Brieffreunde im OP North: Nichts Genaues weiß man nicht

Der Vorfall mit den geöffneten Briefen aus dem Afghanistan-Einsatz bleibt vorerst völlig ungeklärt. Die Aussagen des Verteidigungsministeriums heute sind noch sehr knapp: Außer den Hinweisen des Wehrbeauftragten gibt es noch keine weiteren Informationen, und die Ermittlungen stehen am Anfang.

Klar ist allerdings: Das Postgeheimnis, sagt das Ministerium, gilt für die Feldpostbriefe in gleicher Weise wie für jeden Brief, der in Deutschland in die Post gegeben wird. Und das nicht erst, wenn das Feldpostamt den Brief übernimmt. Das G-10-Gesetz gilt auch für die Bundeswehr, sagt der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Steffen Moritz.

Jetzt ermittelt FüS IV – also die Logistik-Abteilung im Führungsstab der Streitkräfte und damit das Ministerium, also nicht die Truppe.

Wer reinhören mag – dazu die Aussagen heute in der Bundespressekonferenz in Berlin; neben Moritz kommt kurz auch Regierungssprecher Steffen Seibert zu Wort:

(Direktlink für die mit iPhone und iPad: http://audioboo.fm/boos/258189-ermittlungen-feldpost-bundespressekonferenz-19-1-2011)

Nachtrag: Der Onlinedienst der Süddeutschen Zeitung berichtet, beim Besuch des Wehrbeauftragten hätten ausschließlich die Feldwebel des Ausbildungs- und Schutzbataillons (ASB) Masar-i-Scharif von geöffneten Briefen gesprochen.

Zur Ergänzung der Audiodatei oben: die Abschrift der Bundespressekonferenz:

FRAGE WIEGOLD: Zum Thema Recht und Kommunikation in der Praxis eine Frage an das Verteidigungsministerium: Herr Moritz, nach den gestern bekannt gewordenen Hinweisen des Wehrbeauftragten, dass offensichtlich systematisch Feldpost aus Afghanistan geöffnet wurde: Können Sie einmal den aktuellen Erkenntnisstand zusammenfassen?

MORITZ: Es gab dazu ja verschiedene Berichterstattungen, die manchmal vielleicht nicht eindeutig waren. Ich kann Ihnen dazu sagen: Zunächst einmal ist eindeutig festzustellen, dass natürlich auch die von Ihnen genannte Feldpost, das heißt, die Post von Soldaten an ihre Familien hier in Deutschland, dem Post- und Fernmeldegeheimnis genauso und in gleichem Umfang unterliegt wie jeder normale Brief, der in Deutschland von A nach B geschickt wird. Das heißt, es gibt keine besonderen Eingriffsbefugnisse von Nachrichtendiensten oder sonstigen Autoritäten gegenüber dieser Post, die anders wären als bei privater Post.

Es gibt nun verschiedene Hinweise darauf, dass es verschiedentliche Fälle gab, in denen Briefe geöffnet und teilweise auch ohne Inhalt, also nur die Umschläge, bei den Familien hier in Deutschland ankamen. Diese Hinweise hat der Wehrbeauftragte dem Minister mitgeteilt. Wir gehen diesen Hinweisen jetzt nach und versuchen, sie so weit wie möglich zu konkretisieren. Der Postlaufweg ist bei Feldpost natürlich etwas komplizierter als bei normaler Post hier in Deutschland. Sie läuft über Masar-i-Scharif nach Deutschland und wird hier schließlich der Deutschen Post AG übergeben, die dann den weiteren Transport bis zu den einzelnen Familien übernimmt.

Ich kann Ihnen zum Stand der Erkenntnisse noch nichts Neues oder Konkretes sagen. Sicher ist, dass wir, wenn sich diese Hinweise verfestigen sollten, die weiteren Ermittlungen natürlich an die Staatsanwaltschaft abgeben würden; denn wie allseits bekannt ist, handelt es sich bei der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach dem Strafgesetzbuch um einen Straftatbestand.

ZUSATZFRAGE WIEGOLD: Es gab auch Meldungen, dass Soldaten einer bestimmten Einheit, die in einem bestimmten Außenposten in Afghanistan eingesetzt sind den der Minister auch einmal besucht hat , betroffen seien. Können Sie das so einengen oder gibt es dafür noch keine substanziellen Belege?

