3%BChrung.jpg&filetimestamp=20081209141338
Und ewig grüßt das Murmeltier… äh… die Lehmmauer. Ein Blick in die ZDv 3/11 genügt (u.a. bei Deckung gegen Beschuß) um zu erkennen, dass ein Sturmgewehr egal ob in 5,56 oder 7,62 keine Lehmmauern durchdringen soll und kann.
Nach langem hin und her hat man sich ja nun zur ESB-Beschaffung der ASM durchgerungen.
Man sollte stets das gesamte ‚Klavier“ auf der jeweiligen Ebene (organische Bewaffnung Grp, Zg, Kp + STF) betrachten.
Aber das gelingt ja nicht mal den damit hauptamtlichen Betrauten (siehe 60mm-Mörserdiskussion)…
Mal zur Illustration:
Das unterste Geschoss ist die Anti-Personen-Munition der RPG-7, mit ziemlich tödlicher Splitterwirkung. Davon kann man locker 6-7 Stück (oder mehr, wenn man ein kräftiger Kerl ist) in den Rucksack packen und dem Gegner ordentlich einheizen. (Sofern man ein halbwegs fähiger Schütze ist, was die meisten Aufständischen zum Glück nicht sind ^^)
http://garr1971.deviantart.com/art/RPG-7V2-grenade-launcher-8-167961858?q=favby%3Adan-s-t%2F39092988&qo=17
Und nun, schauen wir mal was deutsche Soldaten rumschleppen müssen:
https://secure.flickr.com/photos/battle14/4600218335/
Das GANZE Rohr ist eine Patrone der Panzerfaust 3 ! Sprich, mit Müh und Not schleppt ein Soldat da EINEN ganzen Schuss mit sich herum. Wurde entwickelt, um schwere Panzer zu knacken. Dafür ist sie auch gut. Aber nicht für Afghanistan!
Die im Zulauf befindliche RGW-90 oder ASM ist zwar etwas leichter als Panzerfaust 3, sicherlich auch wirkungsvoller als eine RPG gegen Gebäude etc., aber mehr als 2 Schuss davon kann auch kein Soldat mitführen…. aber wird halt von Dynamit-Nobel gebaut, Haus – und Hof Lieferant der Bundeswehr, genau wie Heckler & Koch….
Wenn der Schuss nicht sitzt, feuert der Taliban munter weiter mit der RPG, denn sein Rucksack ist ja noch gut gefüllt….
@ McKenzie: Die Vergleichstests der WTD wurden mit M16 A 2 geschossen. Die hat nicht gestreut.
Bei all der Infragestellung der Einsatzrelevanz der Versuche erscheint es doch unstrittig, dass ein Sturmgewehr, das bereits nach etwa 100 Schuß relevante Streuungen aufweist, ein Problem darstellt. In einem TIC sind die schnell verschossen. Da MG Mangelware sind, deutsche Mörser nicht mehr eingesetzt und CAS nicht sofort verfügbar ist, bekommt das Sturmgewehr im Einsatz eine Relevanz, die es eigentlich nicht haben dürfte.
Wieso verbaut man einen Kunststoff, der bereits bei 23 °C an Steifigkeit verliert? Und wieso braucht die Bw Jahre bis man sich ernsthaft mit der Thematik befasst? Die Handschutzproblematik ist doch mindestens seit 2009 bekannt.
@ Jester
Ja, das weiß ich. Ich habe auch nichts gegenteiliges behauptet. Das im Gefecht keine genaue Trefferbeobachtung durchgeführt werden kann, die eine Abweichung des mittleren Treffpunktes ermittelt, ist mir bewusst und unbestritten.
Bei den genannten Schießlehrgängen wird aber in einem deutlich größeren Umfang geschossen, als in den meisten Gefechten und auf diesen Lehrgängen findet eine Trefferbeobachtung und Auswertung statt, die dieses Verhalten schon lange hätte erfassen müssen, wenn es das denn wirklich gäbe.
