Bundeswehr und Libyen und doch oder nicht oder wie
Es scheint ja ein Bedürfnis zu geben, über das Thema Bundeswehr nach Libyen zu sprechen. Auch wenn bislang gar nichts spruchreif ist. Und ich bin mir nicht sicher, ob es nur an den Fragen der Journalisten liegt….
Verteidigungsminister Thomas de Maizière heute im Tagesspiegel-Interview:
Sie wollen eine mögliche Anfrage nach deutschen Soldaten für eine Stabilisierungstruppe in Libyen konstruktiv prüfen.
Ich habe aber auch gesagt: Ich hoffe, dass eine solche Anfrage nicht nötig ist. Ich gehe davon aus, dass die künftige libysche Regierung selbst für die Sicherheit im Land sorgen kann und dazu keine Hilfe von außen braucht. Manche Analytiker im Westen haben ja einen jahrelangen Bürgerkrieg vorhergesagt. Der droht glücklicherweise wohl nicht.
(…)
Warum betonen Sie das Gebot der Zurückhaltung so stark?
Ich denke dabei auch an meine Erfahrungen aus dem deutschen Einigungsprozess. Viel Hilfe aus westlichen Bundesländern war damals gut und nötig. Manche Helfer traten da allerdings wie Kolonialherren auf. Das provoziert bloß Widerstand und Ablehnung. Und zwischen dem Westen und der arabischen Welt ist die Gefahr von Missverständnissen noch viel größer als damals zwischen Ost- und Westdeutschen. Natürlich war der Einsatz der Nato wesentlich für den Erfolg der Rebellen. Aber niemand in einer westlichen Hauptstadt weiß heute wirklich, was am besten für Libyen ist. Wer seine Hilfe aufdrängt, schürt doch bei den Libyern den Verdacht, es gehe ihm in Wirklichkeit um ökonomische Interessen.
und sein Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt in der FAZ:
„Es kann sein, wenn die Vereinten Nationen, die EU oder die Nato das für notwendig halten, dass man zu Stabilisierungshilfe auch mit militärischen Elementen aufgefordert wird. Natürlich würden wir dann im Rahmen unserer eigenen Interessen und unserer internationalen Verantwortung nicht abseitsstehen können.“ In dem Fall, so Schmidt, sollte das aber „keine reine Nato-Aktion“ sein, sondern „die arabische und nordafrikanische Nachbarschaft“ Verantwortung übernehmen. „Aber wenn Nato gefordert ist, dann sind auch wir gefordert.“
Kein Wunder, dass der Deutschlandfunk heute morgen meldet:
Bundesverteidigungsminister de Maiziére geht nicht davon aus, dass Deutschland zur Beteiligung an einer internationalen Stabilisierungstruppe für Libyen aufgefordert wird. Die künftige Regierung in Tripolis werde wohl selbst für die Sicherheit im Land sorgen können, sagte der CDU-Politiker dem „Tagesspiegel“. – Dagegen erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Schmidt von der CSU in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Deutschland könne im Rahmen seiner Interessen und internationalen Verantwortung nicht abseitsstehen.
Nun bietet das alles für Interpretationen großen Raum. Ich fänd’s ja spannender zu hören, ob und was dazu in der NATO an Diskussionen läuft. Bislang allerdings hab‘ ich dazu noch nichts gelesen.
Man weiß zwar nicht, wie es jetzt weitergeht, aber im ungünstigsten Fall entsteht ein Irak-Szenario, d. h. nachdem die Siegesfeier zu Ende ist starten die Anhänger des alten Regimes einen Guerilla-Krieg (je nach vorherrschender Lesart sind das dann Terroristen, „insurgents“ oder Widerstandskämpfer).
Deutsche Soldaten säßen dann wirklich zwischen allen Stühlen: Für die Insurgenten wären sie genauso Feinde wie Briten, Franzosen und Amerikaner. Und die neuen Machthaber haben – trotz aller Lippenbekenntnisse – nicht vergessen, dass die Deutschen nicht ihre Waffenbrüder sein wollten.
Unter solchen Umständen ist „militärische Stabilisierung“, was auch immer man sich darunter konkret vorstellen muss, eine heikle Angelegenheit.
Der Bürgerkrieg im Irak war komplexer als einfach „Anhänger des alten Regimes“. Dazu kam eine ganze Reihe ethnischer und religiöser Differenzen zwischen Sunnis und Shiiten, die seit Jahrzehnten bestanden.
Die Bevölkerung in Libyen ist eher nach Stämmen aufgeteilt, ähnlich wie in Afghanistan aber ohne die extreme ethnische Vielfalt
Die Zahl der „wohlwollenden Prüfer“ eines Bodeneinsatzes der BW in Libyen nimmt kontinuierlich zu. Es ist peinlich mitzuerleben, wie ein Teil unserer Schreibtischpolitiker das Blut unserer Soldaten verantwortungslos anbietet, obwohl es keinerlei Anfragen hierzu gibt. Der vergleichsweise ungefährlicheren Teilnahme am Luftkrieg gegen Libyen hatte man sich hingegen entzogen. Ich glaube bei einem zusätzlichen Libyeneinsatz am Boden wäre der Schatten einer ehemalig kampfstarken BW hoffnungslos überfordert.
Die Bevölkerung in Libyen ist eher nach Stämmen aufgeteilt, ähnlich wie in Afghanistan aber ohne die extreme ethnische Vielfalt
Das erzählen sie mal den Berbern aus Südlibyen die gerade ihre Totfeinde in Tripolis umbringen. Es kann in Libyen durchaus noch zu ethnischen Konflikten kommen, besonders wenn einige Parteien Interesse entwickeln solche anzustacheln.
Eine Besetzung Libyens würde völlkig absehbar genauso ausgehen wie die Besetzung Iraks und Afghanistan. Libyen wäre damit sofort ein Anzugspunkt für alle möglichen arabischen „Radikalen“ die es nicht mögen wenn der „Westen“ sich in ihre Angelegenheiten mischt und ihnen erzählen will wie sie zu leben haben.
Dafür deutsche Truppen anzubieten ist nicht nur peinlich sondern gegenüber den Soldaten schon fast verbrecherisch.
@chickenhawk
„Unter solchen Umständen ist “militärische Stabilisierung”, was auch immer man sich darunter konkret vorstellen muss, eine heikle Angelegenheit.“
Jede (echte) militärische Operation ist eine heikle Angelegenheit.
Die entscheidende Frage hier sollte meiner Meinung nach nicht sein ob es heikel ist oder nicht, sondern vielmehr ob deutsche Interessen berührt sind.
Und da Lybien direkter europäischer Nachbar ist, kann man (abseits von humanitären Fragen und auch ganz abgesehen von der Frage ob sich Deutschland derzeit noch eine weitere Absage an unsere Verbündeten leisten kann) glaube ich sehr wohl von unmittelbare deutsche Interessen an einem stabilen Nachbaren Europas sprechen.
Und da Lybien direkter europäischer Nachbar ist
Dann sind die USA auch direkte europäische Nachbarn Deutschlands?
Sollen die Suppe bitte die auslöffeln die sie sich eingebrockt haben, also die 9 der 28 NATO Länder die diesen Krieg gegen Libyen führen.
Es ist schon erstaunlich, wie wenig auf den Worst-Case in den Zeitungen eingegangen wird – Einsatz der BW.
Das infanteristische Kräftedispositiv dürfte doch dank AFG relativ erschöpft sein, was sollten denn wir stellen, was nicht auch Private relativ zügig erledigen (könnten)?