MORITZ: Wir können sagen, dass insbesondere Soldaten aus diesen Einheiten dem Wehrbeauftragten bei seinem Besuch dort ihre Erkenntnisse mitgeteilt haben. Unsere Ermittlungen beschränken sich natürlich nicht darauf, sondern umfassen die gesamte Feldpost, die aus den Einsatzgebieten in Afghanistan nach Deutschland geht. Ich kann Ihnen im Moment über die Hintergründe noch nichts weiter sagen, weil es dazu noch keine genauen Erkenntnisse gibt.

Was den Postlauf betrifft: Die Feldpost wird gesammelt und zentral über Masar-i-Scharif nach Deutschland geschickt. Ich könnte Ihnen zum Postlauf auch noch Genaueres sagen; das ist ja nicht so schwer festzustellen, weil das natürlich täglich organisiert wird. Aber zu den einzelnen Vorfällen und dazu, warum gerade Briefe von bestimmten Soldaten, die im „OP North“ eingesetzt waren, geöffnet worden sein sollten, kann ich Ihnen noch keinerlei nähere Angaben machen. Ich kann Ihnen also auch nicht sagen, ob das so ist oder ob es nicht so ist.

FRAGE: Herr Moritz, zwei kleine Fragen. Erste Frage: Betrifft das wirklich nur Masar-i-Scharif? Das war ja der Ausgangspunkt. Sie haben gerade aber gesagt, auch die Feldpost aus anderen Lagern werde über Masar-i-Scharif nach Hause geschickt. Betrifft das dann eventuell auch Post aus Kundus oder Faizabad?

Zweite Frage: Ist es korrekt, dass die Postabwicklung in Afghanistan von Reservisten übernommen wird und dass es sich im Endeffekt um etwa 120 Personen pro Jahr handelt, die im Auftrag der Bundeswehr als Reservisten diese Postabwicklung übernehmen?

MORITZ: In den einzelnen Umschlageämtern sind Reservisten eingesetzt. Die Post wird dann zentral in Masar-i-Scharif gesammelt. Von da aus geht es mit militärischen Transporten nach Trollenhagen. In der Feldpostleistelle in Darmstadt wird die Post dann gesammelt. Dort wird die gesamte Post nach Briefen und Paketen getrennt, denn Pakete unterliegen teilweise einer gesonderten zollrechtlichen Überprüfung aber das ist wieder ein anderes Thema. Dann wird alles dem Briefzentrum der Deutschen Post AG in Darmstadt übergeben und von dort aus weiterverteilt.

Zu der Frage, ob es nur Masar-i-Scharif betrifft: Diese Ermittlungen müssen nun ja so laufen, dass unter den Soldaten Umfragen gestartet werden, ob sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Anders wird man die Fakten nicht aufklären können. Man kann die Soldaten jetzt in einem ersten Schritt also nur befragen, ob sie auch die Erfahrung gemacht haben, dass ihre Briefe in Deutschland geöffnet, beschädigt oder in sonstiger Weise angekommen sind. Diese Ermittlungen laufen, und sie dauern einfach eine gewisse Zeit. Wenn diese Ermittlungen abgeschlossen sind, wird man ein Bild haben, ob das nur die Soldaten eines bestimmten Kontingents in einer bestimmten Region diese Erfahrungen gemacht haben oder ob es flächendeckend Soldaten in den gesamten Einsatzgebieten betraf.

ZUSATZFRAGE: Gab es zuvor schon Einzel- oder ähnliche Beschwerden aus Afghanistan oder aus anderen Einsatzgebieten, die das Ministerium erreicht haben?

MORITZ: Von solchen Hinweisen ist mir nichts bekannt. Soweit ich weiß, hat es solche Erkenntnisse im Ministerium vor den Berichten des Wehrbeauftragten auch nicht gegeben.

FRAGE: Seit wann wussten Sie von diesen Vorwürfen?

MORITZ: Seit dem Schreiben vom 17. Januar.

ZUSATZFRAGE: Herr Seibert, was sagt die Kanzlerin zu diesen Vorwürfen?

STS SEIBERT: Dass sie aufgeklärt werden müssen. Genau das tut das Verteidigungsministerium mit Nachdruck; denn natürlich ist das in gewisser Weise auch schwerwiegend, wenn es sich denn so bestätigt. Insofern muss man dem jetzt nachgehen. Wie das jetzt geschehen soll, hat Herr Moritz ja gerade dargestellt.

