Verdammte Statistik
Das Thema ist heikel, und ich hoffe, ich verletzte jetzt Niemandens Gefühle. Dennoch bin ich recht irritiert, wenn ich bei tagesschau.de lese
Hohe Selbstmordrate bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr – Jeder fünfte Soldat nahm sich das Leben
(Die Überschrift wurde nachträglich geändert und lautet jetzt 19 Soldaten nahmen sich das Leben – Hohe Selbstmordrate bei Auslandseinsätzen)
unter Berufung auf diese Spiegel-Vorabmeldung
Hohe Selbstmordrate bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr
Schauen wir uns die Zahlen mal an. Zunächst mal stimmt natürlich nicht, dass sich jeder fünfte Soldat das Leben genommen hätte…
Seit Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr haben sich 19 Soldaten das Leben genommen. Jeder Einzelne ist einer zu viel – aber vergleichen wir das mal mit der Friedens-Realität in Deutschland. 19 Soldaten von insgesamt mehr als 300.000 bislang im Auslandseinsatz (das ist ja die offizielle Ministeriumszahl) entspricht einer Rate von 0,0063 Prozent. Und ist deutlich weniger als die 11,4 Suizide auf 100.000 Einwohner, die laut Wikipedia in Deutschland jährlich passieren.
Dass die Zahl ein Fünftel bzw. 20 Prozent in den Meldungen so prominent herausgestellt werden, hat einen eigentlich erfreulichen Grund: Die insgesamt 99 Toten in den Einsätzen bisher sind – auch wenn erneut gilt: jeder Tote ist einer zu viel – eine Zahl, über die die Bundeswehr und die deutsche Gesellschaft erleichtert sein können. Verglichen mit den 66 Gefallenen, die die U.S.-Streitkräfte allein im August dieses Jahres allein in Afghanistan zu verzeichnen haben, sind die Deutschen bisher sehr glimpflich davon gekommen. Das wäre eigentlich die Geschichte. Aber klingt nicht so knallig wie Hohe Selbstmordrate.
Nachtrag: Danke für den Leserhinweis auf die Bundeswehrzahlen
Selbsttötung in der Bundeswehr 1957-2010, nach Jahren aufgeschlüsselt
Suizide im Auslandseinsatz, 1998 – 2010 (das sind die oben genannten 19)
Jetzt müsste man natürlich die Zahlen vor Beginn der Auslandseinsätze in Relation zur damaligen Truppenstärke stellen. Dennoch scheinen sie mir auf den ersten Blick deutlich höher.
und schon wieder werden Zahlen verglichen, die nicht passen.
300.000 Soldaten bisher zu 100.000 / pro Jahr. Da Stimmt die Basis nicht. Man braucht die Zahl der Auslandssoldaten pro Jahr.
Sie treffen den Nagel auf den Kopf – anscheinend ist das Sommerloch noch nicht vorbei…
Was viel interessanter zu untersuchen wäre, ist die Tatsache, das anscheinend doch viele Traumata von Einsatzrückkehrern nicht als WDB von den zuständigen (Verwaltungs-)Stellen anerkannt werden. Die Wehrverwaltung hat sich offensichtlich noch nicht an die Einsatzrealität im Jahre 2010+ gewöhnt und versucht den Fiskus treu und tapfer zu verteidigen.
Ich lese da einen anderen Wrtlaut, nälich das 20% der Todesfälle im Einsatz einen Suizid darstellen, nicht das 20% der Einsatzteilnehmer Suizid verüben.
Zitat (erster Link): „Jeder fünfte der bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gestorbenen Soldaten hat sich selbst umgebracht.“
Wurde scheinbar nachträglich geändert / verbessert.
SPON hatte ich schon vor geraumer Weile von der Liste der objektiv lesenswerten Seiten (Ausnahme Unispiegel) gestrichen, aber das ich jetzt selbst noch tagesschau.de dem hinzufügen muss, hätte ich nicht gedacht.
Ich glaube, dass wir bei über 3.000 Toten seit Gründung der Bundeswehr liegen und auf bundeswehr.de habe ich gerade folgendes unter dem Suchwort „Tote“ gefunden:
Totgefahren – Wenn Soldaten bei Unfällen sterben
Alleine in 2007 65 Soldaten bei Unfällen gestorben.
