Mehr Tote, mehr Geld

Die Pirateriesituation vor der Küste Somalias bleibt unübersichtlich – und vor allem unschön. Trotz geringerer Entführungs-Erfolge haben die Seeräuber im vergangenen Jahr mehr Lösegeld kassieren können als im Jahr zuvor (mehr dazu unten), und die Situation für die als Geiseln genommenen Seeleute bleibt extrem gefährlich: Wie heute bekannt wurde, hat das dänische Kriegsschiff Absalon am (gestrigen) Montag ein Piraten-Mutterschiff gestellt – am Ende waren zwei Seeleute der ursprünglichen Besatzung tot.

Die Schilderung des Vorfalls aus Sicht der NATO, unter deren Kommando die Absalon in der Anti-Piraterieoperation Ocean Shield steht:

During the early morning of 27th February, off the coast of Somalia, Her Danish Majesty’s Ship (HDMS) Absalon, acting as part of NATO’s counter-piracy operation (Operation OCEAN SHIELD), approached a vessel that had been previously captured by pirates and was being used as a mother-ship (from which pirates normally launch attacks on other merchant vessels).  HDMS Absalon successfully disrupted the pirate vessel however, two members of the original crew were found wounded and subsequently died.

In accordance with accepted procedures, when warning shots were unsuccessful, small arms fire from HDMS Absalon disabled and stopped the vessel.  Shortly after, the vessel stopped and the suspected pirates were seen dropping their weapons overboard.

The vessel was then boarded by a team from HDMS Absalon, 17 pirates were detained, and 16 crew members released.  Two crew members were found seriously wounded but, even after immediate medical assistance from HDMS Absalon’s embarked doctor, subsequently died.

Ich habe heute abend bei der NATO nachgefragt, ob es mittlerweile Klarheit gibt, wer für die tödlichen Schüsse auf die beiden Besatzungsmitglieder verantwortlich ist – denn auszuschließen ist ja nicht, dass die Schüsse von der Absalon zum Stoppen des Schiffs unbeabsichtigt die Geiseln getroffen haben. Informationen darüber hat auch das zuständige NATO-Kommando nach eigenen Angaben bislang nicht. (Was allerdings einige Kollegen nicht hindert, den Bericht von Associated Press mit den gleichen Fakten so zu betiteln: Somali Pirates Kill Two Hostages on ‚Pirate Mother Ship‘ oder gleich Murderous Somali pirates kill 2 hostages in confrontation with Danish warship)

Der Mißbrauch der ursprünglichen Besatzungen gekaperter Schiffe als menschliche Schutzschilde, sagen Experten mit Erfahrung in den Anti-Piraterieoperationen, macht das Vorgehen auch gegen erkannte Mutterschiffe so schwierig. Das dürfte auch das Problem des deutschen Einsatzgruppenversorgers Berlin sein, dessen Besatzung heute bereits zum zweiten Mal in der noch kurzen Einsatzzeit am Horn von Afrika  (vergangene Woche hatte die Berlin ein Skiff gestellt, die Piraten an Bord genommen und später an der Küste abgesetzt) Piraten stellte: Die Berlin konnte zwar eine gekaperte und offensichtlich als Mutterschiff genutzte Dhau aufklären, doch: Nach Anruf durch die Crew des Bordhubschraubers drohte die „Besatzung“ der Dhow Alasma mit der Erschießung von Geiseln.

Die Piraten weiten ihr Aktionsgebiet offensichtlich auch weiter aus. Am vergangenen Wochenende wurde ein Angriff am Nordeingang der Straße von Hormus gemeldet – so weit nördlich wie noch nie zuvor bisher. Das dürfte für die Piratenjäger ein doppeltes neues Problem bedeuten: Wenn ich die Mandatierung (zumindest der Deutschen Marine) richtig im Kopf habe, endet das Einsatzgebiet bei 53 Grad nördlicher Breite. Der gemeldete Angriff ereignete sich jedoch bei 56 Grad.  (Da habe ich gerade ziemlichen Blödsinn geschrieben, sorry, natürlich nicht bei 53 Grad Nord…. da sind wir ja in europäischen Breiten. ) Die Piraten bewegen sich aus dem Mandatsgebiet der EU hinaus. Und die Straße von Hormus ist angesichts der angespannten Situation vor dem Iran ein auch politisch heikles Gebiet für den Einsatz westlicher Kriegsschiffe.

Nachtrag: Heute hatten die Piraten wieder Erfolg – vor der Küste Omans wurde ein Handelsschiff entführt, wie die NATO meldet:

At 281206Z FEB 12 a merchant vessel is currently under attack by 1 skiff in position 15 01N 054 56 E
*** Vessel is hijacked ***

Unterdessen hat die UN-Organisation gegen Drogen und Kriminalität (UNODC) auch offiziell den zunehmenden finanziellen Erfolg der Piraten bestätigt: Im vergangenen Jahr erzielten sie 170 Millionen US-Dollar Lösegeld im Vergleich zu gut 110 Millionen US-Dollar im Vorjahr – und das, obwohl die Zahl der erfolgreichen Entführungen 2011 gegenüber 2010 zurückgegangen war. In diesem Jahr sollen die Seeräuber bereits zwölf Millionen US-Dollar eingenommen haben, obwohl erst zwei Handelsschiffe gegen Zahlung von Lösegeld frei kamen.

Ganz am Rande hat mich beim Beobachten der Meldungen aus dem Pirateriegebiet ja auch die Costa Allegra gewundert, ein Schwesterschiff der vor Italien auf Grund gelaufenen Costa Concordia. Zwischen Madagaskar und den Seychellen, exzellentes Jagdgebiet der Seeräuber, trieb der Kreuzfahrer nach Brand im Maschinenraum manövrierunfähig durch den Indischen Ozean und wird jetzt zur Seychellen-Hauptinsel Mahe geschleppt. Nach Berichten – unter anderem in der Tagesschau – war das Schiff so lahmgelegt, dass selbst Satellitentelefone und Funkgeräte für die Kommunikation von Hubschraubern an Bord gebracht werden mussten. Das klingt nicht nach vorausschauendem Notfallmanagement.

Und noch eine Randbemerkung: Gestern gab es Meldungen aus Brüssel, die EU-Außenminister hätten sich auf eine Verlängerung des Atalanta-Einsatzes bis Ende 2014 verständigt. Ein Kenner wies mich heute darauf hin, dass diese Meldungen merkwürdig formuliert seien – unter anderem werde bei solchen Mandaten nicht so vage Dezember oder Ende 2014 genannt, sondern in der Regel ein konkretes Datum. Irritierend ist auch, dass auf der entsprechenden EU-Webseite bislang keine Mitteilung dazu zu finden ist. Was am ehesten einer offiziellen Bestätigung nahe kommt, ist die Information auf der Seite des französischen Verteidigungsministeriums
(Nachtrag dazu: Dank einer aufmerksamen Leserin habe ich nun doch ein offizielles EU-Dokument gefunden. Allerdings handelt es sich dabei nur um Council Conclusions, nicht um Council Decisions: Recalling its Conclusions of 1st December 2011 and subject to a Council Decision to be adopted as soon as possible, the Council agreed to extend the mandate of EUNAVFOR Atalanta until December 2014. Mit anderen Worten: das ist noch nicht die abschließende Entscheidung.)