Vorrang für den NH90-Rettungshubschrauber

Da sind sich Bundeswehr und Industrie mal einig, und das kommt nicht häufig vor in diesen Tagen: Der NH90, der künftige Standard-Hubschrauber des Heeres, dürfte spätestens 2012 mit der Bundeswehr in den Einsatz gehen. Vielleicht, gab sich Lutz Bertling, Chef des NH90-Herstellers Eurocopter, bei einem Gespräch mit Journalisten dieser Tage optimistisch, vielleicht sogar noch im kommenden Jahr.

Nun wartet die Truppe schon ein paar Jahre auf diesen neuen Helikopter und hätte ihn gerne schon längst im Einsatz in Afghanistan. Inzwischen hat sich die Bundeswehr sogar bereit erklärt, bei einem Teil der bestellten Helikopter nicht auf die endgültige Version des NH90 zu warten, die mit der Full Operational Capability (FOC), sondern nimmt schon jetzt und im kommenden Jahr die mit einer aufgewerteten Anfangsbefähigung, der Initial Operational Capability (IOC) plus. Aus einem schlichten Grund: Möglichst schnell sollen deutsche MedEvac-Hubschrauber im deutschen Einsatzgebiet am Hindukusch zur Rettung verwundeter Soldaten bereit stehen, die Ausbildung läuft. (Es gibt zwar auch den CH-53 in der MedEvac-Variante, der allerdings deutlich größer und damit ein gefährdeteres Ziel ist als der NH90.)

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Bei der Informationslehrübung Nord des Heeres Anfang September 2010 flog der NH90 nur als Pseudo-MedEvac-Hubschrauber, wie unter anderem das ans Fenster geklebte Rote Kreuz belegte.

Der NH90 in der AirMedEvac-Rolle, gibt sich der Eurocopter-Chef selbstbewusst, sei als fliegender Notarztwagen und Rettungshubschrauber nicht mit den Blackhawks der USA zu vergleichen, die derzeit die Rettungsaufgabe im (deutsch geführten) Regionalkommando Nord in Afghanistan innehaben: Während der (von Amis wie Deutschen gleichermaßen auch als MedEvac-Helikopter bezeichnete) Blackhawk Verwundete nur raushole, ermögliche der NH90 mit eingerüstetem MedEvac-Kit schon die Behandlung während des Fluges und damit möglicherweise den entscheidenden Vorsprung, Leben zu retten.

Das mag stimmen; entscheidend für das Drängen des Heeres, diesen neuen Hubschrauber für den Einsatz zu bekommen, dürfte allerdings etwas anderes sein: wenn die USA im kommenden Jahr aus innenpolitischen Gründen mit einer Truppenreduzierung in Afghanistan beginnen, werden sie das nicht im umkämpften Süden des Landes tun – sondern möglicherweise am ehesten im weniger kritischen Norden. Und die Deutschen dann vielleicht ohne die MedEvac-Helis (U.S.-Slang: Dust-off) zurücklassen.

Jenseits der rund 20 Rettungshubschrauber (die einen zwar dringend benötigten, aber auch nur geringen Anteil an den insgesamt 122 von Deutschland bestellten NH90 ausmachen) sieht Bertling beim Thema NH90 optimistisch in die Zukunft. Eventuell Ende dieses Jahres, Anfang kommenden Jahres werde voraussichtlich die NATO-Beschaffungsagentur NAHEMA die Qualifizierung, sozusagen die Typenzulassung, für die NH90 in der FOC-Variante erteilen, zumindest die technische Freigabe. (Wenn ich das richtig sehe, paar Jahre später als geplant.)

Gespräche zwischen Eurocopter und dem deutschen Verteidigungsministerium über eine eventuell geringere NH90-Bestellung für die Bundeswehr, sagt der Eurocopter-Chef, gebe es bislang nicht – realistisch sei auch nicht vor dem zweiten Quartal 2011 damit zu rechnen, so lange es keine Klarheit über die Schüttelung der Bundeswehr, Standorte und Ausbildungseinrichtungen gebe.