FRAGE: Herr Moritz, welchen Reim machen Sie sich aus der Tatsache bzw. aus den Meldungen der Agenturen, dass zumindest ein ganz beträchtlicher Teil dieser Briefe keine gewöhnliche Zollmarkierung keinen Zollstempel und nichts dergleichen trägt? Wie kann das erklärt werden?

MORITZ: Ich verstehe Ihre Frage jetzt nicht. Soweit ich weiß da bin ich jetzt aber auch etwas überfragt , werden normale Briefe nur sehr gelegentlich vom Zoll überprüft. Sobald der Zoll Briefe öffnet, hat er die Pflicht, das entsprechend zu markieren. Wenn diese Markierungen auf den Briefen wären, gäbe es jetzt keinen Anlass zu Ermittlungen; denn dann hätte es ja einen Anlass für den Zoll gegeben, die Briefe zu öffnen. Nach dem, was der Wehrbeauftragte gesagt hat, ist es vielmehr so, dass diese Briefe ohne irgendeinen Hinweis, warum sie geöffnet wurden, bei den Soldatenfamilien ankamen, und dass teilweise sogar nur die leeren Briefumschläge ankamen. Das ist das, was die Soldaten dem Wehrbeauftragten bei seinem Besuch erzählt haben. Das ist natürlich eine Verfahrensweise, die zumindest nach erstem Anschein ausschließt, dass der Zoll die Post geöffnet hätte.

ZUSATZFRAGE: Ist es nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand immer noch so, dass ausschließlich Briefe, aber keine Päckchen betroffen sind?

MORITZ: Das waren die Aussagen in dem Schreiben des Wehrbeauftragten. Das ist im Moment unser Stand. In den entsprechenden acht Zeilen seines Schreibens beschreibt der Wehrbeauftragte vier oder fünf Beispiele, und da geht es eben um Briefe und nicht um Pakete. Bei Paketen wäre ja die Wahrscheinlichkeit, dass der Zoll eine Stichprobe gemacht hätte, größer als bei einem Brief, bei dem der Verdacht auf Zollvergehen meist nicht so naheliegend ist. Es besteht also kein Anlass für den Zoll, so oft Briefe zu öffnen.

FRAGE: Herr Moritz, können Sie hundertprozentig ausschließen, dass deutsche Sicherheitsbehörden da offenbar unrechtmäßig, wenn es so gewesen sein sollte eingriffen oder zugegriffen haben? So habe ich Ihre Erklärung vorhin jedenfalls verstanden. Es gibt also keinerlei Eingriffsbefugnisse des MAD oder anderer Stellen in diesen Briefverkehr?

Eine zweite Frage in diesem Zusammenhang: Nun ist Herr Guttenberg häufig bei den Truppen in Afghanistan. Bekümmert es ihn eigentlich, dass er als Soldatenminister nicht schon früher von den Soldaten direkt darauf angesprochen wurde? Denn ein Teil dieser Besuche dient doch dem Zweck, hautnah mit den Soldaten vor Ort im Gespräch zu sein, auch um deren Sorgen wahrzunehmen.

MORITZ: Zu Ihrer ersten Frage: Am Anfang solcher Sachverhaltsfeststellungen ist es natürlich immer schwierig, Dinge auszuschließen. Ich habe Ihnen die Rechtslage hier dargestellt. Die Rechtslage ist die, dass die Post der Soldaten genau dem gleichen Schutz und Geheimnisschutz unterliegt wie jede private Post, die in Deutschland verschickt wird. Es gibt bestimmte Eingriffsbefugnisse nicht nur von den Strafermittlungsbehörden, sondern auch von anderen Behörden , die aber sowieso gegenüber jeglicher Post gelten. Demnach darf das ist allgemein bekannt Post unter bestimmten Voraussetzungen geöffnet werden. Dazu gibt es auch ein Gesetz; ich glaube, das nennt sich G-10-Gesetz. Ich müsste mich aber schlau machen, wie die Rechtslage dabei genau aussieht. In der Regel erfolgen solche Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnisse auch mit richterlicher Anordnung.

