Nach dem Kandahar-Massaker: US-Streitkräfte untersuchen Lariam-Gebrauch (Update: Bundeswehr-Anweisung)

Die deutschen Medien hat die Geschichte, die seit gestern durch die US-Medien tobt, offensichtlich bislang noch gar nicht erreicht: Im Zusammenhang mit dem Massaker von Kandahar, bei dem ein US-Soldat 16 afghanische Zivilisten erschoss, wird nun auch das Malariamedikament Lariam genannt.

Nine days after a U.S. soldier allegedly massacred 17 civilians in Afghanistan, a top-level Pentagon health official ordered a widespread, emergency review of the military’s use of a notorious anti-malaria drug called mefloquine.

berichtete gestern Mark Benjamin auf der Webseite Huffington Post, und seitdem gibt es etliche ähnliche Stories.

Mefloquin, in Deutschland bekannt unter dem Namen Lariam, ist schon lange für seine möglichen – auch psychischen – Nebenwirkungen bekannt und in den amerikanischen Streitkräften auch schon eine Weile unter besonderer Beobachtung.

Bislang gibt es keinen Beleg dafür, dass Robert Bales, der mutmaßliche Täter von Kandahar, Lariam verschrieben bekam. Benjamin verweist darauf, dass die erneute Überprüfung des Lariam-Gebrauchs in den US-Streitkräften kurz nach dem Massaker angewiesen wurde. Schon länger dürfe sie nicht nach einemn Schädeltrauma verschrieben werden. Allerdings hätten die Streitkräfte nicht auf die Frage geantwortet, ob die neue Überprüfung im Zusammenhang mit dem Massaker stehe.

(Um diese Zeit frage ich natürlich nicht mehr, aber morgen – wäre doch interessant zu wissen, ob es bezüglich der Verschreibung von Lariam in Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine Änderung und/oder Überprüfung gibt.)

Nachtrag: Ich habe mal den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr nach der Verwendung von Lariam im Einsatz gefragt. Kernaussage der umfangreichen Stellungnahme und der aktuellen Empfehlung für die Malariaprophylaxe im Einsatz: Grundsätzlich ist in Afghanistan eine Chemoprophylaxe nur für die Soldaten vorgesehen, die regelmäßig und länger außerhalb der Feldlager im Einsatz sind – was wiederum auch heißt: in Forward Operating Bases wie dem OP North oder in Hazrat-e Sultan, aber auch für die Fernmelder in Kandahar ist eine solche vorbeugende Medikamenteneinnahme vorgesehen, und zwar für eine Einsatzdauer von mehr als vier Wochen grundsätzlich Lariam. Das gilt allerdings nicht für fliegendes Personal, die bekommen grundsätzlich nicht Lariam, sondern Doxycyclin – das wiederum für alle anderen als Ausweichmedikament zur Verfügung steht, falls es Lariam-Unverträglichkeiten gibt.

In der Empfehlung SanABw V zur Malariachemoprohylaxe ISAF, April 2012, heißt es in den Bemerkungen zur Verwendung von Lariam: Auch für „Waffenträger“ und Kraftfahrer sicher. Einnahmemodus (1x/Woche) erhöht Compliance.

In einer Stellungnahme dieser Abteilung für Präventivmedizin des Sanitätsamtes der Bundeswehr wird das näher erläutert:

Ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Malariachemoprophylaxe ist die Bereit­schaft und Praktikabilität, die ent­sprechende Substanz während des Risikozeitraums kontinuierlich und regelmäßig einzunehmen. Hier ist einschlägigen Publikationen zufolge das Doxycyclin aufgrund der Notwendig­keit, es täglich zur festgesetzten Tageszeit einzunehmen, dem einmal wöchentlich einzunehmenden Mefloquin (Lariam®) insbesondere unter Einsatzbedingungen deutlich unterle­gen. Im Gegensatz zum Mefloquin (Lariam®) haben sowohl Atavaquon/Proguanil (Malarone®) als auch Doxycyclin eine sehr kurze Halbwertszeit. Bereits ein einmaliges Auslassen oder die Verzöge­rung der Einnahme dieser Substanzen würde die entsprechenden Wirkstoffspiegel unter die schützende Konzentration abfallen lassen und damit den Soldaten/ die Soldatin einem vermeidbaren Risiko aussetzen.

