Weitere Proteste gegen Koran-Verbrennung: UN in Kundus unter Belagerung
Die – teils gewalttätigen – Proteste gegen die Verbrennung von Koran-Exemplaren durch US-Soldaten in Afghanistan halten weiter an: Am Samstag zeichnete sich vor allem in Kundus im Norden des Landes eine weitere Eskalation ab. Der Gebäudekomplex der Vereinten Nationen in Kundus wurde nach verschiedenen Berichten belagert, es soll bisher mindestens zwei drei Tote gegeben haben. Das UN-Personal soll sich aber in einen Sicherheitsraum zurückgezogen haben.
In der ostafghanischen Provinz Laghman wurde der Gouverneurspalast gestürmt; von dort gibt es Meldungen über Verwundete.
Nachtrag (wie in den Kommentaren schon erwähnt): Bei einer Schießerei im afghanischen Innenministerium sollen zwei US-Soldaten getötet worden sein: 2 US Soldiers shot dead in Afghan Ministry
Nachtrag 2: Nach dem Tod der beiden US-Soldaten hat ISAF alle Berater und Verbindungsoffiziere aus den afghanischen Ministerien abgezogen. For obvious force protection reasons, I have also taken immediate measures to recall all other ISAF personnel working in ministries in and around Kabul, erklärte ISAF-Kommandeur John Allen. Journalistenkollegen in der afghanischen Hauptstadtverweisen darauf, dass es bislang noch keine solche drastische Maßnahme gab – auch nicht nach früheren green on blue-Vorfällen, bei denen Täter in afghanischer Uniform ISAF-Soldaten erschossen. Die Niederlande setzten unterdessen ihre Polizei-Trainingsmission in Kundus vorläufig aus.
Noch ein Nachtrag: Bilder der afghanischen Agentur Pahjwok aus Kundus:
Ich frage mich immer wieder, ob man aus den vergangenen Jahren nichts gelernt hat.
Je mehr ich davon lese, desto mehr glaube ich, dass dort ein Umstand von gewissen radikalen Gruppen benutzt und künstlich aufgebauscht wird.
Ist es nicht komisch, dass angeblich Koranexemplare verbrannt wurden, aber die Proteste nur in AFG auftreten? Die gesamte islamische Welt hält sich vornehm zurück: keine wütenden Mobs, keine brennenden Flaggen oder diplomatischen Niederlassungen, keine Terrordrohungen. Ich denke, hier kann sich jeder noch zu gut an die Mohammed-Karikaturen erinnern und das was daraufhin international abging. Nun steht aber der Verdacht im Raum, Allahs eigenes Wort würde verbrannt … und „nichts“ regt sich in der islamischen Welt.
@TW:
Inwiefern ist die Verbrennung von Koranen denn gesichert? Ich habe nun schon mehrmals gelesen, dass es vielmehr „religiöse Texte“ gewesen sein sollen. Ich bin kein Islamfachmann, aber meinem Wortverständnis nach müssen religiöse Texte doch nicht zwingend Koranexemplare oder -teile sein.
@Hekto – die Verbrennung von „a considerable amount“ von Koranen und anderer religiöser Schriften ist von den USA bestätigt worden. Ob es sich um zehn oder hunderte handelt ist unklar. Es war aber auf jeden Fall eine erhebliche Anzahl.
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Es wohl gerade Streit im Innenministerium in Kabul gegeben. Ein amerikanischer Oberst und ein amerikanischer Major wurden dabei getötet.
Hekto | 25. Februar 2012 – 12:55
In einem Land in dem die Bewohner seit über 30 Jahren im Krieg bzw. kriegsähnlichen Zuständen leben, war und ist der Glaube halt das einzig verläßliche Gut. Und wenn jetzt „irgendwelche dahergelaufenen Ungläubigen“ genau dieses verläßliche Gut (Gottes Wort) vernichten, kann man doch wohl nicht von „aufbauschen“ reden.
Nicht die Afghanen, sondern wir (NATO) haben einen tötlich Fehler begangen … und btw. das wir uns natürlich auch in einem InfoWar befinden, müsste den Truppen vor ort doch klar sein.
@Hekto
in der islamischen Welt muß sich nix mehr regen, denn bis auf Afghanistan sind die US überall taktisch raus und strategisch paralysiert.
Fehlt nur noch Afghanistan und das findet zZt statt, taktische Isolierung und strategische Paralyse…..so macht man das, wenn man den ollen Nordvietnamesen gelesen und verstanden hat.
Laut AlJazeerah wurde jetzt alle „westliche“ militärische Berater Personal aus afghanischen Ministerien abgezogen.
Die beiden U.S. Offiziere im Innenministerium wurden von aber laut AP aber von einem „westlichen“ Täter umgelegt. AP beruft sich dabei auf zwei afghanische Regierungsquellen.
@Hekto – es regt sich was in der isalmischen Welt. Es gab heute eine Demonstration gegen die Koranverbrennung im Sadr Stadtteil in Baghdad. Die Türkei hat laut türkischer Presse die NATO eindringlich vor der Wiederholung solcher Vorkommnisse gewarnt. Das kann auch durchaus noch auf andere Länder übergreifen.
@Heiko Kamann
Ich denke der Glaube ist nicht das einzige verlässliche Gut in Afghanistan. Darüber hinaus sind z.B. familiäre Strukturen, Clanstrukturen, Stammeszugehörigkeit usw. häufig ein weiteres verlässliches Gut.
