Kriminelle im Staatsdienst: Weiter Probleme mit Milizen in Afghanistan
Das Problem schwelt seit langem, und zuletzt im September hatte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auf die massiven Probleme hingewiesen: bewaffnete Organisationen wie örtliche (Stammes)Milizen und Einzelpersonen, die durch Handauflegen zur Sicherheitskräften in Afghanistan mutieren, sind für die afghanische Bevölkerung ein tägliches Problem – und unterminieren das ohnehin nur spärlich vorhandene Vertrauen in einen Rechtsstaat.
Dass sich in den vergangenen Monaten da nichts zu Besseren gewendet hat, auch nicht im Norden Afghanistans mit seinem (von deutscher Seite geführten) Regionalkommando Nord, zeigen zwei Berichte aus diesen Tagen.
Am (gestrigen) Sonntagabend berichtete der Deutschlandfunk in seinem Feature Misstrauen regiert in Afghanistan:
Weil das Wort „Miliz“ bei den Afghanen unliebsame Erinnerungen an die Zeit des Bürgerkriegs wachruft, lassen sich die US-Sponsoren immer neue Abkürzungen für die irregulären Kräfte einfallen. Neben der ALP, der Afghan Local Police, gibt es seit Frühjahr 2011 in und um Kundus auch die so genannten CIP-Guards. CIP steht für Critical Infrastructure Project und klingt noch ziviler als „Polizei“. Die unausgebildeten Freiwilligen dieser neuen Formation stehen überall in der Problemregion Schardarâh mit Kalaschnikows im Anschlag an Kontrollpunkten. Sie tragen keine militärischen Monturen, sondern zu ihren Pluderhosen und randlosen Kappen lediglich gelbe Armbinden. (…) Tatsache ist, dass viele der neuen Hilfs-Sheriffs offensichtlich dazu neigen, ihren Sold nach Kräften aufzubessern. In Kundus betrachten viele sie als eine Art von Landplage.
Und Spiegel Online legt heute nach – Plünderer im Auftrag der USA:
Das schwedische Militär in Masar-i-Scharif übt in einer als „Nato/Isaf secret“ eingestuften Einschätzung vom 29. August vernichtende Kritik am Isaf-Projekt Critical Infrastructure Protection Project (CIPP). Deren Kämpfer würden „wahrscheinlich mehr Menschenrechtsverletzungen begehen als reguläre Polizeieinheiten, da sie weder ausgebildet noch kontrolliert werden“.
(Übrigens: Die sehr lesenswerte Langfassung des Artikels von Christoph Reuter steht im gedruckten Spiegel: Rezept für den Bürgerkrieg. Auf Englisch gibt es sie bereits online: Laying the Groundwork for Civil War)
Solche Details spielen auf der derzeit laufenden Afghanistan-Konferenz in Bonn – so weit erkennbar – keine Rolle. Nach den ganzen Reden, die ich heute vormittag hörte, sagt so ziemlich die gesamte internationale Staatengemeinschaft dem Land am Hindukusch Hilfe über das Jahr 2014 hinaus zu. Allerdings in sehr generellen Worten. Entscheidend werden aber die Einzelheiten sein.
(Die Rede von Afghanistans Präsident Hamid Karzai gibt’s hier zum Nachlesen.)
@ T,W
„…spärlich vorhandene Vertrauen in einen Rechtsstaat.“
Frage: Ist die Islamische Republik Afghanistan tatsächlich ein Rechtsstaat im Sinne eines aufgeklärten westlichen Modells oder handelt es sich nicht eher um etwas anderes?
„However, your continued solidarity, commitment and support will be crucial, particularly in the period between 2014 and 2024, so that we can consolidate our gains and continue to address the challenges that remain…“
Ganz schön lange noch … bis 2024. Und danach?
„Ganz schön lange noch … bis 2024. Und danach?“
Spätestens dann dürfte der Bürgermeister von Kabul unfreiwillig Mitwirkender an einer öffentlichen Veranstaltung im Ghazi-Stadion werden…
@ Prediger
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er rechtzeitig das Land verlassen wird; vermute ich mal.
Passend zum Thema:
Afghanischer Geheimdienst in Anschlag verwickelt
Berlin (dpa) – Der afghanische Geheimdienst NDS hat nach einem Bericht der «Bild»-Zeitung offenbar mit den Aufständischen kooperiert, die im Juni einen Schützenpanzer der Bundeswehr in Nordafghanistan in die Luft gesprengt haben. Bei dem Anschlag waren ein deutscher Soldat getötet und fünf weitere verletzt worden. Laut einem Ermittlungsbericht der Bundeswehr sei der Anschlag von der Gruppe eines Kommandeurs der Aufständischen durchgeführt worden, der vom afghanischen Geheimdienst unterstützt worden sei. Die Verbindung sei Bundeswehr und Verteidigungsministerium bekanntgewesen.
Und hier der Bericht der Bild: http://www.bild.de/politik/ausland/anschlag/geheimbericht-enthuellt-wahrheit-ueber-anschlag-21396512.bild.html
Sollte dies so zutreffen, wird das doch wohl hoffentlich Konsequenzen haben, oder?
Eher nicht :-(
@Roman
Ich vergesse leider immer, daß z.B. ein Werbevideo der Bundeswehr wichtiger als solche Kleinigkeiten sind.
@ Prediger
tja, die mediale Welt bestimmt darüber, was wichtig ist. Iss so.