Wie gesagt, ich kann Ihnen schlicht und ergreifend nicht sagen, wer diese Briefe geöffnet hat. Insofern kann ich auch nichts ausschließen. Es wird sich am Ende aber hoffentlich herausstellen, wie es zu der Öffnung der Briefe kam. Es ist zum Beispiel auch noch nicht ausgeschlossen, dass diese Briefe durch einen mechanischen Bearbeitungsfehler oder sonst irgendetwas aufgerissen wurden. Auch das kann man jetzt nicht ausschließen. Es liegt nur der Verdacht nahe, dass hier eine Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses erfolgt ist, und das wäre ein Straftatbestand. Jetzt werden von uns die Vorfeststellungen getroffen, um bei eventueller Erhärtung des Verdachtes auf Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses den ganzen Vorgang an die Staatsanwaltschaft abzugeben, wo er dann auch hingehört.

Zu Ihrer zweiten Frage: Der Minister fragt die Soldaten immer, was Sie bedrückt und was sie für Sorgen haben, und nimmt das mit offenem Ohr entgegen. Warum dieses Thema bei seinem letzten Besuch oder seinen Besuchen davor keine Rolle gespielt hat, kann ich Ihnen im Moment schlicht nicht sagen.

FRAGE WIEGOLD: Nach Angaben der Deutschen Post beginnt ihre Wahrung des Postgeheimnisses mit Einlieferung in ein Feldpostamt oder eine Feldpoststelle. Nun liegt ja die Vermutung nahe, dass nicht in jedem Combat Outpost eine Feldpoststelle existiert. Haben Sie einmal geprüft, wie die rechtliche Bewertung aussieht, bevor diese Briefe bei der Deutschen Post in Form der Feldpost aufschlagen? Ich nehme einmal an, der Spieß, der Kompaniechef oder der Versorgungskonvoi nehmen die Post mit. Ist auch diese Strecke vom Postgeheimnis abgedeckt?

MORITZ: Art. 10 des Grundgesetzes gilt auch im Bereich der Bundeswehr, ja.

FRAGE: Herr Moritz, wenn ich jetzt frage, bis wann Sie sich den Überblick, welche Einheiten oder welche Soldaten betroffen sein könnten, verschafft haben wollen, werden Sie vermutlich sagen: So schnell wie möglich. Können Sie dieses „So schnell wie möglich“ trotzdem ein bisschen zeitlich eingrenzen? Denken Sie, dass das innerhalb von zwei Wochen oder sogar einer Woche zu leisten sein wird?

MORITZ: Ich kann Ihnen wirklich noch keinen Zeitrahmen geben. Es geht jetzt ja zunächst einmal darum, eine Tatsachenfeststellung vorzunehmen. Man müsste sich zum Beispiel einmal einen der Briefe, die betroffen sind, anschauen können, um überhaupt nachvollziehen zu können: Was ist da passiert, wie sieht dieser Brief aus, hat ihn jemand mit einem Messer aufgeschnitten, ist er zerrissen? Man braucht jetzt also eine gewisse Zeit, um Feststellungen zu erhärten, die aufgrund der Angaben, die die Soldaten gegenüber dem Wehrbeauftragten gemacht haben. Wie lange das dauert, wird natürlich wesentlich davon abhängen, wie schnell man an die Informationen kommt, die man von den Soldaten, die diese Meldungen gemacht haben, braucht. Ich wäre ein Weissager, wenn ich Ihnen jetzt sagen könnte, ob das eine Woche oder zwei Wochen lang dauern wird. Das wird so schnell möglich und mit dem größten Nachdruck, der möglich ist, vorwärts getrieben. Wann das beendet sein wird, kann ich Ihnen aber nicht sagen.

ZUSATZFRAGE: Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass es sich vielleicht schlicht und einfach um Diebstahlversuche oder um Diebstahl handeln könnte?

MORITZ: Ich habe Ihnen gesagt, dass wir im Moment überhaupt nichts ausschließen können, so leid mir das tut. Ich habe vorhin schon gesagt, dass man natürlich auch nicht ausschließen kann, dass mechanische Bearbeitung zum Reißen bestimmte Briefe geführt hat. Genauso kann man nicht ausschließen, dass es Diebstahl gewesen ist oder dass das Post- und Fernmeldegeheimnisses gezielt verletzt wurde, um an den Inhalt dieser Briefe zu kommen. Nichts ist im Moment sicher, und insofern kann auch nichts ausgeschlossen werden.

FRAGE WIEGOLD: Wer hat denn die Federführung für die Ermittlung in der Bundeswehr?

MORITZ: Das muss ich Ihnen nachreichen, das weiß ich im Moment nicht.