Die NATO (bzw. einige ihrer Repräsentanten) haben einen tödlichen Fehler begangen – soweit stimme ich zu. Aber ihre Feststellung, dass jeder NATO-Soldat wissen müsste, dass er sich in einem Infowar befindet und daher solches Verhalten vermeiden sollte ist als Argument ein bischen dünn. Wir wissen doch gar nicht wie es dazu kam, dass der Koran oder religiöse Schriften verbrannt wurden. Woher nehmen sie z.B. die Gewissheit, dass die Soldaten wussten, dass es sich um „religiöses Schriftgut“ handelte? Vesrtehen sie mich bitte richtig, so ein Fehler darf nicht passieren, gleichwohl sollten wir keine voreiligen Schlüsse ziehen ohne die entsprechenden Details zu kennen.
Im Zusammenhang mit dem Thema „Infowar“ wäre es jetzt überaus interessant zu erfahren wie z.B. die Kommunikationsstrategen von OpInfo, InfoOp und Co. auf die momentanen Entwicklungen reagieren bzw. nicht reagieren? Vieleicht kann jemand dazu etwas beitragen?
@Hekto
„Nun steht aber der Verdacht im Raum, Allahs eigenes Wort würde verbrannt … und “nichts” regt sich in der islamischen Welt.“
Solche Aktionen sind selten spontan, sondern werden zumindest zu Beginn organisiert, bis sie dann eine gewisse Eigendynamik entwickeln. Bis solche Vorfälle aufgegriffen werden, kann etwas Zeit vergehen. Es ist also noch zu früh für Entwarnung bzgl. Internationaler Aktionen.
Sehr verwirrende Nachrichtenlage:
AP mit Berufung auf afghanische Offizielle sagt „westlicher“ Täter
NATO Spox sagt der Täter sei kein „Westlicher“ gewesen.
Die Taliban sagen es war ein Anschlag eines ihrer Leute der vier „Westler“ erwischt hätte und ein zweiter Täter entkommen sei.
Naja … abwarten
Soweit bekannt wurden die religiösen Schriften zum Nachrichtenaustausch zwischen Gefangenen mißbraucht. Vereinfacht gesagt, Notizen an den Rand geschrieben oder über Zahlenfolgen und Markierungen Sätze aus den Wörtern des Buches gebildet.
Dabei was es wohl gezielte Absicht der Gefangenen die religiösen Schriften gezielt zu mißbrauchen mit der Hoffnung auf genau diese Reaktion.
Warum die Reaktion im Auslang bisher eher gering ist: Ein Koran der durch Schmierereien verunstaltet ist gilt erstmal als geschändet und entweiht und somit war das eigentliche Verbrechen nicht das Verbrennen sondern das Verschmieren. Das ist allerdings dem einfachen Afghanen wohl eher unbekannt wie überhaupt die Koranbildung des einfachen Afghanen gräßlich schlecht ist und sei es nur weil die meisten kein arabisch können und konservative Afghanen nur einen arabischen Koran akzeptieren. Das ist ähnlich wie die lateinische Messe der katholischen Kirche: Bis zum 2.VK wußten die meisten Katholiken nicht wirklich worum es in der katholischen Kirche geht.
Hmmm – bei den jetzigen Reaktion der ISAF kommt das Gefühl auf das die eine Ted Offensive fürchten. (Nicht in der Form des originalen Ted aber in der Wirkung).
Man scheint da etwas zu wissen das nicht nach aussen gegeben wird.
Die Entscheidung alle „Berater“ (tatsächlich Befehlsgeber) aus allen afghanischen Ministerien abzuziehen wird weite politische Auswirkungen haben. Die Leute in den Ministerien werden wohl vor Freude auf den Tischen tanzen.
Die gesamte Reaktion der ISAF auf den Vorfall das „a truckload“ (WSJ) Korane verbrannt wurde ist extrem defensiv. Wenn das den Abzug unserer Truppen aus Afghanistan beschleunigt soll mir das recht sein.
Die Pläne des amerikanischen Militärs von zeitlich unlimitierten zukünftigen strategischen Basen in Afghanistan sind jetzt mit den Koranen wohl entgültig im Ofen gelandet.
Das ist für die Menschen vor Ort die bessere Alternative.
Hat man inzwischen auch bei ISAF erkannt, dass es sich hierbei um die erste Welle der zu erwartenden Frühjahrsoffensive handelt?
Die Strategen der Taliban werden frohlockt haben, als sich alle bis hoch zum US-Präsidenten schön brav kultursensibel für Dinge entschuldigt haben, die sie persönlich weder befohlen noch getätigt haben. Wie eine solche Entschuldigung beim normalen Afghanen ankommen, haben die Kulturberater wohl nicht erwähnt. Ein solche Kommunikation wird als Zeichen der Schwäche gewertet. Nun ist ISAF kommunikativ nicht nur ein Koran-Schänder, sondern auch noch ein Schwächling, der vor den Taliban im Staub kriecht. Und nun gesteht diese im Staub kriechende ISAF auch noch ein, ihre Leute nicht schützen zu können und zieht die Leute ab. Dass da nun auch der letzte Möchtegern- Islamist die Zukunft bei den Taliban sieht und sich nun entsprechend beweisen will, ist absehbar.
Das größte Phänomen an dieser Angelegenheit ist meiner Meinung, dass es den Taliban offenbar gelungen ist, „Berater“ in ISAF-Armeen zu platzieren, die aus Respekt vor der Kultur predigten, man müsse sich dauern entschuldigen und in Demut niederknien.
Damit begeben sich dann die „Ungläubigen“ genau in die Position, in der die Taliban sie sehen wollen. Rückgradlose Weichlinge, die keinerlei Respekt und Achtung mehr erwarten müssen.
Die Taliban haben vollkommen konform mit ihrer Religion/Ideologie klargestellt, wer die Herrenmenschen und wer bestenfalls Dhimmi oder zu tötende Kufr sind.
