RC N Watch: Wenn Targeted Killing schief geht
Das Targeted Killing, die gezielte Tötung von Kommandeuren der Aufständischen, ist (nicht nur) in Deutschland umstritten – aus rechtlichen, teilweise aus moralischen Gründen. Das Afghan Analysts Network (AAN) hat sich jetzt einen solchen Fall des Targeted Killing in der nordafghanischen Provinz Takhar im vergangenen Jahr näher angeschaut: Die tödlichen Schüsse, so das Ergebnis des genaueren Hinguckens, trafen den Falschen. Aus vielen, meist technischen Gründen. Der Mann, der von ISAF-Spezialkräften getötet werden sollte, is alive and well and has been interviewed in Pakistan.
The Takhar attack: Targeted killings and the parallel worlds of US intelligence and Afghanistan
Warum spricht man eigentlich von „targeted killing“? Die Verwendung des englischsprachigen Begriffs erweckt m.E. fälschlich den Eindruck, als würde es sich um einen Fachbegriff handeln. Es handelt sich aber nur um die englischsprachige Medienumschreibung für die spektakuläreren Aspekte dessen, was in der Fachsprache „kinetic targeting“heisst und auch Festnahmen einschliesst. Ich will kein Begriffsfetischist sein, bin bei so etwas aber empfindlich, weil ich meine zu beobachten, dass eine Tendenz zur Pseudo-Fachsprache um sich greift, bei der die Anglisierung der informellen Sprache offenbar eine höhere fachliche Weihe verleihen soll.
Bekämpfung und Vernichtung militärischer Ziele ist für Streitkräfte ein Routinevorgang. „Gezielte Tötung“ ist in diesem Zusammenhang ein Oxymoron, weil es ungezielte Bekämpfung eigentlich nicht geben sollte.
Die umstrittenen Vorgänge in Afghanistan sind Ergebnis normaler militärischer Zielbearbeitung (Targeting) und grundsätzlichen Erwägungen zur Bekämpfung (Ziel- und Wirkungsanalyse), die bei Anführern der Aufständischen nicht wesentlich anders abläuft als bei anderen militärischen Zielen. Erkannte Ziele kommen im Rahmen der NATO auf eine „Joint Target List“, und können u.U. auch auf eine „Joint Prioritized Effects List“ gesetzt werden, wenn sie besonders hochwertig erscheinen. Im Rahmen dieses Prozesses wird auch beschrieben ist, wie die geforderte Wirkung aussehen soll.
Von „gezielter Tötung“ habe ich bislang nur in den Medien gehört. Militärisch gibt es nur die „Bekämpfung von Zielen“, und da wird nicht grundsätzlich unterschieden, ob es sich um einen Fliegerhorst, eine Brücke, Kampfpanzer oder Anführer von Zellen der Aufständischen handelt. Der Vorgang ist eigentlich banal, kann aber natürlich ebenso fehlschlagen wie die Bekämpfung anderer Ziele. Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass bei Bekämpfung anderer Ziele das Potential für Fehler bzw. Kollateralschäden normalerweise größer ist. Militärische Fehlschläge, bei denen eine Person irrtümlich getötet wurde, sollten natürlich nicht vorkommen, aber im Vergleich zu dem, was sonst im Krieg normalerweise passiert, dürfte es sich eher um die weniger problematischen Fälle handeln. Wer glaubt, dass so etwas gänzlich auszuschließen ist, glaubt vermutlich auch an die Möglichkeit eines sauberen Krieges. Die allgemeine Skandalisierung des Themas kann ich mir auch nicht erklären. Vermutlich erregt die Öffentlichkeit die Vorstellung, dass der Feind in diesen Fällen ein Gesicht hat und nicht anonym bleibt.
Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass bei Bekämpfung anderer Ziele das Potential für Fehler bzw. Kollateralschäden normalerweise größer ist.
Wenn sie sich wenigstens die Mühe gemacht hätten die Zusammenfassung des Berichts zu lesen, dann würden sie wissen das bei diesem versuchten Mordanschlag zehn unschuldige Leute gestorben sind.