Kleine Empfehlung: http://www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt/libyen-nach-qaddafi.html und http://www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt/qaddafis-sturz.html
@MD. – Danke für die Links – sehr lesenswert – hoffentlich liest die auch jemand im Bundestag und in der Regierung.
Nach COIN – Doktrine braucht man 20 COIN Kräfte je 1000 Einwohner – macht in Libyen 120,000.
Das eine längerer interner Libyen Konflikt entstehen wird und damit eine COIN Situation entstehen wird ist klar seitdem Cameron, Sarkosy und Obama as Ende Gaddhafis zum Kriegsziel erklärt haben.
Wo aber sollen die 120,000 benötigten Coin-Kräfte herkommen da wieder Ruhe reinzubringen? Sicher nicht aus der BW.
Meine Empfehlung ist es sich da rauszuhalten. Aber das Bedürfnis der Politik sich bei den Amerikanern anzubiedern scheint ja nicht auszusterben.
@b
Es geht nicht um anbiedern.
Politik (insbesondere Sicherheits- und eben auch Wirtschaftspolitik) ist keine Frage des „was wünsche ich mir“, sondern vielmehr „wie ist die REALITÄT“.
Und deswegen sind zwei Dinge nun einmal Realität (auch wenn mancher das eine oder das andere oder auch beides bedauern mag).
1. Wir sind eine Mittelmacht und haben uns im vorliegenden Konflikt gegenüber allen wichtigen Partnern (USA, UK und FRA) einfach gnadenlos blamiert und als unzuverlässige und noch nicht erwachsene Partner/Verbündete erwiesen.
2. Wir können uns keinen langen Aufstand in einem direkt an die EU angrenzenden Land wie Lybien leisten. Auch aufgrund der zu erwartenden Flüchtlingsströme. Und wirtschaftliche Faktoren mögen auch eine Rolle spielen.
@Koffer
Politik ist nicht nur eine Frage des „was ist“ sondern auch des „wo will ich hin“. Ganz ohne Visionen, nur mit Pragmatismus kommt Politik nicht aus, weil sie die Bevölkerung in einer Demokratie mitnehmen muss. An der Begeisterung für Ideen fehlt es im Moment ein bisschen.
Ja, wir kommen ohne unsere Bündnispartner nicht aus. Dazu gehört auch, dass wir uns bei bei Bündniseinsätzen nicht ausklinken, wenn sie nicht unseren unmittelbaren Interessen dienen. Aber müssen wir jeden Einsatz mitmachen? Was wäre bei einem völkerrechtswidrigem Einsatz? Wo ist die – politisch vertretbare – Grenze?
Der Versuch, Bündnisräson mit humanitären Aspekten zu verbrämen ist unglaubwürdig geworden.
KFOR kann ich nicht beurteilen, scheint aber einigermaßen zu funktionieren. Wobei da auch einfach das öffentliche Interesse verschwunden ist. Wenn Korruption, Mängel der VN- bzw. EU-Administration das gleiche Interesse erregen würden, wie tote ISAF-Soldaten, würde dieser Einsatz möglicherweise auch anders diskutiert.
Afghanistan droht ganz böse schief zu gehen. Ich befürchte, der politische Wille, dieses Experiment im Nation Building zu einem akzeptablen Ende zu führen, ist nicht mehr vorhanden.
Vor dieses Hintergrund halte ich die Entscheidung, sich an einem weiteren Experiment in Libyen nicht zu beteiligen, für richtig. Wenn sich hier abzeichnen sollte, dass seitens der Rebellen tatsächlich die Bereitschaft existiert und auch realistisch ist, so etwas wie einen halbwegs freiheitlichen und demokratischen Staat zu errichten, sollte Deutschland das unterstützen. Aber bisher zeichnet sich das aus meiner Sicht noch nicht ab.
Das peinliche Sprücheklopfen des Außenministers und die Diskussion, wie DEU Unternehmen möglichst stark vom Wiederaufbau profitieren können ist genauso fehl am Platz, wie das ungefragte Angebot Deutscher Friedenstruppen.
Wenn wir die anbieten wollen – wogegen ich prinzipiell gar nichts habe – sollte doch erst mal diskutiert werden, was die eigentlich leisten können sollen. Das setzt aber eine Lagebeurteilung voraus, die zumindest bei der sich in den Medien spiegelnden völlig unklaren Situation kaum zu leisten sein dürfte.
@koffer –1. Wir sind eine Mittelmacht und haben uns im vorliegenden Konflikt gegenüber allen wichtigen Partnern (USA, UK und FRA) einfach gnadenlos blamiert und als unzuverlässige und noch nicht erwachsene Partner/Verbündete erwiesen.
Nur 9 von 28 NATO Nationen haben sich an dem Angriff beteiligt!
Und wir sind jetzt die Bösen?
Wichtige Partner haben wir auch in anderen Ländern als UK, F, US, und ein wichtiger Partner ist man nicht dadurch das man deren idiotischen Imperialbestrebungen bedingungslos unterstützt sondern dadurch das man Kapazitäten hat auch die Verbündeten im Notfall mit zu verteidigen.
Bitte nochmal den NATO Vertrag lesen. Da steht nichts von gemeinsamen Angriff auf alle Staaten mit inneren Konflikten drin. Sagt ihnen der „westphälische Frieden“ etwas? Dafür hat Deustchland geblutet. Das um die damit erzielten Prinzipien jetzt auszuhebeln?
2. Wir können uns keinen langen Aufstand in einem direkt an die EU angrenzenden Land wie Lybien leisten. Auch aufgrund der zu erwartenden Flüchtlingsströme. Und wirtschaftliche Faktoren mögen auch eine Rolle spielen.
Die zu erwartenden Flüchtlingsströme sind EINZIG dem Eingriff der UK, F, US in Libyen zu verdanken. Gaddhafi hatte durch kluge Wirtschaftspolitik (über 600.000 afrikanische Gastarbeiter in Libyen vor dem Aufstand bei gleichzeitigem Wohlstand der eigenen Bevölkerung – jetzt nahe 0) und andere Massnahmen zu einem erheblich verringerten wirtschaftlichen „Flüchtlings-„strom nach Europa gesorgt.
Die Kosten dafür mögen jetzt bitte die tragen die dieses versaut haben. Könnte man jeden Wirtschaftsflüchtling aus Afrika in Deutschland in Zukunft unmittelbar nach Frankreich und die UK abschieben? Verdient hätten die Regierungen dieser Länder das.
Zu den wirtschaftlichen Faktoren. Libyen war ein recht guter aber kleiner Kunde. Das wird es auch weiterhin sein wenn unsere Produkte und ihr Preis stimmen.
@b
Zwar off-topic, aber Ihre Behauptungen sind schlichtweg nicht haltbar (gelinde ausgedrueckt) und sollten deswegen nicht unwiedersprochen bleiben.
Was die Fluechtlingslage angeht, so genuegt ein einfacher Blick auf die entsprechenden UNHCR-Berichte, um zu sehen, wie sehr die wahllose Gewalt der Pro-Gad Kraefte lange vor (!) der NATO-Intervention ein massives Fluechtlingsproblem geschaffen hatte; von der Fluechtlingsproblematik, die sich aus einer Einnahme Bengazi’s wahrscheinlich ergeben haette, gar nicht erst zu sprechen. In den 3 Wochen ab Mitte Februar waren c.a. 300,000 Menschen aus dem Land geflohen, siehe: http://www.unhcr.org/4d7513e49.html, http://www.unhcr.org/4d83406d9.html, http://www.unhcr.org/4d83207d9.html, http://www.unhcr.org/4d7f88f19.html. Zur Erinnerung, die UNSC-Resolution 1973 datiert vom 17.03.
