Oha, Piraten. Müssen wir drüber reden. (Update: Wissenschaftlicher Dienst)

Jenseits von Fakten diskutiert es sich besonders schön. Wenn dann noch ein bisschen Emotionen hinzukommen, tut das der Debatte besonders gut – wie beim heutigen Aufregerthema, der Frage: Private bewaffnete Sicherheitsteams auf deutschen Schiffen?

(Sehr subjektive Randbemerkung: Manchen Kollegen scheint dieser Sommerloch-Füller gerade ohne Rücksicht auf die Tatsachen besonders gut zu passen…)

Auch wenn ich dann als Spielverderber gelte – ich gucke mal kurz auf die aktuelle Faktenlage:

Am 20. Juli hat der Maritime Koordinator der Bundesregierung und Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Hans-Joachim Otto, angekündigt: Die Bundesregierung prüft jetzt mal, ob und wenn ja welche rechtlichen Änderungen für den Einsatz privater bewaffneter Sicherheitsteams auf deutschen Schiffen nötig sind – Wir stellen die Ampel von Rot auf Gelb. Nachdem sich diverse Beteiligte, vor allem die Reeder, in einem Kursschwenk einig waren: Solche privaten Sicherheitsdienstleister sollen künftig vor allem am Horn von Afrika Handelsschiffe vor Piraten aus Somalia schützen.

Estnische Soldaten im Januar 2011 während des Übungsschiessens auf der Fregatte Hamburg (Foto: Bundeswehr/PIZ Marine via flickr unter CC-Lizenz)

Nun läuft die Prüfung, und es ist Sommerpause. In der lässt sich der sicherheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, mit der Aussage zitieren: Die Koalition sei sich einig, private Sicherheitsleute zum Schutz von Handelsschiffen zuzulassen (nicht wirklich überraschend, außerdem genau genommen schon nach der derzeitigen Gesetzeslage möglich, siehe unten) und plane unter anderem eine Erweiterung des Waffenrechts. Leider ist nicht so ganz klar, was vor allem im Waffenrecht da genau geändert werden soll:

Die Bundesregierung will schwer bewaffnete Sicherheitsdienste zum Schutz deutscher Handelsschiffe gegen somalische Piraten einsetzen. „Wir sind uns einig, dass private Sicherheitsleute an Bord deutscher Handelsschiffe den Schutz vor Piratenüberfällen übernehmen sollen“, sagte der Sicherheitsexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU), unserer Zeitung. Die Koalition werde die erforderlichen Rechtsgrundlagen direkt nach der Sommerpause auf den Weg bringen, kündigte er an. Nach Uhls Worten muss das Waffengesetz erweitert und die Gewerbeordnung geändert werden.

berichtet die Neue Osnabrücker Zeitung.

Nächste Wendung: Die Grünen schließen aus Uhls Worten, künftig sollten Kriegswaffen für private Sicherheitsdienste erlaubt werden. Das wäre in der Tat eine Abkehr vom bisherigen Waffenrecht, wenn es tatsächlich passieren sollte (Nebenbemerkung: Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob für den genannten Zweck das Waffenrecht geändert werden müsste oder ob nicht das Bundesinnenministerium eine Ausnahmegenehmigung erteilen könnte). Allerdings bleibt ein bisschen im Nebel, ob Uhl das tatsächlich so gemeint und/oder gesagt hat und/oder überhaupt weiss. Statt private Sicherheitsfirmen zu regulieren und ihre Tätigkeit auf das Bewachungsgewerbe zu beschränken, schlägt die Bundesregierung den umgekehrten Weg ein. Sie untergräbt das Gewaltmonopol des Staates, indem sie diesen Unternehmen erlaubt, Waffen zu führen, die bisher allein staatlichen Organen vorbehalten waren. Eine Zertifizierung privater Sicherheitsdienste ohne klare Regulierung darf es nicht geben, schlussfolgern die Grünen. Ja, aber das, was der Maritime Koordinator am 20. Juli gesagt hat, zielt doch genau auf eine solche klare Regulierung der Zertifizierung privater Sicherheitsdienste? Und der Einsatz solcher privaten Teams ist ja auch, wie bisher schon, mit auch für zivile Firmen erhältlichen Waffen möglich (die sich nach Angaben von Fachleuten von einer Kriegswaffe allein durch die fehlende Möglichkeit des Dauerfeuers unterscheiden).