@OG_Schulze: Weil die Führung die Nörgeleien der einfachen Soldaten sowieso nie zu Ohren bekommt. Und wenn doch, wird es bagatellisiert à la: Die sollen sich mal nicht so anstellen.
Dazu kommt offenbar ein in der Bundeswehr weit verbreitetes Unverständnis für die Notwendigkeiten des Gefechts. Das erkläre ich mir zum Teil mit der quasi nicht vorhandenen Phantasie und mangelnden Motivation der Karrieristen in der Führung, die haben halt andere Sorgen. Was für den Kampf gebraucht wird, lässt man sich lieber von Lobbyisten der Rüstungsindustrie erklären, die sich möglicherweise auch mal für die Aufmerksamkeit in besonderer Weise erkenntlich zeigen….
Reagiert wird, wenn überhaupt, nur wenn der Druck keine andere Wahl mehr lässt, also wenn die Medien lautstark über Mängel berichten.
Die Mängel zu beheben oder gar neue Gewehre zu beschaffen, wäre 1. ein Eingeständnis von Fehlern und 2. würde es ziemlich viel Geld kosten. Hier muss man dann die Verantwortlichen in der Bundeswehr zumindest etwas in Schutz nehmen: Wo kein Geld da ist, kann auch nichts beschafft werden.
ist schon bitter, dass alle strategischen Kosten-Nutzen-Analysen der bewaffneten, internationalen Konflikte der letzten 20 Jahre das selbe Ergebnis haben: Classical Armies are not fit, but too expensive for the purpose.
Und gegen diese Analyse versucht eben der internationale LSK-MIK mit allen Mitteln anzukämpfen. Und wenn man als BLÖD-Zeitung damit die Auflage stützen kann…prima
@The Dude: Am Geld kann es ja nicht mangeln. Das Bekenntnis im Koalitionsvertrag („Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr brauchen für ihren gefährlichen Auftrag bis hin zum Gefecht die bestmögliche Ausrüstung.“ ) kann ja unbedingter kaum sein ;-)
Ich stimme ihnen zu. Das Problem ist, dass unterhalb der Ebene OTL i.G. keine relevanten Vorlagen geschrieben werden. Die Generation der Offiziere, die bspw. als Zugführer realistische operative Erfahrungen gemacht haben, wachsen erst in zwei-fünf Jahren in diese Dienstposten hinein.
Uff ich dachte wir hätten das Thema durchgekaut. Ein paar Dinge dazu die man wissen sollte:
– Das G36 ist ein indirekter Gasdrucklader im Gegensatz zu direkten Gasdruckladern wie dem M4 der US Armee. Der Vorteil besteht darin, das die heißen Gase nicht wieder zurück in die bewegendenden Teile der Waffe gelenkt werden und somit das System kaum heiß wird. Dadurch wurde es erst möglich ein Polymergehäuse zu verwenden, welches das Gewicht der Waffe reduziert. Das Rohr erhitzt sich jedoch wie bei jeder anderen Waffe.
-HK hat in seiner Pressemeldung klar gemacht, das die Trefferpunktlage bei jedem heiß geschossenem Rohr wandert. Bei dieser Aussage ist man jedoch einem Fehler unterlegen bzgl. der Systemgrenze. Die Frage ist nämlich nicht ob bei einem heiß geschossenem Rohr die Trefferpunktlage anfängt zu schwimmen, sondern ob das G36 durch sein Polymergehäuse hier ein zusätzliches Problem hat, da das freischwingende Rohr am Patronenlager aufgehängt ist und dieses wiederum irgendwo im Polymergehäuse aufgehängt sein muss. Besteht hier also durch die Verwendung von Polymer ein zusätzliches „Problem“?
Diese Frage wird schon seit vielen Jahren diskutiert (ich habe z.b das Video von Larry Vickers verlinkt, welcher darauf zu sprechen kommt.)