In Sachen Wirtschaftspolitik war das Libysche Wirtschaftswachstum fast vollstaendig auf die Oelindustrie zurueckzufuehren; das Diversifikationsniveau lag erheblich unterhalb dem etlicher anderer Oelproduzenten. Die Beschaeftigung von Libyern konzentrierte sich in einem hochgradig ineffizienten oeffentlichen Sektor, wo Stellen dem Gaddafi-Regime im Wesentlichen als Patronage-Ressource dienten. Expats kamen einerseits auf Grund eines massiven Mangels qualifizierter Fachkraefte fuer die Oelindustrie (Resultat einer mangelhaften Bildungspolitik), und andereseits weil der aufgeblaehte, durch Oelgelder finanzierte oeffentliche Sektor dem Arbeitsmarkt Kraefte entzog.
Das Fazit der Weltbank zu Gaddafi’s Wirtschaftspolitik „At the present time, various measures of the quality of governance rank Libya very poorly compared to other countries.“
(http://siteresources.worldbank.org/INTLIBYA/Resources/libyacountryeconomicreport.pdf).
@ b
1. die Frage ist nicht wie viele der NATO Staaten am Lybien Einsatz mitgemacht haben, sondern wer unsere wichtigsten Verbündeten sind! Nämlich USA, UK und FRA.
Und die waren nun mal alle drei dabei.
Und das hat auch nichts mit dem NATO Vertrag zu tun.
Sondern mit Staatsräson.
2. Und den Westfälische Frieden zu zitieren ist in diesem Zusammenhang ja ganz nett.
Aber dann kontere ich mit der „responsibility to protect“.
3. Über eine „kluge Wirtschaftspolitik“ des Oberst Gaddafi zu sinnieren mag ja ganz nett sein, aber sein Aufruf und seine Bestrebungen ein Massaker à la Ruanda zu inszenieren sollte ausreichend humanitäre Gründe liefern um eine Eingreifen nicht nur zu rechtfertigen, sondern aus menschlicher Sicht sogar zu fordern.
4.“Die Kosten dafür mögen jetzt bitte die tragen die dieses versaut haben. Könnte man jeden Wirtschaftsflüchtling aus Afrika in Deutschland in Zukunft unmittelbar nach Frankreich und die UK abschieben? Verdient hätten die Regierungen dieser Länder das.“
Noch unsachlicher geht es wohl nicht, oder?!
Langsam wird mir klar warum Sie etwas gegen Politik in einer realen Welt haben…
@Zebra
„Politik ist nicht nur eine Frage des “was ist” sondern auch des “wo will ich hin”. Ganz ohne Visionen, nur mit Pragmatismus kommt Politik nicht aus, weil sie die Bevölkerung in einer Demokratie mitnehmen muss.“
100% Zustimmung.
Meiner Meinung nach muss Politik durch Pragmatismus gekennzeichnet sein, aber von Idealen beseelt sein.
Allerdings dachte ich, dass zwei der wenige „großen“ deutschen (außenpolitischen) Visionen ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat und eine Stärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik seien, oder?!
Und beidem hat das bescheuerte Verhalten in Lybien wohl einen herben Dämpfer versetzt.
Die Nicht-Teilnahme am „heißen“ Einsatz (Bombardierung etc.) glaube hätte man uns noch verziehen, aber den Eiertanz, den wir in den VN und in der NATO begleitend durchgeführt haben, hat uns glaube ich für lange, lange Zeit sicherheitspolitisch den Rest gegeben :(
„Wenn sich hier abzeichnen sollte, dass seitens der Rebellen tatsächlich die Bereitschaft existiert und auch realistisch ist, so etwas wie einen halbwegs freiheitlichen und demokratischen Staat zu errichten, sollte Deutschland das unterstützen. Aber bisher zeichnet sich das aus meiner Sicht noch nicht ab.“
Auch dem stimme ich zu. Bodentruppen in die aktuelle Lage zu entsenden ist nicht sinnvoll. Erst sauber die Lage beurteilen und dann handeln.
Planen könnte man zwar jetzt schon, aber erst muß sich der Staub gelegt haben, bevor man erkennen kann ob Libyen in lang anhaltende innerstaatliche Insurgenten-Gefechte verfällt, nur kurz Unterstützung braucht beim Aufbau eines (mehr oder weniger) demokratischen Staates oder es ggf. ohne externe Streitkräfte schafft…
@Koffer
stimme Ihnen zu. Aber:
„Allerdings dachte ich, dass zwei der wenige “großen” deutschen (außenpolitischen) Visionen ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat und eine Stärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik seien, oder?!“
Ich weiß nicht ob das wirklich DEU Visionen sind oder jemals waren. Ich würde diese Ziele unterstützen. Aber wenn man das will, dann muss man das meines Erachtens auch 1. deutlich sagen, 2. auch die Konsequenzen aufzeigen, 3. dafür werben und 4. vor allem nicht andere Motive für Einsätze vortäuschen.
Inzwischen ist die Glaubwürdigkeit der DEU Regierung nicht wirklich mehr vorhanden. Und das liegt meines Erachtens weniger daran, dass sie Dinge tut die falsch sind als daran, dass sie ihr richtiges Tun falsch begründet.
@UP
Zwar off-topic, aber Ihre Behauptungen sind schlichtweg nicht haltbar (gelinde ausgedrueckt) und sollten deswegen nicht unwiedersprochen bleiben.
Was die Fluechtlingslage angeht, so genuegt ein einfacher Blick auf die entsprechenden UNHCR-Berichte, um zu sehen, wie sehr die wahllose Gewalt der Pro-Gad Kraefte lange vor (!) der NATO-Intervention ein massives Fluechtlingsproblem geschaffen hatte; von der Fluechtlingsproblematik, die sich aus einer Einnahme Bengazi’s wahrscheinlich ergeben haette, gar nicht erst zu sprechen. In den 3 Wochen ab Mitte Februar waren c.a. 300,000 Menschen aus dem Land geflohen,
Kein Wunder das Menschen flohen. Das waren zumeist afrikanische Gastarbeiter die von den Rebellen in Bengazi als „Söldner“ bezeichnet und umgebracht wurden. Darüber wurde mehrfach berichtet.
Wer in Libyen mit der Gewalt angefangen hat ist noch ungeklärt. Das der Aufstand nicht nur aus „friedliche Demonstranten“ bestand ist ja wohl offensichtlich. Das CIA und MI6 da ihre Finger drin haben wird mitlerweile offen zugegeben.
In Sachen Wirtschaftspolitik war das Libysche Wirtschaftswachstum fast vollstaendig auf die Oelindustrie zurueckzufuehren; das Diversifikationsniveau lag erheblich unterhalb dem etlicher anderer Oelproduzenten. Die Beschaeftigung von Libyern konzentrierte sich in einem hochgradig ineffizienten oeffentlichen Sektor, wo Stellen dem Gaddafi-Regime im Wesentlichen als Patronage-Ressource dienten. Expats kamen einerseits auf Grund eines massiven Mangels qualifizierter Fachkraefte fuer die Oelindustrie (Resultat einer mangelhaften Bildungspolitik), und andereseits weil der aufgeblaehte, durch Oelgelder finanzierte oeffentliche Sektor dem Arbeitsmarkt Kraefte entzog.