Aber es ist ja bald Wahlkampf und die SPD braucht Schlagzeilen; und die lassen sich wunderbar auf dem Rücken der Soldaten bilden. Wer schickte uns noch nach AFG?!
Ich werde Politiker, ich leide gerade an partieller Amnesie, scheint ja manchmal Grundvoraussetzung für MdL/MdB o.ä. zu sein.
Wobei es natürlich angesichts der unglaublichen Masse an US Truppen auch was von Äpfel und Birnen hat, Gefallene der US und deutschen Streitkräfte in absoluten Zahlen zu vergleichen.
Hier würden mich tatsächlich mal die relativen Werte interessieren.
Und meint die Ministeriumszahl, das die Summe der Kontigentstärke 300 000 ist, oder waren das tatsächlich 300 000 _unique_ Soldaten (um den Begriff aus der Webstatistik zu verwenden)?
[Unique würde mich tatsächlich überraschen, da viele Soldaten ja mehrfach gehen]
Oh und natürlich eine höchst interessante Folgefrage, grade in Relation zum Thema PTSD-Dunkelziffer: Wie hoch ist die Selbstmordrate unter Rückkehrern? Signifikant höher als der Rest der Bevölkerung? Frage mich ob es dazu schon Studien gibt oder in Planung sind seitens der Bw-Führung.
Mir ist heute morgen beim lesen der Spiegel-Vorabmeldungen jedenfalls die Zornesröte in’s Gesicht gestiegen! Ist der Nachrichtenwert dieser Meldung statistisch überhaupt noch auswertbar?
Es ist halt immer eine Frage der richtigen Bezugsgröße.
Die Meldung, dass 20 % der toten Soldaten Suizidfälle sind, ist ja richtig. Ob man dagegen jetzt die Normalbevölkerung als statistische Größe selbst, ist doch schon sehr zweifelhaft.
Denn man kann wohl kaum diese beiden Gruppen vergleichen, etwa den todkranken Rentner mit dem jungen Bundeswehrsoldaten, der vielleicht zu Hause Frau und Kind sitzen hat.
Wenn man schon vergleicht, dann sollte man eher mit einer gleichartigen Gruppe vergleichen, also zB die zu Haus gebliebenen Soldaten (mit/ohne Auslands“erfahrung“).
Man darf auch nicht vergessen, dass Soldaten im Auslandseinsatz mehr oder weniger die Elite darstellen, also körperlich und geistig gesund sein müssen und ansich eine feste Organisationsstruktur haben sowie auch konkret „gebraucht“ werden im Alltag. Das ist beim typischen Selbstmord hier in unseren Landen natürlich ganz anders.
Im Übrigen ist die Zahl auch für die Bundeswehr ein großes Problem, denn erstens steckt hinter einem Selbstmord oftmals ein langer Leidensweg und vielleicht kommen sogar auf einen Selbstmord 10 psychisch erkrankte Soldaten.
Zweitens muss man sich fragen, wie es in einen Lager, wo man so nahe aufeinander hockt möglich ist, sich selbst zu töten, ohne dass die Umwelt etwas mitbekommt. Anzeichen müssten doch gesehen werden oder sind die Kameraden nicht sensibel genug?
Auf jeden Fall sind die Zahlen ein Armutszeugnis für die Bundeswehr.
Je nach dem welche Vergleichsgruppe dem Nachrichtenwert gegenüber gestellt wird.
Wahlkämpfende Politiker, Antifa, Linkspartei und NPD gegen uninteressierte Bevölkerung, Soldaten..
Bei erstgenannten hoher, bei letztgenannten niedriger Meldewert.
Herr Wiegold, danke für diesen Beitrag.
Ich hab seit Monaten das erste mal wieder heute spiegel.de angeklickt – und mir spontan meinen Schädel aufn Tisch schlagen müssen bei dem genannten Artikel.
Ich weiß nicht, was da beim Spiegel manchmal los ist – mit vernünftigem Journalismus hat das schon lange nichts mehr zu tun.
Danke für den geglückten Versuch die genannten Zahlen in ein Verhältnis zu setzen. Absolut können solche Zahlen natürlich aufrütteln, das ist dann aber durch den entsprechenden Verfasser gewollt. Spricht nicht für seriösen Journalismus.
