Aufentern freiwillig – nach dem Unfall

Auf die Frage, was Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg veranlasst hat, am vergangenen Freitag noch Geduld und Aufklärung im Falle Gorch Fock zu fordern und am Samstag scheinbar plötzlich den Kommandanten vom Dienst zu suspendieren, mag es vielleicht eine Antwort geben: den ausführlichen Bericht des Wehrbeauftragten. Dessen Leitender Beamter hatte diesen Bericht mit dem Datum 21. Januar erstellt – also just am vergangenen Freitag. Darin findet sich vieles, was schon im Wesentlichen vorher bekannt geworden war, aber auch einige neue Einzelheiten.

Der Bericht stützt sich, das war klar, ausschließlich auf die Aussagen der Offizieranwärter (OA), die zum Zeitpunkt des tödlichen Unfalls von Sarah Lena Seele am 7. November in Salvador de Bahia an Bord waren. Ohne den Bericht hier in allen Details ausbreiten zu können und zu wollen – ein paar Dinge sind auffällig.

Zum Beispiel wurde nach den Angaben der Offizieranwärter zwar von Kommandant Norbert Schatz betont, dass das gefährliche Aufentern in die Wanten freiwillig sei. Allerdings erst nach dem Unfall. Auch hätten sich einige Vorgesetzte nach dem Absturz der 25 -jährigen verständnisvoll gezeigt und hervorgehoben, dass Sicherheit vor Schnelligkeit gehe. Andere Vorgesetzte seien dagegen verständnislos gewesen und hätten die ihnen unterstellten OA in gewisser Weise zum Aufentern ‚genötigt‘. Habe man auf Höhenangst verwiesen, seien Äußerungen gefallen wie Du willst doch Seemann werden, sonst wird das nichts. Dabei habe es auch einen Fall gegeben, in dem ein OA mit offensichtlicher Höhenangst beruhigt worden sei, er brauche nicht aufzuentern – dann habe ihn jedoch seine Wachführerin angeschrien, dass er sich zusammenreißen solle, das gebe es in ihrer Wache nicht und er solle mit anderen ins Großtopp aufentern (interessanter Nebenaspekt zu der Frage, ob Frauen an Bord, als OA oder als Vorgesetzte, einen Unterschied machen).

Die Ansage des Kommandanten, das Aufentern sei freiwillig, wurde offensichtlich von etlichen Ausbildern nicht umgesetzt: Die Ausbilder hätten massiven Druck zum Aufentern aufgebaut… Eine Offizieranwärterin schilderte, ihr Ausbilder habe deutlich gemacht, dass sie anderweitig vom Lehrgang abgelöst wurde.

Der (ohne Anlagen) zehn Seiten umfassende Bericht des Wehrbeauftragten wird sicherlich noch eine Rolle spielen. Vielleicht schon am (morgigen) Dienstag, wenn der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus in Berlin seinen Jahresbericht vorstellt.

Archivbild vom 10.08.2009: Impressionen auf der Fahrt des Segelschulschiffs GORCH FOCK zum Heimathafen nach Kiel. Foto: Bundeswehr/De Castro