Es wurden Arbeitskräfte in das Land geholt weil weitgehend Vollbeschäftigung herrschte bzw. zusätzliche Qalifikationen gebraucht wurden. Was ist daran schlecht?
Ein reicher Staat der wie Libyen keine Steuern erhebt aber freie Bildung, freie Gesundheitsfürsorge, freies Wohnen, hohe Lebenserwartung und zudem regelmäßige Teilhabe aller an den Öleinkommen garantiert ist ja nun nicht unbedingt auf Diversifikation angewiesen. Zudem hat Libyen eine ganze Reihe Programme aufgelegt die Landwirtschaft zu entwickeln und genügend Lebensmittel für den eigenene Bedarf zu erzeugen: Stichwort Great-Man-Made-River. Die Angreifer haben die Hauptfabrik für dieses wirklich gute Projekt übrigens gerade zerbombt. In den letzten Jahren sind in Libyen zudem erhebliche Anstrengungen unternommen worden die Staatsunternehmen zu privatisieren mit über 100 Privatisierung im letzten und in diesem Jahr.
Zu der Anmerkung zu „quality of governance“ – nun da habe ich in Deutschland auch Probleme mit :-). Was mir aber wichtiger erscheint ist dieser Abschnitt aus dem von ihnen zitierten Bericht.
Man muss Gaddahfi und seine Methoden nicht mögen um anzuerkennen das er seinen Staat besser geführt hat als die meisten seiner Kollegen ihren. Libyen lag bis zur jetzigen Revolution auf Platz 53 im Human Development Index, der best entwickelte Staat in Afrika, und weit besser als alle anderen der Ölstaaten und viele Staaten in Osteuropa.
Damit wird es aber jetzt wohl vorbei sein.
Es ist eine Schande unter einer Regierung gedient zu haben, die so fahrlässig mit dem Leben der besten Söhne ihres Landes umzugehen bereit ist. Ist diesen Personen überhaupt bewusst, dass sie so etwas wie Verantwortung besitzen bzw. diese vom deutschen Volk übertragen bekommen haben, damit sie sie zum Wohl dieses Volkes einsetzen?
Entweder gibt es also nationale deutsche Interessen in Libyen, die das Opfer deutscher Soldaten rechtfertigen, oder es gibt sie nicht. Das Verhalten der Regierung unterstreicht jedoch deutlich, dass es nicht um Interessen und Verantwortung geht. Aber von Personen, die leichtfertig den Wohlstand des deutschen Volkes auf Generationen hinaus vernichten, ist auch kein verantwortungsvollerer Umgang mit Fragen von Krieg und Frieden oder dem Leben deutscher Soldaten zu erwarten. Ohne mich.
@Koffer
Aber dann kontere ich mit der “responsibility to protect”.
Und wie sieht R2P aus?
So?
Sirte ist eine Stadt mit 75.000 Einwohnern und Gaddhafi-treu.
Die wird jetzt plattgemacht, aus der Luft und dann mit schweren Waffen am Boden angeführt von Franzosen und Briten.
Anstatt Verhandlungen zu unterstützen wie sie die Afrikanische Union fordert wird hier nackter Imperialismus betrieben.
Alles ein offensichtlicher Missbrauch der „Responsibility To Protect“. Genau vor solchem Missbrauch haben viele vor der Einführung dieses unseligen Schemas gewarnt.
Mit dem Konzept kann ich mich daher nicht so richtig anfreunden. Da halte ich lieber an den Prinzipien des Westfälischen Friedens fest. Keine Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Länder.
Es zeigt sich immer deutlicher, dass de Maiziére der richtige Mann zur richtigen Zeit auf der fast richtigen Position-fast, weil er als AM wohl noch effektiver für unser Land wäre.
Aber die Bw kann sehr froh sein über solch einen IBUK.
Zu seinen Überlegungen bzgl. BW in Lybien möchte ich folgendes ausführen:
1. Er hat deutlicher als seine Vorgänger und Minister-Kollegen erkannt, dass es uns gut tut, wenn wir ein Europa MIT außen- und sicherheitspolitischen Interessen definieren. Lybien als Mittelmeeranrainer gehört zweifellos zu unserem „Hinterhof“ dazu, und da „spielen“ wir bzw. Einlass dazu „gewähren“ wir.
Jeder etwas ältere erinnert sich an die europäische Farce bzgl. der Post-Jugoslawienkonflikte. Es ist gut, dass de Maiziére so offen rhetorisiert, um hier klare Signale zu senden.
2. IMHO ist es wichtig, dass es einen Gleichklang der Kräfte gibt aus BMI (THW, Polizei), BMZ (Entwicklungshilfe im Bereich Verfassung, political change), AA (Hilfe für die Lybier bei der Vertretung ihrer Interessen nach Außen), BMJ (das deutsche Rechtssystem gilt nicht umsonst als eines der besten, was Rechtssicherheit, Unabhängigkeit der Justiz angeht) und BMVg (Soldaten) . Evtl. noch das Kanzleramt mit BND-Kräften, gilt es doch den Geheimdienst bzw. die lybischen Geheimdienste zu reformieren. Denn vergessen wir die Lage nicht:
a) Die alten Eliten sind nun erst einmal weg. Die neuen, dann: Funktionseliten, müssen sich erst „einarbeiten“ und überhaupt lernen. Lybien war nie eine Republik im Sinne einer volksbeherrschten Republik. Es gibt keinerlei Erfahrungen, da kann bei einer Transition schnell etwas schief gehen.
b) Es ist eine Menge Geld im Spiel. Geld verführt schnell. Und dennoch: Lybien geht es vergleichbar gut, aber mitnichten ist die Infrastruktur intakt (klar, da war jetzt auch die NATO dran beteiligt mit ihren Luftwaffenkräften) , mitnichten ist sie state of the art im Bereich Krankenhäuser, Schulen, Unis, aber ach Gefängnisse, etc. Gelingt es, dass Geld hier zu investieren, so kann man die ökonomischen Vorraussetzungen für eine erfolgreiche Transition schaffen.
Dafür halte ich es für unabdingbar, chinesische, russische und us-amerikanische Interessen klein zu halten. Es „auf europäisch“ zu machen.
c) Lybien grenzt u.a. an Algerien, Niger, Tschad und Sudan. Im lybisch-algerischem und lybisch-sudanesischem Grenzgebiet operierten und operieren Kräfte, die Lybien gern zu einer Theokratie umbauen würden. Niger und Tschad sind nur bedingt stabil-bei letzterem sei erinnert, dass erst eine EU-Truppe die Stabilität wahren konnte, als man die „sudanesischen Reitermilizen“ in an der Grenze Tschad/ Sudan ihre Schranken wies und die Flüchtlingslager „übernahm“.
d) Es ist wichtig, dass die lybische Gesellschaft nicht auseinanderfällt. Dazu muss innergesellschaftlicher Rechts- und Moralfrieden genauso hergestellt werden, wie wir das aus anderen Transitionen heraus kennen. Denn eine rein auf Blut gebaute Republik fehlt es meist an normativer Strahlkraft. Das zeigt uns der Blick in die Empirie. Warum sollte hier die Expertise des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) nicht helfen können?
Lybien benötigt europäische Hilfe, auch militärisch: am besten morgen. Dazu können wir die BW mit der „Bühler-Referenz“ nach Lybien schicken-wer diese als Petitesse wahrgenommen hat bzw. bezeichnen möchte, dem empfehle ich die internationale Presse dazu.