Da haben unsere Kommandeure ja mal wieder einen schönen strategischen Supergau hingelegt. Man hat sich für die Strategie des „Wir wollen geliebt werden!“ entschieden und dabei übersehen, dass ein „wahrer Gläubiger“ nie einen „Ungläubigen“ lieben wird. Wer in diesem Kulturkreis überleben will, der muss dafür sorgen, dass er respektiert und auch gefürchtet wird. Das Konzept der Feindesliebe braucht mindestens eine Generation, um in die Köpfe zu gelangen.
Noch eine Anmerkung zur Feindesliebe:
Die Freudsche Psychoanalyse sieht in überforderter bzw. gescheiterter Feindesliebe die Grundlage für anschließende Ausschläge in die andere Richtung. Weil man selbst nicht in der Lage war, dem eigenen Anspruch der Feindesliebe gerecht zu werden, da die Liebe eben nicht erwidert wurde, schlägt das ganze dann in eine Art Rache für das eigene Versagen gegen den Feind um, was dann meist eine sehr blutige Angelegenheit ist.
Eine Kriegspartei, die in geübter Feindesliebe enttäuscht wurde neigt dieser Theorie folgend dann zu besonderer Härte und Grausamkeit. Besonders anfällig für überharte Reaktionen sind Kriegsparteien, die in ihren Entscheidungsfindungsmechanismen erheblichen Einfluss plebiszitärer Elemente haben. Ein mögliches neuzeitliches Beispiel hier wäre die Entwicklung der britischen Meinung im 2. WK, startend beim chamberlainschen Appeasement, endend beim Jubel für Bomber Harris …
Eine Kriegführung nach z.B. clausewitzschen Grundsätzen führt da in der Summe zu weniger Leid und Opfern auf allen Seiten … aber da sind wir wieder bei grundsätzlichen philosophischen Fragen, die ja in der heutigen Zeit ach so unpopulär geworden sind – insbesondere bei politischen Entscheidern.
@b
„Die Entscheidung alle “Berater” (tatsächlich Befehlsgeber) aus allen afghanischen Ministerien abzuziehen wird weite politische Auswirkungen haben. Die Leute in den Ministerien werden wohl vor Freude auf den Tischen tanzen.“
Als ehemaliger Mentor muss ich Ihnen da wiedersprechen. Mich würde interessieren, worauf Sie Ihr Urteil gründen?
Es gab zwar immer wieder einzelne Mentoren, die sich als „Befehlsgeber“ verstanden, aber die scheiterten immer rasch am Unwillen der Afghanen. Jeder halbwegs erfolgreiche Mentor bleibt im Hintergrund, schaut sich an wie die Afghanen es machen, gibt den Verantwortlichen dann realistische Verbesserungsvorschläge und ggf. Ressourcen an die Hand und stärkt seinen Partner, in dem er einem Erfolg das „afghanische Gesicht“ lässt. Häufig entsteht ein sehr enges Verhältnis zwischen den Partnern, und den Fall, dass auf afghanischer Seite „vor Freude auf den Tischen getanzt“ wurde als ein Mentor ging, habe ich exakt ein einziges Mal erlebt. Es handelte sich um eine US-amerikanische Zivilistin, die ältere afghanische Männer mit missionarischem Eifer zur Einhaltung von Frauenrechten erziehen wollte. Nach zwei Wochen ging sie freiwillig.
Über ein Ende des Einsatzes bzw. internationaler Unterstützung freuen sich afghanische Partner von ISAF übrigens im Allgemeinen nicht. Diese wissen sehr genau, was sie bei einem Scheitern des Einsatzes erwartet.
@ Sun Tzu – Entschuldigen ist schon der richtige Weg, aber de Wirkung ist halt verschwindend gering zumal das ja nun die gefühlt hunderttausendste Entschuldigung ist. Das wird von gefühlt 90 % weder als Entschuldigung angenommen (das hat bei den ersten Malen vielleicht noch funktioniert) noch als Zeichen der Schwäche gesehen, sondern schlichtweg ignoriert. Die von ihnen als „wahre Gläubige“ bezeichneten, die angeblich niemals einen „Ungläubigen“ lieben sein können sind zahlenmäßig wahrscheinlich genauso stark wie diejenige Minderheit von Afghanen, die sich ob unseres Wohlstands und unserer Fortschrittlichkeit vor uns in Bewunderung und Demut niederwerfen. Die nach meinen Erfahrungen große Maße der Afghanen ist zunächst mal gegenüber bewaffneten Fremden misstrauisch, man kann sie allerdings durchaus erreichen, mit ihnen arbeiten und sie für sich einnehmen (und somit auch mittelfristig im eigenen Sinne mobilisieren), dafür braucht es allerdings die von ihnen so geschmähte Kultursensibilität. Respekt den anderen gegenüber und umgekehrt ein respekteinflößendes Selbstbewusstsein gehören auch dazu; gefürchtet werden zu wollen ist dagegen grenzwertig – die Russen haben es versucht, sich so zu präsentieren und sind bekanntlich gewaltig gescheitert.
@ klabautermann
Die taktische Isolierung und strategische Paralyse sehe ich noch nicht überall.
Im Irak stehen weiterhin Militärberater und außer dem regelmäßigen Bombenanschlag hört man erstaunlich wenig aus diesem Einsatzgebiet. Das Tauziehen zwischen USA, sunnitischen Regierungen der Region und Iran über Einfluss im Irak scheint eher hinter den Kulissen stattzufinden.