Der Anschlag war zudem gegen Personen gerichtet war die in keiner Weise an Kampfhandlungen beteiligt waren oder auch nur in der Nähe von Kampfhandlungen waren. Er war damit illegal.
Zudem zeigen die Erfahrungen aus dem Vietnamkrieg (Phoenix Program ->26,000+ „gezielte Tötungen“) und anderen Konflikten das man durch solchen massenhafte Mord auf Basis jeweils zweifelhafter Information einen Krieg nicht gewinnt, sondern die Bevölkerung nur weiter gegen sich aufbringt.
@b
„Wenn sie sich wenigstens die Mühe gemacht hätten die Zusammenfassung des Berichts zu lesen, dann würden sie wissen das bei diesem versuchten Mordanschlag zehn unschuldige Leute gestorben sind. “
Ihre Emotionen in allen Ehren, aber Ihnen müsste bekannt sein, dass „Mord“ ein juristischer Begriff ist, der hier objektiv nicht passt.
Die Zusammenfassung habe ich nun gelesen und dort wie erwartet keine Erwähnung militärischer Probleme gefunden, die sog. „gezielte Tötungen“ nicht mit jedem anderen militärischen Vorgehen teilen. Dass diese Probleme (v.a im Bereich Nachrichtengewinnung und Aufklärung) abzustellen sind, steht für mich davon abgesehen außer Frage.
In welchen Umständen Kollateralschäden zu Stande kommen ist davon abgesehen statistisch recht gut untersucht, und „gezielte Tötungen“ sind nun einmal (mit Abstand) nicht der Kern dieses Problems. Ich kenne die aktuellen Zahlen nicht, aber als ich das letzte Mal darauf geschaut habe, war Luftnahunterstützung diesbezüglich der problematischste Punkt.
Zum „Phoenix-Programm“ wurde hier ja schon diskutiert. Mich würde die Grundlage ihrer Bewertung interessieren, denn nach dem Programm war das Problem der Südvietnamesen und ihrer amerikanischen Verbündeten ja eher nicht, dass die Bevölkerung Südvietnams sich massenhaft gegen sie gestellt hätte. Dieses Dokument wurde (glaube ich) bereits zitiert: http://www.rand.org/pubs/occasional_papers/OP258.html
Ihrer Diktion nach vermute ich aber, dass Ihre Bewertung des Programms möglicherweise ebenso auf Emotionen beruht wie Ihre Auseinandersetzung mit dem „Mord“ in Takhar?
@orontes
einfach mal nachlesen über Operation Phönix und sich nicht auf die Weißwäscher von der RAND Corp beschränken. Völlig ausgeblendet werden hier die Methoden der Neutralisation von Verdächtigen/VC.
Aber bitte erst, wenn Sie mit der vertieften Lektüre zu Hindenburg/Ludendorff und der Verantwortung der 3. OHL zum waffenstillstand 1918 fertig sind. Man muß schließlich Prioritäten setzten, auch bei der politischen Bildung!
@JeffCostello
„Völlig ausgeblendet werden hier die Methoden der Neutralisation von Verdächtigen/VC.“
Es ging mir weniger um Methoden als um Wirkung. Darüber, dass das Programm die Unterstützung für die Aufständischen gestärkt hätte (wie von „b“ behauptet), wird zumindest in der mir bekannten Literatur nichts berichtet.
Darüber, dass das Programm die Unterstützung für die Aufständischen gestärkt hätte (wie von “b” behauptet), wird zumindest in der mir bekannten Literatur nichts berichtet.
Nun ja, in ihren Augen hat die USA ja wohl in Vietnam gewonnen.
Wenn jemand grundlos meine Familie umbringt oder auch nur einen einzigen nahen Verwandten, dann hat er einen neuen Feind. Das zu erkennen brauche ich keine Studien oder Berichte der Pentagon finanzierten RAND.
Das eine solche Tat gegen ihre Familie oder Verwandten nicht ihre Unterstützung für fremde Besatzer vermindert hätte glaube ich ihnen angesichts ihrer Aüßerungen.. Das solches Verhalten allgemein gültig ist glaube ich nicht.