Leider hat HK hier nie durch Testreihen für Klarheit gesorgt und ist deshalb mitschuldig an der immerwieder gestellten Frage. Dabei hat HK hier nichts zu verlieren. Für den Fall dass das G36 nicht überdurchschnittlich an diesem Problem leidet, kann man sagen dass man es nun bewiesen hat. Für den Fall dass das G36 hier tatsächlich ein „Problem“ hat, kann man das direkt als Verkaufargument für die Hausinternen AR15/10 Systeme nehmen, die man gerade an das USMC für die Rolle Unterstützungswaffe (in der Rolle leichtes MG wo größere Schusszahlen zu erwarten sind) verkauft hat.
-Als die BW das G36 in den 90er Jahren gekauft hatte, war die Welt der Infanteriewaffen noch ein völlig andere. Das Standardgewehr sollte leicht zu bedienen sein, der Ausbildungsaufwand sollte gering sein, die Waffe sollte leicht zu transportieren sein usw…
HK hat mit dem G36 alle Anforderungen der BW erfüllt, welche die BW damals als zweckmässig erachtete.
Inzwischen fast 20 Jahre später hat sich die Rolle der Infanterie völlig geändert und durch die Einsätze in Afg. und Irak hat der Infanterist einen Quantensprung in der Entwicklung hingelegt. Picatinny rails, komplizierte Optiken für verschiedene Szenarien, verstellbare Gassysteme für Schalldämpferbetrieb etc.. hat es in den 90er Jahren nicht gegeben und es war nicht abzusehen das sich Waffen in diese Richtung entwickeln würden.
Also hat weder die BW noch HK Mist gebaut, die Welt hat sich einfach verändert und durch gemachte Erfahrungen werden andere Anforderungen an Waffen gestellt als in den 90er Jahren.
Die gesamte Diskussion soll also nicht so verstanden werden, das man jemanden einen Fehler anhängen möchte.
Es geht darum welchen Einfluss die Erfahrungen in Afg. und Irak auf das Desgin von zukünftigen Waffen haben. HK sollte als führender Hersteller von Handwaffen hier das größte Interesse daran haben.
Es wäre also interessant zu erfahren ob man in der BW gerade feststellt, das heutige Infanteriegefechte eine weit größere Schussanzahl in kurzem Zeitraum erfordern und die jetzigen Waffen diese Anforderungen nicht mehr erfüllen können. In diesem Fall darf sich HK auf einen fetten Auftrag freuen und ist sicher nicht Verlierer einer solchen Debatte.
@ Bang 50
Richtig. Die Zeiten der möglichst leichtgewichtigen Mehrzweckwaffe sind vorüber, Kompromisse werden zur Last. Es gibt bereits einige Ansätze, die mal besser, mal schlechter, umsetzbar wären, nur braucht das Zeit. Die ewige Kaliberdiskussion sei noch dadurch ergänzt, dass 7,62 auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Nur ist eben eine Umstellung in dem Bereich eventuell ein Nato-Problem.
Der Trend geht zur weiteren Individualisierung der Gruppenbewaffnung, da bei den momentanen Einsätzen selbst kleinste Einheiten ein großes Spektrum aufweisen müssen.
HK hat mit dem 416 ja ein recht beliebtes Modell hervorgebracht. In einem Zwischenkaliber wäre das mit Sicherheit nah am relativen Optimum als Standardwaffe (eine Umstellungsproblematik mal außen vor gelassen), wenn denn die angeblichen Hitzewerte hier nicht problematisch sind ^^
@ Bang 50
Völlig richtig, das G36 ist eine Waffe die aus dem kalten Krieg bzw. den friedenserhaltenden Einsätzen der 90er entstanden ist. Man vergleiche nur die Kampfbeladung eines deutschen Infanteristen in Munster Süd 1983, in Somalia 1993, in Afghanistan 2003 und heute. Versucht mal, an das Koppeltragegestell (mit dem auch heute noch der Großteil der Ausbildung stattfindet) den Munitionsansatz für ein Patrouille in der Provinz Kunduz unterzubringen.