Das solche genauen Zahlen überhaupt kursieren ist eigentlich schon bemerkenswert. Versuche ähnliche belastbare Zahlen der US-Army zu erhalten enden meistens schnell. Dort sind diese Informationen als FD (foreign disclosure) eingestuft, also nix für Ausländer. Immerhin geht die Bundeswehr damit also offen um. Wenn man dann noch die (in Relation gesetzten) vergleichsweise niedrigen deutschen Zahlen betrachtet – wo ist jetzt der Aufhänger für negative Schlagzeilen??
Zwischenzeitlich hat tagesschau.de die Überschrift aber offensichtlich berichtigt; ich würde im übrigen einfach auf einen Fehler tippen, wie er unter Zeitdruck schon mal passieren kann.
Den Sachverhalt verstehe ich im übrigen so: Von den 99 Toten, welche die Bundeswehr bisher bei Auslandseinsätzen zu beklagen hatte, sind ein Fünftel Selbstmorde. Das für sich betrachtet scheint mir aber eine durchaus ungewöhnliche und alarmierende Zahl zu sein. Da wäre ein Vergleich mit anderen Nationen interessant.
In der Tat hat tagesschau.de offensichtlich die Überschrift nachträglich geändert.
Was die Bezugsgrößen etc. angeht: Das ist ja genau das Problem. Ein Fünftel klingt verdammt viel. Aber ist die Zahl der Toten insgesamt im Vergleich zur Zahl der im Einsatz befindlichen/gewesenen Soldaten hoch oder eher nicht? Wie sieht die Rate der Suizide bei Bundeswehrsoldaten im Inland aus? etc. Ohne diese Infos bleibt nur die absolute Zahl: 19 Selbstmorde seit Beginn der Auslandseinsätze. Ohne dass die Einordnung wirklich möglich wäre.
Na, knapp 20 Suizid-Tote in ca. 20 Jahren Auslandseinsätzen der Bundeswehr … Ich sehe darin grundsätzlich eine statistische-positiv Meldung. Bundeswehr … alles richtig gemacht, die richtigen Soldaten geschickt. Jedes Einzelschicksal ist natürlich traurig; aber 1 Selbstmord pro Jahr scheint mir eine Erfolgsstory zu sein. Ich schreibe das hier ohne Ironie und Zynismus.
@egal
Sie müssen das einfach mal relativieren und man kann „auch wenn man aufeinanderhockt“ nicht jeden selbstmordgefährdeten Kameraden erkennen. Funktioniert innerhalb von Familien ja auch nicht …
Hier mal die offiziellen Zahlen der Bundeswehr:
http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/DclBDoAgDAXRs3gBunfnLdRNU-xXCaQYREk8vWR2b2ilnskbDqkhmySaadnC6JvzTeEOKCzC3CdngvFjyrvE2qVmxb0LUgIHY0Vh3zfuhrPQFafhB-oSd6w!/#par2
In den USA sind eher die Selbstmorde nach der Einsatz Rückkehr eine Thematik. Und da gab es in den letzten Jahren immer wieder sehr öffentliche Debatten – inklusive Zahlen (jedenfalls vom Heer). Es gab auf einigen Basen regelrechte Selbstmord-Wellen. Kürzlich war wieder Lewis-McChord im Gespräch. z.B.:
http://www.kuow.org/northwestnews.php?storyID=134179598
Übrigens ist dort nicht alles was man in den Statistiken als „non-combat incident“ findet wirklich Unfälle. Darunter fallen auch Selbstmorde und einige mysteriöse Vorfälle die man als Selbstmorde dargestellt hat, aber eventuell Morde sind.
Die Gefahr ist groß, dass man aus der Statistik die falschen Schlüsse zieht, oder, wenn man Politiker ist, diejenigen Schlüsse, die sich als Munition im politischen Tagesgeschäft verwerten lassen.
Zum Vergleich müsste man Personenkreise heranziehen, deren Lebensbedingungen ähnlich schwer sind, jedoch ohne die Komponente des militärischen Einsatzes. Zu denken wäre hier an in Ländern der Dritten Welt eingesetzte Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen oder etwa auch Mitarbeiter des Auswärtigen Amts.
Zudem benötigt man vergleichbares Zahlenmaterial für Bundeswehrangehörige unter „Friedensbedingungen“.