Zu den anderen topics: Ich bin gegen den ständigen Sitz im UNSR. Wir könnten und wollten nicht die Verantwortung übernehmen als Gesellschaft, als Staat, die diese Funktion mit sich brächte. Wir haben doch noch nicht mal ein Konzept dafür, wie wir mit der Republik Belarus verfahren, wenn diese ökonomisch zusammenbricht -worauf sie zusteuert-, wir sind doch noch nicht mal in der Lage die Transition in der Ukraine, die derzeit stockt, zu supporten…das überlassen wir der Republik Polen -die das nicht schlecht macht!-, die das in der EU als topics in die Politik einbringt….und da wollen wir in den UNSR?
Es ist nur meine Meinung, aber: Ich meine wir waren am stärksten, als wir uns an Frankreich anlehnten, sie konsultierten und Frankreich UNSERE Interessen in den UNSR einbrachten (was sie verlässlich taten). Dazu haben wir ein gutes Verhältnis zu Moskau, gelten in Washington als unverdächtig gegen die USA zu opportunieren. Das sind unsere Trümpfe. Einen vierten könnte man in die Hände bekommen mit einer guten Beziehung zu Indien. Dann kann man einen Grand ouvert spielen.
Wir sind eine Handelsnation mit einer rudimentären Militärstärke. Wir können unsere Handelswege nicht militärisch schützen, und wollen es auch nicht. Ich will hier nicht diskutieren, ob man letzteres ändern sollte. Es geht mir lediglich darum darauf hinzuweisen, für nahezu jede Weltregion eine Trumpfkarte in der Hand zu halten. Und dass obwohl es keine Nation (mehr) gibt, die uns aufgrund des weggefallenen Sonderstatus 1990, bereitwillig beim Schutz unerer Handelsinteressen unterstützen wollte-zumindest eben nicht ohne Gegenleistung. Diese wegzuschenken, sich DEU in den UNSR zu träumen, (btw: was auch heißt sich dt Truppen z.B. nach Osttimor zu träumen), halte ich für falsch. Fangen wir doch erstmal mit „unserem Hinterhof“ an. Und: Es gibt international niemanden, der DEU das nicht zugestehen würde.
Um mal die Qualität, über die wir hier streiten, zu illustrieren. Als der iranische Präsident, also immerhin die Nummer drei gemäß iranischer Verfassung, verlautbaren lies, man bastele jetzt ein bischen an der A-Waffe und dann radierte man Israel aus. Da sagte der frz. Präsident 2007 in der Herald Tribune und dem Nouvel Observateur : ,,Wo will er diese Bombe denn abwerfen, etwa auf Israel? Noch bevor sie 200 Meter weit in die Atmosphäre gelangt wäre, würde Teheran dem Erdboden gleichgemacht.“ -in der Übersetzung von: http://www.sueddeutsche.de/politik/frankreichs-praesident-und-irans-bombe-chiracs-verlorenes-gespuer-fuer-diplomatie-1.840892 – Ich weiß er nahm es dann zurück. Es ist aber Unsinn anzunehmen, dass er dies so vortrug, ohne qualitative Absicherung. Chiraque neigte nicht dazu, irrational herum zu schwadronieren. Was können wir tun? Na was taten wir denn 2007? Es gab ein Interview mit dem seinerzeitigen AM, der sagte: oh ne, das dürfen die Iraner aber nicht. Und dann? Eben, das ist DER Unterschied.
Ich meine Schuster, bleib bei deinen Leisten!
Und die heißen hier: EU-Support Paket (mil und ziv), EU-Force mit frz. HQ und bei der zivilen Seite frz diplomatische Leitung, deutsche Beteiligung auf beiden Seiten-FRA vertritt die Interessen im UNSR und wir ziehen es in Washington und Moskau glatt, China bekommt ne Postkarte aus Tripolis per DHL Frachtmaschine. Ende der Durchsagen!
Ob wir das schaffen? Zunächst müsste dazu meine Ansicht mehrheitsfähig sein. Das weiß ich nicht, ob sie das ist. Zum anderen müssten sich die EU-Kräfte so langsam aber sicher in den Flieger setzen, sonst können sie den russischen, chinesischen und us-amerikanischen Diplomaten noch maximal die Hände schütteln.
@ Orontes | 27. August 2011 – 10:39:
[…]Entweder gibt es also nationale deutsche Interessen in Libyen, die das Opfer deutscher Soldaten rechtfertigen, oder es gibt sie nicht.[…]
Ich meine, es gibt genügend Interessen: neben rein ökonomischen auch stichhaltige politische. Ich hoffe, Sie konnten das aus meinen Worten etwas entnehmen.
@ Koffer | 26. August 2011 – 23:10
[…]Meiner Meinung nach muss Politik durch Pragmatismus gekennzeichnet sein, aber von Idealen beseelt sein.[…]
Das sehe ich ähnlich. Dazu stehen wir international aber gut da. Rezipiert man die internationale Presse, dann haben wir ein recht gutes standing, auch wenn es national anders wahrgenommen wird. Aber wir sind glaubwürdig-trotz berechtigter Kritik von Kohl und Schmidt- zumindest in einem Punkt: Wir stehen für Frieden, für das Ausnutzen aller friedlichen Mittel bevor wir das Militär entsenden, und wir stehen für Unterstützung ohne Bevormundung.
Zur Diskussion ja/ nein/ Enthaltuing DEU in der Lybien-Frage: Man solle hier den Vorteil erkennen, dass dt Kräfte als unverbraucht, als „fastneutral“ gelten dürften. Und die „neuen Leute“ lassen sich mit guten Ideen schnell überzeugen, die „alten Leute“ hören uns wenigstens zu-warum sollten sie das bei den an der „Luftraumüberwachung“ beteiligten tun?
b | 27. August 2011 – 8:48:
[…] Zu der Anmerkung zu “quality of governance” – nun da habe ich in Deutschland auch Probleme mit :-). […]
Sehr wohl ich Sie damit nicht persönlich abspreche, ich lediglich Ihren Post als Aufhänger nutze:
Aber WIR könn(t)en es ändern als Staatsvolk. Etwas anderes zu behaupten zeigte lediglich, dass man es nicht gewohnt war/ ist für die Demokratie zu kämpfen bzw. sich selbst zur Verfügung zu stellen. Ich gehe noch weiter und bezeichne diese Diskurse, die in DEU neuerdings so gern und so substanzlos geführt werden als Gejammere.
Es ist (auch) an uns, dieses nun den Lybiern zu ermöglichen. Die Chancen stehen dazu gut. Wir dürfen nur nicht zulassen, dass die z.Zt. weit offen stehenden Fenster und Türen nicht von anderen zu gemacht werden.
b | 27. August 2011 – 13:10: […]Anstatt Verhandlungen zu unterstützen wie sie die Afrikanische Union fordert wird hier nackter Imperialismus betrieben. […]
Wie ich voran schrieb (Sachlicher | 27. August 2011 – 14:15): Die EU-Kräfte müssten sich so langsam mal auf den Weg machen, sonst braucht man sie dort nicht (mehr) für eine friedliche Lösung.
Ansonsten: Die AU hat in den arabisch-afrikanischen Ländern ungefähr genauso viel Kraft, wie sie die EU hätte bei einer Konfliktmediation in der russichen Kaukasusregion. Wenngleich die AU mit ihrer „Verhandlungslösung“ zweifelsohne eine, wie ich meine, gute policy/ polity formulierte.
Und: Die arabische Liga, die Sie oder andere evtl. ins Spiel bringen wollen, ist IMHO das letzte, was man sich z.Zt. für Lybien wünschen könnte, genauso wenig wie eine chinesische oder russische „Umarmung“.
