Veteranenschicksal.

Wäre er Maurer geworden, hätte sich Robert Sedlatzek-Müller besser gestanden. Mit Verblüffung musste er feststellen, wie es einem Bekannten erging, der bei der Arbeit auf der Baustelle verunglückte: Erst mal bestmögliche klinische Versorgung, und als sich herausstellte, dass das Gerüst schadhaft war, gab es Unfallentschädigung und eine Reha-Maßnahme.

Doch Sedlatzek-Müller wurde nicht Bauarbeiter, sondern Soldat, Fallschirmjäger bei der Bundeswehr. Im Frühjahr 2002 wurde er schwer verletzt, als Kameraden in Kabul eine russische SA3-Rakete auseinander bauen wollten und der Sprengstoff explodierte. Eine Untersuchungskommission kam im gleichen Jahr zu dem Ergebnis*, dass das Unglück durch grobe Fehler beim Umgang mit dem Geschoss verursacht wurde. Sedlatzek-Müller wurde nicht nur physisch verletzt, sondern auch seelisch. Und leidet unter den Folgen bis heute.

Seitdem kämpft der Ex-Hundeführer – nicht gegen einen militärischen Gegner, sondern gegen eine Bürokratie, die einen im Einsatz schwer getroffenen Soldaten nach Paragraphen und Verordnungen abfertigt. Die für die besondere Situation eines Mannes wenig Verständnis aufbringt, der sich in die Zwänge eines militärischen Systems eingeordnet hat, aber nach Jahren des Friedensbetriebs de facto als Kriegsversehrter (wenn auch in diesem Fall nicht nach einem Gefecht oder einem Anschlag) nach Hause kommt. Und plötzlich Ansprüche hat an Betreuung, Versorgung, Anerkennung – aber durch den Rost eines Systems fällt, das offensichtlich auf so etwas wie einen verwundeten oder verletzten Soldaten nicht eingestellt ist. (Dass sein Diensthund, zu dem er eine emotionale Beziehung aufgebaut hat, später als Verbrauchsmaterial ausgesondert wird, ist nur ein Randaspekt. Aber ein bezeichnender.)

Die Geschichte von Robert Sedlatzek-Müller ist in den vergangenen Jahren in verschiedenen Medien mehrfach erzählt worden. Jetzt spricht er selbst: In seinem Buch Soldatenglück – Mein Leben nach dem Überleben (Edel, Hamburg) erzählt er die ganze lange Geschichte. Von seinen ersten Tagen als Soldat, von der Ausbildung zum Fallschirmjäger und Hundeführer, von dem Unglück in Kabul. Und von seinem Kampf, der danach erst richtig los ging.

Sedlatzek-Müllers Geschichte, das ist das Schlimme, ist noch nicht mal einzigartig. Wie er haben sich etliche seiner Kameraden anhören müssen, dass ihre Post-Traumatische Belastungsstörung (PTBS) nicht durch ein schlimmes Erlebnis im Einsatz ausgelöst wurde, sondern wohl eine Folge von Kindheitsschädigung sei. Wie er haben etliche aus der Politik die Zusage bekommen, dass alles für die Soldaten getan werde, um dann doch nur von der zuständigen Behörde Ablehnungsbescheide zu kassieren – bei Anträgen auf finanzielle Unterstützung oder sogar beim behindertengerechten Umbau von Auto oder Wohnung.

Das alles trifft Menschen, die sich bewusst für diesen gefährlichen Beruf entschieden haben:

Solange Menschen Kriege gegeneinander führen und nicht wie in einem Science-Fiction-Film Maschinen an deren Stelle treten, wird es es zu Tod und schwerer körperlicher und seelischer Verwundung kommen. Dass ein einzelner Mensch, der bereit ist, sein Leben in die Waagschale zu werfen, die Geschichte entscheidend zu beeinflussen imstande ist, ist ein altes Phänomen, das es längst vor dem Begriff der asymmetrischen Kriegsführung gab. Die orientalischen Assasinen des Mitelalters sind wie die Selbstmordattentäter von heute extreme Beispiele für Opferbereitschaft. Um solchen Menschen entwas entgegensetzen zu können, die unsere Werte und Gesellschaftsstrukturen gefährden und radikal umstürzen wollen, braucht man Fußsoldaten mit hoher Risikobereitschaft. Sie sind es, die die Lage vor Ort beruteilen und die ihnen übertragenene Aufgabe präzise erledigen sollen. (…) Sie sind bereit, ihr Leben im direkten Feindkontakt einzusetzen.  (…) Mir ist es daher wichtig, diejenigen, die mich stellvertretend für sie in den Krieg ziehen lassen, an ihre Verantwortung zu erinnern.

Die Verantwortung, daran lässt der Autor keinen Zweifel, haben sie aus seiner Sicht nicht wahrgenommen.

Sedlatzek-Müllers Buch sollte Pflichtlektüre für die werden, die als Politiker immer wieder Anerkennung für den Einsatz deutscher Soldaten anmahnen. Und für die Beamten, die sich mit der Verwaltung von Folgen deutschen militärischen Engagements auseinandersetzen müssen. Dass Menschen, die von diesem Staat in eine Gefahr geschickt werden, im schlimmsten Fall Anrecht auf jede Unterstützung haben, ist vielleicht wichtiger als die Frage, ob man die Teilnehmer an Auslandseinsätzen der Bundeswehr als Veteranen bezeichnen und würdigen sollte.

Sicherlich hat sich in den vergangenen Jahren einiges zum Besseren gewendet, das gibt auch der Autor zu, wenn er auf das – vom Parlament erzwungene – Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz verweist. Aber erst vergangene Woche (so viel darf man wohl erzählen, ohne die Vertraulichkeit zu verletzen) musste Sedlatzek-Müller auf seiner Facebook-Seite melden: Möchte jetzt wissen, warum meine zerfetzten Trommelfelle, überdurchschnittlich lauter Tinnitus und bleibende Hörminderung , von der Bundeswehr mit 0 % Grad der Schädigung, bemessen werden. Auch zehn Jahre nach dem Unglück ist sein Kampf noch nicht vorbei.

Für die Berliner: Das Buch Soldatenglück wird am (heutigen) Mittwoch um 20 Uhr mit einer Lesung in der Buchhandlung Saavedra, Breite Straße 2A in Berlin-Pankow, vorgestellt. Ansonsten gibt es dasüber jede Buchhandlung (und deswegen gibt es hier auch keinen Link zu dem großen Online-Versender).

* Dieser Link ist zwar eigentlich nicht im Einklang mit meiner derzeitigen Link-Policy; da ich aber die verlinkte Meldung selbst geschrieben habe, nehme ich mir das Recht, mich sozusagen selbst zu zitieren.