Der Iran schafft es zunehmend bei dem Versuch sich zur muslimischen Vormacht aufzuschwingen, sich komplett zu isolieren. Die Golfemirate, Saudi-Arabien, Irak und Türkei sind bereits gegen ihn und machen was? US-Rüstungsgüter kaufen, die mit was geliefert werden? US-Militärberatern! Und die farbenfrohen Drohungen gegen den internationelen Seeverkehr in der Straße Hormus sind auch nicht geeignet viele Freunde zu gewinnen. Die USA sind da mit dem bloßen verlegen von zwei Trägerkampfgruppen mit internationalem Geleit die Helden des internationalen Wirtschaftssystems und beschützen die armen Golfstaaten. Und wessen Luftwaffe ist überall in den Medien? Die israelische – es wird noch nicht mal öffentlich diskutiert, wie die USA die iranischen Anlagen zerstören könnten. Mit der neuesten Einschätzung der CIA sieht es sogar so aus, als stehe der Iran als eher ungefährlicher Schreihals da und die USA könnten mit allen Optionen ruhig weiter beobachten.
Syrien schafft es zunehmend sich zu einem Regime auf Abruf zu machen und nicht etwa die USA führen die Vorderungen nach einer Ablösung, sondern Katar. Auch die Türkei ist bei der Unterstützung der Rebellen ganz vorn mit dabei und während die muslimischen Staaten sich intern zerstreiten, stehen die USA daneben und halten sich demonstrativ aus der Diskussion heraus, bis man sie ruft.
In Tunesien ist das AFRICOM immer noch sehr hoch angesehen, weil es einen Diktator weggebombt hat, dabei aber nur die Opposition unterstützt hat und nicht mit demonstrativen Bodentruppen reingegangen ist. Wenn dieser Staat also noch keine ordentliche Administration hat, kann keiner sagen, die USA sind schuld. Gleiches gilt in Ägypten, wo die USA sehr gut mit dem Regierungsrat leben können, aber aus der Distanz der demokratischen Opposition auch viel Glück wünschen können.
Nachdem es in der letzten Zeit ja auch viel Streit zwischen den USA und PAK gab, blieben die letzten Drohnenangriffe doch nahezu diplomatisch unbeantwortet.
Das einzige wirkliche Problem der USA in der muslimischen Welt ist derzeit in der Tat Afghanistan. Und wie hier schon richtig festgestellt wurde, erscheint AFG inzwischen ein ziemlich isolierter Vorgang zu sein. Da wird nicht mehr zum heiligen Kreuzzug der muslimischen Welt gegen den westlichen Satan in AFG aufgerufen und wenn mal ein Koran verbrannt wird, interessiert das offenbar nicht mal in PAK.
Ansonsten läuft es für die US-Interessen richtig gut im Moment und das ohne das man ein Eingreifen der USA überhaupt erkennt. Paralyse ist da für mich nicht zu erkennen.
Ich möchte eher behaupten, der Konfliktherd AFG sei derzeit erfolgreich isoliert, weil es wei wichtigere Probleme in der islamischen Welt gibt.
@cynic 2
Man kann es so sehen, wie Sie schreiben oder so wie ich – zugegeben – etwas überspitzt.
Die muslime Welt sortiert sich neu, und ich vermag weder in Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak, Syrien, Ägypten, Tunesien, Lybien, Jemen, Somalia…..zu erkennen, dass die US einen wirklich signifikanten Einfluß auf die Entwicklungen nehmen können…weder hard- noch soft-power wise. Der ethnisch/religiöse Konfliktkomplex in der muslimischen Welt ist einfach im wahrsten Sinne des Wortes ‚komplex‘ dermaßen komplex und von einer Größe, dass jede Einflußnahme der US von außen völlig unabsehbare Kettenreaktionen auslösen kann. Selbst Schadensbegrenzungsmaßnahmen sind riskant geworden.
In einer klassischen Beurteilung hat mal ein Admiral über seinen Adjutaten geschrieben: “ Der Kaleu XXX hat sich in Krisensituationen hervorragend bewährt. Leider hat er diese fast immer selbst herbei geführt.“
;-))
Mir drängt sich bein den Vorgängen in Kunduz wiedermal die Frage nach der Auftragserfüllung der Bundeswehr auf. Wie bereits in MeS im vergangenen Jahr verhalten wir uns passiv -sogar wenn UN-Personal in Schutzräumen sitzt.
Auszug aus dem Mandat:
„Auftrag
Gemäß der Sicherheitsratsresolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 hat der ISAF-Einsatz unverändert zum Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können.“
@ Memoria – naja, das kann man auf verschiedene Weise lesen und auslegen. „Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit“ und als Zielvorstellung ein „sicheres Umfeld“ beinhaltet aber nicht zwingend, in Dingos und Füchsen loszufahren, wenn eine wütende Menschenmenge von mehreren hundert (letztes Jahr sogar mehrere tausend) Demonstranten ein UN-Gebäude umzingelt. Ganz ehrlich – und ich bin nach mehreren Einsätzen in Uniform mittlerweile als Zivilist in Afghanistan und war letztes Jahr in MES ganz nahe dabei – ist es mir lieber, dass in solchen Momenten nicht die gepanzerten Fahrzeugen von ISAF auftauchen und mal ausprobieren, was man angesichts so ner Menschenmenge so alles machen kann. In Mazar war das ganze damals auch viel zu schnell vorbei, das hat nur etwa zwanzig Minuten gedauert bis die Kollegen tot waren, während es etwa vom Camp Marmal in den Süden der Stadt über 35 Minuten dauert, auch ohne tausende wütende Demonstranten…
Nichtsdestotrotz stimme ich ihnen zu, dass die BW über keinerlei glaubhafte Wirkungskette verfügt wie „Wir sind da“ letztlich zu „sicheres Umfeld“ führt. Anfänglich, als es nur die Abschreckung der bösen, bösen „Warlords“ ging, hatten wir das – und das hat ja auch gut funktioniert. Seit nun auch dem letzten Generalstäbler klar sein muss, dass das Hauptproblem des „sicheren Umfelds“ die Re-Infiltration der Taliban als Aufstandsbewegung ist, haben wir zwischen dem „Wir sind da“ und „sicheres Umfeld“ genau die Lücke der berühmten „Unterhosengnome“ aus South Park (http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/d/dd/Gnomes_plan.png).