Damals waren stundenlange Feuergefechte im Zug/Patrouillenrahmen bei 40°C einfach nicht machbar, und unter den gegebenen Bedingungen muss ich sagen das unser G36 ein sehr gutes Gewehr ist.
Vergleicht es mal mit den zur selben Zeit entwickelten oder aktuellen Ordonanzgewehren (komme mir also auch keiner mit SCAR, HK417 etc.) anderer Nationen, wie M16A2 -A4, FAMAS G2, L85A1 usw…..
@Stephan:
„OG_Schulze | 25. April 2012 – 17:20
@ McKenzie: Die Vergleichstests der WTD wurden mit M16 A 2 geschossen. Die hat nicht gestreut.“
Vergleich erfolgt ^^
Das Ganze hat tatsächlich ein bischen die Anmutung eines geschickt lancierten Deals für H&K…. aber ich will mal nicht allzu verschwörungstheoretisch daherkommen ^^
@Niklas
Uff Kaliberdiskussion. Ich habe sie schon oft geführt und auch schon oft wiederlegen müssen warum ein Mittelkaliber eben nicht das Optimum ist, wenn man von der „one size fits all“ Mentailität weg geht.
Jedes Kaliber ist gleich gut bzw. gleich schlecht, wenn man es dem Anwendungsgebiet entsprechend einsetzt oder eben nicht.
In der Realität machen wir gerade die Erfahrung das wir z.t in Städten kämpfen und mit 5,56mm ganz zufrieden sind oder in Afg über große Schußdistanzen kämpfen die auch ein Mittelkaliber an seine Grenzen bringt.
Interessant ist dieser Aspekt nicht nur für die Bewaffnung, sondern auch für die Ausbildung von Soldaten.
Beherrscht werden muss heute alles von 0 – 600m, für Scharfschützen noch zusätzlich über die 1500m hinaus. Das erfordert sehr viel Ausbildung, Zeit und Geld – Wir haben uns also in den letzten paar hundert Jahren vom Linieninfanterist zum Waffensystem Infanterist entwickelt, welches kaum günstiger ist als high tech Großgerät.
@Stephan
Das ist ein Punkt der oft vergessen wird. Andere Armeen hatten mit ihren Waffen z.t wesentlich mehr Pech, die britische L85 war viele Jahre eine kleine Zicke und wollte manchmal nicht das Magazin fest halten, das amerikanische AR15 System hatte lange Zeit Probleme mit zu schwachen Magazinfedern usw.
Da haben wir mit einer Waffe die in den meisten Situationen das tut was sie soll, Glück gehabt.
bzgl. G36 sollte man vielleicht auch sagen das andere Dinge bei dieser Waffe aus heutiger Sicht wesentlich gravierender sind. z.b ist die recht hohe Visierlinie bei den heutigen Anbauoptiken über picannty rail nicht unbedingt optimal. Montiert man noch ein Nachtsicht- oder Wärmebildgerät, bekommt das G36 einen sehr hohen Schwerpunkt und die Waffe fühlt sich dann ziemlich kippelig an. Wahrscheinlich auch ein Grund warum man das NSA80 nie so wirklich zu lieben gelernt hat. Beim IDZ2 hat man versucht dieses Problem zu lösen, in dem man eine sehr tiefe picannty rail verbaut. Dadurch wurde es aber wieder schwieriger den Spannhebel zu erreichen.
Generell ist man von dem Konzept Optik über Tragegriff bzw. Spannhebel weg gekommen. Die Amerikaner haben dieses Prinzip in ihrem M16 zu Gunsten der flachen picannty rail direkt am Gehäuse (M4) aufgegeben. Durch die direkt eingefräste Passung, bekommt man auch eine wesentlich bessere Wiederholgenauigkeit wenn man die Optiken wechselt.