Und oben drauf kommt dann noch eine heute bekannt gewordene Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, der sich mit privaten Sicherheitsdiensten an Bord deutscher Schiffe befasst. Der Einsatz privater Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen, die unter deutscher Flagge fahren,  ist nicht verboten. Ihnen kann eine Erlaubnis zum Führen von Waffen nach dem Waffengesetz erteilt werden, heisst es gleich zu Beginn in der Zusammenfassung dieser Ausarbeitung. Ich verstehe das so: Für den Einsatz dieser privaten Sicherheitsdienste bedarf es erst mal keiner Neuregelung, egal was Bundesregierung oder Koalition so verbreiten. Aber man hätte gerne etwas präzisere Regelungen.

Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die deutschen Reeder die drittgrößte Handelsflotte und die größte Containerflotte weltweit betreiben, aber nur einen geringen Teil ihrer Schiffe unter deutscher Flagge fahren lassen, sich die heutige Diskussion nur auf diese geringe Menge des Schiffsverkehrs bezieht und der Unions-Experte Uhl doch ziemlich vage bleibt und nicht mehr sagt als sein FDP-Kollege Otto im Juli: Wo kommt eigentlich die heutige Aufregung her?

Update für die Detail-Interessierten: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat mir die Veröffentlichung der genannten Ausarbeitung erlaubt – hier (aus meiner Sicht) wesentliche Auszüge:

Schutz vor Piraten durch private Sicherheitsdienste

1. Zusammenfassung

Der Einsatz privater Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen, die unter deutscher Flagge fahren,  ist nicht verboten. Ihnen kann eine Erlaubnis zum Führen von Waffen nach dem Waffengesetz erteilt werden. Der Erwerb von Kriegswaffen ist hingegen grundsätzlich verboten und wird nur im Ausnahmefall genehmigt. Derartige Genehmigungen werden privaten Unternehmen jedoch grundsätzlich nicht erteilt.
Private Sicherheitsdienste haben keine eigenständigen Eingriffsbefugnisse, sie dürfen Angriffe nur in Wahrnehmung der sog. Jedermannsrechte, insbesondere der Notwehr, abwehren. Nach dem Seemannsgesetz unterstehen private Sicherheitsdienste der Anordnungsbefugnis und
Schiffsgewalt des Kapitäns, d.h. nur der Kapitän darf Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren anordnen. In der Praxis könnten Konflikte entstehen, wenn Kapitän und privater Sicherheitsdienst die Gefährdungslage und die erforderlichen Maßnahmen unterschiedlich einschätzen.
Sollten bei dem Einsatz privater Sicherheitsdienste Zivilisten (z.B. Besatzungsmitglieder) zu Schaden kommen, könnte eine straf- und/oder zivilrechtliche Haftung des Kapitäns wegen fahrlässigen Handelns in Betracht kommen, etwa wenn er fahrlässig falsche Anweisungen gegeben hat.

(…)

4. Einsatz privater Sicherheitsdienste

Im deutschen Recht gibt es keine Regelungen, die einen Einsatz privater Sicherheitsdienste auf Schiffen verbieten. Reeder können daher private Sicherheitsdienste verpflichten, um ihre Schiffe besser gegen Piraten zu schützen. Nachfolgend werden kurz die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit privater Sicherheitsdienste skizziert, insbesondere hinsichtlich ihrer Stellung an Bord sowie der Grenzen der erlaubten Abwehrmaßnahmen.

4.1. Gewerbeordnung

Private Sicherheitsdienste bedürfen nach § 34a Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO)8 einer Erlaubnis zur Ausübung des Bewachungsgewerbes. Außerdem müssen die eingesetzten Mitarbeiter eine Sachkundeprüfung vor der Industrie- und Handelskammer nachweisen, sofern sie Kontrollgänge im öffentlichen Verkehrsraum oder in Hausrechtsbereichen mit tatsächlich öffentlichem Verkehr durchführen, zum Schutz vor Ladendieben oder zur Bewachung im Einlassbereich von gastgewerblichen Diskotheken eingesetzt werden. Ein Sachkundenachweis für die Tätigkeit auf Schiffen zur Abwehr von Piratenangriffen ist gesetzlich bislang nicht vorgesehen. Die Bundesregierung prüft aber die Einführung einer Zertifizierung von Sicherheitsdiensten für diese Aufgaben.