@ turan saheb | 26. Februar 2012 – 8:28
Nicht das wir uns falsch verstehen: Auch ich halte das Konzept der Völkerfreundschaft für richtig und ein Eingehen auf kulturelle Gepflogenheiten ist eine Selbstverständlichkeit. Nur wird eben von „wahren Gläubigen“ ein: „Ungläubiger du missachtest unsere Kultur, werfe dich nieder!“ als Waffe im Kampf um die oberen Plätze in der gesellschaftlichen Stellung und Achtung eingesetzt. Da möchte ich in Afghanistan eigentlich nicht unbedingt die Taliban sitzen haben. Wer sich vor den Taliban in den Staub wirft, hat auch vor Abdul-Durchschnittsafghanen an Respekt und Stellung verloren.
Wie Sie richtig beschreiben, ist die afghanische Bevölkerung nicht homogen. Ein kleiner Teil liebt die ISAF, ein kleiner Teil hasst sie, und ein großer Teil versucht sein Leben auf die Reihe zu bekommen und arrangiert sich mit den gerade Mächtigen. Wenn ISAF vor den Taliban kuscht, und so wird das gerade stattgefundene vom Normal- Afghanen wahrgenommen, dann sucht man sich eine andere Schutzmacht und arrangiert sich mit den Taliban. Man hat es also gerade den Taliban leichter gemacht, die afghanische Gesellschaft zu Re- Infiltrieren. Zum kulturellen Verständnis Afghanistans gehört nun mal auch, dass dort ein anderes Verhältnis zu Macht, Dominanz und Gewalt vorhanden ist. Ein Schwächling kann noch so kultursensibel sein, man wird ihm nicht folgen, weil er einen nicht schützen kann. Lieben oder respektieren wird man ihn schon gar nicht.
Mit dem, was gerade geschehen ist, wurde demonstriert, dass nicht ISAF bzw. deren Verbündete zukünftig die Macht haben, sondern die Taliban. Das hat Wirkungen und ist für unsere Ziele fatal. Man darf eben nicht über jedes Stöckchen springen, was einem hingehalten wird. Tut man das, ist man lediglich das Zirkuspferd anderer.
@Sun Tzu
……aber so was von Zustimmung meinerseits. Insbesondere diese prompten Entschuldigungen auf StratCom Ebene habe ich nun überhaupt nicht verstanden. Entschuldigungen ohne greifbare Konsequenzen/Ahndung des die Entschuldigung auslösenden Vorfalls ist eine absolute Katastrophe. Die oberste US/NATO Führung hat damit klar gemacht, dass am Ende des Tages nur die eigene individuelle und kollektive Sicherheit /Schutz zählt……insofern kommen imho diese Entschuldigungen einer Kapitulationserklärung gleich
@ Sun Tzu
Sie machen glaub gerade den Fehler, die Empörung über die Koranverbrennung auf die Taliban zu reduzieren. Dem scheint nicht so zu sein, das hat wohl in der Tat einen Nerv in der afghanischen Gesellschaft getroffen. (Siehe dazu u.a. Old Blues kurze Erläuterung aus Mazar.) Nur weil dieser Nerv im Westen schwer nachzuvollziehen ist, heißt das nicht, dass es ihn nicht gibt.
Dazu kommt: ISAF kämpft schon eine ganze Weile mit der Wahrnehmung als ignorant-rücksichtslosen Besatzungsmacht, die niemandem in Afghanistan Rechenschaft schuldet, und die mehr Teil der Probleme denn deren Lösung ist. Wie soll man einer Organisation, die sich nach 10 Jahren im Land noch solche tödlichen Patzer leistet, denn wirklich vertrauen können – womöglich gar mit dem eigenen Leben?
Die Sicherheitskräfte und Polizisten, die jetzt in den Unruhen sterben, sterben weil bei ISAF ein dummer Fehler gemacht wurde. (Und ja, vielleicht sterben mehr, weil jemand den für sich ausnutzen kann.)
Das ist keine Frage des Auftretens. (Hätte sich ISAF nicht entschuldigt, dann wären die Reaktionen ziemlich sicher alles andere als milder ausgeallen.) Das ist eine Frage der Fähigkeiten. „Taten sprechen lauter als Worte“ und so. Und das ist glaub der Punkt, bei dem man mit ISAF langsam aber stetig die Geduld verliert.
Da ist man, wie Turan Saheb ja gut ausgeführt hat, bei der Frage „Was bewirkt ISAF eigentlich?“.
@J.R.
http://www.nytimes.com/2012/02/26/world/asia/afghanistan-koran-burning-protests-enter-fifth-day.html?_r=1
Die Taliban konzentrieren sich auf die Machtzentren und auf die Zerstörung des alles entscheidenden Vertrauensverhältnisses auf der strategischen Ebene. Die Fläche kommt später.
@ J.R. | 26. Februar 2012 – 12:54
Nun ja, selbst Wahabiten lassen in bestimmten Fällen die Verbrennung eines entweihten Korans zu. Im konkreten Fall wurden die Korane durch Häftlinge geschändet, die die heilige Schrift durch ihre Kritzeleien in einer die Religion beleidigender Art und Weise missbrauchten. Da blieb nichts anderes übrig, als diese schnellstmöglich durch reine Exemplare des Korans zu ersetzen und die Verfälschungen von Allahs Wort schleunigst zu verbrennen … alles eine Frage der Auslegung und der geschickten Kommunikation.
