De Maizière wehrt sich gegen „Unterschichtenarmee“
Fürs de-Maizière-Archiv – vorsorglich sollte man sich diesen Namensbeitrag in der heutigen Welt aufheben. Die Bundeswehr ist keine Unterschichtenarmee! wehrt sich der Verteidigungsminister gegen die – kürzlich erneut veröffentlichte – These von Michael Wolffsohn, Professor für neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München: Er sagt die Entwicklung zu einer „Unterschichtenarmee“ voraus. Ich finde das unerhört. Es hat mit der tatsächlichen Wirklichkeit in unseren Streitkräften nichts gemein.
Eventuell ist er ja im Recht, den Begriff Unterschiftarmee abzulehnen….nur weil man in bestimmten Bereichen der Republik eine limitierte Spanne an Perspektiven hat, gehört man ja nicht zur Unterschicht.
Ähnlich wie die US-Armee ein Sprungbrett sein kann, ist dies eben die Bundeswehr für die jungen Menschen in „strukturschwachen Regionen“…
…eventuell wäre Armee mit besonderer landsmannschaftlicher Struktur“ ein akzeptabler Begriff…oder eben Ossi-Truppe. Muss man ja nichtmal negativ meinen – kann ja auch sein, dass sich bestimmte Tugenden vorteilhaft für beide Seiten auf eine Karriere bei der Armee auswirkt.
Das Beispiel zeigt, dass der gleiche Sachverhalt von zwei Personen unterschiedlich wahrgenommen wird.
Fakt ist, dass bereits in dem vergangenen Jahrzehnt ca. 60 – 70 % der Offizierbewerber aus dem Osten der Republik kamen. Dieser Offiziere sind mittlerweile nach 9 Dienstjahren Hauptmann, oftmals Kompaniechef und stellen einen Großteil der jüngeren Offiziere der Armee. Aber sind sie deswegen schlechter qualifiziert, weil sie in Ostdeutschland geboren wurden ?
Nein sind sie nicht ! Fakt ist aber auch wenn sie einen Job bei der Lufthansa als Pilot, bei der DFS als Fluglotse, bei der Polizei in Dresden, bei BMW in Leipzig bekommen hätten, wären sie heute mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht bei der Bundeswehr. Der Arbeitsmarkt bestimmt also das Klientel für den Bw-Nachwuchs.
Bedenklich ist allerdings, dass es die Bw immer weniger schafft Facharbeiter mit guten Zeugnissen für technische Verwendungen in der Bw zu gewinnen. Diejenigen die ihren Facharbeiter mit der Note 1 oder 2 abgeschlossen haben, sind halt beim Bw-Nachwuchs viel seltener zu finden, als diejenigen mit der Note 3 und 4. Wenn der Facharbeitermarkt genügend Nachwuchs für die Bw bieten würden, bräuchte man kein Angebot in der Bw in bis zu 21 Monaten einen zivil anerkannten Beruf bei einem gewerblichen Bildungsträger zu erlernen. (Die Qualität dieser sogenannten ZAW-Ausbildung wäre ein eigenes Kapitel wert).
Also insofern stimmt auch die Aussage von Prof. Wolffson. Die Bw muss ein attraktives und sehr teures Weiterbildungsangebot auflegen, um die zahllosen Lehrstellenabbrecher und Quereinsteiger erst einmal zu qualifizieren, um an der eigentlichen Ausbildung für eine Fw-Fachtätigkeit überhaupt teilnehmen zu können.
Aber ist die Bw deshalb eine Unterschichtenarmee ? In Teilen trifft dies sicherlich zu, aber nicht als Ganzes.
Nach meinem Verständniss bezog sich die Aussage der „Unterschichtenarmee“ des Professors ja nicht speziell auf das Offizierkorps (sofern man überhaupt davon sprechen kann!).
Er meinte ja vielmehr den Unterbau in Form der Mannschaften und (im begrenzteren Maße) die Unteroffiziere. Ich kann die Gedanken und Befürchtungen gut nachvollziehen. Während die Offiziere und, je nach Verwendung, auch die Unteroffiziere meist eine recht umfassende, lehrgangs- oder studiumsgebundene Ausbildung erhalten, ist das gerade bei den Mannschaften nicht der Fall!