4.2. Rechtliche Stellung an Bord

Das Seemannsgesetz (SeemG) regelt u.a. die Stellung des Kapitäns, die Rechtsverhältnisse der Besatzung sowie sonstiger im Rahmen des Schiffsbetriebs an Bord tätiger Personen. Letzterer Gruppe dürften die Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste zuzuordnen sein, da sie, ohne in einem Heuerverhältnis zu stehen, an Bord zur Sicherheit des Schiffsbetriebs tätig sind. Für sie folgt daher aus § 7 Abs. 2 SeemG, dass sie den Regelungen des SeemG hinsichtlich der Ordnung an
Bord unterliegen. Diese wiederum sehen in § 106 SeemG eine besondere Stellung des Kapitäns vor, die sowohl durch privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Elemente geprägt ist.

(…)

Aus § 106 Abs. 1 SeemG folgt, dass der Kapitän der Vorgesetzte der an Bord tätigen Personen ist, ihm also ein arbeitsrechtliches Direktionsrecht zusteht. Zugleich hat er die oberste Anordnungsbefugnis in Sachen der Ordnung und Sicherheit an Bord inne. Diese sog. Schiffsgewalt umfasst das Recht, Anordnungen zur Abwehr von Gefahren notfalls mit Zwangsmitteln durchzusetzen sowie körperliche Gewalt anzuwenden. Die Ausübung dieser Rechte hat hoheitlichen Charakter. Die Schiffsgewalt kann nach § 106 Abs. 6 SeemG nur eingeschränkt auf die ersten Offiziere übertragen werden, eine Übertragung auf andere Personen ist nicht vorgesehen. Die Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste müssten demnach den Anweisungen des Kapitäns Folge leisten und könnten etwaige Maßnahmen zur Piratenabwehr nicht eigenständig ergreifen.
In der Praxis könnten sich Probleme ergeben, wenn der Kapitän und die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes die Gefahrenlage und/oder die Erforderlichkeit von Abwehrmaßnahmen unterschiedlich einschätzen.13 Da die Letztverantwortung gesetzlich beim Kapitän liegt, können die Sicherheitsdienste hinsichtlich der Erforderlichkeit von Maßnahmen zunächst nur beratend tätig werden und erst auf Anweisung des Kapitäns auch konkrete Abwehrmaßnahmen ergreifen.

4.3. Befugnisse privater Sicherheitsdienste

Private Sicherheitsdienste haben keine eigenen Eingriffsbefugnisse gegenüber Angreifern bzw. Störern, da sie keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen. Ihnen stehen nach § 34 a Abs. 5 GewO die sog. Jedermannsrechte wie Notwehr und Nothilfe sowie originäre und vom Auftraggeber übertragene Selbsthilferechte zu. Bezogen auf die Tätigkeit an Bord eines Schiffes dürfte insbesondere die Nothilfe nach § 32 Strafgesetzbuch (StGB) von Bedeutung sein. Danach handelt nicht rechtswidrig, wer sich gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf sich (Notwehr) oder andere (Nothilfe) verteidigt und diese Verteidigungshandlung erforderlich ist. Ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff liegt vor, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert. Dies dürfte bezogen auf Piraten der Fall sein, wenn sich diese auf Schussdistanz einem Handelsschiff nähern. Zur Abwehr eines Piratenangriffs kann der Einsatz von Schusswaffen (auch mit Todesfolge) erforderlich sein. Dies bedarf jedoch einer Prüfung im jeweiligen Einzelfall.

Überschreiten die Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste bewusst die Grenzen des Notwehrrechts, kommt eine Strafbarkeit wegen Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikten in Betracht. Sofern sie sich über das Vorliegen einer Notwehrlage irren, kommt eine Strafbarkeit aus Fahrlässigkeitsgesichtspunkten in Betracht.

