„Europa kann sich nicht aus der Sicherheit verabschieden“
Zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz variiert NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ein Thema, das nicht ganz neu ist – aber ein Dauerbrenner: Die abnehmende Bereitschaft vor der europäischen Staaten, für ihre Sicherheits- und Verteidigungsausgaben zu zahlen.
(Kernsätze seiner Rede hat sein fleißiges Büro getwittert, wie diesen: Europe simply cannot afford to get out of the security business.)
Rasmussen hat, wieder mal, den Europäern kräftig die Leviten gelesen. Früher hätten die USA etwa die Hälfte aller Verteidigungsausgaben in der Nato getragen, inzwischen seien es eher 75 Prozent, mit steigender Tendenz trotz der jüngst angekündigten Kürzungen. Die Europäer richteten sich offensichtlich in einer Arbeitsteilung ein, in der die EU für humanitäre Bemühungen und soft power zuständig sei, die NATO dagegen für hard power: Das finde ich bestenfalls naiv, schlimmstenfalls gefährlich.
Der NATO-Generalsekretär ließ auch kaum einen Zweifel daran, dass er die Europäer für ein bisschen schlafmützig hält angesichts neuer Bedrohungen, die sich zum Beispiel aus den dramatischen Veränderungen in Nordafrika ergäben: Da sind tektonische Platten in Bewegung. Seine aus seiner Sicht klare Schlussfolgerung: Warum um alles in der Welt sollte Europa beschließen, weniger in Verteidigung zu investieren?
Für die Diskussion über diesen Ansatz war dann leider relativ wenig Zeit, also steht Rasmussens Schelte erst mal für sich. Wer reinhören möchte – hier ein (recht ausführlicher) Auszug:
(Direktlink: http://audioboo.fm/boos/270174-msc-nato-sg-rasmussen-04-02-2011)
(Stelle gerade fest, hätte mal lieber den Redebeitrag des britischen Außenministers William Hague hier mitschneiden sollen – der lieferte nämlich nicht, wie es im Programm stand, einen Kommentar zu Rasmussen und seinem Vorredner Karl-Theodor zu Guttenberg, sondern eine Rede zum Thema Cyberwar. Dabei ist das Thema doch erst morgen auf der Tagesordnung… ich schaue mal, ob ich seine Rede irgendwo im Wortlaut finde.)
Ich muss zugeben, dass ich Herrn Rasmussens Rede ziemlich unehrlich fand, nicht zuletzt weil seine angeführten Zahlen doch sehr selektiv zitiert wurden. (Nach absoluten Zahlen zu den Verteidigungsausgaben sieht die Welt halt schon deutlich anders aus: List of countries by military expenditures).
Auf die tatsächlichen Sicherheitsrisiken geht er bestenfalls am Rande ein („Nordafrika“, „Finanzkrise“), schließlich passt Krisenprävention nicht wirklich ins NATO-Portfolia. Stabile Wirtschaftssysteme, Stabilität durch gute Regierungsführung, das Bekämpfen von Extremismus – das paßt halt alles nicht zur Message „Sicherheit ist Nato“. Und dass die Rige der Verteidigungsminister über die Forderungen von Herrn Rasmussens hinausgehen wird ist wohl nicht zu erwarten.
Wie gestrig es ist, Sicherheitspolitik von den Streitkräften her zu argumentieren, statt von den tatsächlichen Entwicklungen und Bedrohnungen her, sieht man ja auch an der Berichterstattung: Die Welt schaut nach Kairo, nicht nach München.
Das ist in Teilen vielleicht unfair, weil die Überwindung der ineffiziente Kleinstaaterei bei den europäischen Streitkräften trotzdem ein valider Punkt ist. Aber bevor man an das Feintunen eines gemeinsamen Werkzeugs geht sollte man vielleicht man erstmal ein gemeinsames Lagebild erstellen, und festhalten welcher Fähigkeiten es überhaupt in welchem Ausmaß bedarf.