Und ich kann aus eigener Anschauung viele Annahmen von Prof. Wolffsohn über den regionalen und bildungstechnischen Hintergrund der Mannschaften bestätigen. Und da ich in der DSO diese Erfahrungen gemacht habe, denke ich das das unter den neuen Gegebenheiten der ausgesetzten Wehrpflicht durchaus Folgerungen auf die Truppe im Ganzen zulässt.
Im Grundsatz stimme ich da dem Kanzleramtsminister für Verteidigung zu. Mir persönlich ist es auch egal, in welchem Teil Deutschlands die Menschen geboren wurden, die im Geiste des Ehrenamtes ihren Dienst leisten. Ob in der Zukunft noch ausreichend den Verlockungen des Ehrenamtes erliegen werden, bleibt abzuwarten. Egal ob sie im Norden, Westen,Osten oder Süden ( fehlt da die Mitte ? )ausbleiben.
Allein der Begriff Unterschichtenarmee offenbart einen Standesdünkel, der mich anekelt, und ich sehe darin auch ein Symbol für Schichten, die meinen, sich abgrenzen zu müssen. Allein: für deren Abstiegsängste erkläre ich mich für nicht zuständig.
Absolut richtig. Bei uns waren die W Flex auch schon nur deswegen so lange dabei bzw Uffzanwärter, weil sie sonst arbeitslos gewesen wären. Das hat auch jeder zugegeben. Die Hochschul/Abileute wollten schnell studieren oder eine Berufsausbildung machen. Selbst denjenigen, den es beim Bund gefiel, waren die „nur mässigen Gehälter im Offiziersberuf“ Grund genug, sich in der freien Wirtschaft umzusehen und der Bw Adieu zu sagen. Die Tendenz ist absolut richtig, das war schon 1997 so, als ich noch dabei war.
Eben. „Unterschichtenarmee“ – man könnte glauben, wir hätten noch eine Monarchie. Wie im UK. Da könnte es dergleichen Standesdünkel geben. Die haben schon viel länger eine Berufsarmee („scum of the nation, lead by family fools“, so hieß es schon vor 1914).
Das wird aber bei uns nicht passieren, weil wir keine Monarchie haben…
Ironie aus.
Zitat: „Das Geraune von „Prekariatsarmee“, „Unterschichtentruppe“ und Ossifizierung ist unerhört. Der Bildungsstand der Bundeswehr ist sogar beneidenswert.“
Die These von Professor Wolffsohn spricht von der Zukunft. Der Minister aber von der Gegenwart. Schlimm, wenn man Zukunft und Gegenwart nicht unterscheiden kann.
@ Stefan: Genau … das passt!
@Stefan, Heiko: Oh, Wolfssohn kann in die Zukunft sehen, und Ihr auch? Beeindruckend. Das Gerede davon, dass alles schlechter werde und die Jugend verdorben ist so alt wie die Menschheit. Wenn ich mich umschaue, sehe ich aber, das vieles besser wurde und wird, und zwar nicht nur für eine kleine Elite. Dass diese aber Angst vor dem Abstieg hat und diesen mit einem Ressentent geladenen Kulturpessimismus verknüpft ist lächerlich. Wenn dies die Elite wäre, würde sie eben dies als Gestaltungsaufgabe begreifen und als solche annehmen. Nicht die (noch) Ungebildeten sind dekadent, sondern diejenigen, die diese diskriminieren. Und damit will ich keineswegs Probleme verschleiern. Im
Gegenteil: Wer diese sieht sollte beitragen, sie zu lösen. Elitäres Gequatsche von Unterschichten ist dabei keine Lösung.
Herr Wolfssohn möge einfach seine Schicht auffordern, sich den Streitkräften anzuschließen und sein Problem ist gelöst.
@ Sascha Stoltenow
Hm, nochmal mein Angebot zur Reserveübung bei mir, dann sollten wir uns weiterunterhalten über Unterschichtenarmee und Ossifizierung. Der Prof. hat Recht, allerdings ist es mir egal, woher meine Jungs kommen und wie sie ausgebildet sind. Oftmals sagen Noten eher wenig aus. Sicherlich sind nicht wenige zu blöd, mittels Strichbilder Entfernungen zu berechnen, aber man kann, wenn sie wollen und man ihnen viel gibt auch ziemlich gute Soldaten aus ihnen machen.