Die Taliban scheinen diese Form der Meinungsbeeinflussung drauf zu haben, ISAF nicht. Das ist hier das Problem.
Ich glaube übrigens, dass die Entschuldigungen möglicherweise sogar eine verstärkende Wirkung auf die Proteste gehabt haben können, so nach dem Motto: „Da kriechen sie, jetzt können wir draufhauen!“ Zudem hat erst die Reaktion der Kommandeure hier eine Breitenwirkung geschaffen.
Außerdem pfiffen ja schon seit Wochen die Spatzen von den Dächern, dass da was in der Leitung ist, sobald es wärmer wird …
Es sterben da gerade Leute, weil sie von Fanatikern ermordet werden bzw. sich bei öffentlichen Demonstrationen nicht an das Paradigma der Gewaltlosigkeit halten können, nicht weil ein paar Müllentsorger Altpapier verbrannt haben. Ursache und Wirkung sollte man doch bitte in einem Zusammenhang lassen und nicht aus Versehen kulturverseherisch die Werteordnung der Taliban übernehmen – mit dieser Methode kann sich jeder Schlächter rechtfertigen.
@ klabautermann, Sun Tzu
Ihre Annahme scheint zu sein, dass es zur Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu ISAF der Taliban bedarf. Das ist ein Punkt, bei dem ich mir nicht sicher bin – ich hab den Eindruck, dass ISAF das ganz gut selbst hinzukriegen scheint.
Das „Problem“ scheint nicht die Kultur der Taliban, sondern die Kultur Afghanistans – genauer gesagt, die Unfähigkeit ISAFs, sich darauf einzustellen.
Der von Herrn Wiegold verlinkte Augenzeugenbericht setzt das ja recht gut in Perspektive: Es waren viele afghanische Arbeiter, die vor Ort gegen die Koranverbrennung intervenierten – und das innerhalb von Augenblicken und teils unter Inkaufnahme von Verbrennugen. Leute, die auch nach dem Vorfall noch Zugang zu Bagram haben, und mit 650$ etwa das doppelte von dem bekamen, was man bei den afghanischen Sicherheitskräften verdient. Das waren aller Wahrscheinlichkeit nach keine Radikalen.
Und wenn so jemand sagt, er sei bereit gewesen sein Blut zu vergießen und zu töten oder getötet zu werden, dann sollte man das ernst nehmen.
Das Problem von ISAF ist nicht die Unterwanderung durch Taliban, sondern das Demütigen ganz normaler Afghanen. (Sehr eindrucksvoll geschildert in dem schon etwas älteren Bagram-Erlebnisbericht „Die Piraten von Pogadishu“)
@ Sun Tzu – sehe ich anders. In einem Punkt haben sie recht: man kann einen Koran durchaus verbrennen, z.B. durch einen Mullah, respektvoll, mit ein paar gemurmelten Floskeln. Einen solchen Mullah für ein paar Dollar fuffzig die Stunde hätte man auch in Bagram ganz einfach kriegen können. Amerikanische Soldaten, die neben anderem Müll auch Korane verbrennen und sich dabei von afghanischen Arbeitern beobachten lassen, sind schon ein vollendetes PR-Desaster, weil es genau die bestehenden Befürchtungen und Vorurteile von vielen Afghanen (die die Taliban-PR schürt, aber die auch unabhängig bestehen würden) trifft.
Natürlich werden, wie ein paar schlaue Menschen auch in Afghanisten bemerken, bei jedem Selbstmordanschlag in einer Moschee von den Talibs Korane zerstört und verbrannt – und da regt sich keiner drüber auf. Aber niemand käme auf die Idee, dass die Talibs einen Kreuzzug gegen den Islam führen, bei ISAF sind sich halt viele Afghanen (und in gewisser Weise offensichtlich auch einige NATO-Soldaten) nicht so sicher. Das ist – man verzeihe mir den Vergleich – wie wenn auf dem nächsten Besuch der OSH in Israel ein ganzer Hörsaal betrunkener deutscher Offizieranwärter an ein Holokaust-Denkmal in Yad wa Shem pinkelt. Das macht man aus menschlichem Anstand schon einfach nicht – aber in dieser Konstellation (Deutsche! Soldaten! Offizieranwärter!) hätte es noch eine ganz andere Bedeutung und würde ggf. internationale Wellen schlagen. Würden israelische Kadetten dasselbe tun, wäre das dagegen keine Schlagzeilen wert. Wie gesagt – ich entschuldige mich für den Vergleich, aber im Endeffekt müssen wir in Afghanistan genauso sensibel auftreten wie etwa deutsche Uniformierte in Israel – und nicht denken, die „Kuffnucken“ hätten uns schon gefälligst zu danken, dass wir überhaupt da sind.
Die Entschuldigung der ISAF-Kommandeure war in diesem Fall auch definitiv nicht der Auslöser (so sehr auf die kharejis fixiert sind die Afghanen dann doch nicht), in dem Moment als man dummerweise die Arbeiter mit den verbrannten Exemplaren hat rausrennen lassen war die Sache gegessen und in Bagram sind die ersten Leute auf die Strasse gegangen. Danach ging es nur noch um Schadensbegrenzung, wobei die Einflussmöglichkeiten von ISAF verschwindend gering waren. Die Hitzköpfe waren für die Entschuldigungen nicht mehr zu erreichen, immerhin hat man aber ein paar der ruhigeren Zeitgenossen erreicht und ihnen ein wichtiges Zeichen gesetzt, das mittel- und langfristig sich noch als wertvoll erweisen kann. Insofern war die öffentliche Entschuldigung schon sehr wichtig.