Und wenn die kleinere und finanzklamme Bundeswehr deutlich weniger dieser Hubschrauber abnehmen will? Da rechnet Bertling vor: Zu 154 Maschinen dieses Typs in verschiedenen Varianten habe sich die Truppe commited. Natürlich könne man das reduzieren, aber: Der Anteil deutscher Unternehmen an der Fertigung sei anhand des deutschen Anteils an der Gesamtproduktion errechnet, und der  reduziere sich dann auch – und wandere in andere NH90-Besteller-Länder ab. Für die EADS-Tochter Eurocopter sei das weniger ein Problem als für die – teils mittelständische – Zulieferindustrie, die dann richtig Probleme bekomme.

Ähnlich optimistisch gibt sich Bertling beim Thema Marinehubschrauber, wo dem NH90 ein mögliches Konkurrenzangebot in Form des Sikorsky-Hubschraubers CH-148 Cyclone (so heißt er jedenfalls bei den Kanadiern) erwächst. Wenn vor drei Jahren dem NH90 in der Marineversion die Beschaffungsreife abgesprochen worden sei, weil noch einige Systeme fehlten, sei der CH-148 bei Anlegung gleicher Maßstäbe noch Jahre von dieser Beschaffungsreife entfernt. Außerdem hätten die Marinen der Niederlande, Frankreichs und Italiens schon den NH90 im maritimen Einsatz, die Integration dieses Helikopters in das System der deutschen Fregatten sei einfacher  – und das 3-Mann-Cockpit (im Unterschied des 4-Mann-Cockpit des Sikorsky) entspreche doch der ursprünglichen Anforderung.
(Über das Thema Marinehubschrauber wird man sicherlich in den nächsten Monaten noch einiges hören, deshalb beende ich hier mal die Detaillierung.)

Beim Kampf, pardon, Unterstützungshubschrauber Tiger ist der Eurocopter-Chef auch guter Hoffnung – die für Eurocopter peinliche Geschichte mit den durchgescheuerten Kabeln scheint beigelegt. Und auch wenn Bertling es so deutlich nicht sagt: Da gibt es ebenfalls ein hohes Tempo, diesen Helikopter in den Einsatz am Hindukusch zu bringen, inzwischen offensichtlich sowohl auf Seiten der Industrie als auf Seiten der Bundeswehr. Bertling jedenfalls weiß lauter lobende Dinge über die Franzosen und ihren Tiger-Einsatz in Afghanistan zu erzählen. Bis zu dem (vielleicht nur für Profis tröstlichen) Vortei, dass bei diesem Hubschrauber aus Composite-Material Einschusslöchter einfach mit Klebeband verschlossen werden können, sofern sie nicht entscheidende Teile beschädigt haben: Im Gegensatz zu Metall gebe es da kein Riss-Wachstum.

Auf meine Nachfrage wollte der Eurocopter-Chef übrigens nicht bestätigen, dass die Firma schon mal mit der Produktion von Sandfiltern für die deutsche Tiger-Variante begonnen hat (die Vorrichtungen für die französischen und australischen Versionen passen nicht). Aber er dementierte es auch nicht – diese Sandfilter bzw. der ganze Kit für Wüstenregionen sind ja eine der wesentlichen Voraussetzungen, diesen deutschen Unterstützungshubschrauber an den Hindukusch bringen zu können.

Eine immer wieder heiß diskutierte Beschaffung sieht Bertling übrigens ganz gelassen als erledigt an. Hubschrauber für die Combat Search and Rescue (CSAR)-Rolle, die Kampfrettung, werde es bei der Bundeswehr die nächsten Jahre nicht geben. Seine Logik ist einfach: CSAR ist per unstrittiger Definition eine Aufgabe der Luftwaffe (die, historischer fun fact, bei der Öffnung der Bundeswehr für Frauen die weiblichen Soldaten von dieser Aufgabe anfangs ausschloss, obwohl es die Kampfretter noch gar nicht gab). Die Luftwaffe bekommt jetzt wiederum vom Heer alle CH-53 – und die werden derzeit zum Teil für Personal Recovery, die Rettung von Personen, technisch aufgerüstet, zum Beispiel mit Satellitenkommunikation. Da Personal Recovery schon an die CSAR-Rolle teilweise herankomme, sinke die Priorität für eine echte CSAR-Ausstattung. Da könne man dann doch vielleicht am Ende dieses Jahrzehnts, sagt Bertling, nach dem dann neuesten Stand der Technik gucken. (Ich kann mich täuschen, aber hatte es nicht Probleme gegeben, die technischen CSAR-Forderungen mit den Leistungsparametern des NH90 in Übereinstimmung zu bringen?)