Letztendlich hat auch jeder Recht, der dagegen spricht. Ich habe noch Feldwebel, die Abitur haben und die sind ausgezeichnete Meister ihres Faches und excellente Menschenführer. Nun kommt demnächst der Hauptschulchecker aus Duisburg und wird Feldwebel. Solange IdZ mit seinen vielen Computern nicht eingführt wird, ist das aber auch egal.
@ Sascha Stoltenow und @ Roman
Na das Angebot wäre wohl überlegt zu prüfen.
Allmählich wird das blog hier zur Stellenbörse. Auch interessant.
Leider muss ich hier „Partei“ für die „Unterschichtsarmee“ ergreifen. Ich bin selbst Offizier und erlebe es jeden Tag aufs Neue. Die Masse unserer Mannschaften entstammen einer eher (freundlich ausgedrückt!!!) bildungsfernen Schicht – das ist Realität und keine Panikmache! Viel mehr Sorgen mache ich mir hier, was die Zukunfz anbetrifft. Bei unseren französischen Partnern in der DF-Brigade ist klar zu sehen, welches Personal (mit welchem sozialen Hintergrund) sich in Zukunft in einer, nennen wir sie einfach mal so, Berufsarmee sich für die Laufbahnen der Mannschaften entscheiden wird – mit Masse nicht aus der sozialen Mittelschicht unserer Bevölkerung. Beäugt man die demografische Entwicklung in Deutschland in den nächsten 10 bis 15 Jahren muss man kein Magier sein, um zu wissen, dass die Masse der gebildeten jungen Menschen nicht den Weg in das Militär suchen wird, da sich hier die Angebote der Wirtschaft und deren Suche nach gut und sehr gut gebildeten jungen Menschen intensivieren wird. Welchen Gesellen in der metallverarbeitenden Industrie kann man für 1500€ (ständige Abwesenheit + Einsätze inklusive) dazu bewegen in die Bundeswehr zu gehen, wenn ihm / ihr der Arbeitgeber ein 14. Monatsgehalt anbietet??? Gleichwohl denke ich mir, dass es immer mehr ostdeutsche junge Männer und Frauen in die Streitkräfte ziehen wird, der Grund hierfür ist, wie bereits oben traurigerweise genannt, Perpektivlosigkeit.
Der zu haeufig gebrauchte Begriff „Unterschicht“ laesst in mir die Frage entstehen: „Wann gehoert man denn zur Unterschicht? Welche Bedingungen muessen erfuellt sein, um ihr anzugehoeren? Wann gehoert man zur Mittel- und wann zur Oberschicht?“
„Unterschicht“ ist ein ekelhafter Begriff – im Uebrigen: Was tun diejenigen, die zur angeblichen Mittel- und Oberschicht gehoeren und an der Quelle sitzen und gestalten koennen, um bessere Lebens- und Bildungsbedingungen in Deutschland fuer Alle zu schaffen? Wie konsequent wird das getan? Wieviel Mittel werden dafuer eingesetzt?
Jetzt das Gegenbeispiel:
Zitat: „Im direkten Vergleich weisen ostdeutsche Bundeswehrangehörige einen höheren Bildungsgrad auf als westdeutsche.“
Von wem geschrieben? Ein alter Bekannter, Prof. Wollfsohn am 5. April 2011.
http://tiny.cc/k0rq0
Warum wird ueber die Art der Schicht diskutiert oder die oertliche Herkunft, anstatt dass die Veranwortlichen in Bundeswehr und Politik alles daran setzen, endlich ueberall vernuenftige Menschenfuehrung zu praktizieren, zu motivieren, Einsicht zu erzeugen und so „im Auftrag mitzunehmen“, bei schwierigen Fragen nicht zu lavieren, den Einzelplan 14 finanziell gut zu hinterlegen … Mit einem Wort: Sicherzustellen, dass die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber wird.
Unsere Soldatinnen und Soldaten sind gut ausgebildet und werden dies wohl auch zukuenftig sein, ob sie nun aus dem Osten, Westen oder von der Hallig kommen.
Dass die Innere Fuehrung etwas weniger hohle Phrase wird, daran allerdings koennten wir noch etwas drehen und dann werden auch Beitraege a la Wollfsohn hoffentlich weniger.