Hätte man versucht, das Ganze offensiv als Heldentat zu kommunizieren und Stärke zu zeigen (hatten wir ja schon öfters: „Die zehn Kinder, die bei dem Angriff umkamen, wie eine unabhängige Untersuchungskommission vor Ort bestätigt hat, waren – wie wir nach Durchsicht unserer Akten im IJC, der Befragung einer Single Source in einer anderen Provinz sowie der festen Überzeugung des J2 erneut festgestellt haben – tatsächlich gesuchte und gemeingefährliche Terroristen. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Erfolg gegen die Feinde Afghanistans!“) hätte man nur das eigene Glaubwürdigkeitsproblem verstärkt und auch noch die Gemäßigten verprellt. U.a. ist aus islamischer Sicht das Schreiben von Notizen am Rand eines Korans nicht per se eine Schändung – sorry. So haben u.a. die eminentesten Korangelehrten der islamischen Geschichte ihre Kommentare verfasst. Die Idee war lebensfremd und zeugt von wenig Kenntnis Afghanistans außerhalb – möglicherweise – der Lager.
Zusammenfassend – die Kette von Ursachen und WIrkungen beginnt tatsächlich bei einem Vorgang, bei dem von vornherein klar sein muss, dass man so hunderttausende Menschen sinnlos gegen sich aufbringt. Das war genauso dumm – und jetzt bringe ich schon wieder so einen etwas schrägen Vergleich – wie im November ’42, als man vor Stalingrad die Brücke von Kalatsch gegen die anrückenden T34 nicht verteidigt hat (angeblich weil man sie für deutsche Panzer gehalten hat). Da hätte man den Männern der sechsten Armee auch hinterher nicht wirklich offensiv aus einer Position der Stärke erklären können, dass durch diese taktische List der Iwan in die lebensfeindliche Steppe gelockt werden sollte, während die deutschen Landser den Winter im gemütlichen Stalingrad verbringen durften…
@ turan saheb | 26. Februar 2012 – 16:03
Interessanter Diskussionsbeitrag, meiner Meinung jedoch zu kurz gedacht.
Ich weiß ja nicht, wie viel Sie sich mal außerhalb des westlichen Dunstkreises in Afghanistan aufgehalten haben. Bis zur Ankündigung des Abzugs 2014 gab es in diesem Land viele, die der ganzen ISAF- Aktion sehr positiv gegenüber standen, weil ihnen sehr wohl bewusst ist, wie ihre Lebensverhältnisse unter „westlicher“ Ideologie sich entwickeln werden und wie das aussieht, wenn sich das Gesellschaftsideal der Aufständischen durchsetzt. Im Rahmen dieses Alltagspragmatismus ist man sehr wohl bereit, Fehler auf Seiten von ISAF im Sinne von „wo gehobelt wird, fallen auch Späne“ zu verzeihen.
Auch die Religiosität wird oft vollkommen falsch gedeutet. Vieles davon hat mit gesellschaftlicher Anpassung zu tun, weniger mit Überzeugung. Wird „Tod allen Ungläubigen“ vorgegeben, dann akzeptiert man das, wird ein aufgeklärtes Weltbild mit Mädchenschulen und Nächstenliebe vorgegeben, akzepiert man das auch.
Bei Licht betrachtet hätte man sehr schnell akzeptiert, dass diese Koran- Verbrennung in dieser Form zwar eine dumme Idee gewesen ist, aber nicht der Weltuntergang. Ein Imam hätte nachträglich seine Zustimmung gegeben und gut wärs gewesen. Die wenigsten Afghanen sind Überzeugungstäter. Sie richten sich nach den Machtverhältnissen.
Und genau hier kommen wir zu der fatalen Mischung, die gerade zu Tage tritt. Auch Afghanen, die mit ISAF kooperiert haben, das gilt besonders für Arbeiter in Bagram (wobei es auch dort U-Boote gibt) machen sich Sorgen um ihre Zukunft. Das Thema westliche Schutzmacht ist abgehakt, „die“ haben ja angekündigt, sich spätestens 2014 aus dem Staub zu machen. Jeder, der bis drei zählen kann, hat sich ausgerechnet, dass dann die Taliban wieder an die Macht kommen.
Wenn ich nun als Bagram- Arbeiter auch noch im Jahr 2016 möchte, dass meine Familie und ich leben und nicht im Ghazi- Stadion bei den anstehenden Säuberungen mit aufgehängt werden: Wie verhalte ich mich dann? Bleibe ich loyal zu ISAF oder diene ich mich den Taliban, auf deren Todesliste ich stehe, als williger Gläubiger an, der als Beschützer der heiligen Schrift über jeden Zweifel erhaben ist? Vor diesem Hintergrund ist es sogar logisch, dass nun ISAF-Soldaten in Ministerien erschossen und die Täter nicht gefasst werden, damit die Mitarbeiter anschließend sagen können, was sie doch für Helden im heiligen Krieg sind und so möglicherweise nicht von Taliban ermordet werden.
Jeder, dem nicht gesagt wurde, dass man ihn und die Seinen beim Abzug mitnimmt, wird sich als Sorge um seine Zukunft schon heute mit den zu erwartenden zukünftigen Machthabern arrangieren.