Fakt ist das die USA in Vietnam strategisch verloren haben obwohl sie massiv illegale „gezielte Tötungen“ aufgrund sehr dubioser Aufklärungsergebnisse durchgeführt haben. Die strategische, aber auch taktische Wirkung der Aktionen war null bis stark negativ. Gleiches geschieht derzeit in Afghanistan.
Einmal abgesehen von der hier schon ausgebreiteten Diskussion über die Wirkung auf den Feind sollte man auch die Binnenwirkung auf die eigene Truppe einer solchen Praxis des „gezielten Tötung“ / Mordaktionen nicht aus den Augen verlieren.
DIe damit einhergehende individuelle Verrohung, psychischen Probleme, Ansehensverluste und psychischen Verwundungen fordern einen hohen Preis für den fragwürdigen Erfolg.
Dazu kommen die unvermeidlichen Abgrenzungsprobleme bei der Auswahl der „Ziele“
In Vietnamm wurde jeder Ziel der erreichbar war. Entweder er gestand unter der Folter oder er starb dabei. Damit umging man auch sämtliche Rechtfertigungsprobleme.
Ganz abseits von terminologischen Problemstellungen interessiert mich, wie es zu dieser moralischen Kategorie kommen konnte. Da finden Kriege statt, in deren Folge Menschen vertrieben oder aus anderen „Sekundärursachen“ Schaden nehmen, und das genießt moralische Deckung. Wird dagegen unter Vermeidung dieser Effekte eine gezielte Tötung angewiesen, dann gilt das (moralisch) als Mord.
Krieg und Tötung auf Befehl dürfen nicht sein, finden aber statt. Ist es einmal soweit gekommen, kommt mir die gezielte Tötung einiger Menschen weniger abscheulich vor als die zufällige Tötung vieler.
Wenn gezielte Tötungen Morden gleichzusetzen sind, dann sind „ganz normale“ Gefechte mit „Kollateralschäden“ äquivalent zu Amokläufen mit mindestens fahrlässiger Tötung.
Und ja: Jede menschliche Handlung ist nach den Kriterien einer Zivilgesellschaft zu beurteilen. Zumindest für Deutsche trifft das auch juristisch zu.
@b
„Wenn jemand grundlos meine Familie umbringt oder auch nur einen einzigen nahen Verwandten, dann hat er einen neuen Feind. “
Das sahen viele Deutsche nach der massenhaften Tötung und millionenfacher Vergewaltigung von deutschen Zivilisten durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg aber anders. Die Reaktion darauf war doch nicht intensivierte Feindschaft, sondern die pazifistischste Gesellschaft, die je auf deutschem Boden existierte. Ab einer bestimmten Schwelle scheint Gewalt im Menschen nicht mehr Widerstand zu erzeugen, sondern Resignation und Gefügigkeit. Und da dies alles im Namen von „Demokratie“ und „Menschenrechten“ geschah, somit also moralisch OK war, und in Deutschland jedes Jahr als „Befreiung“ gefeiert wird, sehe ich keinen Grund, warum man daraus nicht lernen sollte.
Was die US-Niederlage in Vietnam angeht, so lag diese doch nicht an der Erhebung der Südvietnamesen gegem die Amerikaner (im Gegenteil, der Vietkong spielte nach ’68 militärisch kaum noch eine Rolle), sondern an der konventionellen Offensive des Nordens, gegen die die USA ihren südvietnamesischen Verbündeten nicht mehr unterstützen wollten.
@Harald Hoppenstedt
Ich stimme Ihnen größtenteils zu, möchte aber im Detail widersprechen:
„Jede menschliche Handlung ist nach den Kriterien einer Zivilgesellschaft zu beurteilen. Zumindest für Deutsche trifft das auch juristisch zu.“
Nach welchen Kriterien der Einzelne diese Vorgänge behandelt, ist in Deutschland auch juristisch (Meinungsfreiheit) diesem selbst überlassen. Nach welchen Kriterien der Staat ggf. solche Maßnahmen anwendet, ist („alle Gewalt geht vom Volke aus“) selbstverständlich ein möglicher Gegenstand politischer Willensbildung und politischen Entscheidungen unterworfen. Ich habe den Eindruck, dass die Berufung auf „Rechtsstaat“, „Demokratie“ und „Menschenrechte“ (oder „Zivilgesellschaft“) manchmal dem Wunsch entspringt, solche Willensbildungsprozesse bzw. die dahinter stehende Diskussion zu unterbinden.