5. Führen von Waffen durch private Sicherheitsdienste

Für den Umgang mit Waffen, die unter das Waffengesetz (WaffG)21 fallen, ist nach § 2 Abs. 2 WaffG eine Erlaubnis erforderlich. Dies betrifft die in Anlage 2 Abschnitt 2 zum WaffG genannten Waffen (z.B. Schusswaffen). Die Erteilung einer Erlaubnis setzt voraus, dass ein Bedürfnis für den Umgang mit Waffen glaubhaft gemacht wird, § 8 WaffG.

Für Bewachungsunternehmen nach § 34a GewO wird nach § 28 WaffG ein Bedürfnis zum Erwerb, Besitz und Führen von Schusswaffen anerkannt, wenn glaubhaft gemacht wird, dass Bewachungsaufträge wahrgenommen werden oder werden sollen, die aus Gründen der Sicherung einer gefährdeten Person im Sinne des § 19 WaffG oder eines gefährdeten Objektes Schusswaffen erfordern. Dies dürfte bei der Bewachung eines Handelsschiffs, das durch gefährdete Gebiete fährt, anzunehmen sein. Private Sicherheitsdienste könnten daher bei Bewachungsaufgaben auf Handelsschiffen mit Waffen nach dem Waffengesetz ausgerüstet sein.

Es stellt sich aber die Frage, ob diese Art der Bewaffnung zur Piratenabwehr geeignet ist. Denkbar wäre daher, private Sicherheitsdienste mit Kriegswaffen auszustatten. Dies ist jedoch rechtlich problematisch, da Kriegswaffen aufgrund ihrer Verwendungsmöglichkeiten besonderen Beschränkungen unterliegen.

Kriegswaffen unterfallen den Vorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KrWaffG). Nach § 1 Abs. 1 KrWaffG erfasst der Begriff Kriegswaffe alle in der Anlage zum KrWaffG (sog. Kriegswaffenliste) aufgeführten Gegenstände, Stoffe und Organismen (z.B. Maschinengewehre, Kanonen, Handgranaten). Für den Erwerb der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen ist nach § 2 Abs. 2 eine Genehmigung erforderlich. Dies gilt auch für die Beförderung von Kriegswaffen auf deutschen Schiffen, § 4 Abs. 2 KrWaffG. Auf die Erteilung derartiger Genehmigungen besteht nach § 6 Abs. 1 KrWaffG kein Anspruch. In der Praxis wird die Nutzung von Kriegswaffen durch Private offenbar grundsätzlich nicht genehmigt. Es wäre demnach rechtlich zwar grundsätzlich möglich, privaten Sicherheitsdiensten, Genehmigungen zum Erwerb der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen zu erteilen. Dies würde jedoch von der sonstigen Praxis abweichen.

Ergänzend sei angemerkt, dass das Mitführen von Waffen auf deutschen Handelsschiffen Probleme beim Einlaufen in ausländische Häfen verursachen kann, da nach der dort jeweils geltenden nationalen Rechtsordnung bspw. das Einlaufen bewaffneter Schiffe verboten oder eine korrekte Anmeldung im Vorfeld erforderlich sein kann.

6. Haftung des Kapitäns

Eine strafrechtliche Haftung des Kapitäns für etwaige Schäden, die durch das Handeln eines Sicherheitsdienstes verursacht wurden, kommt grundsätzlich in Betracht, da der private Sicherheitsdienst auf Anweisung des Kapitäns tätig wird. Den Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit können fahrlässige Pflichtverletzungen des Kapitäns bilden, bspw. eine fehlerhafte Einschätzung der Erforderlichkeit von Abwehrmaßnahmen und darauf aufbauende Anordnungen an den privaten Sicherheitsdienst. Hierdurch könnte sich ein Kapitän wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung strafbar machen. Diese Taten sind nach deutschem Strafrecht zu beurteilen, da dieses nach § 4 StGB auf Taten Anwendung findet, die auf Schiffen begangen werden, die berechtigt
sind, die deutsche Flagge zu führen. Grundsätzlich kommt auch eine zivilrechtliche Haftung des Kapitäns für Schäden in Betracht, die durch das Handeln eines Sicherheitsdienstes entstanden sind. Auch insoweit wäre an fahrlässige Pflichtverletzungen des Kapitäns anzuknüpfen.

Letztlich kann eine straf- oder zivilrechtliche Haftung des Kapitäns nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls geprüft werden.

Der komplette Text zum Herunterladen: 20110804_WD_Piraten