(…)

Im Ergebnis dieser aufwändigen Maßnahmen müssen deutsche Soldatinnen und Soldaten deutlich sel­tener eine Chemoprophylaxe einnehmen. Sie können im jahreszeitlichen Risikoverlauf darüber hin­aus später mit der Malariaprophylaxe beginnen und können diese früher beenden. Dies reduziert im Er­gebnis die für das Auftreten von Nebenwirkungen relevante Gesamtdosis der jeweiligen Substanz und erhöht die entsprechende Bereitschaft der Soldaten (Compliance), die Prophylaxe regelkon­form durchzuführen. Nicht ohne Grund haben die Deutschen Streitkräfte seit Jahren keinen ernsthaften Malariafall zu beklagen. In den Jahren seit 1999 bis zum 27.03.2012 sind bei deutschen Soldaten in sämtlichen Einsatzgebieten insgesamt lediglich 26 Malariafälle aufgetreten. Das entspricht einer Inzidenz von weniger als 0,06 Fällen pro 100 Soldaten pro Jahr!
Nach 2006 sind in ISAF keine Malariafälle bei DEU Soldaten mehr aufgetreten.

(…)

Bei Soldatinnen und Soldaten mit Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an Feinmotorik, Schwindelfreiheit, Trittsicherheit stellen, kann aufgrund möglicher Ein­schränkung der entsprechen­den Fähigkeiten in Anlehnung an die zivil gültigen Empfehlungen statt Mefloquin (Lariam®) – sofern dies für den fraglichen Einsatz als primäres Medikament empfohlen wird – eine Alternativsubstanz eingesetzt werden.

Bei Unverträglichkeiten oder dem Auftreten auch geringfügiger Nebenwirkungen wird in jedem Fall ein Alternativpräparat eingesetzt.

(…)

Seit 2002 haben allein in AFGHANISTAN zwischen 2.000 und 10.000 Soldaten und Soldatinnen pro Jahr eine Malariachemoprophylaxe mit Mefloquin (Lariam®) erhalten. Im Rahmen der Arznei­mittelüberwachung in der Bundeswehr ist für Mefloquin trotzdem bisher erst eine sogenannte „Un­erwünschte Arzneimittelwirkung“ (UAW) gemeldet worden. Diese betraf das Auftreten einer Ent­zündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis) sowie eine durch diese ausgelöste Potenzstörung (erektile Dysfunktion) im zeitlichen und möglicherweise ursächlichen Zusammenhang mit der Ein­nahme von Mefloquin (Lariam®).

Gemäß den Informationen durch die Konsiliargruppe Neurologie/Psychiatrie sind vo­rübergehende psychotische Reaktionen im zeitlichen und möglicherweise kausa­len Zusammenhang mit der Ein­nahme von Mefloquin (Lariam®) sporadisch beobachtet worden.

(…)

Während des langjährigen Einsatzes des Mefloquins (Lariam®) zur Malariachemoprophylaxe in den entsprechenden Malariarisikogebieten sind bis auf den in Frage 3 erörterten Fall keine schweren und länger andauernden Komplikationen im ursächlichen Zusammenhang mit der Einnahme dieses Medika­ments aufgetreten. Diese Beobachtungen decken sich mit den Er­fah­rungen in der zivilen Reise- und Tropenmedizin, in der Mefloquin (Lariam®) als effektives und si­cheres Mittel zur Malariavermeidung angesehen wird und den Informationen durch die tropenme­di­zinische Fachgesellschaft (Bezug 2).

Ernsthaftere, von Neurologen oder Psychiatern der Bundeswehr bestätigte neuro­psychiatrische Nebenwirkungen des Mefloquins (Lariam®) sind bisher ebenfalls sehr selten aufgetreten und liegen nicht über dem Durchschnitt bei Zivilreisenden und keinesfalls über der zu erwar­tenden Häufigkeit.

Unterm Strich: Für die, die draußen sind, also Kampftruppen und OMLT, gibt’s im Regelfall Lariam. Wenn nicht Nebenwirkungen beobachtet werden.