Elf Tote und schlechte Aussichten
Auch wenn die Proteste gegen die Verbrennung von Koran-Exemplaren durch US-Soldaten in Afghanistan am heutigen Freitag, dem islamischen Feiertag, nicht so gewalttätig ausfielen wie befürchtet: elf Tote gab es landesweit auf jeden Fall, nach den bisherigen Zählungen.
Und es gibt zunehmend trübe Aussichten.
Auch der deutsche Afghanistan-Experte Thomas Ruttig äußerte sich heute (erneut) skeptisch – nach seinen gestrigen Aussagen im Deutschlandfunk heute in der Süddeutschen Zeitung. Dabei kritisiert er auch die – beschleunigte – Räumung des Bundeswehr-Stützpunkts Talokan, der offiziell bereits außer Dienst gestellt und angesichts der Demonstrationen schneller leer gezogen wurde: Den Entschluss, den Stützpunkt Talokan zuerst aufzugeben, halte ich für kontraproduktiv, denn er befand sich mitten in der Stadt und war zugänglich. Die anderen Camps sind abgelegene und extrem gesicherte Festungen, wo man mit den Afghanen schwer in Interaktion treten kann.
Bilder des heutigen Tages aus Afghanistan von Reuters TV:
Es ist die Frage, aus welchen Gründen Talokan genau aufgegeben wurde. Stimmt es wirklich, dass der Stützpunkt angeblich schon gegen einen steinwerfenden Mob kaum zu behaupten war? Befürchtet man unter diesen Umständen evtl. massierte Angriffe von INS auf solche verwundbareren Posten nach dem Vorbild der letzten Attacke in Kabul? Oder liege ich mit meiner Einschätzung völlig daneben? ;-)
@ Hekto – Naja, gibt ja schon so einige Gründe, sowohl psychologischer (die Welt, vom Käfginneren des RC N aus betrachtet) als auch praktischer Natur – das PAT liegt wirklich mitten in der Stadt und ist schon räumlich sehr klein, da gibts nicht die Drefachabsicherungsringe wie bei den erwähnte Fluchtburgen an den Fughäfen in FEY, KDZ und MES… ein entschlossener Haufen Demonstranten könnte in TLQ durchaus das Gelände stürmen. Und ansonsten:
1) schlechte Erfahrungen der BW mit Demonstrationen in Taloqan letztes Jahr
2) ganz schlechte Erfahrungen von GM Kneip persönlich in Taloqan, auch letztes Jahr
3) unangenehme Erfahrungen des RC North mit demonstrierenden Menschenmassen nach Koranverbrennungen direkt vor der eigenen Haustür (Stichwort UNAMA in Mazar), ebenfalls letztes Jahr
4) das PAT Taloqan ist nunmal ein Magnet für Demonstranten, mitten in der Stadt und sogar einfacher zu erreichen (da keine Polizeisperren) als Gouverneurssitz und Polizei-HQ – bietet sich also für Demonstrationen aller Art ohnehin an
5) in TLQ ist auch nur noch das Abbaukommando, die sind nicht wirklich für riot control gedacht
6) Takhar ist zunehmend Operationsgebiet der IMU geworden, wir haben hier also Leute im Raum, die durchaus auch mal zu komplexeren Aktionen in der Lage wären und das auch mehrfach innerhalb der Stadt Taloqan bewiesen haben – ggf. könnten sich da mal ein oder zwei suicider im Schutze so einer wütenden Menge annähern… gaaaaanz böses Szenario
7) letztlich wird GM Kneip wohl kaum am Ende seiner Amtszeit noch einen Skandal haben wollen, weil es zu Verlusten unter der BW oder gar erneut Schüssen von BW-Soldaten in die Menge gekommen ist. Der „ich bin doch schon fast in Termez.. hoffentlich passiert in meiner Amtszeit nichts mehr“-Faktor…
Ich stimme Thomas zwar zu, dass die Aufgabe des PAT irgendwie schade ist, weil TLQ noch am ehesten am alten PRT-Konzept von 2003/04 dran war. Aber auch das ist im Endeffekt Makulatur, es geht ja nur noch um Rückzugsverwaltung unter dem Gesichtspunkt der Minimierung eigenen Risikos. Und da war das doch mal eine konsequente Entscheidung.
Die Proteste sind vielleicht besser, als Bücherverbrennungen einfach so hinzunehmen. http://andreasmoser.wordpress.com/2012/02/24/bucherverbrennung-hier-und-dort/ – Wir können es den Afghanen nicht vorhalten, wenn sie aus der deutschen Geschichte lernen.
Herr Ruttig mag ein Afghanistan – Experte sein, offensichtlich jedoch nicht ein Militärexperte! Talokan ist ein Außenposten mit einer Handvoll Soldaten!
Zitat Ruttig: „…Den Entschluss, den Stützpunkt Talokan zuerst aufzugeben, halte ich für kontraproduktiv, denn er befand sich mitten in der Stadt und war zugänglich….“
Bei einer ähnlichen Situation (Mohammed – Karikaturen) kam es zu einem Sturm auf ein norwegisches PRT. Nur der massive Einsatz von QRF Kräften und F-16 Kampfflugzeugen konnte die Besatzung des PRT gerettet werden!
Herr sievert, da haben sie Recht. Und ums überleben kämpfen und auf demonstranten schißen ist auch nicht vermittelbar.
@Andreas Moser
Sehr geehrter Herr Moser,
was soll das denn sein? Ein Versuch, „Toleranz“ und „Verständnis“ mit der Brechstange durchzusetzen?
Heute gibt es weitere Demonstrationen und auch wieder Tote in mehren Städten.
In Kunduz versuchen gerade ca. 8.000 Demonstranten, einige davon bewaffnet, den UNAMA Stützpunkt einzunehmen. Bisher gab es drei Tote und mehrere Verletzte dort.
@b
Danke, neuen Thread aufgemacht.