Und da scheinen aus dem Establishment der bisherigen Verteidigungsapparate schlicht keine Impulse zu erwarten zu sein. Die ziellose Bundeswehrreform als wegweisendes Beispiel und Cyberwar als neues Trendthema: Das ist schon irgendwie traurig.
J.R
„Wie gestrig es ist, Sicherheitspolitik von den Streitkräften her zu argumentieren, statt von den tatsächlichen Entwicklungen und Bedrohnungen her, sieht man ja auch an der Berichterstattung: Die Welt schaut nach Kairo, nicht nach München.“
Trefflichst bechrieben.
Nun kann ja Herr Ischinger nix dafür, dass er von den Entwicklungen überrolt worden ist. Konferenzplanungen liegen lange zurück und aktuelle Entwicklungen können auch deshalb nicht eingefangen werden, weil abgestimmte Erklärungen nicht mehr organisiert werden können. Es ist ja quasi eine „halbstaatliche Veranstaltung“
Belassen wir es also dabei: es ist eine Aus- Fort- und Weiterbildungsveranstaltung und weg mag kann ja hingehen. Früher nannte sich das Wehrkundetagung.
Aber by the way: Wie schlecht arbeiten eigentlich die Dienste? Anscheinend verfügen sie über keine Prognosefähigkeiten. Und die europäischen Regierungen positionieren sich erst dann, wenn es „eh den Bach runter geht“.
Nix für ungut
.
Kleiner Nachtrag, auch wenn es dazu hier im Blog ja schonmal eine umfangreiche Diskussion:
Militärausgaben USA: 660 Mrd. $
Militärausgaben Europa: 400 Mrd. $
Militärausgaben China: 100 Mrd. $
Militärausgaben Russland: 60 Mrd. $
Auch von Interesse, gerade was die Verteilung innerhalb der NATO-Staaten angeht, ist die Entwicklung der US-Verteidigungsausgaben. Die haben sich in den letzten zehn Jahre in etwa verdoppelt.
Nachtrag und grad im Bayerischen Rundfunk gelesen:
„Vorliebe für bayerische Schmankerl
Trotz der beengten Räumlichkeiten plant Ischinger nicht, dem Bayerischen Hof den Rücken zu kehren und mit der Tagung auf die grüne Wiese zu ziehen. „Das würden mir viele übel nehmen“, meint Ischinger, der als Botschafter in London und Washington tätig war. Denn viele Besucher mögen gerade die zentrale Lage in der bayerischen Landeshauptstadt. US-Senatoren kommen gerne in Begleitung ihrer Frauen, die dann in der City shoppen gehen. Und abends können die Teilnehmer einfach zu Fuß eine typische Münchner Wirtschaft erreichen und bayerische Schmankerl genießen. Vergangenes Jahr hat Ischinger eine ganze russische Delegation in einer Gaststätte getroffen.“
Nix für ungut;
jetzt wissen wir mehr.
Bei uns hieß das früher Klassenfahrt.
Rasmussen ist schlicht ein scharf rechts stehender abgehalfterter Politiker der jetzt im Dienste der amerikanischen Waffenfabrikanten steht (siehe: missile defense: keine Bedrohung, funktioniert nicht, müssen wir haben!). Warum sollte irgendjemand solche Lobbyisten und ihre verfälschten Zahlen ernstnehmen?
Also die hier zur Schau gestellte Empörung über den „scharf rechts“ (als ob seine national-liberale Gesinnung ein Problem wäre) gesinnten NATO-Generalsekretär muss doch verwundern. Seine Mahnung an die Europäer, insbesondere an die Deutschen, ist doch angesichts des Spardiktats von 8,3 Milliarden letztlich gerechtfertigt. Um nicht weiter an Gewicht innerhalb des Bündnisses zu verlieren, sollten die Sparbeschlüsse angepasst werden. Ich sehe das eher als Rückenstärkung für zG. Aber ob die Kanzlerin bei den derzeitigen Hauptthemen wie Ägypten und der geplanten Europäischen Wirtschaftregierung das morgen zu hören bekommt, erscheint fraglich.