Gespannte Ruhe in Afghanistan
Nach den gewalttätigen Demonstrationen der vergangenen Tage in Afghanistan, ausgelöst durch die Verbrennung von Koran-Exemplaren auf der US-Basis Bagram im Osten des Landes, herrscht derzeit in der Hauptstadt Kabul wie im ganzen Land gespannte Ruhe: Unklar ist, ob der zumindest vordergründig religiös motivierte Konflikt durch die heutigen Freitagsgebete weiter angeheizt wird.
Je nach Entwicklung schreibe ich diesen Thread fort und empfehle zunächst zum Lesen ein Bericht der Agentur Reuters über das Gespräch mit dem afghanischen Arbeiter, der die Verbrennung der heiligen Bücher entdeckt hatte: Afghan laborer recalls rage as he tried to save charred Korans
In a small room near NATO’s sprawling Bagram Airbase, Sayed Jamil fumes as he remembers how three U.S. soldiers ignored the pleas of fellow laborers not to burn dozens of copies of the Koran, the Muslim holy book.
Nachtrag: Bei Al Jazeera gibt es ein Live Blog zur heutigen Entwicklung in Afghanistan.
Nachtrag 2: Ein Video vom Besuch des ISAF-Kommandeurs und US-Generals John Allen auf der Basis, auf der gestern zwei US-Soldaten von einem Mann in afghanischer Uniform erschossen wurden – wo Allen seine Soldaten aufruft, sich nach diesem Vorfall nicht von Wut übermannen zu lassen: We’re here for the Afghan people:
Update: Erste Berichte über Unruhen bei Demonstrationen in Kabul – New York Times: Koran Protests Resume in Afghanistan Despite U.S. Apology
„Bundeswehr gibt afghanischen Außenposten vorzeitig auf“
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,817260,00.html
@T.W.: Leider überschnitt sich der neue Thread mit meinem Kommentar, deshalb reposte ich ihn hier noch einmal.
Was mir in der ganzen Diskussion – nicht nur hier – fehlt, wäre einmal die Aufklärung, wie denn eine “religionskonforme Entsorgung” einer heiligen Schrift zu erfolgen hat? Muss die von einem Imam vorgenommen werden, dass Buch quasi entsegnet werden? Dies soll keinen Sarkasmus, sondern wirklich eine pragmatisch orientierte Frage sein.
Dass eine angedachte/ durchgeführte Verbrennung das Potential zur Eskalation besitzt, leuchtet mir ja vor dem kulturellen Hintergrund ein und war einfach bescheuert, aber wie um Gottes Willen (im Wahrsten Wortsinne) soll man das denn nun anstellen?
Mariner | 24. Februar 2012 – 8:48
Die einfachste und beste Lösung: Die nicht benötigten Ausgaben des Koran in der nächsten Mosche abgeben …
@Marine – religionskonforme Entsorgung
a. Vergraben
b. Einem fließenden Gewässer anvertrauen
Am besten aber nicht selber machen sondern einen Mullah darum bitten das ordentlich abzuwickeln.
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Die New York Times hat einen aktuellen (Januar 2012) geheimen 30-Seiten Bericht der Task Force 3-10 ausgegraben. TF3-10 ist für die Befragung von Gefangenen in Bagram/Parwin zuständig. Tenor des Berichts: Die Taliban sind beim Volk beliebt, zuversichtlich und werden den ganzen Laden wohl übernehmen.
‘State of the Taliban’
einen wissenschaftlichen Text dazu habe ich nicht gefunden … aber es gibt verschiedene Verfahren um eine entsorgung möglich zu machen, dazu ist meines Wissens nach nicht unbedingt eine religiöse autorität erforderlich (gut, für uns vermutlich schon …).
die englisch sprachige wiki sagt folgendes dazu:
Worn-out, torn, or errant (for example, pages out of order) Qurans are left free to flow in a river, kept somewhere safe, burned, or buried in a remote location
Vergraben und einem fließgewässer übereignen war auch schon in den Kommentaren eines vorhergehenden prostings angesprochen worden. Bzgl Verbrennen scheint es aber widersprüchliche ansichten zu geben (wurde auch an anderer Stelle mal als probates mittel angesprochen). Das dürfte aber nicht verwundern bei 5 großen islamischen Rechtsschulen und diversen von lokalen Traditionen beeinflussten interpretationen ebene jener.
@ Mariner, theoretisch kann man einen Koran auch verbrennen – zumal wenn ein Mullah das macht regt sich keiner auf. Wenn das aber bewaffnete Soldaten einer (faktischen) Besatzungsmacht machen, die zudem noch in der Vergangenheit immer mal wieder Schlagzeilen mit Verachtung & Herabsetzung der „Kuffnucken-Religion“ (wie unsere Landser sagen) aufgefallen sind, ist es eine der wenigen Sachen über die sich so ziemlich alle Afghanen noch gemeinsam aufregen können. Siehe auch 01.04.2011, Mazar-e Sharif – fragen wir mal die Kollegen von UNAMA (ach nee, geht ja nicht mehr).
@all: Danke für die Hinweise!
@markus: „vorhergehenden prostings“, netter Typo, das verleiht den Kommentaren hier doch eine ganz andere Sichtweise ;-)
Ich bitte schon mal präventiv um Entschuldigung, aber was machen die Taliban eigentlich mit den Bibeln, die sie ihren christlichen Gefangenen (aka Entführungsopfer) geben?
@b: im Bericht wird doch aber sehr ausdrücklich auf die Einseitigkeit der Befragung hingewiesen: „4000 Taliban, Al Quaeda, foreign fighters and civilians. As this document ist derived directley by insurgents…“ Das heißt weiter, dass ein solches Dokument in seiner Darstellung allein nicht als Grundlage für eine These ala „Die Talibs werden AFG übernehmen“ dienen kann.
@All: ich glaube nicht, dass es Zielführend ist westliche Wertmaßstäbe bei den Afghanen anzulegen.
Auch wenn es bescheuert klingen mag: Mich würde interessieren, wie die afghanische Öffentlichkeit reagieren würde, wenn man „zum Ausgleich“ einfach ein paar Bibeln verheizen würde.
@ S.St.
Die Talibs sind keine moralisierenden Spinner mit dem Springerkonzern im Nacken. Da gibts keine Bibeln. Wer die Nähe zu seinem Gott sucht, braucht dafür kein Buch. Das wissen die. Ansonsten gibts Sonntag morgen um 10 die übliche Prügel, etwas Scheinexikutionen und dann kann auch schon wieder Mittagessen.
Stiller Leser. Wollte aber als Diskussionsgrundlage des jüngsten Vorfalls das US-Merkblatt für die Streitkräfte zum Entsorgen religiösen Materials nicht vorenthalten. Der Islam ist letzter Punkt, also runterscrollen. In Kürze: Verbrennen des Korans ist erlaubt, wenn Begraben oder im Fluß versenken nicht möglich ist.
http://humancond.org/_media/analysis/handling_and_disposal_of_religious_items.pdf