Aber richtig von Ihnen bemerkt: Das Zeitfenster für eine erfolgreiche lybische Transition durch Lybier für Lybier -was der Optimalfall wäre- schließt sich immer mehr.
Auffällig sind die fehlenden Massendemonstrationen der über ihre Befreiung jubelnden Zivilbevölkerkung von Tripolis. Die Begeisterung scheint sich hier stark in Grenzen zu halten. Feiern tun nur die Rebellen sich selbst. Zu Gaddafis Zeiten demonstrierten noch tausende Libyer (für ihn) und die Straßen waren belebt. Ganz anders jetzt unter der Herrschaft der neuen Machthaber. Totenstille. Kein gutes Umfeld für den Einsatz deutscher Soldaten.
@Sachlicher
zu 1.: Ja, es ist dringend notwendig außen- und sicherheitspolitische Interessen zu definieren. Diese müssen dann aber über die Auflistung von Allgemeinplätzen hinausgehen. Und es ist dann notwendig, außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen auch von diesen Interessen abzuleiten. Wie schwer sich deutsche Politiker damit tun konnte man u.a. im Zusammenhang mit dem Rücktritt des Bundespräsidenten sehen.
zu 2.: Ja, der Gleichklang der Kräfte oder besser die Zusammenarbeit der Ressorts ist notwendig. Alle reden vom Comprehensive Approach aber keiner will sich koordinieren lassen. Für mich ist Comprehensive Approach mittlerweile ein Unwort. Die EU versucht dies im Rahmen der ESVP umzusetzen und ist damit weiter als die NATO. Aber die Ressourcen sind noch zu ungleich verteilt. Das Militär ist in Auslandseinsätzen sehr effizient und hat genügend Manpower. Bei Entwicklungshilfe, AA und BMI sieht das leider noch ganz anders aus. Die Strukturen sind da scheint’s immer noch nicht angepasst. Wenn es um die Stabilisation oder den Wiederaufbau von Staaten geht, kann Militär sehr schnell sehr viele Ressourcen zur Verfügung stellen. Im Vergleich dazu erscheinen mir die Möglichkeiten der anderen Ressorts, die eigentlich die wichtigeren Aufgaben haben, doch sehr beschränkt vor. Wenn Deutschland sich auf dem Gebiet des Nationbuildungs stärker einbringen will, sollte es ein intensivere Diskussion geben, welche Mittel es dann braucht und wie diese im internationalen Rahmen eingebracht werden können. Die EU ist da sicher die geeignetere Instituation als die NATO. Deutschland ist da IMHO nicht konsequent genug. Warum haben lassen wir derartige Einsätze nicht über den nationalen Sicherheitsrat koordinieren?
Ihre Einschätzung, was in Libyen erforderlich ist, klingt für mich einleuchtend. Aber ich denke, dass hinsichtlich der Lösung dieser Probleme andere Staaten mit deren jeweiligen nationalen Interessen die Führung übernehmen werden.
Kann Deutschland sich als selbstloser humanitärer Hilfeleister einbringen? Das wirtschaftliche Interesse am Wiederaufbau ist ja schon mehr oder weniger deutlich verkündet worden. Wenn jetzt rein humanitär argumentiert wird, ist das schon nicht sonderlich glaubhaft. Wenn die Bündnisräson dazu führt, dass Deutschland eine Führung eines Einsatzes mittragen muss, die zwar den nationalen Interessen der Bündnispartner dient, aber humanitären oder auch wirtschaftlichen Interessen Deutschlands entgegensteht, ist die deutsche Regierung wieder in der Glaubwürdigkeitsfalle.
Ich würde daher das deutsche Interesse an funktionierenden und handlungsfähigen Bündnissen, VN, EU und NATO, zur Begründung eines Einsatzes hervorheben und dann versuchen im Rahmen dieser Bündnisse humanitäre und wirtschaftliche Interessen einzubringen. Gleichzeitig sollten die deutschen Fähigkeiten für derartige Einsätze ausgebaut werden. Dies darf nicht alleine der Bw überlassen werden. Sie ist wirklich nur ein Teil und – regelmäßig nicht der wichtigste – in einem solchen Einsatz.
@Sachlicher – wundervolle Pläne haben sie da für Libyen.
Wie auch in Afghanistan stellet sich aber erstmal die Frage was die Libyer den wollen (falls die neuen Machthaber überhaupt eine Abstimmung dazu zulassen). Die Antworten die kommen werden entsprechen sicher nicht dem was sie vorschlagen.
Die neue „Verfassung“ die das NTC geschrieben hat stellt die Scharia als oberstes Gesetz hin dem kein anderes Gesetz widersprechen darf. (Die libyischen Frauen tun mir jetzt schon leid.)
Was dort jetzt kommen wird wird mit Sicherheit keine Republik in unserem Sinne werden. Der Bürgerkrieg in Libyen fängt gerade erst an.
@Sachlicher
„Ich meine, es gibt genügend Interessen: neben rein ökonomischen auch stichhaltige politische. Ich hoffe, Sie konnten das aus meinen Worten etwas entnehmen.“
Bis heute hat niemand diese angeblich durch eine deutsche Beteiligung an der Intervention zu fördernden deutschen Interessen konkret benennen können. Die meist „transatlantischen“ (d.h. an Fremdinteressen orientierten) Politiker, die eine deutsche Beteiligung fordern, tun dies konsequenterweise auch nicht unter Berufung auf deutsche Interessen, sondern auf Grundlage Beschwörung angeblicher „Verpflichtungen“ etc., wobei es interessant wäre mehr darüber zu erfahren, wem sich diese Politiker denn genau verpflichtet fühlen.
Vielleicht können Sie ja nationale Interessen Deutschlands genauer benennen, für die ein Bundeswehreinsatz in Libyen förderlich wäre?
@b
1. Was die Lybier wollen, haben sie glaube ich mit einer erfolgreichen Rebellion bewiesen.
2. Die Scharia steht in denn allermeisten Verfassungen von islamisch geprägten Staaten. Das ist nicht das Problem. Wie die konkrete Umsetzung sein wird bleibt abzuwarten und dabei gibt es erfahrungsgemäß immense Spielräume (die übrigens eine weise Unterstützungspolitik durch die EU ja vielleicht positiv beeinflussen kann).
3. Natürlich (!) wird Lybien keine Demokratie in unserem Sinne werden (den Begriff Republik sollte man hier vielleicht nicht verwenden, denn der hat ja ganz andere politiktheoretische Inhalte). Aber das ist ja auch angesichts einer gerade überwundenen Diktatur in einem islamisch geprägten Staat Nordafrikas auch wohl kaum zu erwarten. Zumindest nicht auf kurze und mittlere Sicht.
@Orontes
Die Interessen Deutschlands die unter Umständen (!) einen Einsatz deutscher Streitkräfte rechtfertigen könnten sein:
1. Abwenden von erheblichen Flüchtlingsströme die einem weiteren/längeren Bürgerkrieg zwangsläufig folgen (==> Italien, Schengener Abkommen seien hier hilfreiche Stichworte)
2. Sicherung wirtschaftliche Interessen
3. Förderung der Menschenrechte (kann auch ein legitimes Ziel deutscher Außenpolitik sein)
4. und natürliche auch der Nachweis der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit gegenüber unseren drei wichtigsten Partnern: USA, UK und FRA
Welches der vier Argumente wie gewichtet wäre ist sicherlich kritisch zu hinterfragen (ob z.B. die Nr. 3 allein ausreichen sollte um einen gefährlichen Streitkräfteeinsatz zu rechtfertigen mag durchaus berechtigten Zweifeln unterliegen), aber die Argumente schlicht zu leugnen ist genauso fahrlässig wie das Gegenteil.