Zweitens muss man sich fragen, wie es in einen Lager, wo man so nahe aufeinander hockt möglich ist, sich selbst zu töten, ohne dass die Umwelt etwas mitbekommt. Anzeichen müssten doch gesehen werden oder sind die Kameraden nicht sensibel genug?
So ein Lager ist zum Einen doch recht groß, auch wenn geschrieben wird, dass es aus allen Nähten platzt und zum Anderen geht der normale Soldat (außer vielleicht für gewisse zwischenmenschliche Aktivitäten) alleine auf Toilette.
Die Umwelt bekommt es übrigens meist dann mit, wenn der Knall (=Mündungsknall) erschallt und in den Dixi-Klos der US-Streitkräfte dann ein Loch in der Wand ist.
Um auch gleich mal darauf hinzuweisen, wo es meist passiert und welche Nation das Problem deutlich häufiger hat.
Suizide in der Bundeswehr gesamt 1957 bis 2010, Stand 24.01.2011:
http://bit.ly/prgXv9
Suizide in Auslandseinsätzen der Bundeswehr 1998 bis 2010, Stand 29.08.2011:
http://bit.ly/nCpnel
Quelle: bundeswehr.de
Das hätten sowohl Herr Bartels von der SPD als auch der Spiegel sowie alle „Abschreiber“ mit geringem Rechercheaufwand von der Internetpräsenz der Bundeswehr entnehmen können.
Einfach blamabel!
Die amerikanischen Streitkräfte haben allein im Zeitraum von Januar bis Juli dieses Jahres 160 Selbstmorde verzeichnet, davon alleine im Juli 32. Das ist die bisher höchste Zahl seit Juni 2009 (31).
Siehe Washington Post vom 12.08.2011: http://wapo.st/pzEpXF
@Joachim – Das solche genauen Zahlen überhaupt kursieren ist eigentlich schon bemerkenswert. Versuche ähnliche belastbare Zahlen der US-Army zu erhalten enden meistens schnell. Dort sind diese Informationen als FD (foreign disclosure) eingestuft, also nix für Ausländer.
Man kann den Amis berechtigterweise vieles vorwerfen, mache ich auch gerne, aber in dem Fall ist das unangebracht.
Es werden von der Army und den anderen Bereichen monatlich Statistiken dazu in Pressemitteilungen veröffentlicht. Es gibt eine eigene Seite für Military Casualty Information und eine eigene Seite für Suicide Prevention die auch ein paar Zahlen hat.
Alles recht gut gegliedert und für jeden öffentlich verfügbar.
Für Veteranen gab es keine zentrale Statistik aber nachdem CBS das 2007 mal angeprangert hat soll es jetzt eine geben. (Gefunden habe ich die allerdings nur auf Ebene der Einzelstaaten.)
Für in Irak/Afghanistan aktive U.S. Soldaten liegt die Selbstmordrate deutlich über der Rate der Bevölkerung (das war vor den Kriegen anders). Bei Veteranen ist sie mehr als doppelt so hoch als in der allgemeinen Bevölkerung.
Hat jemand, analog zu dieser Statistik auch noch die Gesamtzahlen der Soldaten der Bundeswehr, damit man einen Schnitt errechnen könnte?
Also … die Zahlen selber interessieren mich eigentlich nicht. Was ich an der Nachricht bemerkenswert finde, ist, dass sie sich mit dem deckt, was ich von Freunden gehört habe, die als Soldaten im Ausland gedient haben: Nämlich, dass die Selbstmordrate von den Soldaten selber als hoch wahrgenommen wird und gleichzeitig in der Kommunikation nach Außen runtergespielt wird. Die eigentlich spannende Frage ist ja nämlich nicht, die ob noch 20% oder 0,00006%, sondern: werden die Menschen, die wir dort hin entsenden vorher angemessen auf die kommenden Belastungen vorbereitet und ausgebildet und stehen ihnen während der Belastung dort angemessene Hilfsangbote zur Verfügung?
Ich meine … sicherlich … das sind inzwischen (hoffe ich) alles Berufssoldaten, die wissen soltlen, was sie tun und was ihr Beruf ist. Nichtsdestotrotz werden sie vom Souverän dieses Landes, von uns allen dort hinentsandt und ich finde, das allerwenigste, was man dann machen kann, ist die Menschen entsprechend auszubilden.