Wollte noch einen Sarkasmus-Vermerk anbringen, war aber nicht schnell genug.
1) Nachdem es im Norden Afghanistans im Jahre 2003 sehr ruhig war, hat sich die Bundeswehr entschlossen, dass PRT Kunduz von den Amerikanern zu uebernehmen und weiterzufuehren.
2) Als erstes hat man die Personalstaerke verdreifacht, danach ist man aus der Stadt gezogen und hat sich am Airport selber ausgegrenzt.
3) 2006 hat man fuer den immer noch ruhigen Norden die Gesamtverantwortung uebernommen, allerdings mit dem Vorbehalt, sich nicht an Kampfhandlungen (die im Norden nicht noetig waren) zu beteiligen.
4) Als die Lage sich gegen Mitte 2006 verschlechterte, wusste man wenig Rat, vom Einsatz temporaerer Verstaerkungskraefte abgesehen.
5) Die sich seit 2007 dann rapide verschlechternde Sicheitslage fuehrte nur zu „neusprechartigen“ Verirrungen des damaligen Generalinspektuers: „Die zunehmende Anzahl von Anschlaegen laesst mich nicht hoffen, dass sich die Situation insgesamt verbessern wird.“ (Wiedergabe aus dem Gedaechtnis.)
6) Als ab 2009 die Taliban weite Teile der Provinzen Kunduz und Baghlan fest in ihrer Hand haben, schickt man langsam weitere Verstaerkung. Da die Bundeswehr nach ihrer umfassenden Balkanisierung nicht mehr kaempfen konnte, hilft das wenig. (Damit meine ich nicht den Einzelschuetzen in Dingo, Fuchs und Marder.)
7) Selbst schwere Gefechte mit mehreren deutschen Toten fuehren zu keinem Umdenken. Man errichtet zwar den ein oder anderen Aussenposten, aber nur, um sich dort tagtaeglich beschiessen zu lassen.
8) Ploetzlich beginnen einige wenige, die Region mit eisernem Besen auszufegen. (Man kann dazu gerne mal die Pressemitteilungen von ISAF durchforsten) Und siehe da, nach vielen „gezielten Toetungen“, aber noch viel mehr Festnahmen derer, die sich beim Anruecken der schwarzen Maenner ergeben haben, bessert sich die Situation schlagartig. Die Bevoelkerung begruesst dies uebrigens ausdruecklich, verbsserte sich ihre Lebenssituation doch erheblich. Weiterhin faellt ploetzlich vielen ein, dass Taliban spielen doof ist und man doch besser die Seiten wechselt. (Dieser Ablauf entspricht uebrigens ziemlich genau den Theorien Kilcullens.)
9) Die Bundesrepublik Deutschland aber will es nicht mal erkennen, dass das gnadenlos effektive Vorgehen der „Coalition Forces“ die Wende zum Guten und damit naeher zum Abzugstermin gebracht hat. Der Kommandeur Regionalkommando North, General Kneip, schafft es gerade mal, im typischen, bundeswehrpolitisch korrekten Sprech zu verkuenden, dass „die Integration der amerikanischen Streitkraefte im Norden einen grossen Zugewinn bedeutet hat“ (wiederum Gedaechtnisprotokoll, wahrscheinlich sogar schlecht uebersetzt. Wobei das Englisch, dass Herr Kneip in Interviews an denTag legt, auch nicht zum TOEFL reichen wuerde.)
Reden wir uns also weiter ein, dass gezielte Toetungen illegal sind, andere machen schon die Drecksarbeit fuer uns.
@ Frau Holle,
sehr treffender Beitrag! Wäre ein guter Text für die „Gebetbücher“ der Realitätsverweiger in diesem Forum.
@Frau Holle
Kristallklar formuliert, gut informiert und mitten ins Ziel!