Deutscher Kapitän als Geisel auf Piraten-Mutterschiff
Öffentlich kaum wahrgenommen wird, dass unter den mehr als 600 Seeleuten in der Hand somalischer Piraten auch ein Deutscher ist: Der Kapitän des Flüssiggastankers York unter Singapur-Flagge, der am 24. Oktober vergangenen Jahres vor Somalia gekapert wurde.
Sein Schicksal – und das zahlreicher anderer Seeleute, vor allem aus der Dritten Welt! – ist jetzt noch ein wenig dramatischer: Die York, so berichtet die NATO, wird offensichtlich als Mutterschiff für Piratenaktionen auf hoher See eingesetzt: York is assessed as being used by pirates for piracy operations.
Die derzeit letzte bekannte Position des Flüssiggastankers um 04.41 Uhr MEZ am 4. Januar:
(Größere Karte: OpenStreetMap)
Nachtrag: das Schiff ist natürlich in Fahrt:
York – 03°30N 054°44E course 270 speed 6.5kts as of 1140UTC 04JAN11 is assessed as being used by pirates for piracy operations.
(Hinweis: den Versuch, die Entwicklungen, Angriffe und Warnmeldungen mitzuplotten, gibt’s auf somalipirates.crowdmap.com)
Gerade vor ein paar Tagen lief auf „Eins extra“ zum Hauptabendprogramm eine Dokumentation über Piraterie. Interviewt wurde dabei ein ukrainischer Seemann, der berichtet, wie man angesichts angreifender Piratenboote begann, „Molotovcoctails“ und andere improvisierte Waffen selbst herzustellen.
Bei einem anderen entkommenen Schiff wurde ein Seemann durch Beschuss der Piraten am Bein verletzt.
Ich meine immer noch, dass man derartige Angreifer auf See auch mit simplen Schnellfeuergewehren ohne größere Mühe abwehren kann. Wer nicht will, müsste ja nicht, aber wer sich wehren will soll dies doch um Himmels Willen dürfen.
Das Schicksal des deutschen Kapitäns, der als Geisel sein eigenes Schiff als Piraten-Mutterschiff navigieren muss, ist leider keine Einzelfall: Auch bei der am 27.12. entführten EMS RIVER benutzten die Piraten einen zuvor gekaperten 13000-Tonnen Tanker als „Mutterschiff“, wie auf der EUNAVFOR website berichtet wurde:
http://www.eunavfor.eu/2010/12/mv-ems-river-pirated-in-the-indian-ocean/
http://www.eunavfor.eu/2010/07/mt-motivator-hijacked-in-the-southern-red-sea/
Und die Marine muss tatenlos zuschauen, weil die Piraten mit der Erschießung von Geiseln auf dem Mutterschiff drohen!
Soweit sind wir schon: die Piraten tanzen uns auf der Nase herum!
Ich war früher auch strikt gegen Waffen an Bord. Aber inzwischen habe ich meine Meinung geändert: Ein paar weitreichende Gewehre (und Personal, das damit umgehen kann!) auf jedem Schiff, das durch das Piratengebiet fahren muss – und der Piratenspuk wäre sehr schnell vorbei. Vergessen wir das Gerede von „Eskalation“ usw. Wenn die Angreifer merken, von den Schiffen wird zurückgeschossen, dann lassen sie es bleiben.
Es sind zwar viele Marineschiffe zum Schutz des zivilen Schiffsverkehrs um das Horn von Afrika im Einsatz, aufgrund der Grösse des bedrohten Gebietes ist es aber vergleichbar so, als würden 10 Streifenwagen der Polizei im Deutschland, Österreich und der Schweiz für Sicherheit und Ornung sorgen müssen.
Je länger man das Thema verfolgt und auch liest, dass Handelsschiffe, die bewaffnete Schutztruppen an Bord haben Angriffe abwehren können, desto unverständlicher ist, dass die deutschen Reeder (und noch mehr die Gewerkschaften) sich dieser effektiven Maßnahme verschließen.
Aus mehreren Gesprächsrunden habe ich mitgenommen:
– Der Reeder ist ein Kaufmann – die Belange der Besatzungen stehen allzuoft hinter der finanziellen Gewinnerlangung zurück.
– selbst die Kosten des Einbaus einer Zitadelle (Schutzraum), der natürlich eine Stange Geld kostet, wird in einer Risikoabwägung (ca. 30.000 Schiffe pro Jahr durchfahren das Gebiet [darunter habe ich, Reeder, 20 Passagen] davon werden ca. 60 im Jahr gekapert und ein Lösegeld in Höhe von durchschn. etwa 1.5Mio $ gezahlt [bedeutet für mich, Reeder, eine kleiner als 0,1% Chance, dass mein Schiff dabei ist – und wenn, dann zahlt halt die Versicherung].
– die Verhandlungen Reeder/Piraten ziehen sich ellenlang hin, da beide Seiten taktieren. Pirat will möglichst viel Lösegel, Reeder möchte so wenig wie möglich zahlen, da ansonsten seine Versicherungsraten noch weiter hochgehen.
Jetzt, nachdem die Piraten zunehmend die entführtenSchiffe, egal ob Gastanker oder Containerschiff, als Mutterschiffe einsetzen, wird´s erst richtig spannend. Denn nun ist auch beinahe die Wetterlage und der Seegang egal, bei dem „früher“ die kleinen Skiffs nicht mehr operieren konnten. Die Piraten wissen genau, dass die Marinekräfte nichts gegen sie unternehmen werden, so lange sie Besatzungen als Geiseln haben. Dem „happy hunting“ steht nichts mehr im Wege.
@Marinekenner
Dann darf man ja gespannt sein, wann die ersten somlischen Piraten in Nord- und Ostsee auftauchen.
Das wäre dann eine passende Gelegenheit, die in Geiselhaft befindlichen Seeleute gegen die oben beschriebenen Gewerkschafter und Reeder auszutauschen.