@ ben_
Nicht nur Berufssoldaten werden in die Einsaetze entsandt, dies aber nur am Rande.
Menschen, die Suizid begehen, befanden sich zumeist in einer – fuer sie scheinbar – ausweglosen Lage.
Das Leben ist sehr komplex und die sich hieraus eventuell ergebenden Probleme und Schwierigkeiten sind so unterschiedlich und in einer solchen Breite, dass ihre Loesung ebenso herausfordernd ist.
Die Ausbildung so zu gestalten, dass Suizid zu 100 Prozent bei einem psychisch angeschlagenen Menschen vermieden werden kann, ist nicht moeglich.
Nicht, weil die Bundeswehr dies nicht leisten will, sondern weil das Theam insgesamt so vielschichtig und individuell ist.
Hinzu kommt, dass der Suizid nicht „oeffentlich angeschrieben“ angekuendigt wird, der Wunsch entwickelt sich eher tief im Inneren und wird oft aktiv verdeckt.
Die Vor- und Warnzeichen koennen so minimal sein mit der Konsequenz, sie werden uebersehen (nicht aus Ignoranz!) und nicht wahrgenommen. Auch hier kann die Ausbildungsvorbereitung nicht alle Risiken gaenzlich ausschliessen.
Ich weiss um die vielen Angebote in unterschiedlichen Ebenen innerhalb unserer Armee, die Menschen bei Problemen mit gutem Erfolg helfen koennen. Die Expertise ist da. Und die Vorbereitung auf Belastungen und die Begleitung in Belastungen sind ebenfalls auf hohem Niveau.
Es gilt „einfach“, auf jeden Mitmenschen zu achten und sich nicht zu scheuen, bei einem „Verdacht“ zu agieren und Fachleute einzubeziehen. Im Sinne der Hilfe.
Allerdings ist das leicht gesagt, die Realitaet ist eben wahnsinng schwierig und fordernd bei diesem Thema. Eine Erfolgsgarantie gibt es hierbei nicht. LEIDER.
Für Statistikfreunde:
Die Jahresdurchschnittsstärken der Bundeswehr von 1959 bis 2010 sind anhaltsweise als Graphik dem Bericht des Wehrbeauftragten 2010 vom 25. Januar 2011, S. 56 zu entnehmen:
http://bit.ly/nYXn8e
Auch abgebildet bei Wikipedia:
http://bit.ly/oSz5Q8
Liegt die Wahrnehmung der erhöhten Selbstmordrate bei Soldaten und Zivilisten an der verbesserten Aufdeckung der Statistiker und Journalisten oder an der objektiv höheren Zahl von Suizidgefährdeten, – erfahrenen und -erfolgreichen, gesehen über die letzten Jahrzehnte, Jahrhunderte ?
Falls letzteres der Fall ist, wovon ich ausgehen, sollte die Ursachenbekämpfung nicht nur in der Bundeswehr und ihren Ausbildungsmöglichkeiten, in Form von Vor- und Nachbereitungen, gesucht werden, sondern auch in der Optimierung unserer Gesellschafts- und Familienstrukturen, die dem heranwachsenden Menschen Kraft, Vertrauen, Mut und Stärke auf physischer und psychischer Ebene mitgeben sollten…
Mir kommt die Selbstmordrate im Ausland als kaum wahrnehmbar vor.
In DEU fallen mir spontan mehr Situationen ein, bei denen der Verdacht bestand, und dabei handelte es sich ausnahmslos um GWDL/FWDL ohne Einsatzerfahrung.
Außerdem nehme ich jetzt an, ohne es belegen zu können, dass der häufigste Grund, sowohl im Inland als auch im Ausland, Liebeskummer o.ä. sein dürfte.
So viel anders sind die Probleme 20jähriger in DEU und im Ausland nämlich nicht.
Das die räumliche und zeitliche Trennung bei Auslandseinsätzen da mit rein spielen können, mag sein, aber dann ist schon der zweiwöchige Übungsplatzaufenthalt ein Beziehungsproblem.
