PTBS nach dem Einsatz: Niedrigere Dunkelziffer als gedacht

Etwa zwei Prozent der Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz entwickeln eine post-traumatische Belastungsstörung (PTBS)  – und die Dunkelziffer der nicht erkannten PTBS-Fälle liegt etwa um die Hälfte höher als die Zahl der erkannten Fälle. Zu diesem Ergebnis, bei dem vor allem die angenommene Dunkelziffer deutlich niedriger liegt als in der öffentlichen Diskussion bislang vermutet, kam eine Untersuchung der TU Dresden.

Nach der heute in Berlin vorgestellten Studie ist zwar die Gefahr für einen deutschen Soldaten, nach belastenden Erlebnissen im Einsatz an PTBS zu erkranken, etwa sechs bis zehn Mal so hoch wie bei der deutschen Durchschnittsbevölkerung – aber deutlich niedriger als zum Beispiel bei den US-Truppen, bei denen der Anteil auf über 20 Prozent hoch schnellt.

Für die Studie befragten Prof. Hans-Ulrich Wittchen und Sabine Schönfeld vom Institut für Klinische Psychologie und dem „Center of Clinical Epidemiology and Longitudinal Studies (CELOS)“ der TU Dresden 1.488 Soldatinnen und Soldaten, die 2009 im ISAF-Einsatz am Hindukusch waren. Von den Befragten gehörten knapp 22 Prozent zu den Kampftruppen, rund zehn Prozent zur Sanität und 68 Prozent zu „anderen“ Truppenteilen (die allerdings bislang nicht aufgeschlüsselt wurden). 27 Prozent der befragten Soldaten waren in Kundus, 13 Prozent in Faisabad und 63 Prozent in Masar-i-Scharif eingesetzt.

Die Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, dass hochgerechnet rund 200 Soldaten von zwei Einsatzkontingenten (= rund 10.000 Soldaten) an einer voll entwickelten post-traumatischen Belastungsstörung litten, also wiederum hochgerechnet auf drei Kontingente eines Jahres etwa 300 Erkrankte. Die Dunkelziffer wurde „unter Annahme vergleichbarer Einsatzkonstellationen“ auf 150 geschätzt, unter anderem deswegen, weil nur jeder zweite PTBS-Betroffene nach eigenen Angaben professionelle Hilfe gesucht habe. Mit anderen Worten: „Mindestens jeder zweite PTBS-Fall wird nicht erkannt“, sagte Wittchen.

Dennoch – und das kam nicht nur von den Wissenschaftlern, sondern auch inoffiziell von mit dem Thema befassten Sanitätsoffizieren – ist die Bundeswehr von diesen Zahlen positiv überrascht: Auch einschließlich Dunkelziffer ist das offensichtlich weniger als bislang immer wieder vermutet. Denn in der öffentlichen Diskussion spielte meist das hohe Niveau der PTBS-Fälle in den amerikanischen Streitkräften in Irak und Afghanistan eine wichtige Rolle.

Wittchen verwies darauf, dass sich die Bundeswehr mit den ermittelten zwei Prozent eher im Umfeld Großbritanniens und, auch das eher überraschend, israelischer Kampfeinheiten bewege. Entscheidend für den Anteil der PTBS-Fälle sei offensichtlich nicht in erster Linie die Intensität der militärischen Auseinandersetzungen – sondern die Auswahl der Soldaten, die Einsatzvorbereitung und die Einsatzdauer. Am deutlichsten werde das am Unterschied zwischen den Israelis und den USA: Während in Israel eine sorgfältige Auswahl und ein zweijähriges „Screening“ der Soldaten die Regel seien, würden – auch noch lebensjüngere – US-Soldaten oft nach nur sieben Monaten Ausbildung in einen zwei Jahre dauernden Einsatz geschickt.

Natürlich verweisen auch die beiden Dresdner Wissenschaftler darauf, dass es viele psychische Erkrankungen und Störungen gebe, die zwar auch durch Erlebnisse im Einsatz ausgelöst oder verstärkt würden – aber eben kein PTBS sind. Was auch die insgesamt relativ niedrige Zahl erklären könnte.

Brigadegeneral Christoph Munzlinger, der Beauftragte des Verteidigungsministeriums für PTBS (und andere Belastungsstörungen) sprach von einer „erhellenden, aber nicht beruhigenden“ Zahl der Studie: „Die Fürsorge hängt nicht an der Zahl, sondern an der Qualität.“

Für die Betroffenen hatte Munzlinger übrigens eine potenziell gute Nachricht: Nachdem der Bundestag parteiübergreifend bereits im vergangenen Jahr gefordert hatte, die Leistungen für PTBS-geschädigte Soldaten zu verbessern und den für eine Versorgungsleistung nötigen „Grad der Schädigung“ von 50 auf 30 Prozent herabzusetzen, sagte der Brigadegeneral: Im Referentenentwurf des Ministeriums für die Neufassung des Einsatzversorgungsgesetzes seien die 30 Prozent vorgesehen – und ein Stichtag im Jahr 1992.

Damit würden alle deutschen Soldaten, die seit Beginn bewaffneter Auslandseinsätze in Somalia 1993 geschädigt wurden, von den Entschädigungsregelungen erfasst. Allerdings muss dieser Referentenentwurf noch mit dem Innenministerium, Herr über das Beamtenrecht, und dem Finanzministerium abgestimmt werden…

Zum Nachhören: Das Fazit der Vorlesung des Statements von Prof. Wittchen:

(Direktlink: http://audioboo.com/boos/323391-ptbs-wittchen-06-04-2011)