Ich bin übrigens inzwischen der Meinung, dass jeder, der in Afghanistan tätig war, sich mal Gedanken darüber machen sollte, wie er welchem Afghanen, der sich auf ihn eingelassen und ihm geholfen hat, nun ggf. helfen muss, damit er nicht den anstehenden Säuberungen zum Opfer fällt. Auf unsere Regierungen ist wohl überhaupt kein Verlass. Die Frage ist nun: Wie organisiert man seine „Cap Anamur“, wenn man nicht möchte, dass die, die einem in voller Überzeugung beim Aufbau eines besseren Afghanistan geholfen haben, bald tot sind.
Zu ihrem durchaus treffenden „Pinkel-Beispiel“. Auch hier kommt es darauf an, was daraus gemacht wird. Wenn die Propaganda- Maschine das einfach übergeht oder schreibt, „was für dumme Jungs!“ ist das kein Problem. Wenn sich jedoch die vereinigten Zentralräte und Empörungsbeauftragte vor den Mikrofonen drängeln, sieht die Sache anders auf. Die inszenierte Öffentlichkeit und die Realität sind oft grundverschiedene Dinge.
Es geht eben darum, wer die Deutungshoheit hat. Zwischenzeitlich lag die durchaus bei ISAF. Mit der Ankündigung des Abzugs 2014 ist das aber alles verloren gegangen.
@Orontes – Mich würde interessieren, worauf Sie Ihr Urteil gründen?
Diverse Berichte in der U.S. Presse oder z.B. in diesem älteren Stück der AAN:
@Sun Tsu – turan saheb ist in Afghanistan. Sie hingegen haben Theorien.
Der Umstand, dass Präsident Obama sich für die „Koranverbrennung“ entschuldigt hat, stößt bei den republikanischen Präsidentschaftsbewerbern auf heftige Ablehnung. Nach Gingrich haben sich nun auch Santorum und Romney entsprechend geäußert.
Vor 2 Stunden erhielt Gingrich bei einer Wahlkampfrede in einer Kirche(!) in Georgia stehende Ovationen, als er das ansprach.
@ b | 26. Februar 2012 – 19:44
Es ist in der letzten Zeit sehr auffällig, dass Sie nicht in der Sache argumentieren, sondern sehr oft Personen angreifen. Sind Ihnen die Argumente ausgegangen?
Der Vorteil eines anonymen Forum ist es, dass es auf die Macht des Argumentes ankommt und weniger auf die Person geschaut wird. Ein kluger Mensch achtet darauf, was gesagt wird, nicht, wer es sagt. Was soll also Ihre Polemik?
@ Sun Tzu – m.E. nach überschätzen sie die Bedeutung von Furcht im derzeitigen Konflikt. Keine Frage, Drohungen und unzählige gezielte Morde an exponierten TB-Gegnern (durchaus auch auf Dorfebene) spielen durchaus eine Rolle (genauso wie in Einzelfällen auch von der Gegenseite). Aber Szenen wie in Algerien 1962 oder Vietnam 1975 wird es wohl, genausowenig wie ja auch 1992, wieder nicht geben. Dazu ist der Krieg (anders als Algerien und Vietnam) zu vielschichtig mit zuvielen Vernetzungen zwischen Funktionären des Emirats, den verschiedenen pro-Regierungs-Strömungen und den vielen „fence-sitters“. Klar, viele Afghanen machen sich Gedanken, was nach 2014 kommt (so ganz eindeutig ist ein Sieg der Talibs gerade in der nördlichen Landeshälfte, dazu zähle ich auch Parwan, nicht). Aber auch ohne sich den Talibs schon jetzt anbiedern zu wollen ist eine Koranverbrennung unter den beschriebenen Umständen halt einfach im Widerspruch zum grundlegenden normalen Empfinden der ganz großen Mehrheit der Afghanen. So einfach richtet man sich dann nämlich auch wieder nicht nach dem, was vorgegeben wird – zumindest (um ihr Argument aufzugreifen) wenn man sich außerhalb des westlichen Dunstkreises bewegt – und das tue ich täglich. Unterhalten sie sich für den Anfang mal mit ehemaligen hohen Funktionären der damaligen Demokratischen Volkspartei über ihren persönlichen Glauben. Abgeklärt sind die meisten da schon, aber trotz der Vergangenheit im kommunistischen System i.d.R. doch auch religiös, nicht nur für die Öffnelitchkeit. Eine Koranverbrennung erregt auch deren Gemüter. Und die meisten Afghanen sind ja nun durchaus emotional… Dann gehen sie mal abseits der Städte (wo die meisten Ex-HDKhA Funktionäre zu finden sind) in die Dörfer – der Glauben ist hier viel mehr als nur eine individuelle Heilsvorstellung, er ist der kleinste gemeinsame Nenner des menschlichen Zusammenlebens; ein Angriff auf den Glauben ist ein Angriff auf den Grundpfeiler der Gesellschaft. Natürlich ist deren Schutz mehr Wert als das Leben von ein paar Menschen. Das können wir in unserer säkularisierten, zynischen Gesellschaft gar nicht mehr nachvollziehen (deshalb hab ich auch ganz bewusst den Holokaust-Bezug bei meinem ansonsten abwegigen Beispiel reingebracht). Aber sie müssen einem Afghanen nicht erst einreden, wie er das finden soll, wenn man (und so wirkt es nunmal) seine Religion beleidigt und herabwertet, in dem man als bewaffneter Besatzungssoldat die Heilige Schrift verbrennt.
@b
Der AAN- Bericht deckt sich in weiten Teilen mit dem negativeren Teil meiner eigenen Erfahrungen, aber zwischen „eye-rolling sessions“ nach Gesprächen zwischen Afghanen und Mentoren zu „vor Freude auf den Tischen tanzen“ aufgrund des Abzugs der Mentoren besteht m.E. ein sehr großer Unterschied.