Noch mehr Detailzahlen für Statistikfreunde:
Durchschnittliche ‚Personalstärke der Bundeswehr von 1956 bis 2008, aufgegliedert nach Berufs-/zeitsoldaten und Wehrdienstleistende. Siehe Antwort der Bundesregierung vom 16.03.2009 auf die erste Frage der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke „Verletzungen und Todesfälle von Bundeswehrsoldaten“:
http://bit.ly/pqQbzj
Die Antwort Nummer 12 beschäftigt sich auch mit den Suizidfällen von 1957 bis 2008. Dort heißt es auch: „In den zurückliegenden Jahren liegt die Rate der Suizide in der Bundeswehr unter der Suizidrate der männlichen Gesamtbevölkerung in Deutschland.“
Auch bei den Ungedienten in der betrachteten Altersgruppe ist Suizid eine der häufigsten Todesarten bei Männern.
Das hat mit Bw weniger zu tun als mit dem ganz normalen Wahnsinn im täglichen Leben und den Mangel an qualifizierter Hilfe im staatlichen Gesundheitswesen.
Das Wort Selbstmord ist irreführend. Alle Mordmerkmale fehlen. Für die damit ausgedrückte Ablehnung gibt es keine rationale Begründung. Eine Gesellschaft die
(Spät-)Abtreibungen straffrei stellt, sollte sich jeden Werturteils bei Selbsttötung enthalten.
So langsam müsste das Sommerloch jetzt voll sein, oder?
In wie weit lässt sich denn ein satistiche Aussage aus einer so geringen Fallzahl ableiten? In wie weit lässt sich denn so eine Aussage über den Zustand der Truppe machen?
@JeffCostello
Schauen Sie zum Thema Suizid doch einfach bei Wikipedia vorbei, da werden Sie auch etymologisch glücklich. Das Thema Abtreibung und die Ihre implizierte Konnotation, dürfen Sie aber gerne für sich behalten und ist in dieser Diskussion nicht zielführend.
@Herr Wiegold, alle anderen Leser,
es gibt eine Reihe Publikationen (PubMed,u.a. suicide+soldier) zum Thema Suizid, bedauerlicherweise nicht frei zugänglich. Ich bezweifle, dass die UniBib (zumindestens meine) eine Lizenz für diese dann doch eher engen Fachkreisen vorbehaltenen Zeitschriften besitzt. Wenn ich, oder jemand anderes, etwas Interessantes findet, würde ich den Link hier sehr begrüßen.
19 Suizide sind es wohl nach den offiziellen Angaben der Bundeswehr. Ich denke, dass sind nur die Zahlen, die über ein “Besonderes Vorkommnis” der Bundeswehr zu Ohren kommt. Wenn Reservisten oder Einsatzsoldaten nach einem Einsatz aus dem Dienst ausscheiden (SaZ/FWDL) fragt wohl keiner mehr nach, ob bei einem Suizid auch eine mit Schwerpunkt einsatzbedingte psychische Störung wir Depression oder PTBS als Grund hatte. Diese Fälle gehen dann wohl an der Bundeswehr vorbei. In anderen Ländern ist das anders, wenn die Polizei bei einem ehemaligen Einsatzsoldaten einen Suizid registriert und der Hintergrund eine Folge aus dem Einsatz sein könnte, dann wird auch das Militär informiert.
Das lässt sich doch sehr schön rechnen. Der Beitrag ist ein Beispiel, wie man mit Zahlen lügen kann. Im folgenden habe ich mal näherungsweise gerechnet. Für die Jahre 1960 bis 1969 ergibt sich ein Jahresdurchschnitt von 63,2 Selbstmorden bei einer angenommenen Mannschaftsstärke von 500.000 Mann. Für den Zeitraum 1970 bis 1979 liegt der Wert bei 107,5 und für 1980 bis 1989 bei 84,1, alles bei einer angenommenen Mannschaftsstärke von 500.000 Mann. Als Durchschnitt dieser 30 Jahre ergibt sich 84,933 Selbstmorde pro Jahr bei einer Truppenstärke von 500.000 Mann.
Spannend wird es in der Periode 1990 bis 1999, in der die Truppenstärke von 500.000 auf 250.000 absank. Unter der vereinfachenden Annahme, dass dies linear geschah, ergibt sich ein Schnitt von 51 Selbstmorden bei einer Truppenstärke von 375.000 Mann. Dem stehen für den Zeitraum 2000 bis 2009 ein Schnitt von 31,4 Selbstmorden pro Jahr gegenüber, bei einer reduzierten Truppenstärke von 250.000 Mann.
