Koran in die Müllverbrennung? So verliert man den Info-Krieg

Nein, es geht nicht um den Islam. Nicht in erster Linie jedenfalls. Der Zwischenfall auf der ISAF – faktisch: US – Basis Bagram in Afghanistan könnte in die Lehrbücher: als Beispiel, wie man (wenn auch vermutlich unbeabsichtigt) die Bevölkerung eines Landes gegen sich aufbringt. Deshalb gehen aus meiner Sicht auch die Diskussionen über den intoleranten Islam und die Vergleiche von Religiosität in islamischen Ländern mit anderen Gesellschaften in diesem Fall an der Sache vorbei.

Bislang scheinen die Fakten so auszusehen: Routinemäßig wurde in Bagram Papier aussortiert, routinemäßig wurde es zur Müllverbrennung gefahren. Was aber nach den bisherigen Berichten erst dann afghanischen Arbeitern auffiel: Im Altpapier waren religiöse Druckwerke – und eben auch etliche Exemplare des Koran. Vermutlich war es denen, die für die Entsorgung zuständig waren, gar nicht erst aufgefallen. Oder sie hatten sich keine Gedanken darüber gemacht. Das wird jetzt jedenfalls untersucht.

Der US-Journalistenkollege Matthieu Aikins hat das sehr schön auf den Punkt gebracht: Der strategische Gefreite fährt eine Wagenladung Koran zur Verbrennungsanlage, und niemand hat da noch mal drüber nachgedacht?

Genau das ist es. Ehe sich jetzt Stimmen erheben, die sollten sich nicht so haben, gegenüber anderen Religionen seien Muslime auch nicht tolerant etc.: Da haben Soldaten aus Dummheit die Bevölkerung nachhaltig gegen sich aufgebracht, spielen damit dem Gegner in die Hände und gefährden ihre eigenen Kameraden. Nicht mehr und nicht weniger.

Natürlich gab es daraufhin gewaltsame Demonstrationen vor der Basis Bagram, natürlich kursieren Fotos von angesengten Koran-Exemplaren, natürlich haben die Taliban diesen barbarischen Akt scharf verurteilt (und nebenbei darauf hingewiesen, dass es allein in diesem Jahr der dritte Vorfall dieser Art sei).

Und natürlich hat der ISAF-Kommandeur und US-General John Allen sofort reagiert – mit gleich zwei Videos heute, in denen er sich bei den Afghanen entschuldigt und das Ganze als Fehler, als Versehen bezeichnet.

Und mit einer schnell veröffentlichten Weisung an die ISAF-Truppen:

Gen. John R. Allen, commander of the International Security Assistance Force, today issued a new directive that all coalition forces in Afghanistan will complete training in the proper handling of religious materials no later than March 3.

Hm. Ich hatte mir gedacht, so ein complete training in the proper handling of religious materials gehört schon weit vorher in die Ausbildung. So als Teil von Lessons Learned aus jahrelangen Erfahrungen.

Nachtrag: Auch US-Verteidigungsminister Leon Panetta hat sich Allens Entschuldigung angeschlossen – ein Zeichen, wie ernst die USA diesen Vorfall nehmen.

Nachtrag 2: Die Bücher stammen offensichtlich aus dem Gefängnis, dass die USA in Bagram betreiben, meldet AP:

Muslim holy books that were burned in a pile of garbage at a U.S. military base in Afghanistan had been removed from a library at a nearby detention center because they contained extremist messages or inscriptions, a western military official said Tuesday.The military official with knowledge of the incident said it appeared that the Korans and other Islamic readings were being used to fuel extremism, and that detainees at Parwan Detention Facility were writing on the documents to exchange extremist messages.