Ich will damit einen deutschen Einsatz in Lybien nicht als zwingend darstellen. Es gibt wirklich gute und valide Gründe gegen einen solchen Einsatz.
Aber zu behaupten DEU hätte keine Interessen in Lybien ist schlicht lächerlich!
@Koffer
„Aber zu behaupten DEU hätte keine Interessen in Lybien ist schlicht lächerlich!“
Wer hat das denn getan?
„Die Interessen Deutschlands die unter Umständen (!) einen Einsatz deutscher Streitkräfte rechtfertigen könnten sein:
1. Abwenden von erheblichen Flüchtlingsströme die einem weiteren/längeren Bürgerkrieg zwangsläufig folgen (==> Italien, Schengener Abkommen seien hier hilfreiche Stichworte)“
2. Sicherung wirtschaftliche Interessen
3. Förderung der Menschenrechte (kann auch ein legitimes Ziel deutscher Außenpolitik sein)“
Wie könnte die Bundeswehr denn diese Wirkung erzielen, selbst wenn das „Menschenrechte fördern“ diesesmal nicht nur Irreführung der deutschen Öffentlichkeit wäre? Allenfalls im ersten Punkt könnte die Bundeswehr wirklich etwas bewirken, wobei sie dabei kaum so wirkungsvoll agieren könnte wie Gaddafi, der das Problem im Wesentlichen im Griff hatte. Am Ende würde die Bundeswehr wohl eher zur geordneten Überführung von Flüchtlingen nach Europa eingesetzt werden als zu wirklicher Flüchtlingsbekämpfung.
“ und natürliche auch der Nachweis der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit gegenüber unseren drei wichtigsten Partnern: USA, UK und FRA“
Warum weist eigentlich ein „Partner“ wie Frankreich (oder auch die USA) nicht ausnahmsweise mal seine eigene Verlässlichkeit nach, indem er wenigstens in einem Fall darauf verzichtet, die Kosten seiner nationalen Politik Deutschland aufzwingen zu wollen?
Verlässliches Handeln kann auch im außenpolitischen Kontext immer nur auf Basis verlässlicher Handlungsgrundlagen erfolgen. Daran hat es schon mit einem UN-SR-Mandat, das in den ersten Kriegstagen überschritten wurde bzw. werden musste, um den von den von seinen Motiven vorgegebenen Zweck zu verfolgen, gemangelt.
In der jetzigen Situation mangelt es konkret an verlässlichen Angaben insbesondere der Briten und Franzosen, welche Waffen sie in den letzten Monaten in Libyen verteilt haben und wieviele, um die Anforderungen an einen möglichen Einsatz der BW in diesem Land abschätzen zu können.
@Koffer – 1. Was die Lybier wollen, haben sie glaube ich mit einer erfolgreichen Rebellion bewiesen.
Und was soll das sein? Das sie einen salafistischen islamischen Staat wollen?
Der militärische Führer der Rebellen in Tripoli ist Abdulhakim Balhadj.
Sagt ihnen nichts?
Die NZZ hat mal über ihn berichtet als er 2010 von Seif Gaddhafi aus einem Gefämgnis in Libyen als „bekehrt“ und „umerzogen“ entlassen wurde.
Der volle Name ist Abdul Hakim al-Khuwailidi Belhaj (aka Abu Abdullah al-Sadiq) der ‘Emir’ der LIFG. Kämpfte mit den Taliban in Afghanistan, nach 9/11 auf der Flucht vor der CIA, 2004 in Malaysia festgesetzt, nach Libyen ausgeliefert, dort 2010 aus dem Gefängnis entlassen, jetzt Militärbefehlshaber von Tripoli.
Mehr hier.
Der hat jetzt mit dieser NATO geförderten Rebellion bewiesen was die Libyer wollen? Na dann danke.
Koffer | 28. August 2011 – 1:07
Zitat:“1. Was die Lybier wollen, haben sie glaube ich mit einer erfolgreichen Rebellion bewiesen.“
Erst wenn Gaddafi vollständig vertrieben ist und damit das gemeinsame einigende Ziel der Rebellen (nicht des gesamten libyschen Volkes) erreicht ist, wird sich nach Machtkämpfen untereinander (es gab ja bereits Morde) zeigen, was sie (die Rebellen, nicht die Libyer) wirklich wollen. Auch wird sich zeigen ob Libyen, unter den neuen Machthabern, den höchsten Lebensstandard in ganz Afrika halten wird.
@ b | 27. August 2011 – 16:21
[…] @Sachlicher – wundervolle Pläne haben sie da für Libyen.[…]
Bitte beachten Sie den Passus: Sachlicher | 27. August 2011 – 14:15 […] Ob wir das schaffen? Zunächst müsste dazu meine Ansicht mehrheitsfähig sein. Das weiß ich nicht, ob sie das ist. […] Ferner erhebe ich keinen Anspruch darauf. Sie haben andere/ bessere Ideen? Dann wäre es schön, Sie würden Sie ausführen.
[…]Was dort jetzt kommen wird wird mit Sicherheit keine Republik in unserem Sinne werden. Der Bürgerkrieg in Libyen fängt gerade erst an.[..]
Es muss und soll eine lybische Republik werden. Demokratie? Nun, lassen Sie es mich per Zitat etwas salomonischer beantworten: „Angesichts der großen Bedeutung von Entscheidungen hängt die Leistungsfähigkeit aber auch die Legitimation eines politischen Systems vor allem davon ab, dass verbindliche und funktionstüchtige Regeln darüber existieren, auf welche Weise Entscheidungen getroffen werden.“, (Eberlein, Burkhard/ Grande, Edgar: „Entscheidungsfindung und Konfliktlösung“ in Schubert/ Bandelow (ed.): „Lehrbuch der Politikfeldanalyse“, R.Oldenbourg Verlag München u.a., S. 175)
Es stellt sich momentan, aufgrund des Machtgerangels untereinander, doch bitte klar die Herausforderung, dieses als Problem zu definieren und zu lösen.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es für „unseren Wunsch“ Demokratie -in welcher Nuance auch immer- neben der normativen Komponente auch stichhaltige empirische Gründe gibt. Ich beziehe mich auf: Rühland, J. (1996). ‚Theoretische, methodische und thematische Schwerpunkte der. Systemwechselforschung zu Asien,‘ in: Merkel, Wolfgang (ed.): Systemwechsel, Band 1), wenn ich behaupte, dass demokratische Systeme den Input ihrer Systemumwelt besser und leistungsfähiger zum output verarbeiten können (legt man das Systemmodell Eastons zu Grunde, was aber hier lediglich Illustration ist), als es autokratische bzw. gar totalitäre Systeme langfristig betrachtet können.
Es ist kein neues Problem der Transition, dass in der Phase, in der Lybien momentan steht, unterschiedlichste Kräfte um die politische Vorherrschaft rangeln; um politische und wirtschaftliche Vorherrschaft. Es ist dabei ebenfalls kein Geheimnis, dass je höher und je effektiver die ökonomischen Ressourcen verteilt sind, desto stabiler auch ein politisches System ist.
Ich meine damit zwei Schlüssel für eine erfolgreiche Transition identifiziert und kurz illustriert zu haben: wirtschaftliche Prosperität und politische Partizipation des Volkes.