Heruntergebrochen auf Selbstmorde pro 100.000 ergibt sich bei der Bundeswehr eine Selbstmordrate von 16,98 pro 100.000 in den Jahren 1960 bis 1989, eine Rate von 13,6 Selbstmorden pro 100.000 Soldaten in den Jahren 1990 bis 1999 und eine Selbstmordrate von 12,56 pro 100.000 in den Jahren 2000 bis 2009.
Laut Wikipedia lag die Selbstmordrate in der männlichen bevölkerung 2007 bei 17,4 pro 100.000, womit die Behauptung, in der Bundeswehr brächten sich weniger Männer um als im Zivilleben absolut richtig ist. Warum, sei dahingestellt.
Übrigens lag die Zahl der Selbstmorde bei Auslandseinsätzen seit 1998 durchschnittlich bei 1,46 pro Jahr in den Jahren 1998 bis 2010. Leider habe ich keine umfassenden Zahlen zu den Auslandseinsätzen und den zugeordneten Jahren. Im Jahr 2006 waren 8897 Soldaten in elf Einsätzen unterwegs. Bei statistisch 1,46 Selbstmorden pro Jahr ergibt sich hochgerechnet auf 100.000 eine Selbstmordrate von 16,41. das ist tatsächlich höher als der Bundeswehr-Durchschnitt, aber immer noch niedriger als der Bundes-Durchschnitt.
Fazit: Spiegel und ARD lügen mit Zahlen, erwecken einen falschen Eindruck und tun das mit Absicht, um eine Story zu haben. Hätten sie sauber gerechnet, hätten sie keine Story gehabt. So was nennt man Journaille, muss ich als Journalist zugeben. Bitter, wenn man bedenkt, was der Spiegel mal war …
Beste Grüße
Doc
Spiegel und ARD lügen nicht mit Zahlen, sondern lassen einfach die Realition weg, damit die Überschrift „besser“ klingt. Darüber hinaus wird hier zu viel über Zahlen diskutiert, wichtiger erscheint mir jedoch die Frage nach dem „Warum“ und die damit einhergehende Frage, was die Bundeswehr machen/noch verbessern kann, sodass die Zahl noch niedriger wird. Dabei ist es völlig unerheblich, wieviele Zivilisten männlichen Geschlechts Suizid begangen haben. Interessanter scheint mir der Vergleich zu anderen Armeen, die auch in Auslandseinsätzen aktiv sind und was sie für Betreuungsangebote haben. Es scheint in der Tat Probleme bei der Wiedereingliederung in die Zivilgesellschaft zu geben, die psychische Probleme/im Einsatz erlittene Traumata vertiefen, weil sie nicht „behandelt“ werden, die wiederum nicht in der Statistik auftauchen.
Bisweilen erscheint mir das Thema immernoch mit zuvielen Tabus belegt zu werden, um so offen darüber zu sprechen, um in die Tiefe zu gehen und das Thema anzugehen. Der Umgang mit der PTBS wurde ja auch sehr lange nicht offen thematisiert, sondern als persönliche Schwäche diskreditiert.
Voilà:
Die Amis:
http://www.wsws.org/articles/2010/jan2010/suic-j06.shtml
http://www.msnbc.msn.com/id/38267520/ns/us_news-life/t/record-number-army-suicides-june/
http://www.usatoday.com/news/military/2010-07-15-army-suicides_N.htm
Die Briten:
http://www.plosmedicine.org/article/info:doi/10.1371/journal.pmed.1000026#s3
Die Franzosen:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15499892
Alles ganz ähnlich. Tabuisiert ist das Thema vor allem bei den Betroffenen und ihren Kameraden. Man ist ja ein harter Hund und schafft das allein.
Übrigens ist es meiner Meinung nach nicht „völlig unerheblich, wieviele (sic!) Zivilisten männlichen Geschlechts Suizid begangen haben“. Das ist sozusagen die Benchmark.
Mich mag das nicht so recht überzeugen, da es mir schwer fällt Militär- und Zivilgesellschaft ohne Differenzierung in einen Topf zu werfen. Auch wenn es einige Schnittmengen geben mag, haben beide Bereiche ihre Spezifika. Sicherlich kann man Behandlungsmethoden übernehmen. Dennoch sehe ich beide Bereiche voneinander getrennt.