Orontes | 27. August 2011 – 17:52-
[…]Vielleicht können Sie ja nationale Interessen Deutschlands genauer benennen, für die ein Bundeswehreinsatz in Libyen förderlich wäre?[…]
Zunächst: Wir haben Defiinitionen von Sicherheitsinteressen-auch schon immer gehabt. Die Weißbücher der BMVg sind hier ergiebige Quelle. Was uns seit 1998 fehlt ist, IMHO, ein außenpolitisches Konzept diese wahrzunehmen. Und es fehlt an Politikern, die sachgerecht dafür eintreten.
Nehmen Sie die Horst-Köhler-Farce. Ich bitte Sie, wenn ein Claquer wie Trittin, aus einer Partei, die die Bw in drei Einsätze (Kosovo, AFG, Osttimor), die aus unterschiedlichsten Gründen als absolut konzeptlos gelten dürfen, jagte, weil ihr AM von der Renaissance der UNO und dem dt UNSR-Sitz träumte, den ersten Mann im Staat derart diskreditiert, dann bestelle ich ihn ein oder mißachte ihn, trete aber deshalb nicht zurück. Im Weißbuch 2006 auf Seite 9 als Interesse unseres Landes: -den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern und dabei die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen überwinden zu helfen, während es im Weißbuch 1994 noch ein schlanker Rühesatz tat: Die Bundeswehr schützt die deutschen Handelswege. Ältere werden sich erinnern, was für eine heftige Kontroverse es um diesen „Offensivparagraphen“ gab.
Um es klar zu machen: Kritiken an diesen Punkten gibt es nur intern. Niemand in der Welt kristisierte oder kritisiert uns dafür.
Die Interessen Deutschlands bzgl. Lybiens würde ich so definieren:
– Unterstützung der lybischen Transition, um:
a‘) Lybien als stabilisierenden Faktor in Nordafrika zu restaurieren,
b) fundamentale und extremistische Kräfte in Lybien selbst und von Lybien aus zu marginalisieren,
c) Lybien als Vorbild für weitere afrikanische Transitionen zu installieren
– Anbindung Lybiens an die EU, um:
a) den chinesischen/ russsichen und us-amerikanischen Einfluss , sowie den der Arabischen Liga (und hier vorrangig: Saudi-Arabien) auf Nordafrika einzuhegen,
b) wirtschaftliche Interessen im Rahmen eines beiderseitigen win-wins zu wahren,
c) die EU als normativen Leitanker in der Mitttelmeerregion attraktiv zu halten
Sie vermissen evtl. „Verhinderung progressiver Migration“, „Unterstützung von Menschenrechten“-nun, ich mag es eben gern abstrakter. Oder anders: Gelingt die Transition zu gunsten der lybischen Bevölkerung, gelingt die sozio-ökonomische Unterlegung der Transition, dann ergibt sich der Rest von selbst.
Ich möchte noch etwas theoretisches hinzufügen -sorry, aber nur Empirie geht hier meiner Meinung nach nicht, Kant verbot schon im ewigen Frieden http://www.zeno.org/Philosophie/M/Kant,+Immanuel/Zum+ewigen+Frieden.+Ein+philosophischer+Entwurf den Angriff bzw. das Überstülpen eines politischen Systems von Außen (in dem er zwar republikanische Form einfordert, aber betont, sie sei von innen zu schaffen). Eine Ausnahme gibt es: Im „anderen Staat“ ist auch der letzte Rest von Staatlichkeit erloschen.
Nehmen Sie als empirische Beispiele: DEU/ JPN nach 1945, da war es so, folglich waren es in der Folge Erfolgsgeschichten
In AFG/ IRQ/ Vietnam war es nicht der Fall. Lybien ist in dieser Kategorie.
Nehmen wir die „Vereinigungsprämie“ aus diesen beiden empirischen Extremen: Es ist in meinen Augen möglich von Außen den zu unterstützen, den man selbst präferiert. Und niemand zwingt uns dabei zu zusehen, wie Fundamentalisten/ Extremisten sich Lybien untereinander aufteilen.
Sie können aber auch ältere Publikationen dazu zitiert sehen: „1. Bedingungen des Siegs- Mong Dsï sprach: […] Darum heißt es: Ein Volk läßt sich nicht abschließen durch stark bewachte Grenzen. Ein Reich ist nicht fest durch die Steilheit von Berg und Tal. Die Welt wird nicht in Scheu gehalten durch die Schärfe von Waffen und Wehr. Wer auf rechtem Wege wandelt, der findet viele Hilfe, wer den rechten Weg verloren, dem helfen wenige. Von wenigen unterstützt zu sein führt schließlich dazu, daß die eignen Verwandten abfallen. Von vielen unterstützt zu sein führt schließlich dazu, daß die ganze Welt gehorcht.“ http://www.zeno.org/Philosophie/M/Meng+Zi/Mong+Ds%C3%AF%3A+Die+Lehrgespr%C3%A4che+des+Meisters+Meng+K%27o/Buch+II/Abschnitt+B/1.+Bedingungen+des+Siegs
In der Tat sehe ich hier eine Grundvoraussetzung: Es ist in meinen Augen falsch anzunehmen, die Lybier fänden jetzt neuerdings Gefallen daran, sich einer Scharia zu unterwerfen und geführt zu werden von Fundamentalisten. Ebenso sehe ich es als nicht zwingend an, dass sich nun Clans/ Stämme genötigt sehen einen langwierigen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen. Es musss aber gelingen, die potentiellen Waffenträger einzubinden, und die Störenfriede zu deklassieren und der Anhänger „zu berauben“. Das gelingt nur durch Alternativangebote, durch das Alternativangebot: ökonomischer, gesellschaftlicher und außenpolitischer Frieden.
Noch etwas grundsätzliches: Ich neige bei „Lösungsüberlegungen“ bzgl. Lybien nicht dazu zurück zu blicken auf den Umgang mit dem Gaddafi-Regima seitens der „Westlichen Welt“. Diese Fehleranalyse muss aber durchgeführt werden: später, ideologiebereinigt, wissenschaftlich.
Wir konstatieren 10 Jahre nach 9/11: Es gelang uns zum Teil die Hauptprotagonisten terroristischer Aktivitäten an der Fortsetzung ihres unakzeptablen Tuns zu hindern.
Es gelang uns aber nicht, dies sozio-ökonomischen so zu flankieren, dass der Nachwuchs ausgeht.
Oder um es nochmal mit Mong Dsï zu sagen: “ Von wenigen unterstützt zu sein führt schließlich dazu, daß die eignen Verwandten abfallen.“-diejenigen, die uns bekämpfen haben noch zu viele Verwandte.
Die Klärung der Fragen: warum ist das so?, was können wir dagegen tun? lässt sich mannigfaltig beantworten. Dazu reicht der Platz hier nicht.
Aber zwei Punkte dazu zum Abschluss: 1. Frieden hat auf alle Menschen eine ungeheure Strahlkraft, aber: es mus ein gerechter sein!
2. Wer Visionen hat solle zum Arzt, sagte Schmidt. Das ist im Zusammenhang, in dem er es sagte, auch richtig gewesen. Aber realistisch konstatiert: Wir brauchen ein Ziel. Welches? Frieden.
Wie? Sozio-ökonomische Gerechtigkeit.
Warum? Weil uns (inzwischen) jeder Krieg bedroht.
Zulässig? Ja, weil auch wir Deutschen, Ziele für die Welt haben dürfen.